SUPPE MIT TIEFGANG
Überall schießen jetzt Ramen-Läden bei uns aus dem Boden wie Pilze, und vor ihnen bilden sich lange Schlangen, als ginge es um die Ausstellung der japanischen Kronjuwelen. Dabei ist Ramen in Japan das normalste, gewöhnlichste Essen, das man sich vorstellen kann. Überall gibt es Automatenrestaurants, wo man sich eine Karte für eine Suppe kauft, die einem dann wortlos an einer langen Theke gereicht wird, wo man wie ein Huhn auf der Stange neben den anderen Gästen hockt, die in Nullkommanix die glühend heiße Suppe laut in sich hineinschlürfen. Man schlürft sie, um sie abzukühlen. Gerade als ich meinem damals kleinen Kind beigebracht hatte, dass es nicht besonders fein ist zu schlürfen, konnten wir zwei ältere, sehr elegante Japanerinnen in Tokio in einem Restaurant dabei beobachten – und zuhören –, wie sie besonders laut ihre Nudelsuppe in sich einsaugten. Siehste, sagte meine Tochter höchst befriedigt.
Nudelsuppe isst in Japan jeder, die beiden
Standards sind entweder Ramen mit gekringelten Eiernudeln oder Udon mit dicken Weizennudeln. Die Brühe wird salzig, auf Soja- oder Miso-Basis gereicht, und die Diskussion um die beste Brühe ist Glaubensfrage. Auf jeden Fall braucht jede Brühe als Grundlage ein anständiges Dashi, das aus Kombu-Alge und Thunfischflocken hergestellt wird. Meine liebste Suppe ist die Kitsune Udon, die »Fuchsnudelsuppe«, mit einem großen Stück frittiertem Tofu statt der Scheibe Schweinebauch, der leicht süßliche Geschmack vom Tofu verbindet sich wunderbar mit der salzigen Brühe. Da der Fuchs in Japan auch als Gott auftritt und besonders gern Tofu isst, liebt er natürlich auch Suppe mit Tofu.
Ramen kannte ich aus dem Kino, bevor ich sie zum ersten Mal aß: aus dem Film Tampopo
von 1985. Er handelt von dem Kampf eines kleinen Nudelrestaurants und seiner Besitzerin um die allerbeste Ramen der Welt. Was ist die beste Brühe? Die beste Einlage? Was sind die besten Nudeln? Wie heiß muss die Suppe sein, und wie isst man sie am besten? Der Film ist sehr lustig und erinnert an einen Western oder Samuraifilm. In einer Szene gibt ein alter Mann die genaue Anleitung: erst die Suppenschale betrachten, die Fettaugen, die Frühlingszwiebeln, die Alge, die langsam in der
Suppe versinkt, dann Konzentration auf die Scheiben Schweinefleisch, die mit den Stäbchen gestreichelt werden sollten, um Zuneigung auszudrücken. Dann entschuldige dich bei dem Schwein und sage: Ich seh dich bald. Nicht nur, wie man eine Ramen richtig isst, sondern auch, wie man sie kocht, kann man in diesem Film lernen. Allein die Herstellung der Nudeln ist eine Wissenschaft für sich.
Der Regisseur Juzo Itami wurde mit dem Suppenfilm international bekannt, als Nächstes wollte er einen Film über die Yakuza, die japanische Mafia, drehen, mit denen bekanntlich nicht gut Nudelsuppe essen ist. Kurz vor Beginn der Dreharbeiten stürzte er aber »versehentlich« aus dem achten Stock eines Gebäudes.
Man kann auch sagen, die Nudelsuppe hat ihn umgebracht, denn ohne den Erfolg seines Films Tampopo
hätte er wahrscheinlich keine weiteren Filme drehen können. Bei jeder Nudelsuppe, die ich esse, denke ich an ihn.