BELEUCHTERBROTZEIT
Ich freue mich schon sehr auf die Dreharbeiten zu meinem neuen Film, auf die Schauspieler, das Team, diese wunderbare Konzentration auf zutiefst unwichtige Dinge: Ist dieses rote Kleid wirklich das richtige Kostüm, oder sollte es lieber grün sein? Sollte der Schauspieler einen Drei- oder einen Zweitagebart tragen? Ist das der richtige Satz zur richtigen Zeit? Die richtige Kameraeinstellung? Aber wenn ich ganz ehrlich bin, freue ich mich auch sehr auf das große Fressen.
Das geht schon in der Früh mit Butterbrezen los, die ich mir in meinem normalen Leben meist verkneife. Kaum am Drehort angekommen, wartet dort in der Regel ein Cateringbus mit reizenden Cateringleuten, die die Verfressenheit von Filmteams zu ihrem Geschäft gemacht haben. Es gibt ein komplettes Frühstück und natürlich Kaffee. Was wäre ein Film ohne Kaffee? Undenkbar! In riesigen Thermoskannen schleppen wir ihn ständig mit uns herum, das Geräusch pffft, pffft, pfft,
wenn man den Hebel runterdrückt und der Kaffee in wacklige Plastikbecher strömt, gehört für mich so sehr zu Dreharbeiten wie eisige Temperaturen und strömender Regen. Es regnet, schneit und stürmt eigentlich immer, und alle Menschen, die dort normalerweise wohnen, schwören, dass das Wetter ganz und gar ungewöhnlich sei. Weil man so viel friert, muss man sehr viel essen. Mittags hockt man in einem dampfigen Bus und haut wieder richtig rein. Ich bin es nicht gewohnt, mittags groß zu essen. Das Essen in der großen Gesellschaft eines Filmteams hat für mich etwas Hypnotisches. Man befindet sich außerhalb der übrigen, normalen Welt und versucht gleichzeitig, eine ganz eigene Welt zu erschaffen, die wiederum der übrigen Welt oft bis aufs Haar gleichen soll. Ich verfalle regelmäßig in eine höchst anstrengende Art Trance, und diese Trance braucht Futter. Am Nachmittag gibt es deshalb meist etwas Süßes. Gummibärchen, Snickers, Mars, Hanuta und Co. machen die Runde, einige Filmcaterer backen wunderbare Kuchen, die ich dankbar und stöhnend entgegennehme. Nach Drehschluss dann falle ich erschöpft mit den anderen in die nächste Kneipe, und weil ich mich schon so ans Essen gewöhnt habe, bestelle ich mir wenigstens noch ein paar Pommes frites oder eine Käseplatte.
Früher, als Filmcatering noch unbekannt war, gab es die sogenannte Beleuchterbrotzeit am Vormittag. Es wurde ein bisschen Geld eingesammelt, und die Beleuchter besorgten ein oft überwältigend feines Buffet am Drehort. Dazu gab es immer ein Bier, was ich zwar nicht trinken konnte, sonst wäre ich in Tiefschlaf verfallen, aber diese fünfzehn Minuten waren das höchste Glück. Später habe ich in Amerika ohne Erfolg versucht, einem amerikanischen Filmteam diesen Brauch beizubringen. Auch die sogenannte Schnapsklappe verstand man dort nicht. Sie bedeutet, dass, wenn die Filmklappe eine Zahl mit identischen Ziffern aufweist, derjenige, dessen Name beim Schlagen der Klappe gerufen wird, abends am Drehort einen Schnaps ausgeben muss. Dermaßen schnöde tat das aber niemand, sondern es wurden ganze Bars aufgebaut, komplizierte Drinks gemixt, Champagnergelage ausgegeben. Alles vorbei. Auch beim Film ist schon längst die Digitalisierung und nüchterne Effizienz eingezogen. Aber viel zu essen gibt es immer noch. Wunderbar. Wenn man nur nicht so frieren müsste.