DAS NEUE NICHTS
Ich muss Ihnen von einer großartigen Diät und Nahrungsumstellung berichten, die ich entdeckt habe.
Sie ist gesund, ökologisch wie moralisch vorbildlich, sie führt zu garantiertem Gewichtsverlust, macht keinerlei Arbeit und kostet nichts. Aber bevor ich Ihnen mein Geheimnis verrate, zuerst ein kurzer Bericht meiner langen, mühevollen Reise bis hierhin: Zuerst wurde ich laktoseintolerant, was mich automatisch zu einem besseren Menschen macht, der keine Kälber mehr um die Muttermilch bringt und Milchkühe in entwürdigende Melkvorgänge treibt. Das war durchaus erhebend, aber bald dürstete ich nach mehr. Ich ließ erst Fett, dann Zucker weg, wurde glutensensitiv, weil ich mich sonst ausgeschlossen fühlte, und kurz darauf aus ehrlich moralischen Gründen Vegetarierin.
Meine blutrünstigen Mitmenschen schauderten mich mit einem Mal, ich verlangte einen eigenen Kühlschrank und Verzicht des Verzehrens von Fleisch mit mir an einem Tisch. Wir aßen eine Zeitlang zusammen Fisch, aber politisch gesehen, muss man einfach Veganer werden. Betrübt stellte ich allerdings fest, dass keiner außer mir vor Begeisterung in die Luft sprang, wenn ich Käsekuchen aus Cashew-Brei und Agar-Agar servierte oder Smoothies in verschiedenen Grüntönen zubereitete. Ich drohte zu vereinsamen, bis ich Kohlenhydrate aus meiner Ernährung verbannte und mich einem Low-Carb-Chatroom anschloss, in dem ich für jede nicht gegessene glutenfreie Pasta ausgiebig gelobt wurde. Nichts macht so froh wie das Weglassen.
Die räumliche Entsprechung zu meiner Ernährung fand ich in einer japanischen Aufräummethode, bei der man so ziemlich alles wegwirft außer sich selbst. Verzicht wurde mein neuer Genuss. Ich entdeckte Clean Eating und aß nur noch Rohes und nichts Gekochtes mehr, nur noch Gemüse, kaum Obst (Carbs!): sauberes Essen, sauberer Körper, sauberer Geist. Aber auch das befriedigte mich bald nicht mehr, und ich sann auf Steigerung. Nichts essen kann nur besser sein als essen. Intervallfasten wurde meine neue Religion, besonders die 16/8-Regel, denn ich brauchte auf gemeinsame Abendessen ja schon länger keine Rücksicht mehr zu nehmen, da niemand mehr mit mir essen mochte. Ich dehnte den Zeitraum aus auf 20/4 und irgendwann auf 23/1, was bedeutet, dass man 23 Stunden ans Essen denkt und in der einen Stunde, die einem bleibt, über alles herfällt, was einem in die Finger gerät. Aber da ich ja laktoseintolerant, glutensensitiv, Veganerin, Clean, No Carbs und Raw Eater bin, war das natürlich keine Option. Es fiel mir zunehmend schwer, mich an all das zu erinnern, was ich nicht essen darf. Aber da entdeckte ich eine vollkommen neue Ernährungsweise, die mich rundum so glücklich macht, dass ich Sie Ihnen, geschätzten Leserinnen und Lesern, aufs Wärmste ans Herz legen möchte: Beugen Sie sich über die tollen Hochglanzfotos der so wunderbar zubereiteten und garnierten Gerichte in diesem Heft, und zwar über ALLE , ganz gleich, ob sie Fleisch enthalten oder Weizen, Milchprodukte, Zucker, Fett oder tonnenweise Kohlenhydrate – und schlecken Sie sie ab! Seite um Seite. Langsam und konzentriert, das ganze Heft von Anfang bis Ende. Ich mache das jetzt schon seit mehreren Ausgaben – und was soll ich Ihnen sagen? Ich habe dramatisch an Gewicht verloren, versaue unseren Planeten nicht mehr durch meine Ernährung, nehme rein gar nichts mehr zu mir, nur die Idee von Genuss.
Herrlich. Ich schlecke mich durchs Heft, bin glücklich und moralisch einwandfrei. Probieren Sie’s aus!