»Wer von euch Volldeppen hat ihr sein Beileid ausgesprochen?!«, brüllt Martin so laut, dass die Tassen auf den Schreibtischen scheppern. Vier Polizisten blicken zu Boden. Alle für keinen, der Wiener Chefinspektor ist so in Rage, dass ein Geständnis unvorstellbar scheint. Er schaut so aus, als ob er gleich um sich schlagen würde.
Als Fassl reinkommt, entschärft sich die Situation. »Hör auf zu schreien, man hört’s bis auf die Straße raus«, sagt er und stellt sich zwischen ihn und die Polizisten. Diejenigen, die abwechselnd vor dem Zimmer des Werner Strobel Wache geschoben hatten. Und da es ja sowieso rauskommen wird, tritt jetzt einer von ihnen vor: »Das war ich, Herr Chefinspektor. War grad meine Schicht, als er starb. Das hab ich halt mitgekriegt, weil die Schwestern redeten. Exitus, das versteht doch ein jeder. Und weil ich keine anderen Befehle hatte, blieb ich halt vor dem Zimmer sitzen. Und dann kam die Magister Ziegler ganz zufällig, weil sie nach ihrem Bruder schauen wollte. Da hab ich ihr gesagt, dass sie nicht reinkann. Und sie fragte ›Warum nicht?‹, und ich hab ihr dann halt kondoliert. Weil sich das so gehört.«
Martin sieht den Polizisten an, als würde er ihn am liebsten mit siedendem Öl übergießen. Aber er brüllt nicht mehr. Sagt nur: »Ach so. Weil sich das so gehört. Verstehe.« Zu Fassl: »Wenn wir sie jetzt vernehmen, wird sie alles auf ihren Bruder schieben. Weil sie weiß, dass er ihr nicht mehr widersprechen kann.«
Zum Polizisten, beinahe sanft: »Man hätte ihr auch sagen können, dass Werner Strobel grad zu einer Untersuchung aus dem Zimmer geholt wurde oder irgendwas anderes. Aber das wär ja eine Lüge gewesen, nicht wahr, und so was gehört sich nicht.«
»Es tut mir leid«, erwidert der Polizist, ironieresistent. Er salutiert und tritt ab, erleichtert, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist. Die Wiener sind nicht umsonst als arrogant verschrien. Ihnen fehlt der selbstbewusste Charme der Salzburger. Jedenfalls wird er dem Fassbinder ewig dankbar sein, dass der dazwischengegangen ist.
Franz und Martin steuern den Verhörraum an, wo Birgit Ziegler mit ihrem Anwalt wartet. Seit einer Viertelstunde, wie sie den beiden gleich vorhält. Das Wort »Polizeiterror« fällt, doch der Anwalt beschwichtigt. Man sei hier, um der Wahrheitsfindung zu dienen.
»Ich muss mich aber um das Begräbnis meines armen Bruders kümmern«, sagt Magister Ziegler.
Martin: »Das hat sicher Zeit, bis die Pathologie ihn freigibt. Die müssen noch herausfinden, an welchem Drogencocktail Ihr Bruder gestorben ist. Im Labor war ja so ziemlich alles vorrätig, was der Markt hergibt –, und ein paar Substanzen, die noch unbekannt sind.«
Sie räuspert sich, wechselt einen Blick mit ihrem Anwalt und legt los: »Werner war ein genialer Chemiker und Pharmazeut. Leider hatte er dieses Drogenproblem, das ihn mehr und mehr auf die schiefe Bahn geraten ließ. Ich habe mehrmals versucht, ihm zu helfen. Als mein Mann ihm anbot, an dem Krebsmedikament weiterzuforschen, habe ich Werner das Labor eingerichtet. Wir haben ihm jede finanzielle Unterstützung und große Freiräume gegeben. Bedauerlicherweise hat mein Bruder das ausgenutzt. Für den Handel mit Drogen und illegalen Anabolika! Davon wussten wir absolut nichts, das wird mein Mann Ihnen bestätigen.«
»Während Dr. Werner Strobel nie mehr etwas bestätigen oder dementieren kann«, unterbricht Martin ihre Suada.
»Wollen Sie damit andeuten, dass meine Mandantin den Tod ihres Bruders begrüßt?«
Genau das, denkt Martin, während er verneint. Klar, dass sie jetzt ihre Hände in Unschuld wäscht. Doch nun legt er ihr dar, dass man ihren Medikamentenhandel so lange auseinandernehmen wird, bis man fündig wird. Den Durchsuchungsbefehl für Haus und Büro habe man schon in der Tasche. »Weil Ihr Bruder eben nicht der smarte Geschäftsmann war, der nebenbei einen Drogen- und Anabolikahandel hätte aufziehen können. Sie hingegen waren fast wöchentlich bei ihm. Und es war nicht weiter schwierig, Ihre legalen Geschäfte um ein paar illegale zu bereichern. Erst damit ließ sich schließlich das große Geld verdienen.«
»Was zu beweisen wäre«, sagt der Anwalt.
Sie schweigt, spielt mit ihrem Diamantring.
»Sie waren verschuldet, als Sie Flock anboten, bei Ihnen einzusteigen. Doch er tat es dann doch nicht – und so sind Sie auf die Idee gekommen, die Talente Ihres Bruders zu nutzen. Denn mit der Erforschung des Krebsmedikaments war er nicht wirklich ausgelastet, oder? Und dann wäre da noch Ihre ehemalige Zugehfrau, die das Postschließfach mit den Anabolikabestellungen bediente. Die wird ja wohl irgendwann nach Salzburg zurückkommen von ihrer Kur, die Sie ihr vermutlich bezahlt haben. Und sie wird reden.«
Schweigen. Birgit Ziegler funkelt ihn wütend an. Dann wandern ihre Blicke zu Franz und werden flehentlich. Sie missversteht seinen Gesichtsausdruck.
»Alles haltlose Vermutungen.« Der Anwalt rät seiner Mandantin, darauf nicht zu antworten. »Wenn Sie jenseits Ihrer blühenden Fantasie keine konkreten Vorwürfe haben, Chefinspektor, schlage ich vor, dass wir dieses Gespräch jetzt beenden.«
Franz sieht so aus, als würde er gleich platzen. Martin lächelt ihn beruhigend an. Sein Wutpotenzial für heute ist verbraucht, über den Anwalt kann er sich schon nicht mehr aufregen. »Doch, einen Punkt habe ich noch: Es geht um den Mord an dem Journalisten Rüdiger Stein. Als er das Labor entdeckte, hat er mir eine Nachricht geschickt, dass er alles über Ihre Machenschaften weiß. Kurz darauf wurde er mit einer Überdosis Heroin getötet.«
»Oh mein Gott«, haucht Birgit Ziegler.
Sie ist gut, denkt Martin. Fassl hat seine Hände zu einer Merkel-Raute geformt, ein Zeichen, dass er sich sehr beherrschen muss, um nicht dreinzureden.
»Und was, bitte schön, soll meine Mandantin damit zu tun haben?«
Martin lächelt milde: »Wir haben ihre Fingerabdrücke im Auto von Rüdiger Stein gefunden, genauer gesagt: am Lenkrad.«
Sie giftet: »Woher wollen Sie wissen, dass das meine Fingerabdrücke sind? Ich bin ja wohl kaum in Ihrer Verbrecherkartei!«
Er lächelt noch breiter: »Als ich das letzte Mal bei Ihnen war, haben Sie mir Ihre Visitenkarte überreicht, und ich hab sie sehr vorsichtig nur an den Rändern angefasst. Also: Wie kommt Ihr Abdruck auf das Lenkrad des Mietwagens von Rüdiger Stein?«
Sie sieht ihren Anwalt an, der den Kopf schüttelt.
»Ich weiß es wirklich nicht, Herr Chefinspektor. Kann ich jetzt gehen?«
Martin nickt, wenn auch widerwillig. »Vorerst. Verlassen Sie bitte die Stadt nicht. Das gilt auch für Ihren Mann, den wir«, er sieht auf die Uhr, »in fünf Minuten als Zeugen vernehmen.«
Sie rauscht aus dem Vernehmungszimmer wie eine Diva, der man nach dem Auftritt den Applaus versagt hat. »Die hat Anspruch auf lebenslänglich«, murmelt Fassl empört.
»Keine Angst«, sagt Martin, »wir kriegen sie.«
»Und ihren Mann?«
»Wir werden sehen. Vielleicht ist er ja wirklich nur der gute Mensch von Salzburg, der nichts anderes im Sinn hat, als Kranke zu heilen.«
Prof. Dr. Uwe Ziegler kommt mit seinem italienischen Seidenanzug für Martins Begriffe overdressed daher. Den beiden Polizisten begegnet er mit kaum wahrnehmbarer Arroganz. Sie stehlen ihm seine kostbare Zeit. Das wirft er ihnen freilich nicht mit diesen Worten vor, er umschreibt es. Die Schließung des Labors sei eine Tragödie, die seine Forschung um Wochen, ja vielleicht Monate zurückwerfe …
»Sicher wirft Sie auch der Tod Ihres Schwagers zurück«, unterbricht ihn Fassl.
»Natürlich«, entgegnet Ziegler ungeduldig. »Obwohl seine Drogensucht Ausmaße angenommen hatte, die unsere Forschung durchaus beeinträchtigten. Wäre er nicht mein Schwager gewesen, hätte ich ihn längst gefeuert.«
Martin studiert seine Körpersprache. Ziegler sitzt mit weißer Mähne breitbeinig auf dem unbequemen Stuhl, hat die Arme verschränkt, und er sieht seine Gesprächspartner nicht an, er sieht durch sie hindurch. Passiv-aggressiv.
Und nein, natürlich hatte er keine Ahnung von den illegalen Geschäften seines Schwagers, ebenso wenig wie seine Frau. Für ihn war Werner Strobel der Mann, der ihm zum Durchbruch verhelfen sollte bei der Forschung an XY46. Das ultimative Krebsmedikament!
»Mit unkontrollierbaren Nebenwirkungen«, sagt Martin, »weshalb die klinische Studie in München vorzeitig abgebrochen wurde.«
Jetzt zuckt Zieglers linkes Auge für ein paar Sekunden. Sein gebräuntes Gesicht friert irgendwie ein. »Der Insult? Das kann purer Zufall gewesen sein, eine Prädisposition, meine Herren, die mit dem Medikament absolut nichts zu tun hat. Aber die Feiglinge bei der Herstellerfirma und in der Klinik haben sich schlussendlich durchgesetzt.«
Franz: »Und Sie wurden entlassen, weil Sie mit XY46 weitergearbeitet haben.«
Professor Ziegler lächelt fein. »Wir haben uns im gegenseitigen Einvernehmen getrennt. Und ja, ich habe weiter an exakt dieser Substanz geforscht, weil ich denke, dass sie den Durchbruch in der Krebsbekämpfung bedeutet. Wissen Sie denn, was die neuen Medikamente auf dem Markt kosten? Seit 2005 ist der Preis um das Fünfunddreißigfache gestiegen. Die Behandlung mit Opdivo schlägt mit achttausend Euro im Monat zu Buche, Nexavar kostet fünftausend pro Einzeldosis … und so fort. Und keines dieser Medikamente vermag, was XY46 kann! Um es in Laiensprache auszudrücken: Es isoliert die Krebszellen, ummantelt sie quasi. Sie können sich nicht weiter ausbreiten. Das ist eine medizinische Sensation. Vielleicht sogar ein Wunder, wenn man daran glauben möchte.«
»Und die Patienten, die zu Ihnen kommen, glauben daran«, sagt Martin. »Und hier rutschen wir leider in den Bereich der Illegalität. Sie arbeiten mit einem weder in der EU noch sonst irgendwo zugelassenen Medikament.«
Wieder dieses Augenzucken. Dann hebt Ziegler abwehrend beide Hände. »Aber nein, ich bitte Sie. Ich forsche mit sehr hohem finanziellen Einsatz an XY46, doch ich behandle die meisten meiner Patienten mit Targetomab, das ist ein neues Medikament mit EU-Zulassung.«
»Das aber nur in ganz wenigen Fällen wirkt.«
Ziegler entgegnet leicht verunsichert: »Wie kommen Sie denn darauf?« Doch er wechselt rasch wieder zu einem herablassenden Tonfall: »Meine Erfolge damit beweisen das Gegenteil. Das einzige Problem bei Targetomab ist der Preis. Siebzehntausend pro Infusion, und dies einmal pro Woche. Und bevor Sie etwas sagen, es gibt auch Fälle, in denen ich Patienten wenig bis nichts berechne. Und noch etwas: Die Überlebensquote meiner Patienten liegt bei achtzig Prozent! Und das bei extrem aggressiven Krebsarten! Nehmen Sie die Tochter von Professor Pongauer: akute myeolische Leukämie. Es ist mir gelungen, sie zu heilen.«
Martin glaubt ihm kein Wort, abgesehen vielleicht von der letzten, hochinteressanten Information. Doch er weiß, dass es dauern wird, bis der Inhalt der gefundenen Ampullen ausgewertet ist. Bis Patienten befragt, Fälle untersucht sind. Im Moment stellt er sich die Frage: Wie dankbar war Professor Pongauer seinem Kollegen? So dankbar, dass er die Batteriedaten des Herzschrittmachers manipulierte?
Martin steht auf, das macht Befragte häufig nervös: »Wir wissen auch von Fällen hier in Österreich, in denen Ihre Patienten Schlaganfälle erlitten. Die Nebenwirkung von XY46! Einer davon ist tot: Christian Flock. Ist es nicht so, dass sein Vater Ihnen die Hölle heißgemacht hat? Er war sogar in der Münchner Klinik und hat dort recherchiert. Wo waren übrigens Sie an dem Abend der Jedermann-Premiere?«
Ziegler senkt den Kopf und scheint nachzudenken. Martin, der neben ihm steht, registriert Schweißperlen. Die Verhörräume haben keine Klimaanlage. Es muss also kein Angstschweiß sein.
»Jedenfalls nicht in der Premiere, wenn Sie das meinen. Meine Frau ist hingegangen, ich finde dieses Stück entsetzlich fade. Ich war – aber ich bitte Sie sehr darum, diese Information diskret zu behandeln – an diesem Abend bei einer Freundin von mir. Sie bekleidet eine sehr exponierte Stellung, weshalb …«
Und dann flüstert er den Namen. Fassl bekommt große Augen, Martin nimmt es zur Kenntnis. Der Professor ist also nicht nur ein Heiliger und ein Lügner, sondern auch ein Mann mit außerehelichen Affären. Und sie rutscht ihm heraus, diese Frage: »Hatten Sie auch ein Verhältnis mit Caro Held, Herr Professor?«
Das zuckende Auge. »Ach wissen Sie, ich begegne so vielen Menschen. Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor … Ach ja, jetzt fällt es mir ein. Sie hat mal für mich gearbeitet, Kollege Pongauer hatte sie mir empfohlen, als IT-Beraterin. Und tatsächlich behandle ich ihre Mutter, Pankreaskarzinom, und ich darf in aller Bescheidenheit sagen, dass wir erstaunliche Fortschritte erzielt haben, die Frau lebt entgegen allen Prognosen immer noch.«
»Sie liegt im Krankenhaus. Mit einem Schlaganfall.« Martin sagt das beinahe triumphierend, was unangemessen ist. Der Schreck in den Augen des Professors ist kaum zu übersehen. Die verschränkten Arme lösen sich, und er trommelt mit den Fingern auf den Tisch, bis Fassl ihn darauf hinweist, dass dies die Aufnahme stört.
Martin: »Sie wurde nicht zufällig mit XY46 behandelt? So wie Christian Flock. Und all die anderen Patienten, die Schlaganfälle erlitten?«
Professor Ziegler springt auf. »Es reicht, meine Herren! Ich lasse mich hier nicht vorführen und verleumden. Ich war als Zeuge vorgeladen, weshalb ich auch keinen Anwalt mitgebracht habe. Weil ich mir keinerlei Schuld bewusst bin. Und jetzt möchte ich gehen.«
Als er die Tür öffnet, sagt Franz: »Bitte verlassen Sie die Stadt nicht – bis auf Weiteres.«
Ziegler schlägt sie so laut zu, dass es hallt. Franz schaltet das Aufnahmegerät ab. »Der lügt doch genauso wie seine Frau. Aber das mit Caro hättest du ihn nicht fragen müssen.«
Weiß er, doch zugeben will Martin das nicht. Er checkt sein Handy, das er auf lautlos geschaltet hatte. Keine Nachricht von ihr. »Ich gehe jede Wette ein, dass Ziegler zumindest einen Teil seiner Patienten mit XY46 behandelt hat. Und das werden wir ihm auch beweisen können. Zum Beispiel bei Caros Mutter. Oder wenn wir Christian Flocks Leiche obduzieren lassen.«
Im Hinausgehen meint Franz: »Das mit dem Pongauer geht mir nicht aus dem Kopf. Der stand doch in Zieglers Schuld. Und Ziegler hatte, nach allem, was wir wissen, die allergrößten Probleme mit Flock, nachdem der Sohn während der Therapie gestorben ist. Und einem Hugo Flock sollte besser niemand in die Quere kommen. Verstehst, worauf ich hinauswill?«
»Du bist brillant, Franz.«
Während Franz mit den Einsatzkräften zur Villa der Zieglers fährt, um sie zu durchsuchen, stattet Martin dem Professor Pongauer einen zweiten Besuch ab, nachdem er sich telefonisch angekündigt hat. Unterwegs ruft er nochmals Caro an und spricht auf ihren Anrufbeantworter. Er macht sich Sorgen, fährt zu schnell und wird an der Ortseinfahrt von Anif geblitzt. An Ortseingängen stehen sie immer, denkt Martin, weil man nicht schnell genug herunterbremst oder das Schild übersieht. Verkehrspolizisten haben nur einen natürlichen Feind: den Autofahrer.
Kriminalbeamte sind hinter Verbrechern her, doch manchmal fällt es Martin schwer zu urteilen. So glaubt er an die Schuld von Birgit Ziegler, doch bei ihrem Mann hat er Zweifel. Weil der einer Mission folgt und dafür in Kauf nimmt, auch jenseits der Legalität zu handeln.
Professor Pongauer öffnet selbst die Tür. »Meine Frau ist verreist, und der Haushälterin habe ich freigegeben. Kommen Sie rein, Chefinspektor. Was kann ich für Sie tun?«
Sie setzen sich in Pongauers Arbeitszimmer, und Martin spricht ohne Umschweife über die Vernehmung von Professor Ziegler als Zeuge. »Wussten Sie, dass er seine Patienten teilweise mit einem Medikament behandelt, das nicht zugelassen ist?«
Pongauer überlegt ein paar Sekunden, bevor er antwortet. »Ja, Uwe hat es mir erzählt, nachdem meine Tochter geheilt war. Sie haben ja keine Ahnung, wie schwierig und kostspielig es ist, bis ein Medikament schlussendlich zugelassen wird. Die bürokratischen Hürden sind immens. Uwe hielt die Schlaganfälle während der klinischen Studie für unglückliche Zufälle. Und er glaubte so sehr an XY46. Ich konnte das nachvollziehen. Der Mann ist ein Fanatiker. Er will Menschenleben retten, den Krebs besiegen. Vielleicht will er auch den Nobelpreis, aber das kommt an zweiter Stelle. Und ohne ihn wäre meine Tochter vermutlich gestorben. Weshalb ich ihm für ewig zu Dank verpflichtet bin.«
Er wäre ein guter Zeuge der Verteidigung, denkt Martin. Wenn er nicht selbst auf der Anklagebank säße. Wegen des Mordes an Hugo Flock.
»Haben Sie deshalb Professor Ziegler Ihre Geliebte und IT-Beraterin überlassen? Caro Held?«
Pongauers Körpersprache verrät jetzt Ärger, vielleicht sogar Scham. Seine Stimme ist schneidend: »Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, aber ja, ich hatte eine kurze Affäre mit Caro. Sie war meine IT-Beraterin, und ich habe sie Uwe empfohlen, als der jemanden suchte. Caro brauchte Geld. Ob sie seine Geliebte wurde, weiß ich nicht, und es interessiert mich auch nicht, verstehen Sie? Ich liebe meine Frau. Caro war ein Ausrutscher. So was kommt in den besten Ehen vor. Sind Sie etwa deshalb hergekommen?«
Deeskalation, Martin: »Natürlich nicht! Hier geht es nicht um Ihr Privatleben. Es ist nur so: Einer von Zieglers Patienten starb nach der Behandlung an einem Hirnschlag: Christian Flock. Sein Vater war, wie wir inzwischen wissen, darüber so wütend, dass er schwor, den Arzt zu ruinieren. Hugo Flock fuhr nach München und brachte in Erfahrung, was uns auch gesagt wurde: dass die Studie an XY46 wegen gefährlicher Nebenwirkungen abgebrochen wurde. Hugo Flock wollte a) seinen Sohn exhumieren lassen und b) Professor Ziegler vernichten. Was danach geschah, wissen Sie!«
Schweigen. Pongauer schaut von seinem Arbeitsplatz hinaus in den Garten, er greift in eine Schublade und holt eine Packung Zigaretten heraus. Nimmt eine und zündet sie an.
Martin denkt, dass er jetzt auch gern eine rauchen würde, aber einen Verdächtigen anzuschnorren wäre dann doch stillos. »Sie wissen, was ich Sie jetzt fragen muss: Haben Sie Ihrem Freund Uwe Ziegler aus Dankbarkeit den Gefallen getan, die Batteriedaten des Herzschrittmachers zu manipulieren? Mit der Folge, dass Hugo Flock gestorben ist?«
Noch während er die Frage stellt, denkt Martin, dass diese Schlussfolgerung zu einfach wäre. Mord aus Dankbarkeit? Unter all den Motiven, die ihm in seinen Dienstjahren begegnet sind, kam dieses noch nie vor.
Pongauer inhaliert tief, bevor er antwortet: »Ich sollte nicht rauchen, ich weiß. Aber ab und zu brauch ich eine Krücke. Brauche ich auch einen Anwalt?«
»Noch nicht«, sagt Martin. »Aber ich hätte gern eine Antwort.«
»Nein«, sagt Pongauer. »Ich habe meinen Patienten Hugo Flock nicht umgebracht. Ich habe nichts manipuliert an seinem Herzschrittmacher. Glauben Sie wirklich, dass ich aus bloßer Dankbarkeit zum Mörder werde? Ich mag Uwe Ziegler nicht einmal. Er sieht sich als Heiligen, doch er ist vor allem besessen von seiner Mission. Einer, der über Leichen geht, wenn es seinem großen Ziel dient.«
»Klick« macht es in Martins Hirn. Mehr nicht. Dann fragt er den Professor, wer außer ihm noch einen Schlüssel für die Praxisräume hat.
»Nur die Sprechstundenhilfe. Und die Putzfrau, glaube ich jedenfalls. Glauben Sie mir denn, dass ich den Mord nicht begangen habe?«
Martin steht auf. »Darauf kommt es nicht an. Würden Sie das mit den Schlüsseln bitte noch mal checken? Ich lasse Ihnen meine Karte da, Sie können mir ja eine SMS schicken. Ach so, und dürfte ich Sie vielleicht um eine Zigarette bitten?«
Er zündet sie im Auto an, im Handschuhfach liegt ein Feuerzeug für alle Fälle. Caro meldet sich nicht, doch Fassl ruft an: Sie haben in Magister Zieglers Büro jede Menge belastendes Material gefunden, insbesondere in ihrem Computer. Für einen Haftbefehl wegen illegalen Medikamentenhandels dürfte es allemal reichen, und natürlich auch wegen des Mordes an Rüdiger Stein.
»Fein«, sagt Martin, »wir treffen uns dann im Büro.«