PHILOSOPHISCHE PUFFER
Ich finde es immer wieder faszinierend, wie ein und dasselbe Gericht in unterschiedlichen Variationen und unter anderem Namen in der ganzen Welt zu finden ist. In meiner Kindheit gab es Kartoffelpuffer, die, wenn ich mich richtig erinnere, nicht frisch gerieben wurden, sondern aus der Pfanni-Packung kamen. Von uns Kindern wurden sie so heiß geliebt, dass meine Mutter gar nicht so schnell Puffer braten konnten, wie wir sie verschlangen. Später gerieten sie bei mir ins diätische Abseits, weil sie ja doch ziemlich fett sind. In Bayern heißen sie Reiberdatschi, sie stehen in den Wirtshäusern auf der Karte, und es gibt sie auf Weihnachtsmärkten, aber ich verkniff sie mir, bis ich mich in einem Winterurlaub in der Schweiz unsterblich in Rösti verliebte, die ich auf Grund der Bergluft vielleicht viel gesünder fand als Kartoffelpuffer. Ich erstand eine Original-Röstireibe und -Röstipfanne und experimentierte zu Hause mit Mischungen aus gekochten und rohen Kartoffeln, lernte, die Rösti auf gar keinen Fall zu früh zu wenden und natürlich niemals ein Ei darunter zu mischen. In den USA liefen mir die Rösti als Hash Browns über den Weg, und beim jüdischen Lichterfest Hanukkah lernte ich Latkes kennen, das traditionelle Festessen. Latkes bestehen aus rohen Kartoffeln, Zwiebel, Ei und, wie ich meine, ein wenig bayerischen Semmelbröseln. Das allerdings wird heftig diskutiert: Manche schwören auf Kartoffelmehl, andere auf Matzebrösel oder Matzemehl oder auf das Stärkewasser der ausgepressten geraspelten Kartoffeln. Egal wie – in viel Öl gebraten schmecken die knusprigen Latkes, mit saurer Sahne oder Apfelmus serviert, einfach umwerfend. In der Diskussion um die korrekten Brösel stieß ich im Netz auf eine herrlich verrückte Veranstaltung, in der vornehmlich jüdische Professor*innen das Klischee der eigenen Diskussionswut auf die Schippe nehmen. Jedes Jahr findet an einer amerikanischen Uni die »Latkes-Hamantaschen-Debatte« statt, in der Akademiker*innen – unter ihnen viele Nobelpreisgewinner*innen – mit wissenschaftlichem Furor und viel Humor die Vorzüge von Latkes oder Hamantaschen diskutieren. Hamantaschen sind mit Pflaumenmus gefüllte Hefetaschen, die traditionell an Purim gegessen werden. Die Debatte gibt es seit 1946, einen Gewinner der Debatte gibt es nie, trotz so überzeugender Vorträge wie zum Beispiel von einem Physikprofessor: Latkes und die Geschichte der Wissenschaft: Wie sonst hätte Kepler die Ellipsenform der Planetenbahnen um die Sonne entdecken können, wenn nicht durch die tiefe Kontemplation eines gut gebratenen Latke? Oder: »Die Apotheose des Latke« einer Philosophin, die argumentiert, dass »Platons Dialoge« ursprünglich »Platons Dialatkes« geheißen haben. Und letztes Jahr hieß ein Vortrag: »Wie der Latke unseren Planeten, unsere Gesellschaft und unser Hirn zerstört und wie Hamantaschen uns retten können« . Alles nachzuschauen auf Youtube. Am besten, während man dazu einen großen Teller Kartoffelpuffer/Reiberdatschi/Rösti/Latkes isst.