ÄPFEL UND BIRNEN
Birnen haben das Zeug dazu, einen in den Wahnsinn zu treiben. Erst liegen sie knallhart und mürrisch tagelang herum, um dann heimtückisch über Nacht quatschig weich zu werden und einen bitter zu enttäuschen. Warum machen sie das? Warum können sie nicht gemütlich und langsam vor sich hin reifen und freundlich auf ihren Verzehr warten? Warum muss sich eine perfekte Birne so rarmachen? Ein wahrhaft kapriziöses Obst. Es gibt Sommer-, Herbst- und Winterbirnen, aber mir fallen sie immer erst im Winter auf, wenn ich mich an Äpfeln schon satt gegessen habe und Mandarinen nicht mehr sehen kann. Es gibt um die fünf‌tausend Sorten, aber hierzulande hat man meist die Wahl zwischen einer »Abate Fetel«, »Williams Christ«, »Clapps Liebling«, »Alexander Lucas«, »Conference« oder der »Guten Louise«, die mir allein schon wegen ihres Namens am besten gefällt. Auch sie zickig wie alle anderen und nur einen komisch winzigen Augenblick lang perfekt.
Aber wenn ich die Wahl habe zwischen Birne und Apfel, wähle ich immer die Birne. (Die Entscheidung zwischen Apfel- und Birnenfigur würde mir dagegen schwerfallen. Und wieso nennen wir unseren Kopf Birne? Du hast doch nix in der Birne … ja, genau, erst fällt mir nix ein, die Gedanken sind wie tiefgefroren, im nächsten Augenblick schon matschig weich, und ich muss mich hinlegen und ausruhen. Mit meiner Birne über die Birne nachdenken.)
Vielleicht mag ich Birnen nur deshalb so gern, weil ich als Kind das Fontane-Gedicht über Herrn Ribbeck auf Ribbeck im Havelland geliebt habe. Und weil es so schön ist, hier die erste Strophe:
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand.
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopf‌te, wenn’s Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll.
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste ’ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb ’ne Birn.«
Plattdüütsch sprach in unserer Familie zwar keiner, aber im NDR gab es am Morgen die Sendung Hör mal ’n beten to, die ich hören durf‌te, wenn ich krank im Bett lag, und danach den Schulfunk. Herrlich. Und dort wurde von Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland erzählt, der so gern Birnen an Kinder verschenkt. Aber dann stirbt er, sein Sohn ist geizig und gibt keine einzige Birne her: Und die Kinder klagten, das Herze schwer: »He is dod nu. Wer giwt uns nu ’ne Beer?« Doch Herr von Ribbeck hat vorgesorgt, eine Birne mit ins Grab genommen, auf dass es auch in Zukunft noch Birnen für die Kinder geben wird.
Herrn von Ribbeck gab es wirklich und den Birnbaum auch. Den Stumpf des alten Baums habe ich mir in der Dorfkirche von Ribbeck angeschaut. Im Schlossgarten wachsen überall Birnbäume, und im Schlossrestaurant wird ein wirklich toller Birnenstrudel serviert. Alles nur wegen eines Gedichts. Und deshalb habe ich auch irgendwann einen Birnbaum in unserem Garten gepflanzt, aber irgendetwas passt ihm nicht. Er mickert seit Jahren vor sich hin, produziert nur wenige Blüten und noch nie eine einzige Birne. Ha, sagt er schadenfroh zu mir: Eine Frau von Ribbeck wirst du nicht!