JAPANISCHES ASPIRIN
Gerade war ich wieder länger in Japan und habe die Fortsetzung zu meinem Film Kirschblüten gedreht, und sosehr ich Onigiri, die Reisbällchen, liebe und natürlich Sushi und Nudelsuppen, sehne ich mich nach spätestens vier Wochen doch nach den gewohnten Geschmäckern meiner Heimat. Seltsam, wie einen die Essgewohnheiten einholen.
Nun findet man in Tokio in den Feinschmeckerabteilungen der großen Kaufhäuser wirklich alles, was es auf der Welt an Lebensmitteln gibt, aber das hat fast musealen Charakter, weil es so erlesen und sündhaft teuer ist. An jeder Straßenecke haben dafür die 24-Stunden-Läden, die sogenannten Konbinis, die Grundversorgung übernommen. Dort bekommt der geplagte Arbeitsmensch nach seinem für deutsche Verhältnisse gemein langen Bürotag, was er unbedingt braucht: ein frisches Oberhemd und Seidenstrümpfe, Deo, kalten grünen Tee und Mikrowellenmahlzeiten, Ladekabel, Pornos oder Katzen-Mangas, Vitamindrinks, im Sommer duftende Erfrischungspflaster, die man sich auf die Beine kleben kann, im Winter Handschuhe mit handykompatiblen Fingerkuppen, Schokolade mit Matcha und die inzwischen zu Internetruhm gelangten legendären Eiersandwiches: Eiersalat mit Mayo zwischen dünnen Weißbrotscheiben, die in ihrer Konsistenz eher an Tempo-Taschentücher erinnern, aber eine Zeitlang sehr gut schmecken.
(Es gibt übrigens einen sehr schönen Roman, der in einem Konbini spielt: Die Ladenhüterin von Sayaka Murata.) Es ist eine eher traurige Welt, die sich in den gleißend hellen Konbinis widerspiegelt, eine Welt, in der überhaupt nicht mehr gekocht, sondern nur noch gearbeitet wird und in der man sich abends irgendetwas zwischen die Zähne schiebt, um nicht den Karoshi, den Erschöpfungstod, zu sterben. Aber ich habe dort etwas entdeckt, wonach ich inzwischen süchtig bin: salzige Pflaumen, Umeboshi. Sie sind in Wirklichkeit gar keine Pflaumen, sondern eher Aprikosen, die noch grün zusammen mit roten Shiso-Blättern zwei Jahre lang in Salz eingelegt werden und dabei fermentieren. Sie sind sauer und salzig zugleich, was es als Geschmack nur sehr selten gibt, und vielleicht haben sie deshalb Suchtpotential. Man kann sie nur einzeln wirklich genießen, mehr als zwei bekommt man kaum herunter, dazu sind sie zu salzig. Man packt sie in Reisbällchen, legt sie oben auf den Reis oder in ein Glas Wasser und trinkt dann das Wasser, was wahnsinnig gesund sein soll und als japanisches Aspirin bezeichnet wird. Umeboshi sollen auch bei Durchfall und Herzflattern helfen, ebenso gegen innere und äußere Hitze – deshalb isst man im Sommer Bonbons mit Umeboshi-Geschmack. Auf jeden Fall katapultiert einen diese ungewöhnliche Geschmackskombination aus trüben Gemütszuständen, sie gibt einem einen Minitritt in den Hintern und zwingt einen, sich wieder auf den Geschmack des Lebens in diesem Augenblick einzulassen. Vielleicht gibt es die Umeboshi deshalb auch im scheußlichen Konbini für achtzig Cent pro Pflaume, damit der gestresste Großstadtmensch merkt, dass es noch etwas anderes im Leben gibt als Arbeit. Eine Umeboshi eben.