DICHTUNG UND DATSCHI
Eine Freundin, die schon seit ewigen Zeiten in den USA lebt, aber in München aufgewachsen ist, erzählte mir, dass sie, als sie in Los Angeles im Radio in einer Reisesendung über Deutschland vom typisch bayerischen »suetschendätschi« hörte, von Sehnsucht überwältigt am Straßenrand anhalten und bitterlich weinen musste, weil mit einem Mal das ganze Auto vom Geruch von frischem Zwetschgendatschi erfüllt war, der sie an ihre Kindheit und an ihre Mutter erinnerte: das umwerfende süßlich-saure Aroma, wenn die Mutter den fertigen Kuchen auf dem schwarzen Blech aus dem Rohr holte, der Geruch von Hefe, die kleinen Frischhefewürfel (aus denen sie sich in der Pubertät Gesichtsmasken gegen Pickel machte), das wohlige kleine, lang anhaltende Rülpsen, wenn man zu viel vom Teig genascht hatte, die knusprigen Randstücke des fertigen Kuchens, die ihr die liebsten waren, die frische, perfekt steife Schlagsahne, die sie hatte schlagen dürfen (aber nicht zu lange, damit sie nicht zu Butter wird!) und dann das Gefäß ausschlecken, der Kaffeeklatsch mit Onkeln und Tanten, die den Pflaumenkuchen aßen und gleichzeitig rauchten.
Was denn nun?, frage ich, Zwetschgendatschi oder Pflaumenkuchen? Zwetschgendatschi natürlich, ruft sie, gesteht dann aber, dass sie auf Englisch Zwetschge und Pflaume ohne Unterschied »plum« nennt. Das Lexikon besagt, dass Zwetschgen im Englischen »damsons« heißen, aber das Wort kennt kaum jemand. Gibt es überhaupt Zwetschgen in Amerika – oder nur Pflaumen? Ich selbst vergesse den Unterschied jedes Jahr aufs Neue: Pflaumen sind rundlicher und haben eine deutliche Furche, wie ein Minibabypopo, ihre Frucht kann man auch mit scharfen Fingernägeln kaum vom Stein lösen, sie sind rotblau bis lila und in der Regel süßer. Zwetschgen sind dagegen leicht säuerlich, dunkellila bis schwarz in der Farbe, sie haben kaum Babypopofurche, sind spitzer und leicht zu entsteinen. Hübsch, wie die Zwetschgen sich zu kleinen gelbroten Ohrenpaaren öffnen, wenn man ihnen den Stein entnimmt und sie auf den Teig legt. Dieses Jahr bogen sich die Pflaumen- und Zwetschgenbäume unter den Früchten, so viel Zwetschgen- und Pflaumenmus konnte man gar nicht einmachen, so viele Datschi gar nicht backen, und auch die Wespen kamen kaum hinterher.
Wenn man mit seinem saftigen, duftenden Datschi auf dem Teller dasitzt, die Wespen einen umschwirren und man verzweifelt versucht, sich an die Ratschläge zu erinnern, was gegen sie helfen soll – Kaffeepulver verbrennen, Kupfermünzen auslegen, ein Glas mit Honigwasser bereitstellen, immer eine Zwiebel in der Tasche dabeihaben, um sie im schlimmsten Fall auf einen Stich zu legen –, dann weiß man, der Herbst ist gekommen. Und während man ungeduldig darauf wartet, dass der Datschi endlich wieder von den Wespen freigegeben wird, könnte man in der Zwischenzeit auch einen Haiku dichten: Komm her, du Wespe / nipp an meinem Zwetschndatschi / süßer Sommer, bleib! (Für die Haiku-Puristen: Zwetschn zählt als nur eine Silbe …)