DIE VERWANDLUNG
Alles ist Veränderung, wie wir wissen. Manche Veränderungen sind schön, andere eher nicht. Manche sehnen wir herbei, andere fürchten wir, aber es führt kein Weg dran vorbei: Alles verändert sich.
Der beste Ort, um Veränderung zu üben und zu studieren, ist die Küche. Welches Wunder ist es doch immer wieder, dass sich eine plumpe rohe Kartoffel in Kartoffelbrei, Gnocchi, Kartoffelsuppe, Kartoffel-Soufflé verwandelt, dass aus Weizenkörnern Brot und Pasta, Croissants und Pizza werden, aus einem Schwein Speck, Braten und Teewurst. Besonders die Verwandlung von Tieren in ein Stück Fleisch auf dem Teller beschäftigte mein kleines Kind so sehr, dass es jedes Mal wieder beim Anblick eines Schnitzels oder einer Bratwurst fragte: Was war das vorher? Eine Frage, die wir uns vielleicht öfter stellen sollten, denn der Verwandlungsprozess beinhaltet so viel Leid.
Tief beeindruckt hat mich als junge Frau der
französische Sozialanthropologe Claude Lévi-Strauss mit seinem Buch Das Rohe und das Gekochte,
in dem er analysiert, dass die Küche ein Mikrokosmos ist, in der sich der Weg der Zivilisation studieren lässt. Das Kochen hält den Verfall der Natur auf und verwandelt sie – ganz so wie die Kultur mit Mythen und Riten. Das heißt flapsig ausgedrückt: Kartoffelbrei und Goethe sind eins, Palatschinken und Mozart, Hamburger und Rihanna. In der Küche lässt sich Kultur und Struktur einer Gesellschaft ablesen. Wir könnten also unseren Thermomix fragen, was es zu bedeuten hat, wenn wir die Veränderung vom Rohen zum Gekochten nicht mehr selbst erleben, sondern sie an eine Art künstliche Intelligenz abgeben, bis wir alle irgendwann glauben, der Braten entsteht auf digitalem Weg. Wenn wir die Metamorphose durch das Kochen nicht mehr selbst tagtäglich zelebrieren, droht anscheinend radikaler Kulturverlust.
Was bedeutet das alles am Ende? Keiner weiß es. Wir sind, was wir essen, aber wir sind auch, wie wir kochen. Das Essen macht uns im besten Fall satt und glücklich, und normalerweise bleiben wir als Esser unverändert. Manche Tiere jedoch verändern sich selbst radikal, und damit verändert sich auch, was sie fressen: Aus Kaulquappen werden Frösche, aus Raupen Schmetterlinge, aus Eiern Hühner.
Achtzig Prozent aller Arten unterlaufen eine radikale Transformation ihrer Körper. Aber warum riskieren sie diese dramatische Veränderung, die viel Kraft verbraucht und ein großes Risiko darstellt?
Lange hat die Wissenschaft keine gute Antwort darauf gefunden, aber jetzt gibt es eine neue Theorie, die besagt, dass der einzige Grund für die Metamorphose ist, anderes und vor allem mehr Futter zu bekommen. Das verstehe ich sofort. Hätte ich die Chance, als Frosch nicht nur Mücken und Fliegen zu fressen, sondern auch Pizza und Pasta, würde ich sofort versuchen, ein Mensch zu werden. Pech gehabt, das hat noch keiner geschafft. Nur andersherum sind wir alle im Mutterleib amphibische Wesen, bevor wir uns zu einer gewaltigen Metamorphose entschließen und Menschen werden.
Und jetzt ist klar, warum: wegen des besseren Essens. Wenn wir das auch noch selbst kochen, bekommen wir als Schmankerl nebenbei noch Kultur. Prima eigentlich, oder?