KOLUMNISTIN AUF DER ERBSE
Schon immer haben mich Erbsen fasziniert: wie sie da so säuberlich aufgereiht und an feinen Fädchen aufgehängt in ihrer Schale liegen. Erbsenpulen gehörte zu den schönsten Küchenbeschäftigungen meiner Kindheit: mit dem Daumen die Schale entlangfahren, ploppploppplopp jede Erbse einzeln herausschälen und sich fühlen wie Aschenputtel. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen – und sehr viele in meinen Mund. Man muss nämlich sehr viele essen, um eine zuckersüße zu erwischen. Meine Mutter kochte süße Erbsensuppe mit Grießklößchen und rohem Schinken. Kennt irgendjemand sonst auf dieser Welt dieses Gericht? Es schmeckt herrlich und sieht schön aus. Die süßen Erbsen korrespondieren nicht nur optisch wunderbar mit den weißen Grießklößchen und dem roten Schinken, sondern auch geschmacklich in der ganzen Bandbreite von süß bis salzig. Sehr norddeutsch und wahrscheinlich sehr seltsam für alle Menschen südlich von Hannover.
In der Familie wurde ich des Öfteren »Prinzessin auf der Erbse« genannt, was mich maßlos ärgerte. Ich probierte es aus und legte eine Erbse unter meine Matratze. Lächerlich. Ich spürte nichts. Ich war also hart im Nehmen.
Mit einem Erbsenprojekt bewarb ich mich bei »Jugend forscht« und säte Erbsen in verschiedene Petrischalen, um sie dann mit verschieden zusammengesetzten Wässerchen zu begießen und zu erforschen, wie sich das auf ihr Wachstum auswirkte. Das war so langweilig, dass ich sehr bald beschloss, keine Forscherin mehr werden zu wollen. Ich fand eine bessere Verwendung für die Erbsen: Um einen schwer angeschwärmten Jungen dazu zu bringen, sich in mich zu verlieben, wollte ich einen Bittgang zu einer weit entfernten Kirche unternehmen, und zum Zeichen besonderer Dringlichkeit wollte ich mit Erbsen in den Schuhen gehen. Trockenerbsen erschienen mir eher was für Fortgeschrittene, daher schüttete ich mir Tiefkühlerbsen in die Schuhe, was anfangs unangenehm war, aber dann zunehmend einfacher wurde. Dafür quälte mich den ganzen Weg über die Frage, ob das geschummelt war oder nicht und ob Gott die Tiefkühlerbsen akzeptieren würde. Er tat es, denn der Angeschwärmte tanzte schon eine Woche später mit mir auf einer Schülerparty, stellte sich aber als strunzblöd heraus. Ich bekam also, was ich wollte, und dann auch wieder nicht, was bestimmt mit den Tiefkühlerbsen zusammenhing. Erbsen, lernte ich im Biologieunterricht, sind autogam. Sie brauchen niemanden. Sie heiraten sich selbst. Das kam mir vernünftig und sehr tröstlich vor. Wir zogen im Klassenzimmer Erbsen auf den Fensterbänken, und den ganzen Sommer lang erfüllte der Geruch der Erbsenblüten den Raum. Bis heute versuche ich immer wieder, diesen Geruch zu erhaschen, und säe süße Erbsen in Balkonkästen, die nie etwas werden. Ab und zu gibt es sie aber bei der Blumenhändlerin, ich stecke dann tief den Kopf in die Blüten und atme diesen süßen und gleichzeitig harschen Geruch ein, der mich an Bittgänge und süße Erbsensuppe mit Schinken erinnert.