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Weil sich die Portland noch immer hinter der Insel befand und keine freie Sicht auf die Deepwater bot, verfolgte Tate die Aufzeichnung der Kamera auf der Abtao . Die Salven der Oerlikon-Kanone trafen die Satellitenschüssel und die Antenne auf dem Dach der Kommandobrücke und zertrümmerten beides. Nun hatte die Deepwater keine Möglichkeit mehr, Hilfe anzufordern.
»Ein Meisterschuss, Durchenko«, lobte Tate seinen Helfer über Funk.
»Danke, Commander«, antwortete Durchenko.
Tate stellte die Sprechverbindung mit der Bootsgarage her.
»Ist das Angriffsteam bereit?«, fragte er Catherine Ballard, die für das Enter-Kommando zuständig war.
»Li kann mit dem RHIB jederzeit starten«, antwortete Ballard. »Bis zum anderen Schiff ist es nur ein Katzensprung. Ich erwarte kaum nennenswerten Widerstand, aber wir sind darauf vorbereitet, wenn sie so dumm sind und etwas Derartiges versuchen sollten.«
»Hervorragend«, sagte Tate mit einem zufriedenen Grinsen. Der Hinterhalt hatte ausgezeichnet funktioniert. »Sobald Durchenko ihr Schiff unter Kontrolle hat, solltest du ihm dorthin folgen.«
»Ich kann es kaum erwarten.«
Er schaltete wieder auf die Abtao . »Durchenko, schalten Sie den Maschinenraum aus. Wir wollen nicht, dass sie versuchen, in die Nebelbank zu fliehen. Aber vergessen Sie nicht, wir brauchen Geiseln, darum benutzen Sie nicht die 76 mm-Kanone und versenken das Schiff womöglich.«
»Aye, Commander.«
Die Portland kam jetzt um die Insel herum, deshalb schaltete Tate eine Ansicht von Deepwater und Abtao auf den Hauptbildschirm im Operationszentrum. Der Mann hinter der Oerlikon schwenkte den Lauf der Kanone herum und nahm das Heck der Deepwater unter Dauerfeuer.
Tate zeichnete alles auf Video auf – ein Schiff der chilenischen Marine, das ein amerikanisches Forschungsschiff zerstörte. Er war gespannt, wie die CIA diese Konstellation beurteilte.
Das NUMA -Schiff drehte, also war die Maschine noch nicht stillgelegt worden. Allerdings würden ein paar kurze Feuerstöße ausreichen, um den Maschinenraum zu zertrümmern.
Diese Chance bekam die Abtao jedoch nicht mehr. Eine Exocet-Rakete tauchte kreischend aus dem Nebel auf und bohrte sich in den Bug des chilenischen Bootes. Die folgende Explosion war so stark, dass sie die 76 mm-Kanone von ihrer Lafette fegte und die Männer hinter den Oerlikons zerfetzte. Die Fenster der Kommandobrücke zerschellten, und der Bootsrumpf ging in Flammen auf.
Tate sprang aus seinem Sessel auf. »Was ist da passiert?«
Durch das klaffende Loch im Bug nahm das Flugkörper-Schnellboot Wasser auf. Es würde schon bald sinken. Durchenko musste erkannt haben, dass das Boot ein Totalverlust war. Als gleichzeitig eine zweite Exocet aus dem Nebel herausschoss, feuerte er alle vier Harpoon-Antischiffsraketen ab. Es traf die Abtao mittschiffs und zerbrach sie in zwei Hälften. Das Bugende kenterte, während das Heck im Wasser versank. Beide Hälften waren innerhalb von Minuten verschwunden.
Keine der vier Harpoons traf die Deepwater . Stattdessen verschwanden sie im Nebel dorthin, woher die Exocets gekommen waren.
Die Schrauben der Deepwater wühlten hinter ihr das Wasser auf. Sie war schon dabei, ebenfalls im Nebel zu verschwinden.
Tate brüllte Farouk an, der mit offenem Mund auf den Bildschirm starrte. »Aktiviere den Sonar-Disruptor! Wir müssen sie irgendwie aufhalten!«
Der ägyptische Ingenieur nickte. »Waffe wird aktiviert.«
Er hatte den Satz kaum beendet, als ein vertrautes Objekt wie ein Albtraum aus dem Nebel auftauchte. Tate erkannte den charakteristischen Bug der Oregon .
Der vordere Abschnitt des Schiffes brannte, und dort, wo die Exocets gestartet waren, klaffte ein Loch im Oberdeck. Der vordere Kran hing halb über den Schiffsrand. Aber trotz der schweren Schäden stampfte sie wie ein Urweltmonster vorwärts.
Sie passierte die Deepwater und drehte zügig, um das NUMA -Schiff abzuschirmen und es vor den Auswirkungen des Sonar-Disruptors zu bewahren. Offenbar entwickelte die Waffe auf der Oregon nicht den gewünschten Effekt.
»Unsere Exocets abfeuern!«, brüllte Tate den Waffenoffizier an.
»Auf welches Schiff?«
»Auf beide Schiffe, du Idiot!«
»Abgefeuert.«
Vier Exocets sprangen in schneller Folge aus den Abschussrohren. Zwei marschierten in Richtung Oregon , die anderen zur Deepwater , die sich nun mit Höchstgeschwindigkeit von der Portland entfernte.
Die Gatling Guns der Oregon tauchten aus der Versenkung auf, und die sechsläufigen Waffen entfesselten einen Feuersturm von dreitausend Schuss pro Minute. Die schweren Wolframstahlprojektile rasten auf die Raketen zu. Zwei der Exocets wurden auf halbem Weg zu ihren Zielen zertrümmert. Eine weitere schlug in die Kommandobrücke der Oregon ein und blähte sich zu einem mächtigen Feuerball auf.
Tate stieß einen Fluch aus, denn er wusste, dass sich auf der Brücke nichts von Wert befand. Sie war lediglich ein Beobachtungsposten und ein Köder, um Besucher zu täuschen. Juan und seine Mannschaft saßen im Operationszentrum tief im Innern des Schiffes, ebenso wie er selbst – geschützt durch die Panzerung.
Die vierte Rakete schoss an der Oregon vorbei und schien auf dem besten Weg zu sein, die Deepwater auszuschalten, ehe sie flüchten konnte, aber die Gatling Guns auf der gegenüberliegenden Seite der Oregon zerbröselten sie Sekundenbruchteile vor dem Aufschlag.
Die Deepwater wurde von der Nebelwand verschluckt. Gleichzeitig versanken die beiden Hälften der Abtao in einem wild schäumenden Strudel aus Wasser und Gischt. Von Überlebenden war nichts zu sehen.
Tate raste vor Zorn. Im Gegensatz zu Juan, dessen eigener Antischiffs-Raketenwerfer zu ramponiert aussah, um noch funktionieren zu können, konnte Tate einen weiteren Raketenfächer abfeuern. Das war jedoch eine fruchtlose Taktik. Wahrscheinlich würden sie genauso abgeschossen werden wie ihre vier Vorgänger.
»Abschuss der Torpedos auf die Oregon einleiten!«, rief Tate. »Ich will das Schiff sinken sehen!«