GRILLEN
Am zuverlässigsten erkennt man den Sommer an den Rauchschwaden, die von jedem Balkon, aus den Gärten und Parks wabern: Es wird gegrillt, was das Zeug hält. Ich mochte Grillen nie wirklich. Habe nie viel Fleisch gegessen und inzwischen möglichst gar keins mehr, deshalb lag und liegt mir auch nichts an den großen Fleischlappen und riesigen Bratwürsten vom Grill. Aber auch die nie garen Kartoffeln, verbrannten Zwiebelringe, zerknautschten Auberginenscheiben und matschigen Zucchini begeistern mich nicht. Was mich allerdings amüsiert, ist die alljährliche Transformation von männlichen Stubenhockern in archaische Helden am Feuer. Ich kenne kaum einen Mann, der nicht gern grillt und mythisch ergriffen über seinem sündhaft teuren Kugelgrill über Tod, Fleisch und Feuer wacht. Die Frauen ziehen sich meist gutmütig in den Salatbereich zurück und überlassen den Männern die Grillwelt als letztes Habitat, in dem sie sich stundenlang und unwidersprochen wichtig fühlen dürfen. Grillen dauert, auch wenn behauptet wird: Ich werfe schnell Fleisch auf den Grill. Wie oft habe ich schon mit knurrendem Magen neben einem Grill ausgeharrt. Und wenn auch noch versucht wird, ein ganzes Tier zu grillen, bedeutet es IMMER , dass man erst kurz vor Mitternacht, schon schwer betrunken, endlich ein Stück Fleisch auf den Teller bekommt. Unvergessen die Grillparty eines Schwabinger Angebers, der auf seinem schmalen Straßenbalkon im vierten Stock ein ganzes Lamm grillen wollte, was im Morgengrauen immer noch nicht gar war. Es illustrierte aufs anschaulichste den Antagonismus zwischen zivilisierter Stadtgesellschaft und archaischer Tierbraterei. Was haben die Männer nur mit dem Grillen? In seinem klugen Buch Kochen beschreibt Michael Pollan das Grillen als Fortsetzung des rituellen religiösen Opfers, das immer Feuer und Fleisch beinhaltete. Anfangs gab es Menschenfleisch, später dann zu unser aller Glück Tierfleisch. Die Götter bekamen den Rauch, die Menschen die Schnitzel. So hatten beide was davon. Auf Griechisch bedeutet mageiros Koch, Metzger und Priester, Ursprung unseres Wortes »Magier«. Gab es immer nur in der männlichen Form, ganz nebenbei. Der Mann mit dem Messer am Grill ist also ein Zauberer, denn er verwandelt ein Tier in ein Mahl. Das muss möglichst lange dauern, denn so entsteht Gemeinschaft, meist unter Männern mit Bier in der Hand. Als der Kochtopf erfunden wurde, wurde das Herstellen von Mahlzeiten nicht nur ökonomischer, sondern es verlagerte sich auch von draußen nach drinnen. Draußen, beim Grillen über offenem Feuer, konnten die Männer voreinander angeben, drinnen regierten die Frauen über den Topf und die Familie. Es war auch nicht mehr ganz ersichtlich, was in dem Topf zusammengeschmort wurde, was Aristoteles als größere zivilisatorische Leistung einstuf‌te, weil das Tier nicht mehr zu erkennen ist. Es wird sublimiert und etwas anderes, Neues. Der Anthropologe Lévi-Strauss sagte dazu: Gekochtes ist Leben, Gebratenes Tod. Grillen also als letzte Domäne des Jägers, wie es scheint. Dafür braucht er heutzutage Workshops, Zeitschriften, digitale Rundumbetreuung und sehr teure Grills. Ich schnipple schon mal den Salat und warte …