Wenn er läuft, zieht die Welt an ihm vorüber wie in Bildern: das Haus, die Wolke, der Baum, der Fluss, der Jogger, der ihm entgegenkommt … Er denkt an alles und nichts, und was er tut, dient keinem Zweck, nur dem Ziel: von der Mühlbachgasse zur Salzach und dort so weit zu laufen, wie ihn die Füße tragen. Und zurück.
Martin spürt ein Brennen in den Beinmuskeln, ein sicheres Zeichen, dass er pausieren muss. Über die Grenzen gehen, das tun viele Läufer, sich selbst zu besiegen ist so ein alter Menschheitstraum, aber nein, er bleibt stehen. Keuchend. Kopf nach unten, die Hände auf die Knie gestützt. Trinkt dann aus seiner Flasche, lutscht ein Stück Traubenzucker und wartet, bis der Schmerz nachlässt. Er ist jetzt am Rudolfskai in Höhe Mozartsteg, dem Burschen entkommst du an keiner Ecke in Salzburg. Zurück oder weiterlaufen, das ist die Frage, und der Mensch in seinem blöden Ehrgeiz entscheidet sich für ein kleines Stückerl noch, über die Nonntaler Brücke zum Giselakai und von dort retour. Langsamer vielleicht, das lässt ihm Zeit, die Stadt wahrzunehmen. Alles überragend die Festung Hohensalzburg, auf jener Seite des Flusses ballen sich die Touristen wie in Venedig auf dem Markusplatz. Auf Martins Seite geht es ruhiger zu.
Es beginnt zu nieseln. Der berüchtigte Schnürlregen, in dieser Stadt so unausweichlich wie die beiden M – Mozart und Mateschitz, der Red-Bull-Milliardär. Für Läufer gibt es kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung, Martins Laufjacke ist regenabweisend bis zu einem gewissen Punkt. Und dann, als er schon mit dem Gedanken spielt umzudrehen, tauchen rechts von ihm die Kaivillen auf, prächtige Häuser, und während er sie bestaunt und sich fragt, ob Gründerzeit oder Jugendstil, wird Martin unsanft gebremst. Von einem anderen Körper. Der mit ihm kollidiert ist.
Weiblich, der Körper. Liegt jetzt vor ihm, sie schaut zu ihm auf und sagt in ziemlich aggressiver Tonlage: »Bist du blind oder was?«
Martin reicht ihr seine Hand. Egal, wer jetzt in wen reingelaufen ist, er nimmt die Schuld auf sich. »Tut mir echt leid, ich hab eine Sekunde auf das Haus geschaut und mich gefragt …«
»Gründerzeit.« Sie zieht sich an seiner Hand hoch und steht vor ihm. Seine Größe, mindestens, nicht dünn, aber muskulös, durchtrainiert. Blaue Augen, so ein Türkisblau, denkt Martin, und dass man darüber vergessen könnte, dass ihre Nase ein bisserl zu groß ist und der Mund zu breit. Glatte, dunkelbraune Haare, kinnlang, von einem Stirnband in Schach gehalten …
»Was starrst mich so an?« Sie hat ihm ihre Hand entzogen, doch jetzt klingt ihre Stimme schon sanfter als vorhin.
Martin: »Entschuldige, war nicht bös gemeint, du hast dich hoffentlich nicht verletzt.«
Jogger duzen sich? Sie hat angefangen, denkt Martin und versucht, seine Blicke neutral zu halten.
»Hör auf, dich zu entschuldigen. Ist ja nichts passiert. Ich hab schon schlimmere Stürze überlebt. Ich bin übrigens Caro.« Sie lächelt mit weißen Zähnen, und er denkt, hör auf damit, weil er Frauen, die so lächeln können, total ausgeliefert ist.
»Martin … Glück, so heiß ich wirklich.«
»Warum nicht? Caro Held. Ich wette, du kennst schon alle Witze über deinen Namen.«
Sie trägt eine dieser Fitnessuhren, auf die sie jetzt schaut. »Ja, dann werd ich mich mal wieder in Bewegung setzen …«
Martin fällt der rettende Satz ein: »Darf ich dich zum Ausgleich für mein Missgeschick auf ein Getränk deiner Wahl einladen?«
Sie zögert.
»Wenn uns das Schicksal schon so zusammenprallen lässt?« Jetzt lächelt er mit aller Verführungskunst, deren ein Frauennichtversteher fähig ist.
Wieder der Blick zur Uhr. Dann sagt sie endlich: »Okay, warum nicht? Ich hab eine halbe Stunde Zeit, wir gehen ins Bazar, das ist gleich da vorn.«
Eine Institution am Giselakai, das Café Bazar, es war auf Fassls »To-do-Liste«, und Martin mochte es trotz Rüdigers Gesellschaft. Er folgt ihr, seine Wadenmuskeln brennen wieder, doch er ignoriert es und betritt den riesigen Raum im Gründerzeitstil mit den typischen kleinen Kaffeehaustischen, die schon am Vormittag fast alle besetzt sind.
»Mit echten Salzburgern«, behauptet Caro Held, die auf einen freien Zweiertisch zusteuert. Sie setzt sich auf die Bank und überlässt ihm den Stuhl, also hat sie den Blick auf die Salzach und den Mönchsberg, während er sie anschauen darf und weit dahinter das Buffet mit den Mehlspeisen. Und die anderen Gäste, die echten, jedenfalls schauen sie nicht wie Touristen aus.
»Ein Ceconi-Bau, Gründerzeit, mit ein paar orientalischen Anklängen …«
Woher weiß sie, dass er ein Zugereister ist? »Daher also der Name ›Bazar‹.«
»Du bist schlau«, sagt Caro und lacht. Wieder denkt er, dass sie überhaupt nicht hübsch ist, aber irgendwie wunderschön. Das Ziehen in den Wadeln ist aufwärts gewandert.
»Obwohl ich ein Wiener bin?!«
»Die Salzburger haben keinen Wien-Komplex«, erwidert Caro, bevor sie sich der Kellnerin zuwendet, die sie zu kennen scheint. »Ich nehm einen Einspänner und eine Flasche Mineralwasser und …«
»… ich das Gleiche«, ergänzt Martin.
»Falls du Hunger hast, das Essen hier ist richtig gut, ganz egal, ob süß oder salzig.«
»Noch nicht. Aber wenn ich hier leben würd, wär das sicher mein Stammcafé.«
»Du wärst in illustrer Gesellschaft, Edward der Achte, Marlene Dietrich, Max Reinhardt, Stefan Zweig, Louis Armstrong, Toscanini … obwohl das Bazar eher das Stammcafé der Literaten und Schauspieler ist, und das Tomaselli der Musikertreff … Aber jetzt hör ich auf mit der Fremdenführerei … Was führt dich nach Salzburg, Martin?«
»Beinahe Urlaub, ich besuch einen alten Freund und muss hier eine Sache erledigen. Bist du gebürtige Salzburgerin?«
Sie wartet, bis die Kellnerin die Getränke auf den Tisch gestellt hat, trinkt aus dem Wasserglas, nimmt dann einen Schluck Kaffee. »Ja, ich bin hier aufgewachsen, lebe und arbeite hier. Sehr ungern zu Festspielzeiten, aber was soll man machen …?«
Sie trägt keinen Ring, denkt er, das ist gut. Und könnt sich schon innerlich eine Ohrfeige geben. Diese Augen! Kaum Schminke, das ist schön. Eine leichte Zornesfalte zwischen den Augenbrauen. Wie alt mag sie sein? Irgendwas zwischen dreißig und vierzig, vermutet Martin. Könnte passen … Aber wo sind nur seine guten Vorsätze in Bezug auf Frauen geblieben?
»Du starrst schon wieder«, sagt Caro, die ihm weitere Stammgäste des Bazar aufgezählt hat, während Martin seinen Gedanken freien Lauf ließ. »Und ich rede zu viel, sorry. Meine Mutter sagt immer, wenn ich mal sterbe, müsste man mein Mundwerk extra beerdigen.«
»Finde ich gar nicht. Außerdem mag ich es, Salzburger Geschichten zu hören. Falls du einmal nach Wien kommst, würd ich mich revanchieren.«
Verdammt, das war ein Satz zu viel. Er sieht, wie ihr Gesicht plötzlich einfriert, doch dann schaut sie ihn an und lächelt wieder. »Schau ma mal, aber jetzt bist du ja da, und das ausgerechnet, wenn in Salzburg fast mehr Besucher herumlaufen als Einheimische. Warst sicher schon im Jedermann?«
Martin schüttelt den Kopf. »Nein, es war so ein spontaner Entschluss herzukommen. Aber eine Bekannte von mir war in der Premiere. In der Begleitung von Hugo Flock.«
»Oh«, sagt Caro. Ein paar Sekunden Schweigen. Dann mit Spott in der Stimme: »Na, da verkehrst du dann ja in den höchsten Kreisen. Salzburg redet von nichts anderem, der Flock hat sogar dem Moretti die Schau gestohlen. Das war dann sicher diese Unbekannte im grünen Glitzerkleid … Ich hab sie in der Zeitung gesehen. Den Jedermann erspar ich mir inzwischen. Und das Premierenschaulaufen auch.«
Martin will auf keinen Fall einen falschen Eindruck erwecken: »Wir haben uns zufällig hier getroffen. Romana ist eine alte Bekannte vom Wörthersee. Aus meiner Jugend. Ich mag sie, obwohl sie eine Nervensäge und sicher die schlechteste Köchin der Welt ist.«
»Ich bin eine gute Köchin«, meint Caro und merkt selbst, dass dieser Satz komisch daherkommt. Als ob sie sich ihm empfehlen würde. Frau in gerade noch besten Jahren sucht verzweifelt Anschluss. »Aber das mach ich nur privat. Beruflich bin ich in der Hotelbranche. Zurzeit manage ich das Hotel Chelsea, so ein kleines, feines Haus in der Altstadt. Bist vielleicht schon dran vorbeigegangen …«
Martin zuckt mit den Schultern, denkt, dass er sie eher einem künstlerischen Beruf zugeordnet hätte. Auf Hotelmanagerin wär er kaum gekommen. »Chelsea – wie das in New York?«
»Ja, unser Besitzer ist ein Leonard-Cohen-Fan. Und lebt in New York. Und was machst du so, Martin, wenn du nicht gerade Frauen zu Boden wirfst?«
Er weiß nicht, warum, doch er weicht aus. Instinktiv. »Ach, ich bin so ein langweiliger Beamter, weißt du. Eigentlich wär ich lieber Gärtner oder Landschaftsarchitekt geworden.« Martin lacht über diesen Satz hinweg. Sie soll nicht denken, dass er ein frustrierter Mann in der Midlifekrise ist. »Und ich mag Jazz und spiele Saxofon. Obwohl es zur großen Karriere nicht mehr reichen wird.« Das war die Übertreibung des Jahres, denkt Martin, er kriegt gerade mal ein paar volle Töne raus.
Caro spielt mit ihrer Uhr. Das macht ihn nervös, er will nicht, dass sie schon geht. »Magst du Jazz?«
Achselzucken. »Schon, aber ich bin mehr der Fan von klassischer Musik. Fast schon ein Muss in dieser Stadt, oder?«
Er wendet ein, dass es auch hier Jazz-Festivals gebe, und sie erwidert, dass die Salzburger die Ausrichtung von Festivals aller Arten zur hohen Kunst erhoben hätten. »Wir beuten den Rohstoff Tourismus bis zum letzten Tropfen aus. Aber was soll ich sagen? Es ist gut fürs G’schäft. Wir sind eigentlich immer ausgebucht.«
»Das ist aber schade«, sagt Martin. »Ich bräuchte so dringend ein Zimmer.«
Caro mustert ihn jetzt ganz ungeniert. Bei anderen Leuten würde ihn so was stören, aber sie ist halt anders, und jetzt wünscht er sich sehr, dass ihr gefällt, was sie sieht. Er streicht sich eine Haarsträhne aus der Stirn, er müsste wieder zum Frisör. Und vielleicht sollte er sich neue Jogginghosen kaufen, die er anhat, sind schon arg verbeult. Und verschwitzt ist er womöglich auch, er versucht, ganz dezent an sich zu riechen. Geht so, denkt Martin und fängt ihren Blick ein. Der türkise Laserstrahl …
»Tja, du könntest Glück haben, Martin. Gestern hat mir der Tod gesagt, dass er ausziehen will in die Wohnung seiner Freundin. Er wollt bis heut Abend, spätestens morgen seine Sachen rausräumen. Also wäre ab morgen ein Einzelzimmer frei. Es ist nicht besonders groß und im Parterre neben dem Lift, aber hübsch eingerichtet. Kostet hundertsiebzig pro Nacht, Festspielpreis. Was Billigeres wirst du in der Stadt zurzeit sowieso nicht kriegen.«
Das weiß er, seit er für Romana eine Unterkunft sucht. Martin könnte sie küssen. Aber er lächelt nur. »Du meinst sicher den Jedermann-Tod? Das ist ja ein fantastischer Zufall. Romana könnte es nicht besser treffen.«
Caro sieht ihn irritiert an: »Ach, ich dachte, du …?«
»Nein, ich wohne ja bei meinem Freund, aber seit sie aus der Flock-Wohnung rausgeschmissen wurde, schläft sie bei uns auf der Wohnzimmercouch. Und das kann man einer alten Dame wirklich nicht zumuten … und uns auch nicht.«
Verdammt, denkt Caro, während sie ihr Lächeln beibehält. »Ja, das Angebot gilt natürlich auch für deine Bekannte. Sie muss sich nur schnell entscheiden, weil ich das Zimmer sofort loskriege, wie du dir denken kannst.«
»Na klar, ich sage schon einmal zu, und heute Abend kommen wir vor dem Essen im Hotel vorbei und deponieren ihre Koffer. Die sind in meinem Wagen, weißt du. Caro, ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dich umgeworfen zu haben!«
Spöttisch: »Wegen des Zimmers jetzt?«
»Nicht nur.« Nun ist es raus. Martin winkt der Kellnerin, weil Caro schon wieder auf ihre Uhr schaut. Sie dankt ihm für die Einladung und verkündet, dass sie jetzt losmüsse, sie sei ohnehin zu spät dran, einer ihrer vielen Fehler, stets unpünktlich zu sein. Und dann schreibt sie ihm auf die Rechnung die Adresse in der Pfeifergasse, neben dem Krankenhaus sei die nächste Tiefgarage. Und weg ist sie. Martin starrt ihr hinterher wie der letzte Trottel. Dann greift er zum Telefon, um Franz die frohe Botschaft zu überbringen, und danach Romana, die sich gar nicht richtig zu freuen scheint. Den Satz »Ein Zimmer neben dem Lift hab ich eigentlich nicht so gern« kontert er mit »Es gibt immer noch die Ausnüchterungszelle, wenn dir das lieber wär …«
***
Ein Tisch im Triangel zur Festspielzeit, das sei wie ein Sechser im Lotto, sagt Franz, als sie vor dem Chelsea aus dem Taxi steigen. Mit drei Koffern, den vierten wird Romana am nächsten Tag zum Einchecken mitbringen. »Ein kleines Hotel«, ist ihr erster Kommentar, als sie ins Foyer kommt, die beiden Männer mit Gepäck im Schlepptau. Martin hält nach Caro Ausschau, doch sie ist nicht zu sehen, also marschieren sie zu dem jungen Mann hinter der Bar, der offenbar auch als Portier arbeitet. Er weiß Bescheid, die Chefin sei grad unterwegs, und die Koffer könnten sie bei ihm lassen, er würde sie aufs Zimmer bringen, sobald der Tod ausgezogen sei.
Romana schnappt hörbar nach Luft.
»Sicher der Schauspieler«, sagt Martin. »Du weißt schon, der Freund von der echten Witwe.«
Franz beginnt zu lachen, und Romana tötet ihn mit Blicken. »Junger Mann«, sagt sie dann zu dem Barmann-Portier, »ich erwarte, dass Sie nach dem Tod ordentlich lüften, ich bin da sehr empfindlich. Und Obst – ich brauche immer frisches Obst auf dem Zimmer. Und passen Sie mir ja gut auf meine Koffer auf, sonst …«
Sie wendet sich ab und lässt offen, was dem jungen Mann zustoßen könnte. Auf dem Weg hinaus zischt sie Martin an: »Dass ich das Zimmer von einem beziehe, der vielleicht meinen Hugo umgebracht hat, ist schon ganz schön makaber. Hast du das gewusst?«
»Nein, natürlich nicht«, lügt Martin, der immer noch hofft, dass Caro um die Ecke biegt, doch dann sind sie draußen und gehen zu Fuß in die Wiener-Philharmoniker-Gasse. Das Triangel ist bummvoll, doch weil Franz dem Oberkellner mal einen Gefallen getan hat, über Einzelheiten will er nicht sprechen, bekommen sie einen Tisch, den letzten, innen. Weil im Gastgarten nichts frei ist, meint der Kellner, und außerdem würde es eh bald wieder regnen.
Romana macht es gar nichts aus, drinnen zu sitzen, denn – oh mein Gott – »zwei Tische weiter sitzt der Moretti, schaut doch …«
Der Jedermann der diesjährigen Festspiele sitzt am Ecktisch ganz allein und liest die Zeitung.
Romana, flüsternd: »Meinst, ich kann ihn um ein Autogramm fragen?«
»Nein«, sagen Martin und Franz gleichzeitig. Sie setzen Romana auf einen Platz mit dem Rücken zum Schauspieler, wogegen sie vergeblich protestiert. »Wir fliegen raus«, flüstert Franz, »wenn du hier Promis belästigst.«
»Aber geh, ich bin doch selber Promi. War einer von euch schon einmal auf den Titelseiten so wie ich?«
»Aber ohne Namen«, sagt Franz, dann schubst ihn Martin, und er hält den Mund. Außerdem hat er Hunger, großen Hunger, und sie bestellen Stiegl-Bier, Beef Tatar für Martin und eine Kalbsleber mit Erdäpfelpüree für Franz. Romana entscheidet sich für einen Chardonnay und ein Paradeiser-Risotto mit Garnelen. Ihre Einladung dafür, dass sie von Franz aufgenommen wurde. Weil das doch mit den Salzburger Nockerln so furchtbar in die Hose gegangen ist …
Martin bemüht sich um ein ernstes Gesicht. Eine Verzweiflungstat, die Schüssel mit Romanas Nockerln so ungeschickt anzufassen, dass alles auf dem Boden landete. Eine Schweinerei aus Eischnee und Vanillesauce auf den Küchenfliesen, die sie wenigstens nicht essen mussten. Dachte Martin, während er alles aufwischte, die Scherben beseitigte und als Entschuldigung eine Einladung zum Wastl Wirt aussprach. Franz, der Polizist, hatte die Tat durchschaut, wie er später im Ehebett flüsterte. Aber natürlich nichts verraten.
»Wir könnten doch zum Nachtisch zusammen Salzburger N…«
Martin unterbricht Romana sofort. »Schau, da hinten, da sitzt die Rabl-Stadler mit … Die anderen kenn ich nicht. Alle in Tracht … Jesses Maria …«
Romana schaut hin, sagt nichts. Weil ihr auf einmal eingefallen ist, dass sie dort jetzt auch sitzen könnte, am Tisch der Rabl-Stadler, der Muttergottes der Festspiele. Wenn, ja, wenn Hugo noch am Leben wäre. Heimtückisch ermordet, genau das hat sie dem Polizisten gesagt, der sie als Zeugin verhörte. Die Witwe. Der Liebhaber. Der Bodyguard? Vielleicht, der sei ja auch eine zwielichtige Figur. Irgendwie.
Der Leibwächter sei wiederaufgetaucht, erzählt Franz jetzt, er habe sich bei der Witwe zurückgemeldet, angeblich habe er unter Schock gestanden. In seiner Aussage bei der Polizei habe Wolf in allen Punkten Romanas Aussage bestätigt. Auch er habe gedacht, dass Flock eingeschlafen wäre, erst mit dem Schlussapplaus seien er und Frau Petuschnigg darauf gekommen, dass sein Arbeitgeber tot war. Und ja, er bestätige auch den Antrag auf der Terrasse des Hotel Stein.
»Siehst du, ich habe einen Zeugen«, sagt Romana schnell. Und verstummt, als das Essen kommt. Sie stochert nur in ihrem Risotto, während Martin und Franz zulangen. Ihre Teller leer essen. Fassl: »Du kannst das nicht überlassn, sonst ist der Franz beleidigt. Der Wirt, nicht ich.«
»Ich glaube nicht, dass ich je wieder mit Appetit essen werd«, sagt Romana. Die Trauermomente, die sie immer wieder überfallen. In denen sie schreien könnt oder weinen oder sich ein Messer ins Herz rammen …
Sie schiebt ihren Teller zu Franz hinüber, der sich opfert. Bei ihm zu Hause, da musste immer aufgegessen werden, so fing das Elend mit den Kilos an.
Romana bestellt sich das dritte Glas Wein. Den Schmerz ertränken, das geht besser. Nicht einmal der Moretti und die Rabl-Stadler können sie aufheitern. »Rache«, sagt sie. »Alles, was ich noch will, ist Rache für Hugos Tod!«
Martin nimmt ihre Hand. Leise: »Wenn es Mord war, so werden wir den Schuldigen finden. Oder die Schuldige.«
»Ganz sicher«, souffliert Franz. »Morgen kommt ein Ingenieur von der Firma, die diese Herzschrittmacher herstellt. Vielleicht findet der ja was, das unsere Techniker übersehen haben.«
»Mein Herz ist gebrochen«, sagt Romana. »Dafür gibt es keinen Schrittmacher.«
In diesem Augenblick geht der Moretti an ihrem Tisch vorüber. Er hat ihre Worte gehört und lächelt Romana an. Und dann geht er weiter, zur Tür hinaus.
Ihr gebrochenes Herz fügt sich ein winziges Stück zusammen. Der Moretti hat ihr ein Lächeln geschenkt – und was für eins! Wie alt wird er sein? Höchstens ein paar Jahre jünger als sie, denkt Romana. Und stößt mit den beiden Männern darauf an, dass das Leben doch weitergehen muss. Irgendwie.