Kapitel 14

»Staatsbegräbnis!! Wie ein Staatsbegräbnis, sag ich dir.«

Martin nickt beipflichtend, obwohl er weiß, dass Romana es nicht sehen kann. Aber was soll er sagen? Schön? Gratuliere? Zu einem Begräbnis?

Sie lässt sich von seinem Schweigen nicht irritieren. »So grandios, wie unsere Hochzeit gewesen wäre, Martin. Nur hat statt der Bleiburger Big Band der Arnoldsteiner Grenzlandchor gesungen.« Kurzes Schweigen, dann ein Räuspern am anderen Ende der Leitung. Weint Romana etwa?

»Kärntner Volkslieder, die ja nicht so seines waren, hat sicher die Mörderwitwe ausgesucht, und dann das Ave Maria – auch nicht Hugos Geschmack«, meldet sie sich mit belegter Stimme zurück. »Aber was sollʼs, sie haben schöne Stimmen und einen berühmten Namen. Und die Leut waren beeindruckt.«

»Und die Witwe?«, fragt Martin.

»Na, die hat sich natürlich gleich hinter dem Sarg positioniert. Ich war mit Leonie und dem bösen Wolf dann in der zweiten Reihe. Aber immerhin an Leonies Seite, verstehst du? Wir zwei, wir sind die wahren Hinterbliebenen vom Hugo. Es waren natürlich auch viele Pressefotografen da. Vielleicht hat man mich für die Schwester von Leonie gehalten? Na ja, andererseits weiß die Leserschaft inzwischen ja, dass ich die Verlobte bin.«

Leonie? Martin erinnert sich, dass Romana ihm am Vorabend lang und breit von der Ankunft der Flock-Tochter in ihrer Pension berichtet hat. Nur hat er kaum zugehört, weil mit eigenen Problemen beschäftigt. Caro und Pongauer. Warum hat sie behauptet, sie müsse sich um ihre Mutter kümmern? Er ist gestern in dem Gastgarten zwar innerlich wutschäumend, äußerlich aber souverän an ihr vorbeigegangen, mit einem kurzen Kopfnicken in Richtung der beiden. Seine Anti-Aggressions-Betreuerin wäre stolz auf ihn gewesen.

Echt cool war er, aber geschlafen hat er nicht viel in der Nacht darauf. Die Eifersucht hat ganz schön genagt – und dann noch die Enttäuschung darüber, dass sie ihn angelogen hat. Immer musste er sich vorsagen, dass sie ihm ja keine Rechenschaft schuldig ist. Einmal miteinander schlafen sei noch keine Beziehung, hat auch Fassl gemeint. Sie haben sich gegen zwei Uhr früh in der Küche getroffen, Franz konnte nämlich auch nicht schlafen. Zu groß die Aufregung vor seinem ersten Tinder-Rendezvous.

Der Freund hat ihm darüber hinaus abgeraten, Caro gleich am nächsten Tag »zur Rede zu stellen«. Klein sei das und spießig. Und außerdem unklug. »Bist du plötzlich zum Experten in Liebesdingen mutiert?«, hat er den Franz gefragt. Dessen Antwort war einleuchtend: »Ja, in allem, was man falsch machen kann.«

Aber er will mit ihr unbedingt die Pongauer-Geschichte klären, bevor er nach Wien zurückmuss. Drei Tage hat ihm sein Chef noch gewährt. Wenn sich in der Zeit nichts tut in Sachen Anabolika, heißt es: Adieu, Mozartstadt! Und: Adieu, Caro …

»… Notartermin übermorgen« drängt sich Romana in seine Gedanken. »Glaubst, hat der Hugo mir eine der Villen hinterlassen? Oder ein paar Millionen?«

Na, was soll er glauben? »Glauben heißt nix wissen«, sagt seine Mutter immer. Bevor er sich eine Antwort zurechtlegen kann, klopft es an, offenbar ruft jemand an auf seinem Handy, kurz danach poppt eine Nachricht auf – von Rüdiger. Wird er später abhören, wenn überhaupt. Martin geht mit dem Telefon auf den Balkon und zündet sich dort eine Zigarette an. Fassl mag es nicht, wenn er in der Wohnung raucht.

»Martin?! Hörst überhaupt zu?«

»Ja, sicher. Also, das mit den Villen weiß ich nicht. Lass dich überraschen. Und denk dran, dass eure Liebe so viel mehr wert war als sein ganzes Geld.« Martin kann geradezu spüren, wie sich der Scheinheiligenschein über seinem Haupt niederlässt.

Pikiertes Seufzen. »Und wenn die mörderische Tussi alles kriegt? Schau, dass du die bald hinter Schloss und Riegel bringst!«

Martin schweigt, und Romana legt mit einem weiteren Seufzer auf, in dem vieles drinsteckt: Liebe, Trauer, Wut, Geldgier …

Nachdem er die Mobilbox mit Rüdigers Nachricht abgehört hat – natürlich ist der wieder auf was Brisantes gestoßen und will diesmal, dass Martin ab neunzehn Uhr zu ihm in seine Airbnb-Wohnung nach Gnigl kommt –, dämpft er die Zigarette aus und geht zurück in die Wohnung, um Fassl zu suchen. Er findet seinen Freund vor dem Kleiderschrank im Schlafzimmer. Verzweifelt. Auf dem Bett türmen sich Hosen, Hemden, T-Shirts. »Ich hab nix Gʼscheites zum Anziehen. Irgendwie sind alle meine Sachen total uncool«, klagt Franz.

»Ziehst dich jetzt schon an? Ist doch erst drei. Wann triffst du denn die Futtermaus

Fassl dreht sich zu Martin um, der in der Tür stehen geblieben ist. »Wie? Entschuldige, war in Gedanken.«

Eh klar. »Wann du dich mit ihr triffst?«

»Um sechs, auf einen Drink auf der Stein-Terrasse. Wie du mir geraten hast. Zuerst ein unverbindlicher Drink zum Beschnuppern, später dann vielleicht ein Essen.« Fassl lächelt vielsagend. »Und dann schau ma mal.«

Martin geht näher und durchforstet den Kleiderberg auf dem Bett. Er zieht schwarze Jeans und ein schwarzes Poloshirt heraus. »Zieh das an, und vielleicht das Leinensakko.«

Fassl zuckt unschlüssig mit den Schultern. »Ist das nicht zu bieder?«

Martin hält die Sachen hoch. »Na ja, eine Lederjacke wär besser, aber die hast du nicht. Und meine passt dir nicht.«

»Das weiß ich«, kommt es beleidigt von Franz.

»Ach geh, Franz, sei nicht so angʼrührt. Dass wir körperlich anders gebaut sind, weißt ja eh. Außerdem ist eine Futtermaus vermutlich eh nicht der Typ, der auf coole Lederjacken und löchrige Designerjeans steht, sondern eher eine gemütliche Frau, die gerne kocht und isst.«

Martin ist schon neugierig, was sein Freund vom ersten Tinder-Date berichten wird. Hinter ihrem Tinder-Namen vermutet er einen etwas molligen Genießertyp. Ihr Gesicht sieht sehr hübsch aus, doch andererseits gibt es Photoshop! Da war Fassl, der sich in der Dating-App Netterretter nennt, auch nicht ganz ehrlich mit seinem Foto aus seiner dünneren Zeit. Egal, er wünscht dem Freund jedenfalls, dass es ein schöner Abend wird, wenn nicht mehr.

***

Der Wind bläst mit gefühlter Orkanstärke durch Martins Lederblouson, sodass er sich wie ein Luftballon vorkommt. Seit zwanzig Minuten steht er unschlüssig vor dem Wohnhaus von Caros Mutter. Idiotisch wie ein verliebter Teenager, der vor dem Haus der Angebeteten lauert. Aber er kann nicht anders. Er muss sie sehen. Anrufe beantwortet sie nicht, und ins Hotel kommt sie erst zum Abenddienst, hat man ihm gesagt. Also vermutet er, dass sie bei ihrer Mutter zu Hause ist.

Soll er läuten und sagen, er sei grad zufällig vorbeigekommen? Was, wenn sie ihn schon längst vom Fenster aus beobachtet hat. Wie zufällig kann man denn zwanzig Minuten bei stürmischem Wind vor einem Haus stehen? Du bist doch total deppert und eine spätpubertäre Peinlichkeit auf zwei Beinen, schimpft er sich selbst und verlässt rasch seinen Beobachterposten. Hoffentlich hat Caro ihn nicht gesehen. Er wird sie später im Hotel besuchen, um ihr seine Abreise anzukündigen. Und dann halt irgendwie auf den Pongauer zu sprechen kommen.

Eine Zeit lang lässt er sich vom Wind ziellos durch die Stadt treiben, um sich einen genauen Plan für die Unterredung mit Caro zurechtzulegen. Keine Vorwürfe, die kommen nie gut an. Das weiß er noch aus Larissa- und Lily-Zeiten. Und natürlich von Fassl. Als er am Café Tomaselli vorbeigeht, hört er eine inzwischen vertraute Stimme seinen Namen rufen. Auf der menschenleeren Terrasse vor dem Café sitzt Caro und winkt ihm zu. Ihr Haar vom Wind zerzaust.

»Martin, so ein Zufall! Komm, setz dich zu mir. Ich hoffe, der Wind macht dir nichts aus. Ich finde ihn so erfrischend. Magst einen Prosecco? Meine Einladung.« Sie wirkt aufgekratzt und fröhlich. »Noch zwei Prosecco!«, ruft sie dem Kellner zu.

»Gibtʼs was zu feiern?«, fragt Martin, nachdem er sie auf die Wange geküsst und Platz genommen hat.

»Das kannst laut sagen!«, lacht sie und fährt sich mit den Fingern ordnend durch die Haare – vergeblich. »Ich war gerade mit meiner Mutter beim Arzt. Und der Befund zeigt, dass der Krebs tatsächlich geschrumpft ist. Geschrumpft! Ein echtes Wunder.« Sie schenkt dem Kellner, der die beiden Gläser Prosecco vor ihnen abstellt, ihr schönstes Lächeln, was Martin wieder einen Stich versetzt.

»Wahrscheinlich wird sie sogar zu hundert Prozent geheilt. Ich musste das einfach feiern, wenn auch mit mir allein. Aber dass du gerade zufällig vorbeikommst, ist das Tüpferl auf dem i. Prost, Martin! Wie schön, dass du da bist!«

Kann man einer Frau, die einem derart den Wind aus den Segeln nimmt, noch böse sein? Trotzdem schafft er es nicht, seinen Mund zu halten: »War das vielleicht ihr Arzt, mit dem ich dich am Attersee gesehen habe?«

Was hat er erwartet? Dass sie erblasst? Errötet? Nichts dergleichen!

»Ach nein, das war der Professor Pongauer. Herzspezialist. Ich nehm noch einen!«, ruft sie dem vorbeigehenden Kellner fröhlich zu. »Du auch, Martin?« Der lehnt dankend ab und wechselt zu einem Glas Stiegl naturtrüb.

»Ah ja, Herzspezialist. Ein Freund von dir?« Es gelingt ihm nicht, unbefangen dreinzuschauen. Er spürt, dass sein Blick etwas Lauerndes, Vorwurfsvolles hat.

Caro lacht. »Ja Martin, bist vielleicht eifersüchtig?«

Er überlegt kurz. »Blödsinn! Natürlich nicht, na ja, eigentlich doch ein bissel. Verdammt noch mal: Jaaa.«

Caro steht auf, beugt sich über den Tisch zu Martin und küsst ihn herzhaft auf den Mund. »Wie schön! Ach weißt du, der Pongauer ist ein Computerdepp und hat mich ein paarmal für seine IT-Sachen engagiert. Hab mir damals was dazuverdient nach meiner Scheidung. Da haben sich die drei Semester IT-Studium wenigstens ausgezahlt. Jetzt kämpft er gerade mit der neuen ELGA-Software, da geht es um den Zusammenschluss von Patientendaten. Er wollt mich überreden, ihm wieder zu helfen. Aber jetzt mit dem Hoteljob und der Mutter und – mit dir, da hab ich keine Zeit.« Sie berührt sanft sein Knie, was in Martin einen Stromstoß auslöst. Genau in dem Moment vermeldet sein Handy eine SMS. Er checkt kurz, ob es etwas Wichtiges ist, und kennt die Antwort sofort, als er den Absender sieht. Nicht wichtig, da von Rüdiger. »Scio omn«, nur diese zwei Worte hat der Angeber durch die Sphäre geschickt.

»Kannst du Latein?«, fragt er Caro. »Ich hab praktisch alles vergessen.«

»Ein bissel, warum?«

»Ich hab gerade eine lateinische SMS bekommen: ›Scio omn‹.«

»›Omn‹ heißt gar nix. Vielleicht hat der Absender zu früh auf Senden gedrückt, und es soll ›Scio omnia‹ heißen. Das bedeutet ›Ich weiß alles‹.«

***

Sie waren wieder im Hotel, in einem Zimmer, das gerade frei geworden war. Der Sex war überirdisch, Caro liebevoll, zärtlich und leidenschaftlich zugleich. So gelöst hat er sie noch nie erlebt. Während Martin im Taxi zurück nach Maxglan fährt, lässt er die vergangenen Stunden Revue passieren und denkt über Caro nach. Es ist ja lieb und lobenswert, dass sie sich so um ihre Mutter sorgt, aber irgendwie ist diese extreme Verbundenheit schon wieder seltsam. Manchmal hat er den Eindruck, Caro glaubt, ihr etwas schuldig zu sein. Obwohl sie als selbstsichere Karrierefrau auftritt und auch privat weiß, was sie will, scheint ihr Ego auf Nanogröße zu schrumpfen, wenn es um die Mutter geht.

Apropos Ego. Was sollte wohl diese geheimnisvolle SMS von Rüdiger? »Scio omn«. Warum hat er keine Korrektur hinterhergeschickt? Und warum geht er nicht ans Telefon? Will er Martin damit sagen »Du musst schon zu mir kommen, wenn du meine brisanten News erfahren willst«? Natürlich wird er nicht hinfahren. Wird eh wieder nur ein Wischiwaschi sein, was Rüdiger zu erzählen hat.

Als er in Fassls Wohnung ankommt, macht er sich einen Kaffee und setzt sich damit auf den Balkon. Der Wind hat nachgelassen, alle Wolken vertrieben, und es ist ein schöner lauer Abend geworden. Er wünscht Franz, dass er diesen Abend mit seiner Verabredung richtig genießen kann, und überlegt, was er selbst jetzt am besten unternimmt. Sein Magen plädiert für den Gastgarten in der Einkehr.

Andererseits … Vielleicht ist doch was dran an Rüdigers Ankündigung, und es würde ihn in seinen Anabolikaermittlungen weiterbringen? Das wäre nicht nur ein beruflicher Erfolg, sondern er könnte auch länger in Salzburg, sprich: bei Caro, bleiben.

***

Wieder ist Martin unterwegs nach Gnigl. Inzwischen kennt er sich dort ja schon recht gut aus und findet Rüdigers Adresse auch auf Anhieb.

Es ist neunzehn Uhr zwanzig, als Martin an der Tür mit der Nummer zwölf läutet. Nichts. Das gibtʼs doch nicht! »Ab neunzehn Uhr«, hat Rüdiger auf die Mobilbox gesprochen. Da kann er nicht erwarten, dass Martin um Punkt sieben vor der Tür steht. Das war schließlich eine offene Einladung. Außerdem ist es nur etwas mehr als cum tempore, mein Freund! Er läutet noch einmal und ruft: »Rüdiger! Ich binʼs, Martin.« Als sich in der Wohnung niemand meldet, versucht er es wieder am Handy. Besetztzeichen. Rüdiger nervt, redet zu viel, vor allem Blödsinn, ist nicht grad sein bester Kumpel. Aber eines ist Rüdiger nicht: unpünktlich. Das weiß Martin noch aus der Schulzeit. Darum schlägt er mit der Faust laut gegen die Tür.

»Was machen Sʼ denn so an Lärm? Sie sehen doch, dass keiner zʼhaus is.« Ein älterer Mann im Trainingsanzug ist aus der Nachbarwohnung im Gang erschienen und sieht Martin misstrauisch an.

»Entschuldigung, wenn ich Sie gestört hab. Aber ich bin mit meinem Freund hier in dieser Wohnung verabredet, und er macht nicht auf. Am Handy meldet er sich auch nicht. Ich mach mir Sorgen«, erklärt Martin dem Nachbarn seine Aktion. »Wissen Sie, ob jemand einen Schlüssel zu der Wohnung hat?«

»Ja, wir. Meine Frau macht hinter den Gästen sauber, und wir lassen immer die neuen Gäste rein. Schau ma halt schnell hinein. Viel Zeit hab i net, es fangt gleich die Zeit im Bild an. I hol nur den Schlüssel.«

Martin steht vor der Tür und befürchtet, Rüdiger bewusstlos und unterzuckert auf dem Boden vorzufinden. Er erinnert sich vage, dass der schon in der Schule an Diabetes gelitten hat. Doch als der hilfsbereite, wenn auch ein wenig misstrauische Nachbar aufsperrt, ist die Wohnung leer. Auf dem Esstisch in der Wohnküche steht Rüdigers Laptop, das Bett ist ordentlich gemacht, nichts lässt darauf schließen, dass etwas passiert wär. Wenn er nicht die Handybotschaften hinterlassen hätte! Martin bedankt sich beim Nachbarn und verlässt mit einem flauen Gefühl die Wohnung.

Danach fährt er die Gegend um Rüdigers Wohnung ab und schaut sogar im Café Bazar vorbei. Vielleicht war das mit dem Treffen in der Wohnung ein Missverständnis? Alles ohne Erfolg. Die Anrufe bei Rüdiger enden nach wie vor mit einem Besetztzeichen.

***

Fassl ist schon daheim, als Martin nach Hause kommt. Er sitzt am Küchentisch, vor sich ein Stamperl Schnaps.

Oje, denkt Martin, kein gutes Zeichen. »Wie warʼs?«

»Willst du zuerst die gute oder die schlechte Nachricht hören?«, murmelt Franz.

»Die gute.« Martin braucht jetzt eine gute Nachricht – und ebenfalls einen Schnaps.

Fassl holt ein zweites Glas aus dem Küchenschrank und gießt seinem Freund ein. »Also, sie heißt Marina, falls das ihr richtiger Name ist, und sie sieht umwerfend aus. Eine Schönheit. Lange dunkle Haare, Locken, super Figur, Anfang dreißig. Sie mag etwas fülligere Männer und hat mich gleich als den ›Retter vom Attersee‹ erkannt.«

»Ist doch großartig! Was kann da noch schiefgehen?«

»Einiges«, seufzt Franz. »Zuerst haben wir ganz gemütlich ein Glas Wein getrunken und geplaudert. Sie hat erzählt, dass sie Lehrerin ist, geschieden, und dass sie gerne kocht.«

»Na, passt doch!«

»Wart ab, das ist noch lang nicht alles. Als wir den Wein ausgetrunken hatten, hat sie vorgeschlagen, dass wir daneben ins Sacher essen gehen.«

»Okay, das hat dich gestört, verstehe. Ein bissel unverschämt für den ersten Abend.« Beim Stichwort »Essen« meldet sich Martins Magen. Er steht auf und holt sich Brot, Wurst und Käse aus dem Kühlschrank. »Willst auch noch was?« Fassl hat ja offenbar schon gegessen, aber man weiß nie bei ihm.

Franz wendet sich angewidert ab: »Ich ess nie wieder was.« Er versucht, an Martin vorbeizusehen, als dieser sich die Brettljause schmecken lässt. »Natürlich hat mich das mit dem Sacher-Vorschlag zuerst irgendwie gestört. Aber ich dachte, kannst nicht so knausrig sein, sie ist schließlich eine tolle Frau, die man halt verwöhnen muss. Es war dann auch gar nicht so extrem teuer, weil wir ins Sacher Grill gegangen sind. Wir hatten einen schönen Tisch am Fenster, den sie offenbar vorher schon reserviert hatte. Sie hat für uns beide das Essen bestellt, vier Gänge, und es hat mir auch super geschmeckt. Ich dachte: Was für ein herrlicher Abend!« Fassl wendet sich kurz ab, um zu rülpsen. »Als wir mit dem Essen fertig waren, hat sie mich in ihre Wohnung, die ganz in der Nähe ist, eingeladen.«

Martin blickt seinen Freund verständnislos an: »Und das ist die schlechte Nachricht? Ja spinnst du, Franz?«

»Nein, das Schlimme war, dass sie dort den Tisch gedeckt und jede Menge Essen vorgekocht hatte. Zuerst hab ich höflichkeitshalber ein paar Bissen genommen, dann hat sie mir mehr und mehr aufgedrängt. Immer hieß es: ›Iss doch, du bist zu dünn.‹ Ich und zu dünn? Mir war schon ein bissel schlecht, da hat sie mir erzählt, dass es sie anmacht, wenn Männer möglichst viel Essen in sich hineinstopfen und sich dann übergeben müssen.« Fassl springt auf und verschwindet in der Toilette. Als er zurückkommt, sieht er blass aus. ›Du musst essen, essen‹, hat sie ständig auf mich eingeredet und noch was vor mich hingestellt.«

Martin fragt sich, warum ausgerechnet Franz so ein Pech mit Frauen hat. »Ich hab von solchen Typen gehört, die nennen sich Feeder. Was hast dann gemacht?«

»Irgendwann bin ich wortlos aufgestanden und aus der Wohnung geflüchtet. Da ist sie mir noch über die Treppe nachgelaufen und hat gerufen: ›Darf ich zuschauen, wenn du …‹«

Martin schiebt sein Essen beiseite. Jetzt braucht er noch einen Schnaps!