HAFERBREI
Die Übersetzung von Porridge ist Haferschleim, und das klingt fürchterlich nach Krankheit und Rollkur bei Magengeschwüren. Freiwillig will man das nicht essen, und das tat ich auch lange nicht, bis ich in England an einem zugigen, verregneten, eiskalten Tag im Juni einen Porridge serviert bekam. Diese Mahlzeit war so tröstlich und wirkte für lange Zeit wunderbar vor, so als hätte ich ein kleines, süßes Heizkissen verschluckt. Prompt wurde ich ein Fan. Ich lernte, dass man auf gar keinen Fall die Prise Salz vergessen darf, die den Porridge leicht nussig schmecken lässt, dass man ihn unbedingt mit ein wenig Milch kochen muss, denn nur in der Verbindung mit Protein entfaltet er seine ganze unglaubliche gesunde Power.
Das wird inzwischen auch wieder angezweifelt, wie eigentlich immer bei als besonders gesund erachteten Gerichten, es könnte aber auch daran liegen, dass Porridge besonders gut mit Sahne, zerlassener Butter und einem Haufen Zucker schmeckt.
Die garantiert gesunde Variante feiert aber jetzt als Jamie-Oliver- oder Thermomix-Variante ihr Comeback. Total vegan mit Mandel-, Hafer-, Kokos-, Sojamilch und Hunderten von aufgepimpten Rezepten im Netz, die mit einem Mal höchst kompliziert klingen. So einfach, wie es ist, darf nix sein, denn dann würde es ja jeder machen. Wenn alle hip sind, ist es nicht mehr hip. Porridge ist jetzt also Lifestyle, und falls man ihn nicht selbst herstellen kann oder will, gibt es ihn auch in tausend Geschmacksrichtungen fix und fertig zu kaufen – natürlich zu gepfefferten Preisen.
Es gibt eine Familiengeschichte aus der Zeit, als Porridge noch nicht hip war und die Kinder jeden Tag gesunden Haferschleim essen mussten, ganz ohne Chiasamen, Beberitzen oder kalifornische Mandeln. Noch nicht einmal Zucker gab es dazu, und er schmeckte einfach so furchtbar, dass mein Vater und sein Vetter sich so oft wie möglich mit ihren Haferschleimschüsseln ins Wohnzimmer davonschlichen, dort den Deckel vom Klavier aufklappten und den Haferschleim hineinschütteten. Das merkte erstaunlich lange niemand, weil anscheinend wenig Klavier gespielt wurde. Aber dann kam Weihnachten und eine klavierspielende Tante zu Besuch. Sie bestand auf Weihnachtsliedern, freudig setzte sie sich ans Klavier und schlug die
Tasten an – aber kein einziger Ton erklang. Es wurde hin- und hergerätselt, schließlich der Klavierdeckel aufgeklappt. Man staunte. Im Klavier befand sich bis kurz unter dem Rand eine seltsame hellgraue Betonmasse. Als Kinder haben wir diese Geschichte heiß geliebt, sie wurde so oft erzählt, dass ich sie hier wahrscheinlich wild ausgeschmückt wiedergegeben habe. Vielleicht war mein Vater in seinem jungen Herzen ein Schotte. Die Schotten haben den Porridge erfunden. Früher kochte man, weil Brennholz teuer und rar war, am Montag eine riesige Portion Porridge, schüttete ihn in eine leere Schublade, wo er alsbald steinhart wurde, so dass man sich die ganze Woche über immer wieder ein Stückchen abschneiden konnte. Na, wie wär’s?