CAMPING IM WOHNZIMMER
Nabemono habe ich in Japan im Winter kennen- und lieben gelernt. Es schmeckte nicht nur toll, sondern bot oft die einzige Möglichkeit, ein bisschen weniger zu frieren. Japanische Häuser sind meist schlecht isoliert und Zentralheizungen so gut wie unbekannt. Früher behalf man sich mit einem Kohlestövchen unterm Tisch und einer dicken Tischdecke bis zum Boden (nicht so schwierig, wenn man auf dem Boden sitzt), die Beine darunter ausgestreckt Richtung Öfchen, was bei meinen langen Haxn regelmäßig zu Verbrennungen an den Füßen führte. Das Stövchen für das Nabemono auf dem Tisch war mir sehr viel lieber, es ist auch gar kein Stövchen, sondern ein Gas-Campingkocher. Ganz gleich, ob im 32. Stock in Tokio oder in einem windigen Holzhaus auf dem Land, ohne Campingkocher, der sofort eine Lagerfeueratmosphäre schafft, gibt es kein Nabemono.
Nabe heißt Topf, und mono sind Dinge, man wirft also verschiedene Dinge in einen Topf. Im Prinzip wie Fondue, was früher mal sehr schick war und wofür es einen Kupfertopf gab und farblich markierte Gabeln, damit man bloß nicht aus Versehen das Fleisch des Nachbarn aß. Der Nabemono-Topf ist ein glasierter Tontopf, oft so schön wie ein antikes Museumsstück. Es gibt unendlich viele verschiedene Rezepte, in die Dashi-Brühe aus Kombu und Thunfischflocken werden Fleisch und Fisch geworfen, sehr gern Hackbällchen aus Hühnerfleisch, Tofu natürlich und Wintergemüse. In der Region Hokkaido Kartoffeln und Rettich, Chinakohl und Shiitake-Pilze, in Tohoku Petersilie und Zwiebeln, in Kanto Karotten und Kürbis, in München Weißkohl, Chinakohl und alles, was ich noch im Kühlschrank finde.
Das Wunderbarste am Nabemono sind meine japanischen Freundinnen, die mit kleinen Köstlichkeiten anrücken. Eine hat eine Yuzu, eine Art Limette, vom letzten Japanbesuch mitgebracht, eine andere Ginkgo-Nüsse in ihrem Münchner Garten gesammelt und geröstet, eine weitere hat eine frische Wasabi-Wurzel aufgetrieben und bringt auch gleich die richtige Reibe dafür mit, noch eine andere macht Gomadare, die Sesamsauce fürs Fleisch. Jedes Mal wieder sehe ich ihnen allen fasziniert dabei zu, wie sie die Lebensmittel vorbereiten. Nichts geschieht hastig oder ungefähr, sondern mit hingebungsvoller Aufmerksamkeit. Auf großen Tellern werden die Zutaten aufs schönste hergerichtet, die dann von einer Nabe-Vorsteherin, zu der jedes Mal wieder dieselbe Freundin gewählt wird, mit langen Stäbchen in die Brühe getaucht, gegart und verteilt werden. In kleinen Häppchen isst man sehr, sehr lange. Auf Japanisch heißt das »nabe o kakomu«, um den Topf herumsitzen – eine erprobte Praxis nicht nur, um Freundschaften zu feiern und zu festigen, sondern auch, um Streit beizulegen: Lass uns doch mal ein bisschen um den Topf rumsitzen. Das beste Rezept überhaupt, wie ich finde. Die Gespräche entwickeln sich wie das Essen, erst schnell und aufgeregt, dann immer langsamer und friedlich, am Ende, wenn die Nudeln in die Brühe kommen, nur noch wohlig seufzend, sehr satt und rundherum warm. Die Zentralheizung hab ich vorsichtshalber vorher heruntergedreht.