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Die extreme Tiefe des Fjords, das sie befuhren, erlaubte dem chinesischen Unterseeboot Wuzong eine Tauchtiefe von einhundert Fuß, wodurch es für jedes Flugzeug, das die Inseln überflog, unsichtbar blieb. Bisher hatten Radar und Sonar kein anderes Schiff aufgespürt.
Admiral Yu Jiang beobachtete den Tiefenmesser und bat seinen Sonaroffizier um kontinuierliche Aktualisierungen.
Sein Erster Offizier hingegen befand sich in einem Zustand geradezu ängstlicher Aufgeregtheit, seit sie die grenzenlos leeren Räume des offenen Ozeans verlassen hatten.
»Diese Unterwasserschluchten werden immer enger, je näher wir uns ans Festland herantasten«, sagte der nervöse XO . »Vielleicht hätten wir an der Einfahrt zum nördlichen Zugang bleiben sollen, wie Tate es sich von uns gewünscht hatte.«
Yu musterte ihn mit einem spöttischen Lächeln. »Um dort darauf zu warten, dass die Oregon zu uns kommt?«
»Tate meinte, dass er das Schiff in unsere Richtung treiben werde. Sie könnten sich dann den Ruhm an die Fahne heften, sie versenkt zu haben.«
»Natürlich hat er so etwas gesagt. Aber er will sich genauso revanchieren, wie ich es will. Das konnte ich in seiner Stimme hören. Er will die Oregon angreifen, sobald er sie zu Gesicht bekommt. Er benutzt uns nur, um sie an einer Flucht zu hindern.«
»Die Wuzong wurde nicht dafür konstruiert, so nahe an der Küste zu operieren.«
»Vertrauen Sie den Wissenschaftlern unseres Landes nicht?«, fragte Yu ihn.
»Doch, doch«, antwortete der XO . »Aber wir haben das neue Sonarsystem noch nie unter realistischen Bedingungen getestet.«
»Dann betrachten Sie diese Mission als einen solchen Test. Wir bekommen nicht nur unsere Revanche, sondern wir beweisen auch die Einsatzfähigkeit und die Leistung unseres experimentellen Sonars und erhalten eine wertvolle neue Waffe, wenn Tate uns seine Pläne für den Sonar-Disruptor zur Verfügung stellt.«
Unter Wasser war ein Unterseeboot praktisch blind und verließ sich auf inertiale Navigation und verfügbares Kartenmaterial, um seinen Kurs festzulegen. Im offenen Ozean, wo unterseeische Hindernisse eher selten anzutreffen und meistens ausgesprochen gut dokumentiert waren, reichte diese Art von Navigation aus. Ein Passiv-Sonar lieferte zusätzliche Informationen über die Position beweglicher Objekte wie Schiffe und andere U-Boote.
Aber um unterseeische Hindernisse dichter an der Küste sichtbar zu machen, musste ein Aktiv-Sonar eingesetzt werden, das einen starken Impuls, den sogenannten Ping, aussandte, der von stationären Objekten reflektiert wurde. Die Echolotung erstellte ein detailliertes Abbild der Unterwassertopografie bestimmte jedoch gleichzeitig die Position des U-Boots und seine Entfernung zu jedem Schiff in seiner näheren Umgebung.
Aus diesem Grund haben sich militärische U-Boote nur selten in seichte Gewässer begeben, es sei denn, sie befanden sich in vertrauten Häfen und hatten die Möglichkeit, sich an Navigationshilfen wie Bojen und Leuchtfeuern zu orientieren. Ansonsten haben sie bei Über- wie Unterwasserfahrten das Periskop benutzt.
Chinesische Wissenschaftler hatten jedoch einen Kompromiss entwickelt, der es den U-Booten ihres Militärs erlaubte, in fremden Gewässern zu operieren, ohne aufgespürt zu werden. Auf der Wuzong hatten sie ein aktives Sonar installiert, das den Gesang eines Buckelwals simulierte.
Das Sonarsignal wurde mit der gleichen Intensität abgestrahlt wie der von einem Wal erzeugte Gesang. Daher war das reflektierte Signal sehr viel schwächer als das von einem traditionellen Sonar erzeugte. Aus diesem Grund konnte sich das U-Boot nur erheblich langsamer als unter normalen Umständen fortbewegen, vergleichbar mit einem Auto, das in tiefer Nacht mit zu schwachen Scheinwerfern unterwegs war.
Jedes Schiff, das dieses Signal auffing, würde annehmen, sich in der Nähe einer Walherde zu befinden, und niemals vermuten, dass der Gesang von einem Wal vor Hawaii aufgenommen worden war. Und da Buckelwale auf der ganzen Welt anzutreffen waren, konnte das Sonar überall eingesetzt werden, ohne Verdacht zu erregen.
»Sind irgendwelche Schiffe in der Nähe?«, fragte Yu den Mann am Sonar.
»Nein, Sir«, antwortete der Erste Offizier. »Das einzige künstliche Objekt auf meinem Schirm ist die Boje, die wir soeben passiert haben.«
Yu wusste, dass die Deepwater in dieser Gegend ozeanographische Untersuchungen durchführte. Er vermutete, dass diese ziemlich langweilig sein mussten, so ähnlich wie die Analyse von Wassertemperaturen oder Gezeitenfolgen. Sein U-Boot würde sicherlich keinen Sensor dieses Typs aktivieren.
»Abstände?«
»Einhundert Meter vom Meeresgrund«, antwortete der Sonartechniker. »Dreihundert Meter auf beiden Seiten.«
Yu lächelte seinen XO an. »Sehen Sie? Jede Menge Platz.«
Der XO deutete auf die Karte. »Aber es wird bald weniger.«
»Dann drosseln wir das Tempo noch stärker. Wir werden jeden Kanal überprüfen, in den sich die Oregon zurückziehen kann.«
»Aber ganz gewiss nicht in diesen.« Der Offizier deutete auf einen Wasserarm, der einen scharfen Knick aufwies und in einer Sackgasse endete. Er war mehr als zwei Meilen lang, und um in ihn einzudringen, hätte eine scharfe Wende ausgeführt werden müssen. Dann eine Meile landeinwärts und eine Meile zurück bis zu seinem Ende.
Yu nickte energisch. »Ja, diesen untersuchen wir auch. Das Ende ist breit genug, sodass wir dort wenden können, um zur Einfahrt zurückzukehren.«
»Ich rate dringend davon ab, in diesen Fjord einzufahren. Wir könnten dort hängenbleiben.«
»Ich werde den Fjord ganz sicher nicht außer Acht lassen und das Risiko eingehen, die Oregon zu verfehlen, nur weil wir unseren Mut verloren haben.«
»Es geht nicht um Mut, Sir. Es ist nur so, dass …«
Yu hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen. »Ihr Einwand wurde zur Kenntnis genommen. Gibt es sonst noch etwas?«
Der XO gab sich geschlagen und schüttelte den Kopf.
»Wie lange noch, bis wir diesen Nebenarm erreichen?«, fragte Admiral Yu.
»Dreißig Minuten.«
»Gut. Wenn wir diesen Punkt erreichen, übernehme ich das Ruder und werde uns persönlich hineinlenken.«
»Soll ich die Antenne ausfahren und die Portland über unseren momentanen Status informieren?«
Yu musterte seinen XO mit einem eisigen Blick. »Wir werden mit Zachariah Tate Verbindung aufnehmen, wenn wir etwas zu melden haben.«
»Verstanden, Admiral.«
Der XO sagte nichts mehr, und Yu konzentrierte sich wieder auf die Karte und hielt nach weiteren möglichen Verstecken für die Oregon Ausschau.