HANDARBEIT
Freunde schwärmen seit einiger Zeit von ihrem neuen Universalwunderküchengerät, als seien sie bereits im Zustand des Nirwana. Sie brauchten NICHTS
selbst zu machen, schwärmen sie, nie mehr selbst Hand anzulegen. Irre, murmele ich, Wahnsinn – aber eigentlich bestürzt es mich, dass sie nun nie mehr schnippeln, kneten, rühren, ausrollen, raspeln, rühren, wenden, zupfen, reiben, passieren usw. werden. Meine Hände, die sonst nicht viel mehr dürfen, als auf Computertasten zu hauen oder auf polierten Oberflächen hin und her zu wischen, können es (anders als der Rest von mir) oft kaum erwarten, in die Küche zu gehen. Sie stürzen sich auf alles, was sie in die Finger bekommen, am liebsten möchten sie jede Nudel einzeln ausrollen, Hunderte von Wan Tan formen, jede Beere einzeln auf den Teller zupfen. Sie hassen handarbeitsfreie Tage, an denen es zum Beispiel nur Spaghetti mit Sauce gibt. Statt tatenlos ihrer Besitzerin zuzusehen, genießen sie es, sieh tatkräftig in der
Gegenwart aufzuhalten. Sie schwören auf die Maxime, dass es allein darum geht, tatsächlich die Karotte zu schneiden und sonst gar nichts. Sonst wirklich gar nichts. In einer Welt, die ständig von uns etwas anderes will, als dass wir mit unserem Körper in der Gegenwart anwesend sind, ist es eine große Erholung, wenn ich nur auf meine Hände und die Karotte achte. Ja, ja, natürlich ist das der alte Zen-Schmäh: Wenn du die Karotte schneidest, dann schneide nur die Karotte. Das wurde bereits in Thermomix-Vorzeiten formuliert, anscheinend war es da auch schon schwierig, nicht abgelenkt zu sein. Heute wird es zu einer regelrechten Entscheidung, die Karotte selbst zu schneiden. Hilfe. Noch eine Entscheidung mehr im Meer von Entscheidungen. Ständig sollen wir uns entscheiden, jede Entscheidung ist letzten Endes eine Entscheidung für den Konsum, auch den digitalen Konsum.
Konsumieren leitet sich vom lateinischen consumere
ab und bedeutet interessanterweise verbrauchen, verschwenden, erschöpfen. Wir sind zu erschöpft, um zu kochen. Aber wenn meine Hände kochen dürfen, bekommen sie und damit ich wieder mehr Energie. Ich komme zurück in meinen Körper, der am Ende meine einzige verlässliche Verbindung zur Welt bedeutet. Wie riecht etwas? Wie schmeckt etwas? Wie fühlt es sich an? (Ganz
nebenbei: Mit einer Himbeere über die Wange zu streichen fühlt sich an wie ein samtenes Pferdemaul. Probieren Sie’s aus!) Frei zu sein von Handarbeit ist immer noch unser Traum, als müssten wir alle als Maurer schuften oder dreimal am Tag eine Großfamilie bekochen. Unser Leben ist nicht mehr so. Zum Glück. Aber ganz ohne Handarbeit werden wir nicht unbedingt freier. Die Karotte, die ich selbst schnipple, hält mich davon ab, mit meinem Daumen über endlose Welten auf Bildschirmen zu streichen, die wie ein unablässiger Traum an mir vorbeiziehen, ohne dass ich jemals in meinem eigenen Leben ankomme. In der Küche anzukommen klingt nicht besonders glamourös und nicht unbedingt nach Traumurlaub. Aber tatsächlich in meinem eigenen Leben samt Karotte anwesend zu sein ist ein ziemlicher Trip.