Die Auswertung der Laborfunde liest sich wie das Whoʼs who der Drogenwelt: Opium, Morphium, Heroin, Cannabis, Crack, Crystal, Ecstasy, LSD, Crystal Meth, Amphetamine, Steroide, Ketamine …
Der Chemiker, der die kleine Runde im Polizeipräsidium informiert, redet mit einem Hauch von professioneller Ehrfurcht: »Unser Neumarkter Genie hat so ziemlich mit allem experimentiert, um die perfekte Droge zu finden. Die ultimative Designerdroge in genau der richtigen Dosierung für den optimalen Kick. Eine, die Spice oder K2 oder Black Mamba noch in den Schatten stellt. Ohne die üblichen höchst gefährlichen Nebenwirkungen.«
»Und? Hat er sie gefunden?«, fragt Martin und handelt sich einen strafenden Blick des Vortragenden ein.
»Ich glaube, das ist wie die Suche nach der blauen Blume. Dennoch: Wir stehen erst am Anfang unserer Analysen, meine Damen und Herren, das ist nicht so simpel, wie Sie sich das vorstellen. Da gibt es zum Beispiel den Wirkstoff ADB-PINACA, der in den synthetischen Marihuana-Mischungen ganz neu auf dem Markt ist. Bestenfalls in der Feinanalyse nachzuweisen, aber nicht im Blut oder Urin des Betroffenen. Wenn wir davon ausgehen, dass Werner Strobel alles an sich selbst ausprobierte, müssen wir annehmen, dass zu den nachgewiesenen Mengen von Heroin in seinem Körper noch chemische Substanzen kommen, die keine Spuren hinterlassen. Um es ganz deutlich zu machen: Chemische Drogen stellen alles, was wir an natürlichen Substanzen auf dem Sucht-Speiseplan haben, weit in den Schatten. Beispiel: Black Mamba ahmt den Wirkstoff in Marihuana – Tetrahydrocannabinol – nach, doch ist sie in der Wirkung tausendmal intensiver. Sobald das Zeug mit dem Blut ins Hirn gelangt, besetzt es die Rezeptoren für Schmerz, Appetit und Glücksempfinden. Nur ist natürlich auch das Suchtpotenzial tausendmal größer – und die Gefahr bei Überdosierungen.«
Martin schon wieder: »Kann es sein, dass Werner Strobel an einem chemischen Substitut für Heroin forschte? Weil die illegale Produktion in Laboren ja immer noch sicherer ist als der Drogentransport?«
Der Chemiker findet sich damit ab, einen wissbegierigen Polizisten in der Runde zu haben. Einer muss halt immer dabei sein, und den verabscheut er von allen Laien am meisten. Denn er mag es nicht, unterbrochen zu werden. »Wir bewegen uns noch im Raum des Spekulativen, meine Damen und Herren, aber ja, es könnte sein. Wir haben Heroin in größeren Mengen gefunden. Wie Sie sicher wissen, gehört Heroin zu den Opiaten und Opioiden, es ist ein Derivat des Morphins, dessen Ausgangsstoff wiederum das Rohopium ist, das durch Anritzen der unreifen Fruchtkapseln des Schlafmohns gewonnen wird. Die über chemische Prozesse entzogene Morphinbase wird durch Acetylierung in Morphinhydrochlorid, das sogenannte Heroin Nr. 1, umgewandelt. Dann haben wir noch Heroin Nr. 2 und Heroin Nr. 3, eine bereits wasserlösliche Substanz, die im Aussehen braunem Zucker ähnelt. Unser Genie arbeitete allerdings mit Heroin Nr. 4, ein bräunliches bis weißes kristallines Pulver, dessen Wirkstoffkonzentration bei über neunzig Prozent liegt.«
Sie sitzen da mit offenen Mündern, jetzt hat er es ihnen aber gegeben. Der lästige Frager hat versucht, alles zu notieren, aber so ganz kam er nicht mit. Der Chemiker lächelt, ab und zu genießt er sein Herrschaftswissen. »Aber das können Sie alles in meinem ausführlichen Bericht nachlesen, der gerade in Vorbereitung ist. Wir haben übrigens auch verschiedene Anabolika sichergestellt, vermutlich hat unser Mann auch mit Testosteron experimentiert. Und dann gab es noch Ampullen, die sozusagen gebrauchsfertig im Kühlschrank gelagert waren. In der Feinanalyse haben wir Substanzen wie Opdivo und Methotrexat gefunden, das sind neuere Stoffe in der Krebsbekämpfung, aber vermischt mit Komponenten, die wir nicht verifizieren können.«
»Könnte Targetomab sein«, wirft Martin in den Ring. »Ein neues Mittel, das besonders bei der Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs angewendet wird. Den Namen habe ich jedenfalls gehört und mir hoffentlich richtig gemerkt.«
Der Chemiker checkt das in seinem Laptop, der neben ihm auf dem Stehpult liegt. Er hat schlecht geschlafen, am Morgen mit seiner Frau gestritten und zwei nervende Kinder in die Schule gefahren. Daran denkt er jetzt, als er sagt: »Wo haben Sie das denn gehört, Herr …?«
»Glück. Chefinspektor Martin Glück. Sie meinen, das Mittel gibt es gar nicht?«
Ein süffisantes Lächeln. »Das habe ich nicht gesagt. Eine Substanz dieses Namens ist erst seit Kurzem auf dem Markt. Extrem teuer und wird von den Kassen noch nicht bezahlt. Allerdings …«
»Eben«, unterbricht Martin. »Und jetzt der Zufall: Das Haus, in dem das Labor ist, gehört einer Magister Ziegler. Deren Bruder ist unser genialer Chemiejunkie. Und ihr Mann – und jetzt wird es interessant – ist Onkologe, der Krebsguru Professor Uwe Ziegler, der seine Patienten mit diesem Targetomab behandelt. Könnte es sein – da das Mittel so teuer ist –, dass er es von seinem Schwager in dem Labor billig nachbauen lässt?«
»Ich habe von diesem Professor Ziegler gehört«, erwidert der Chemiker. »Wer hat das nicht in Salzburg? Aber erstens – und das scheinen Sie nicht zu wissen, Herr Glück – wirkt dieses Targetomab nur bei ganz wenigen Patienten, zweitens haben wir bis jetzt unter den Substanzen im Labor keine Hinweise auf Targetomab gefunden, und drittens kann ich mir nicht vorstellen, dass ein hoch angesehener Onkologe illegal erzeugte Substanzen in der Krebsbekämpfung einsetzt, noch dazu so wenig wirksame wie dieses Targetomab.«
»Ihre Vorstellungskraft«, sagt Martin, »ist in diesem Zusammenhang absolut irrelevant.« Vielleicht hat er ein wenig lauter und schärfer gesprochen als beabsichtigt. Jedenfalls stößt ihn Franz mit dem Ellbogen an, der Chemiker sieht aus wie eine beleidigte Leberwurst, und der Polizeipräsident steht auf und bedankt sich im Namen der Truppe für die wertvollen Informationen des Experten.
Der Redner nickt nur, klemmt sich den Laptop unter den Arm und verlässt das Besprechungszimmer. Stimmengewirr setzt ein, die meisten Kollegen sind Martin dankbar, dass er den Vortrag abgekürzt hat. Kommt ja eh noch alles schriftlich, ein Teil von ihnen sehnt sich einfach nach einer Zigarettenpause. Martin sagt zum Polizeipräsidenten, dass die Ausführungen des Experten sehr interessant waren.
Der schaut skeptisch zurück und meint dann: »Ich seh schon, dass Sie den Professor Ziegler im Visier haben. Ich will Sie ja nicht bevormunden, mein lieber Glück. Nur seien Sie vorsichtig im Umgang mit unseren Koryphäen. Der Professor Pongauer hat sich auch schon beschwert, oder besser gesagt, seine Gattin hat sich während einer Golfpartie bei meiner Frau darüber ausgelassen, dass die Polizei ein bisserl – na, wie soll ich sagen – respektlos daherkommt. Die Stützen der Gesellschaft … Sie wissen schon, Glück. Also, kann ich mich auf Sie verlassen?!«
Das war keine Frage, sondern ein Befehl. Martin denkt an seine Verbannung aus Wien, Folge einer unbeherrschten Handlung, und so senkt er demütig den Kopf. Oder tut zumindest so. »Ganz sicher können Sie das«, murmelt er, und der Polizeipräsident lächelt fein und entfernt sich.
»Wow«, sagt Franz, als sie zurück im Büro sind: »Dem hast du’s aber gegeben!«
Martin denkt an seine Therapeutin. »Deinen Spott kannst du dir sonst wohin stecken.«
»Ich hab den Chemiker gemeint«, sagt Fassl. »Wir müssen die Ziegler einbestellen, und ihren Mann auch, aber extra. Weißt du, ob der Strobel schon gezwitschert hat?«
»Ich hab vorhin mit dem Krankenhaus telefoniert, er ist inzwischen bei Bewusstsein, wird aber künstlich ernährt. Und zeigt Entzugserscheinungen.«
***
Werner Strobel reagiert nur mit einer Art höhnischem Stöhnen auf Martins Fragen im Krankenhaus. Es geht ihm schlecht, das muss der Arzt ihnen gar nicht erst sagen. Der wirft die Polizisten schließlich hinaus, als Strobel unkontrolliert zu zittern beginnt.
Also verschwinden sie und essen unterwegs an einem Stand Würstel mit Kartoffelsalat. Und zurück im Büro checkt Martin alles, was er über Professor Uwe Ziegler finden kann, während Franz auf einem Blatt Papier rechnet, darin war er immer schon gut. Martin wirft einen nicht besonders neugierigen Blick darauf, nur um seine Augen einmal vom Computerbildschirm wegzubewegen.
»Ich habʼs doch gewusst!«, ruft Franz plötzlich. »Die Entfernungen, die dein Freund Rüdiger zurückgelegt hat, von Salzburg über die Tankstelle und weiter – und danach bis zurück zum Fundort des Autos, das passt laut Kilometerstand exakt zu der Entfernung nach Neumarkt, zu unserem Häusl. Da, schau selber!«
Muss Martin nicht, was die Mathematik betrifft, vertraut er dem Franz vollkommen. Er gönnt ihm den Triumph: »Heißt also …?«
»Na, dass er dort war, wo er von dem Strobel erwischt wurde, der hat ihm eine Spritze reingejagt, und dann hat er den Sterbenden dorthin gefahren, wo wir ihn schließlich gefunden haben.«
Bei dem Gedanken daran wird Martin schlecht. Ein bisserl. »Wir müssen den zweiten Fingerabdruck am Lenkrad abgleichen, wenn es seiner ist, dann wär er dran. Aber wie ist der Strobel von dort wieder weggekommen? Zu Fuß? Wie ein durchtrainierter Läufer sieht er nicht aus.«
»Taxi? Das könnten wir checken.«
»Oder jemand ist ihm hinterhergefahren und hat ihn dann zurückgebracht. Zum Beispiel seine Schwester. Weil eigentlich war Rüdiger ja hinter der Schwester her, das wusste sie auch. Und als er das Labor entdeckte …«
»Möglich wärʼs«, meint Franz und kaut an seinem Bleistift. »Und wenn wir schon dabei sind: Ich hab mir die Aufnahmen von der Tankstelle angeschaut. Am Todestag von deinem Freund Rüdiger haben wir nur ihn im Bild, keinen unserer Verdächtigen, auch nicht die Ziegler. Aber das heißt ja überhaupt nix. Wir müssen nur den Fingerabdruck am Lenkrad zuordnen …«
»Du bist brillant, Franz. Aber ich denke, ich hab auch was gefunden. Der Professor Ziegler hat in einer Münchner Klinik gearbeitet, als Leiter der onkologischen Abteilung. Und dort haben sie vor vier Jahren eine Studie gemacht mit einem neuen Mittel gegen das Pankreaskarzinom. Sie nannten die Substanz XY46, und Ziegler gab dazu ein Interview mit dem Titel ›Wir gewinnen den Kampf gegen Krebs‹. Und danach …«
Franz starrt ihn erwartungsvoll an.
»Danach schweigt das Netz. Keine Berichte mehr über einen gewonnenen Kampf. Professor Ziegler verlässt offensichtlich die Klinik und zieht von München nach Salzburg. Und wird hier zum Krebsguru …«
»Da schau her.« Franz legt den Bleistift weg, auf dem er anstelle eines Schokoladenriegels gekaut hat. »Du meinst also, wir sollten nach München fahren und das auschecken.«
Martin nickt. »Genau, du kannst Gedanken lesen. Und zwar, bevor wir den Professor einbestellen. Gegen seine Frau haben wir ja schon einiges in der Hand, aber bei ihm wär’s besser, wir würden mehr wissen. Ich denke dabei an die Worte unseres Obermuftis. Die Stützen der Gesellschaft und so …«
Franz grinst. »Morgen früh, ich reich gleich den Reiseantrag ein. Dann könnten wir die Familie Ziegler für übermorgen einbestellen.«
»Du bist brillanter als brillant, Franz.« Martin gibt ihm einen Kaugummi. »Halt noch zwei Stunden durch, dann gehen wir ein schönes Steak essen.«
***
»Du fährst zu schnell«, sagt Franz, und erinnert Martin damit an seine Ex Larissa, die ihn im Auto auch immer anzipfte mit diesen und ähnlichen Bemerkungen.
»Herrgott, Franz, ich fahr hundertfünfzig, mehr gibt die alte Kiste eh nicht her. Außerdem ist hier ausnahmsweise mal kein Stau!«
Sie sind auf dem Rückweg von München nach Salzburg, kurz vor Traunstein. Es ist früher Nachmittag, und sie haben nur eine Leberkässemmel gegessen vor der Rückfahrt. Franz ist also hungrig, und in diesem Zustand pflegt er zu stänkern. Dabei war es doch ein so erfolgreicher Trip, denkt Martin. Sie hatten ein längeres Gespräch mit dem Krankenhausdirektor, der kurz vor der Pensionierung stand und dem es wurscht war, ob seine Bemerkungen zu Professor Ziegler diplomatisch sind oder nicht. Ganz offensichtlich kein Freund des Arztes, der fünf Jahre der Onkologie vorstand. Franz hat das Gespräch aufgezeichnet, und Martin bittet ihn, die Aufnahme abzuspielen.
»Er ist, das muss man ihm zugestehen, ein hervorragender Arzt. Seine fachlichen Qualitäten mochte niemand infrage stellen. Aber menschlich gesehen? Uwe Ziegler ist ein Besessener, müssen Sie wissen. Don Quichotte im Kampf gegen die Windmühlen des Krebses. Jeden Kranken, den er verlor, betrachtete er als persönliche Niederlage. Als Menschen waren ihm die Patienten allerdings völlig egal. Ziegler war ihnen gegenüber ebenso emotionslos wie zu seinen Kollegen und Mitarbeitern. Ich glaube sogar sagen zu dürfen, dass diesem Mann jegliche Empathie fehlt. Er sah nur sich und seinen Kampf. Und dann …«
Es gab eine kurze Unterbrechung, weil der Direktor für eine Rauchpause aufs Dach musste. Die beiden Polizisten begleiteten ihn und bewunderten das Alpenpanorama an einem wolkenlosen Sommertag. Ganz nah schienen die Berge, und Martin nahm sich eine Höhenwanderung vor, sobald der Fall abgeschlossen wäre. Konjunktiv immer noch, doch er hatte das Gefühl, dass sie ganz nah dran waren an der Lösung. Wie sagte sein Vater oft: Gefühle muss man kreativ umsetzen, sonst sind sie doch für die Katz.
Der Direktor sprudelte nur so vor Informationen: »Dann trat eine Pharmafirma an Professor Ziegler heran für eine klinische Studie, es ging um ein neues Krebsmedikament. XY46 sollte die Ausbreitung von Metastasen stoppen und besonders gefährliche Krebsarten wie zum Beispiel das Pankreaskarzinom heilen, die Krebszellen sozusagen umhüllen, isolieren. Ziegler war Feuer und Flamme. Ich glaube, er sah schon den Nobelpreis für Medizin vor seinem geistigen Auge. Nun, ein Krankenhaus hat nichts gegen den Ruhm seiner Ärzte, und natürlich stimmten wir der Studie zu, die von der Pharmafirma finanziert wurde. Es war auch nicht schwer, Probanden dafür zu finden. Krebskranke Patienten, die in XY46 ihre letzte Hoffnung sahen. Wir konnten auswählen, oder besser gesagt, Professor Ziegler wählte aus. Ein repräsentativer Querschnitt: Frauen und Männer, Junge und Alte, verschiedene Krebsstadien … Er ließ sich da auch nicht dreinreden, der Mann war ja immer schon beratungsresistent. Nun ja, anfangs schien es, als könnte das Mittel tatsächlich Wunder wirken. Die Ausbreitung der Krebszellen auf die Lymphdrüsen wurde aufgehalten. Wie bei einer erfolgreichen Chemotherapie, nur eben ohne die Nebenwirkungen. Auch die Tumoren selbst schrumpften. Ziegler schwebte auf Wolken, und seine Patienten verehrten ihn wie einen Gott.«
Der Direktor holt tief Luft. »Und dann, nach circa vier Monaten, hatten wir den ersten Todesfall. Eine vierzigjährige Patientin mit Pankreaskarzinom. Sie erlag einem Schlaganfall. Nun ja, so was kommt vor, sie wurde natürlich obduziert. Krebs geheilt, Patient tot.«
An dieser Stelle meinte Martin ein amüsiertes Lächeln gesehen zu haben. Er war sich nicht sicher, doch das Wort »Schlaganfall« hatte ihn alarmiert.
»Drei Tage später der zweite Todesfall, ein vierundsechzigjähriger Patient mit Lungenkrebs. Diagnose: Insult – Schlaganfall. Da wurden wir schon nervös. Ziegler schmetterte alle Bedenken ab. Zufall, sagte er. Ein Blutgerinnsel verstopft die Gehirnarterien, oder ein Aneurysma platzt – das passiert immer wieder mal … Und dann starb der dritte Proband an Apoplexie: ein Dreißigjähriger mit Bauchspeicheldrüsenkrebs.«
Künstlerpause. »Das, meine Herren, war das Ende der klinischen Studie zu XY46. Der Vorstand votierte gegen eine Fortsetzung, die Pharmafirma zog das Mittel zurück. Nur Professor Ziegler wollte unbedingt weitermachen. Und weil er eben ein Besessener ist, ließ er sich von niemandem dreinreden. Als uns eine Schwester berichtete, dass der Professor XY46 weiterhin heimlich verabreichte, haben wir ihm fristlos gekündigt.«
»Und was geschah mit dem Medikament?«
Der Direktor sah bei dieser Frage unbehaglich aus, erinnert sich Martin.
»Nun ja, ich kann natürlich nicht ausschließen, dass Ziegler davon etwas einbehalten hat. So wie ich ihn einschätze, würde er auf seinem Kreuzzug auch vor Diebstahl nicht zurückschrecken.«
Mehr konnte und wollte er zur Causa Ziegler nicht sagen. Martin und Franz verabschiedeten sich, dankten ihm für die wertvollen Informationen, kauften sich die zwei Leberkässemmeln und gingen zurück zum Auto, dessen Windschutzscheibe ein Strafzettel zierte. »Kann ich den dienstlich einreichen?«, fragt Martin, bevor sie die Grenze passieren.
»Glaub nicht«, antwortet Fassl. »Also sind wir uns einig, dass der Professor dieses XY-Zeug hat mitgehen lassen und damit jetzt seine Krebspatienten behandelt. Und vielleicht gar nicht mit diesem neuen Targetodings.«
»Schon. Und der Strobel experimentiert damit rum, um diese eine Nebenwirkung auszuschalten, die bei manchen Patienten zum Schlaganfall führt.«
»Wie beim Sohn von Hugo Flock zum Beispiel.«
»Ja, und ob es noch andere gab, seit er in Österreich praktiziert, wissen wir nicht. Noch nicht.«
Martin folgt dem Hinweisschild nach Salzburg und denkt zum ersten Mal an diesem Tag an Caro. Keine Apps, kein Telefonat. Es herrscht Funkstille, und was immer er dabei fühlt, er will es gar nicht in Gedanken umsetzen. Um sich abzulenken, fragt er Franz nach seinem Tinder-Date: die geschiedene Programmiererin mit Kind.
»Franziska«, sagt Franz, »und die beiden Namen passen schon einmal zusammen, findest du nicht?«
»Irgendwie schon. Und wie war sie so? Wann seht ihr euch wieder?«
»Ich soll sie anrufen. Wenn sie abends weggeht, braucht sie einen Babysitter für die Tochter. Die ist acht.«
Er sieht Franz von der Seite an, sein Freund schaut gar nicht glücklich aus. »Na, dann ruf sie doch an. Oder stört dich was an ihr?«
Franz sagt erst einmal gar nichts, sondern schaut aus dem Fenster. Ein tiefer Seufzer. Schließlich: »Es ist wegen Caro, weißt du. Also, wie sie über Caro gesprochen hat. Ich wollt es dir erst gar nicht sagen. Es war irgendwie so boshaft.«
Jetzt hat er es geschafft, dass Martin wahnsinnig neugierig ist. Und dass er sie nicht mehr aus seinen Gedanken verbannen kann. »Vielleicht hat Caro deiner Franziska einmal einen Mann ausgespannt. Da können Frauen zu Furien werden. Was hat sie denn über sie gesagt?«
Franz redet so leise, dass Martin sich anstrengen muss, ihn zu verstehen. »Na ja, sie meinte, dass Caro eine … Schlampe sei. Bitte schön, ihre Worte. Caro habe schon während des Studiums Pantscherln mit allen möglichen Männern gehabt, auch mit verheirateten. Sie hat sogar Namen genannt: Professor Pongauer, Dr. Wiesler, das ist ein bekannter Galerist in Salzburg, sogar der Professor Ziegler war dabei … Also, das behauptet sie alles, das muss ja nicht stimmen, oder?«
Im ersten Moment fühlt Martin gar nichts. Der Satz, der ihm unmittelbar dazu einfällt, ist: Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Ein blöder Spruch, das weiß er. »Man soll auf Klatsch und Tratsch nix geben, Franz. Ihr Liebesleben geht nur Caro was an, schließlich ist sie alt genug.«
»Stimmt genau, hab ich mir auch gedacht. Aber da war noch was. Gleich im ersten Semester ist Caro mit Nierenversagen ins Krankenhaus gekommen. Wäre fast gestorben. Und da hat ihr die Mutter eine Niere gespendet. Das ist ja eigentlich nichts Schlechtes, oder?«
Nein, denkt Martin, es erklärt nur einiges. Aber darüber will er nicht reden, auch nicht mit Franz. »Weißt du, vielleicht wollte deine Tinder-Franziska sich nur ein bissel wichtigmachen beim ersten Date. Ruf sie an, triff dich noch mal mit ihr, und dann siehst du weiter.«
»Aber nicht zum Essen«, sagt Franz.
»Ach geh, dass du zweimal einem Feeder begegnest, glaubst ja wohl selber nicht.«
Jetzt lachen sie beide, und Martin denkt, dass er nicht nur gute Ratschläge geben, sondern sie auch selber anwenden sollte.
Auf dem Weg zwischen Parkplatz und Büro ruft er Caros Handynummer an. Sie antwortet nach dem ersten Klingelton: »Du, ich kann nicht reden. Meine Mutter hatte einen Schlaganfall. Wir sind auf dem Weg ins Krankenhaus.«
Dann legt sie auf.