1.4Traum und Wirklichkeit
Dieser Abschnitt nimmt zu einigen oft gehörten Behauptungen und Vorurteilen zu Linux Stellung. Mein Ziel ist es, Ihnen ein abgerundetes Bild von Linux zu präsentieren, ohne die Übertreibungen vieler begeisterter Linux-Fans, aber auch ohne die Schwarzmalerei der Linux-Gegner, die Linux oft nur deswegen schlechtmachen, weil sie ihre eigenen Software-Geschäfte in Gefahr sehen.
Es lässt sich nicht allgemeingültig sagen, ob Windows oder Linux schneller bzw. effizienter läuft. Wenn einzelne Programme unter Linux oder unter Windows schneller ausgeführt werden, hat das zumeist damit zu tun, für welches Betriebssystem das Programm optimiert wurde, welche Linux- und Windows-Versionen miteinander verglichen werden, welche Hardware für den Vergleich verwendet wurde etc.
Nach wie vor gibt es Linux-Distributionen, die auf einem uralten PC mit einigen MByte RAM laufen – freilich nur im Textmodus und nicht mit dem Funktionsreichtum aktueller Betriebssysteme. Wenn Sie unter Linux eine moderne grafische Benutzeroberfläche nutzen möchten, sind die Hardware-Anforderungen aber ähnlich wie unter Windows.
Alle gängigen Betriebssysteme leiden an Sicherheitsproblemen. Linux schneidet in den meisten Vergleichen relativ gut ab. Dennoch gibt es selbst in jahrzehntealten Netzwerkprogrammen immer wieder neue Sicherheitslücken. Letztlich hängt es vom Einsatzzweck ab, wie sicher Linux ist:
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In Desktop-Anwendungen ist Linux im Gegensatz zu Windows fast vollständig virensicher. Es hat bis jetzt keinen einzigen nennenswerten Virenbefall unter Linux gegeben. Gewöhnliche Benutzer können unter Linux kaum größere Schäden am System anrichten. Das liegt unter anderem daran, dass es unter Linux seit jeher unüblich war, gewöhnliche Programme mit Systemadministratorrechten auszuführen.
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Bei der Anwendung von Linux als Netzwerk- oder Internet-Server hängt die Sicherheit sehr stark von der Wartung des Systems ab. Beinahe zu allen Sicherheitsproblemen der vergangenen Jahre gab es bereits Updates, bevor diese Sicherheitsrisiken allgemein bekannt und von Hackern ausgenutzt wurden. Regelmäßige Updates sind also unverzichtbar!
Als Linux in den 90er-Jahren populär wurde, begann Microsoft Windows 95 gerade seinen Siegeszug. Die Aussage, dass Linux viel stabiler als Windows sei, war damals leicht zu untermauern. Mittlerweile hat Microsoft durchaus respektable und stabile Windows-Versionen zustande gebracht. In jedem Fall erfordern Aussagen zur Stabilität von Linux jetzt eine Differenzierung:
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Der Kernel an sich ist außerordentlich stabil. Ich arbeite nun schon seit vielen Jahren mit Linux, aber einen richtigen Absturz des gesamten Betriebssystems habe ich nur sehr selten erlebt; wenn doch, war meist defekte oder falsch konfigurierte Hardware schuld.
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Wenn Sie mit Linux aber das Gesamtsystem der mitgelieferten Software meinen (also eine ganze Distribution, inklusive Grafiksystem, KDE oder Gnome etc.), dann sieht es mit der Stabilität erheblich schlechter aus. Programme wie Firefox oder LibreOffice sind auch unter Linux nicht vor Abstürzen sicher.
Als wie stabil Sie Linux empfinden, hängt davon ab, wie Sie Linux einsetzen: Die besten Erfahrungen werden Sie machen, wenn Sie Linux primär als Netzwerk-Server, als Workstation für eher wissenschaftlich orientierte Arbeiten oder zum Programmieren einsetzen. Je stärker Sie sich aber anwendungsorientierten Programmen zuwenden und Linux als Desktop-System einsetzen, desto eher werden Sie auch die negativen Seiten kennenlernen.
Wenn man einen PC kauft, ist Windows meist schon vorinstalliert. Insofern stellt es natürlich einen Mehraufwand dar, Linux zusätzlich zu installieren. Wie Sie im nächsten Kapitel feststellen werden, ist eine Linux-Installation aber mittlerweile unkompliziert – und sicher nicht schwieriger als eine Windows-Installation. Aber wer installiert Windows schon selbst?
Problematisch ist lediglich die Unterstützung neuer Hardware, die unter Windows besser ist: Jeder Hersteller von Computer-Komponenten stellt selbstverständlich einen Windows-Treiber zur Verfügung. Vergleichbare Treiber für Linux müssen dagegen oft von der Open-Source-Gemeinschaft programmiert werden. Das dauert natürlich eine gewisse Zeit.
Dieses Vorurteil ist alt, aber nicht mehr bzw. nur noch in einem sehr geringen Maß zutreffend. Linux ist anders zu bedienen als Windows, so wie auch Apples OS X anders zu bedienen ist. Wirklich schwieriger ist die Handhabung von Linux zumeist nicht, lediglich die Umgewöhnung von Windows kann manchmal mühsam sein.
Viele Programme, wie Microsoft Office, Adobe Photoshop etc., stehen momentan nur für die Betriebssysteme Windows und Mac OS X zur Verfügung. Es gibt aber einige Auswege aus diesem Software-Dilemma:
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Für viele Anwendungen stehen unter Linux vergleichbare Programme zur Verfügung – beispielsweise OpenOffice/LibreOffice oder das Bildverarbeitungsprogramm GIMP.
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Manche Windows-Programme können mit der kostenlosen Laufzeitumgebung Wine (Wine is not an emulator) unter Linux ausgeführt werden. Wine bietet allerdings wenig Komfort und ist nur für fortgeschrittene Linux-Anwender geeignet.
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Einen höheren Grad an Kompatibilität bietet das kommerzielle Programm CrossOver, das auf Wine basiert. CrossOver erleichtert die Installation und Ausführung der meisten Microsoft-Office-Komponenten sowie einiger anderer Programme.
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Die Programme VMware, VirtualBox sowie diverse andere Virtualisierungslösungen gehen noch einen Schritt weiter: Sie emulieren gleich einen ganzen Rechner. Sie können darin eine Windows-Installation durchführen und Windows dann in einem Fenster ausführen. Das funktioniert hervorragend, ist aber teuer: Sie brauchen eine Lizenz für Windows; dazu kommen bei kommerziellen Virtualisierungsprogrammen noch deren Kosten.