200 GRAMM
Neulich las ich eine Nachricht, die mich sofort in Hochstimmung versetzte: Pasta macht überhaupt nicht dick! Ein jahrelanges Vorurteil wird mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Ha! Ist das nicht herrlich? Ich raste sofort in die Küche, setzte Wasser auf und warf die gesamte Packung Nudeln hinein. Endlich nicht mehr überlegen müssen, ob überhaupt Spaghetti – und wenn ja, wie viele? Einhundert Gramm sind, ehrlich, eigentlich immer zu wenig für eine Person. Einhundertfünfundzwanzig sollten es schon sein, am liebsten aber, wirklich ganz ehrlich, zweihundert. Habe ich mich schon ewig nicht mehr getraut. Aber nach dieser Nachricht? Natürlich! Wir Pasta-Lover haben immer gewusst, dass Spaghetti trösten, nicht erst seit wissenschaftlich nachgewiesen wurde, dass der Serotoninspiegel nach Pastaverzehr ansteigt. Aber dann machten uns die Diätfetischisten einen fetten Strich durch die Rechnung: Low Carb hieß die neue Losung, und jeder halbwegs gesundheitsbewusste Mensch verkniff sich nun Brot und Pasta und behauptete, sich bald daran gewöhnt zu haben und es überhaupt nicht mehr zu vermissen.
Lüge! Lüge! Ich bekam teuf‌lisch schlechte Laune ohne meine Pasta und fragte mich, ob Low Carb nicht den Weltuntergang massiv beschleunigte, denn statt Kohlenhydrate wurden jetzt massenhaft Proteine verschlungen, zumeist tierische. Die Paleo-Verfechter waren mir besonders verdächtig, nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch deshalb, weil die Steinzeitdiät ja nicht unbedingt zu besonderer Langlebigkeit unserer Ahnen geführt hatte. Die Glutenempfindlichen schworen auf Gemüsespaghetti und behaupteten allen Ernstes, Zucchini-Pasta schmecke genauso gut. Nein, nein, nein! Und noch einmal auf Italienisch, weil es einfach nicht wahr ist: No, no, no! Eine wahre Pasta ist mit nichts zu vergleichen. Der Biss muss perfekt al dente sein, natürlich es nur Hartweizengrieß, für meinen Geschmack braucht sie nur eine gute Tomatensauce, ein bisschen Öl, ein paar Blätter Basilikum – und eccola ! Ich habe in meinem Leben tonnenweise Spaghetti gegessen. Schon als Kind mit wilder Begeisterung. Und dann die Spaghetti-Orgien in den WG s, Trost-Spaghetti allein vorm Fernseher, Pasta in Italien, immer wieder eine besondere Wonne, aber für meinen Geschmack auch immer ein bisschen zu wenig. Kein Italiener würde so riesige Portionen verschlingen wie ich. Da halten nur die Chinesen mit. Gigantische Portionen handgemachter Szechuan-Nudeln in China, wo die Nudel ja eigentlich herkommt, machten mich im Handumdrehen süchtig. Länder, die keine Nudeln kennen oder sie nicht lieben, sind mir suspekt. In Spanien z.B. werden sie gern zwanzig Minuten lang gekocht und dann kleingeschnitten, eine Barbarei, die nur mit historischer Feindschaft zu erklären ist. Wie leicht kann man Menschen mit Pasta bekochen und glücklich machen! Das erste Essen, das ich je für meinen Mann gekocht habe, waren Spaghetti mit Petersilie, Knoblauch und Olivenöl, die einzigen Zutaten, die in seinem Junggesellenkühlschrank zu finden waren. Er hielt mich daraufhin für eine wahnsinnig gute Köchin und verlangte immer wieder genau dieses Mahl, was ich ihm und mir mit dem Hinweis auf die Kalorien oft verweigern musste. Und jetzt diese tolle Nachricht! Noch während ich vor der dampfenden Schüssel mit mindestens zweihundert Gramm Pasta sitze, erreicht mich eine zweite Nachricht, die besagt, dass die erste von einem italienischen Nudelhersteller lanciert wurde. Egal – ich spüre bereits den Serotoninspiegel steigen, der mich auch über diese Nachricht hinwegtröstet. Da ist es, das Glück. Pures Pasta-Glück.