DIE KOHLRABI-ERKENNTNIS
Im Kindergarten hatte ich eine Freundin, die hieß Kohlrabi. Das kann doch nicht sein, sagte meine Mutter, die heißt bestimmt nicht Kohlrabi. Doch, doch, wütend bestand ich darauf: Sie heißt Kohlrabi. Je mehr meine Mutter es bezweifelte, umso sicherer war ich mir. Ich wusste es ganz genau: Das Mädchen hieß Kohlrabi.
Natürlich hieß das arme Mädchen nicht Kohlrabi. Es hieß Gabriele, aber ich nannte sie beharrlich Kohlrabi. Wie kam ich da drauf? Weil es bei uns zu Hause oft Kohlrabi zum Mittagessen gab, gedünstet, mit Butter und Petersilie, oder roh zum Naschen. Ich verstand jedes Kaninchen nur zu gut: diese unglaubliche Süße und Frische eines Kohlrabischnitzes! Als Kind war Kohlrabi also ganz alltäglich für mich, später verschwand er aus meinem Leben, keine Ahnung, warum. Er war wohl out. Seltsam, dass das selbst Lebensmittel ereilt, als gäbe es eine Mode des Geschmacks. Mal schmeckt uns Toast Hawaii – und dann mit einem Mal Rote-Bete-Süppchen. Wenn man lange genug wartet, kehrt jedoch alles zurück, und tatsächlich fand erst kürzlich der Kohlrabi zurück in mein Leben. Um wieder zu mir zu gelangen, musste er einen langen Weg in Kauf nehmen: über Japan und Peru. In Peru haben japanische Einwanderer eine angespitzte, feurige Variante der traditionellen japanischen Küche entwickelt. Damit waren sie so erfolgreich, dass sie Restaurants auf der ganzen Welt aufmachten – und am Ende sogar in Deutschland. Dort steht ein typisch deutsches Gemüse auf der Speisekarte, der Kohlrabi, der so deutsch zu sein scheint, dass er auf Englisch und Spanisch auch Kohlrabi heißt. Hier gibt es also einen peruanisch-japanischen Kohlrabisalat, der in Nudelform daherkommt, angemacht mit getrocknetem Miso und Parmesan. Unvergleichlich köstlich. Nur das ewige Rätsel, wie sie diese Nudeln hinbekommen. Weil gerade aus jedem Gemüse Nudeln hergestellt werden, kauf‌te ich mir also einen Spiralizer, schnitzte mir fast alle Fingerkuppen weg, verarbeitete Zucchini und Möhren erfolgreich zu Nudeln, aber der Kohlrabi verweigerte sich stur. Er wollte partout keine Nudelform annehmen, egal, wie ich ihn zurechtschnitzte und welche Zusatzaufsätze ich benutzte. Meine Küche glich bald einem Baumarkt. Ich scheiterte so lange an den Kohlrabinudeln, bis meine Schwester eine Pastamaschine anschleppte – und siehe da, der Kohlrabi verwandelte sich in endlose, gleichmäßige, blassgrüne Nudeln. Mit Olivenöl beträufeln und mit getrocknetem Miso und reichlich frisch geriebenem Parmesan bestreuen – fertig ist der deutsch-japanische Kohlrabisalat. Da der Kohlrabi das ganze Jahr über Saison hat, werde ich von meiner Kohlrabi-Besessenheit auch in nächster Zukunft nicht abrücken. Diese jüngere Schwester hatte übrigens eine Freundin im Kindergarten, die hieß Kamelhaar. Und auch sie schwor, dass das arme Kind so heiße und nicht anders. Heulte wie ich vor Wut, wenn man das doch ein wenig bezweifelte. Wie hieß das arme Kind wirklich? Pamela.