KAPITEL 32

Am weiten blauen Himmel ist nicht eine Wolke zu sehen.

Am Horizont taucht ein weißer Fleck auf, er glitzert in der Hitze. Er wird größer, je näher er kommt; weiße, dreieckige Segel blähten sich und klatschen im Wind.

Eine Frau in Bikini und Baseballkappe steht mit salzverkrustetem Haar hinten auf dem Boot und steuert es durchs Gewässer. Auf dem Vorderdeck lehnt ein von der gleißenden Sonne gebräunter Mann in Khaki-Shorts an der Reling und beobachtet das Wasser.

»Hier«, sagt er. »Perfekt.«

Innerhalb von Minuten ankert das Boot, und die Segel sind eingeholt. Die beiden sind ein eingespieltes Team, sie arbeiten einvernehmlich, und jede Bewegung ist präzise und sitzt. Jetzt ruhen sie sich an Deck aus, wo sie ein großes weißes Handtuch ausgebreitet haben. Die einzigen Geräusche kommen von den Wellen, die sich am Bootsrumpf brechen.

Die langen schwarzen Haare der Frau liegen ausgebreitet da wie die Flügel eines Raben. Lächelnd sieht sie zu ihrem Mann hoch, und zwei Grübchen erscheinen auf ihren Wangen. Er beugt sich hinunter, küsst sie und spürt dabei die Hitze der Sonne im Rücken. Vorhin haben sie Fruchtcocktails getrunken, und sie schmeckt nach Minze und braunem Zucker.

»Alles Gute zum Geburtstag, Joe«, sagt sie. Sie dreht sich um, greift nach einer Tasche, die unter einem Liegestuhl versteckt war, und reicht sie ihm grinsend.

Neugierig steckt er die Hand hinein und zieht ein Buch heraus. Ein altes Taschenbuch mit Eselsohren und zerfleddertem Einband. Er lacht, als er den Titel sieht.

»Ich kann nicht fassen, dass du dich daran noch erinnert hast«, sagt er.

»Du hast es doch nicht gelesen, während du ...« Sie beendet den Satz nicht, weil sie das Jahr ihrer Trennung nicht erwähnen möchte.

»Nein«, sagt er und neigt den Kopf, um ihr noch einen sanften Kuss auf die Lippen zu hauchen. »Aber wir sind hier doch mitten im Nirgendwo. Wo zum Teufel hast du das aufgetrieben?« Sie sind meilenweit vom nächsten Buchladen entfernt.

»Das alte Haus, in dem wir letzten Monat waren. Da hatten sie ein Regal voller Bücher zum Mitnehmen.«

Er legt sich wieder hin, schlägt das Buch auf und liest die ersten, vertrauten Seiten. Er hat sich seit fast zwei Jahren gefragt, was wohl aus den Charakteren wird. Plötzlich wird ihm bewusst, was für ein Glück er hat, eine zweite Chance zu bekommen, das Buch zu lesen und es diesmal auch zu beenden. Wie oft können Menschen schon umkehren und nachholen, was sie verloren haben? Er legt das Buch auf die Brust und schließt einen Moment lang die Augen.

Ihr entgeht das nicht. Ihr entgeht nie etwas. Sie streichelt ihm übers Haar, während sich hinter ihm die tief stehende Sonne in jeder Welle bricht, wie in Tausenden von winzigen Spiegeln.

Er dreht sich zu ihr um und legt den Kopf an ihre Schulter. Sie legt den Arm um ihn, und er streicht über ihren leicht gewölbten Bauch. Die Haut dort ist straff und beginnt sich zu dehnen. Seine andere Hand ergreift ihre, beider Finger schieben sich ineinander. Lange Zeit liegen sie so da, bis die Sonne anfängt unterzutauchen und der Indische Ozean sich tiefblau färbt.