I ch höre eine Frauenstimme vor meiner Tür, gefolgt von einer Männerstimme, von der ich annehme, dass sie dem Soldaten gehört. Sie sprechen Italienisch, und einen Moment später dreht sich das Schloss und die Tür öffnet sich. Ich sitze in der Mitte des Bettes und beobachte.
Nachdem Amadeo gegangen war, zog ich mich an und nahm meinen Platz wieder ein. Das Buch, das er hiergelassen hat, habe ich nicht angeschaut. Wann immer ich es aus den Augenwinkeln sehe, wird mir ein bisschen mulmig, um ehrlich zu sein. Was steht da drin? Was werde ich erfahren, das ich nicht wissen will? Es könnten Lügen sein, seine Lügen. Aber er schien so überzeugt. So sicher.
Die Frau nickt mir zu. Sie ist die von unten, die der anderen hinterhergelaufen ist. Der Soldat schaut mich gelangweilt von seinem Platz an der Tür aus an.
Ich verfolge sie mit den Augen, als sie ein Tablett mit köstlich duftendem Essen zum Tisch trägt, das in Leder gebundene Buch zur Seite schiebt und das Tablett abstellt. Sie wirft mir einen kurzen Blick zu, dann eilt sie hinaus und die Tür wird wieder geschlossen und verriegelt.
Mein Magen knurrt, als ich aufstehe. Ich tappe barfuß über den Teppichboden zum Tisch. Auf dem Tablett befinden sich Gabel und Löffel, aber kein Messer, ein großes Glas Wasser, ein kleiner Salat, Knoblauchbrot und unter einem Deckel, um das Essen warm zu halten, eine riesige Schüssel Spaghetti, die nach der köstlichsten Tomatensoße riecht, die ich je gegessen habe. Das könnte aber auch daran liegen, dass ich seit ich weiß nicht wie lange nichts mehr gegessen habe. Vielleicht seit gestern. Ich kann mich nicht daran erinnern, ob ich heute Morgen gefrühstückt habe. Ich ziehe den Stuhl hervor, nehme die Gabel und drehe die Nudeln. Sie sind noch heiß und voller Aromen. Ich esse schnell und verschlinge die Spaghetti, gefolgt von dem Salat und dem gerösteten Knoblauchbrot.
Als ich fertig bin, lehne ich mich zurück, lege eine Hand auf meinen Bauch und schaue aus dem Fenster in die schöne Nacht. Hier drinnen ist es ruhig. Ich wette, da draußen ist es auch ruhig. In New York bewohnen wir ein Hochhaus in der Stadt, und obwohl es in unserem Penthouse ruhig ist, ist es eine andere Art von Stille. Und der Himmel über der Stadt hat nicht einmal ein Achtel der Sterne, die hier wie Diamanten auf schwarzem Samt funkeln. Wenn ich zum Horizont schaue, kann ich nicht erkennen, wo der Ozean aufhört und der Himmel beginnt, aber ich sehe die Lichter von fernen Schiffen und Jachten, nur ein paar wenige auf dem weiten Meer. Es ist wunderschön, wenn auch ein bisschen einsam.
Ich lege den Deckel wieder auf den Teller und reibe mir die Augen. Obwohl ich müde bin und schlafen möchte, muss ich zuerst duschen. Ich muss den Tag von mir schrubben. Ich wusste, dass der heutige Tag nicht schön werden würde. Ich wusste, dass ich ein Risiko einging, als ich nach Neapel kam. Und vielleicht war es naiv von mir, aber ich hätte nie erwartet, dass das passieren würde, was passiert ist. Ich hatte Wachleute bei mir, und was sollte jemand von mir wollen? Ich könnte es bei meinem Bruder verstehen. Aber mit dieser Seite der Familienangelegenheiten habe ich nichts zu tun. Hat mein Vater diese Familie in Schwierigkeiten gebracht? Etwas so Schreckliches getan, dass sie das getan haben?
Löwenzahn auf einer Wiese verschleiert meine Sicht.
Als ich aufstehe, schiebe ich all diese Gedanken beiseite. Ich muss mich auf das konzentrieren, was jetzt wichtig ist, und das ist, von hier weg und zurück zu Emma zu kommen. Und bis ich zurückkomme, muss ich einen Weg finden, mit ihr Kontakt aufzunehmen, um sicherzustellen, dass es ihr gut geht und um ihr zu sagen, dass es mir auch gut geht. Denn eines weiß ich ganz sicher: Lucien wird sich nicht um sie kümmern. Wenigstens hat sie Hyacinth, das Kindermädchen, bei sich. Sie wollte auch nachts bei ihr bleiben, solange ich weg bin, aber wer weiß schon, wie lange ich hier bleibe oder ob ich überhaupt zurückkomme. Was dann?
Aber darüber darf ich nicht nachdenken. Ich muss meine ganze Energie darauf konzentrieren, hier rauszukommen.
Ich gehe ins Bad, schließe die Tür ab und ziehe mich aus, um zu duschen. Da ich weder Shampoo noch Spülung finde, benutze ich das Stück Seife, um meine Haare und meinen Körper zu schrubben, und kämme dann mit den Fingern durch meine Haare, so gut es geht. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir, dass es nicht sehr effektiv ist. Meine Haare sind eine dicke Masse aus verworrenen blonden Wellen um meinen Kopf und rebellisch in den besten Zeiten, von denen wir hier weit entfernt sind. Da ich keine anderen Klamotten habe, ziehe ich meine Unterwäsche und mein Kleid wieder an, denn ich werde ganz sicher nicht nackt schlafen. Ich kehre ins Schlafzimmer zurück und lasse meinen Blick noch einmal auf das ledergebundene Buch fallen, bevor ich ins Bett steige. Ich schlafe beinahe in dem Moment ein, in dem mein Kopf das harte, unbequeme Kissen berührt.
* * *
Der folgende Morgen und Nachmittag verlaufen ereignislos. Dieselbe Frau bringt mir etwas zu essen und nimmt das alte Tablett sowohl vom Frühstück als auch vom Mittagessen mit. Der Soldat an der Tür bleibt wachsam, und sie spricht kein Wort mit mir. Sie sieht mich kaum an. Ich weiß nicht, was ich erwarte, aber Amadeo taucht den ganzen Tag nicht auf. Ich weiß nicht einmal, was ich will. Ich habe Angst, dass er zurückkommt, aber andererseits brauche ich ihn. Er ist mein Weg nach draußen. Das weiß ich genau.
Ich frage mich, ob er in dem Hubschrauber saß, den ich am späten Nachmittag abheben sah. Das ist wohl der schnellste Weg, um von so einem abgelegenen Ort wegzukommen.
Als ich an diesem Abend einige Stunden nach dem Abendessen Männerstimmen vor meiner Tür höre, werde ich aufmerksam und sehe zu, wie sich die Tür öffnet. Aber es ist nicht Amadeo, der eintritt. Es ist der andere. Sein Bruder, da bin ich mir ziemlich sicher. Sie sehen sich unglaublich ähnlich, aber dieser hier hat seltsam bernsteinfarbene Augen, während Amadeos Augen stahlgrau sind. Er ist auch jünger. Umgeben wird er von der gleichen Dunkelheit, die ich bei Amadeo spüre, aber er hat auch etwas Rücksichtsloses an sich. Er ist genauso gefährlich wie Amadeo, aber wilder. Ungezügelt und unberechenbar.
Der Mann tritt ein und schließt die Tür. Er sieht sich im Raum um und sein Blick bleibt kurz auf dem verdammten Buch hängen, bevor er sich mir zuwendet.
„Hast du es schon gelesen?“, fragt er.
„Was?“, frage ich, obwohl ich es weiß.
Er deutet auf das Buch. „Deine Familiengeschichte. Hast du sie schon gelesen?“ Er spricht deutlich, als wäre ich geistig minderbemittelt.
Ich antworte ihm nicht, aber ich halte seinen Blick. Ich habe bereits beschlossen, dass ich mich nicht noch einmal für jemanden ausziehen werde. Wenn sie das wollen, werden sie mich dazu zwingen müssen. Dann wird sich herausstellen, zu welcher Sorte von Männern sie gehören.
„Steh auf“, sagt er.
„Nein.“
„Steh. Auf.“
Diesmal nimmt er den Schreibtischstuhl, zieht ihn ein Stück heraus und knallt ihn so heftig zurück auf den Boden, dass ich zusammenzucke.
„Warum? Willst du auch mal schauen? Wie dein Bruder?“
Er grinst und berührt mit dem Daumen seinen Mundwinkel, so wie es Männer tun, wenn sie einen beurteilen wollen. Er macht einen raubtierhaften Schritt auf das Bett zu, und ich ertappe mich dabei, wie ich mich zurücklehne.
„Ich dachte, mein Bruder hätte klargestellt, dass du Befehle befolgst. Du stellst sie nicht infrage.“
„Bist du der kleine Bruder?“, frage ich und sehe, wie sich seine Augen fast unmerklich verengen. Das ist ein wunder Punkt.
„Bist du schwerhörig? Ich sagte, du sollst aufstehen.“
„Du befolgst also die Befehle deines großen Bruders?“, frage ich und stehe jetzt auf, denn ich muss bereit sein. Ich weiß, dass ich mich auf dünnem Eis bewege. „Soweit ich das mitbekommen habe, ist Amadeo der Mann, der das Sagen hat. Er hat nicht erwähnt, dass ich Befehle von seinem kleinen Bruder annehmen muss.“
Er grinst, und ich weiß, dass ich zu weit gegangen bin. „Weißt du was? Wenn es nach mir ginge, hätte ich dich zusammen mit deinem Vater ins Grab geworfen.“
Ich schlucke schwer und zweifle nicht einen Moment daran, dass er genau das getan hätte.
„Aber ich glaube langsam, dass Amadeo recht damit hatte, dich zu behalten. Mit dir werden wir noch viel Spaß haben, nicht wahr?“, fragt er und sein Grinsen verschwindet hinter einem Vorhang aus Dunkelheit. „Das oder du bist einfach nur dumm. Ich würde auf Letzteres tippen.“
„Du bist ein genauso großes Arschloch wie dein Bruder, weißt du das?“
„Ohne Zweifel. Lass mich dir etwas klarmachen“, sagt er leise und bedrohlich, und im nächsten Moment packt er meinen Arm, als wäre er ein verdammter Schraubstock, und zieht mich an seine Brust. Er ist genauso groß und stark wie Amadeo, und ich weiß, dass es ein Fehler war, ihn zu provozieren. Er wird mich dafür bezahlen lassen.
Ich drücke meine Hände flach auf seine Brust, aber er lässt sich nicht wegschieben. Er überragt mich wie sein Bruder, also bringt er mich auf die Zehenspitzen, sodass wir uns Nase an Nase befinden. Er ist so nah, dass ich die Stoppeln seines Bartschattens an seinem stahlharten Kiefer sehen kann.
Er versucht, mir in die Augen zu sehen, aber ich konzentriere mich auf die Narbe auf seiner Wange. Die passende Narbe zu der seines Bruders.
„Wenn ich sage aufstehen, stehst du auf. Wenn ich sage, sitz, dann setzt du dich. Wenn ich sage, auf die Knie, dann kniest du. Verstehst du mich?“
Ich schubse und versuche, mich zu befreien. „Lass mich los, du Mistkerl.“
Er schüttelt mich. „Verstehst du mich, verdammt noch mal?“, fragt er mit tiefer, harter Stimme.
„Ja!“
„Probieren wir es aus“, sagt er und lässt mich so abrupt los, dass ich mit dem Hintern auf dem Bett lande. Er sieht mich an. „Auf die Knie, Löwenzahnmädchen.“
Ich schlucke schwer. Ich bin mir nicht sicher, ob es der Befehl ist, die Demütigung, die er mit sich bringt, oder die Anspielung auf das Mädchen mit dem Löwenzahn. Eine Erinnerung blitzt so lebhaft auf, dass sie mich durcheinanderbringt. Zwei Jungen in einem Raum. Einer ist nur ein paar Jahre älter als ich.
Ich weiß, dass er es ist. Er ist dieser Junge. Der jüngere der beiden. Als mein Blick auf seine Narbe fällt, wird mein Blut zu Eis.
„Ich sagte, du sollst dich hinknien.“
Ich rutsche auf die Knie, der Teppich rau auf meiner nackten Haut. Ich schaue zu ihm auf. Er war dort in dem kleinen Haus. Wir waren alle dort in dem Haus.
„Schon besser.“ Er tritt einen Schritt zurück, um mir den Weg zum Schreibtisch freizumachen, und ich weiß, was jetzt kommt. „Krieche.“
Ich bewege mich nicht. Ich kann es nicht. Alles, was ich sehen kann, ist das Buch auf dem Schreibtisch. Und dieser Raum in dem kleinen Haus. Ihre Gesichter, als mein Vater mich hinaustrug, als mir einer der Löwenzähne aus der Hand fiel und auf dem Linoleumboden landete.
Er geht in die Hocke und nimmt eine Handvoll Haare, um meinen Kopf nach hinten zu ziehen.
Ich stöhne auf und meine Augen tränen, als ich seinem bernsteinfarbenen Blick begegne.
„Wenn du möchtest, kann ich dich auch nackt ausziehen und mit meinem Gürtel quer durch den Raum peitschen, wenn du nicht anfängst zu kriechen, Löwenzahnmädchen. Ich bin nur freundlich. Nutze diese Freundlichkeit nicht aus.“
Er lässt mich los, richtet sich auf und legt eine Hand auf die Schnalle seines Gürtels.
„Kriech“, befiehlt er und zieht den Gürtel aus der ersten Schlaufe.
Ich zögere nicht, denn ich habe keinen Zweifel daran, dass er genau das tun wird, was er angedroht hat, also krieche ich durch den Raum und spüre ihn direkt hinter mir.
„Sitz“, sagt er, als würde er einem Hund einen Befehl geben. Ich schaue auf und sehe seinen harten Kiefer, seine Hand auf der Stuhllehne.
Ich setze mich in den Stuhl und umklammere die Kanten des unbequemen Holzsitzes.
Als er sich über mich beugt, nehme ich den schwachen Geruch von Aftershave wahr. Anders als das seines Bruders. Ich beobachte, wie er das Buch aufschlägt. Auf dieser Seite ist eine Todesanzeige.
Hannah Del Campo. 14 Jahre alt. Neben ihrem Namen befindet sich ein Foto eines lächelnden, dunkelhaarigen Mädchens.
Sie hinterlässt ihren Vater, Roland Del Campo, ihre Mutter Nora Del Campo und ihre Brüder Amadeo, 15 Jahre, und Bastian, 10 Jahre.
Ich schaue zu ihm hoch. Das ist Bastian. Aber seine Augen sind auf das Foto gerichtet und was ich in seinem Gesicht sehe, ist Schmerz. So stark, dass ich ihn kaum ansehen kann. Ich wende meinen Blick wieder dem Buch zu und bemerke nur ein paar Worte, die ich nicht verstehe. Namenloses Kind, das separat begraben werden soll. Er blättert die Seite um und ich schlinge die Arme um mich, als ich ein Foto von einer ganz anderen Szene sehe. Mein Vater und mein Bruder von vor etwa fünfzehn Jahren. Mein Bruder muss ungefähr achtzehn sein. Die Haare meines Vaters sind noch nicht ergraut und neben ihm steht meine schöne Mutter, jung und lebendig, aber nicht ganz so lächelnd wie auf dem Foto, das ich neben meinem Bett habe.
Sie sind bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Laut der Überschrift spendet mein Vater eine beträchtliche Summe für die Kinderkrebsforschung.
„Sie waren in der Nacht, in der wir unsere Schwester beerdigt haben, auf dieser Party. Sie wuschen sich die Hände und machten weiter, als wäre nichts passiert. Als wären keine Leben zerstört worden.“ Sein Blick trifft meinen. „Aber ich vermute, für sie war nichts passiert.“
Er blättert erneut um, und da ist ein Foto von mir bei einer Ballettaufführung. Ich erinnere mich an diesen Abend. Wie stolz ich in meinem rosa Leibchen und dem magentafarbenen Rüschen-Tutu war.
„Du hattest alles, nicht wahr?“ Er blättert zu schnell durch mehrere Seiten, als dass ich mehr als ein Foto oder eine Überschrift erkennen könnte.
Am Rand meines Blickfelds sehe ich das kleine Glasgefäß mit den Pusteblumen, die darin stehen. Sie hängen über den Rand herunter.
Er klappt das Buch zu, bleibt aber stehen, wo er ist.
„Fickt dein Bruder immer noch gerne kleine Mädchen?“
Mein Blick springt zu ihm und ich will ihn fragen, wovon er redet, aber er fährt fort.
„Wie viele andere hat Daddy bestochen, damit sie schweigen? Wie viele Knie hat er gebrochen?“
„Mein Vater …“ Ich schüttle den Kopf. „Das würde er nicht tun.“
Er legt den Kopf schief, seine Augen werden schmal, und plötzlich sieht er aus wie sein Bruder. Die Gefühle, der intensive Schmerz von vorhin sind verschwunden. Jetzt ist er einfach nur furchterregend. Er schmunzelt. „Nein, du hast recht. Er würde sich nicht die Hände schmutzig machen.“
„So war er nicht.“ Ich stehe auf. „Er ist tot. Ihr habt seine Leiche geschändet. Dazu hattet ihr kein Recht –“
„Und das aus deinem Mund“, sagt er. „Zurück auf die Knie, Löwenzahnmädchen.“
Mein Herz klopft, aber ich ignoriere die Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, dass ich tun soll, was er sagt, und bleibe stehen. Ich weiß, dass es gefährlich ist, aber ich war noch nie gut darin, Befehle zu befolgen.
„Nein.“
Ein Mundwinkel hebt sich, als er ausatmet, dann schüttelt er den Kopf und im nächsten Moment ist seine Hand in meinen Haaren. Meine schlingt sich um seinen Unterarm, als er mich nach unten drückt und mit mir in die Hocke geht, während meine Knie den Boden berühren. Vielleicht hätte ich meinen Dolch für jetzt aufheben sollen. Für diesen Bruder.
„Ich erinnere mich an dich. Zur Hölle, ich kann immer noch diese verfluchte Melodie hören, die du gesungen hast. Keine Sorge auf der verdammten Welt“, sagt er.
„Du machst einen Fehler. Ich kenne dich nicht und du kennst mich nicht. Was auch immer mit deiner Schwester passiert ist, es tut mir leid, aber es hat nichts mit mir oder meiner Familie zu tun.“
„Aber du bist jetzt hier. Du gehörst uns“, sagt er, als hätte er mich gar nicht gehört. Er kommt mit seinem Gesicht näher und atmet ein, wie es ein Raubtier mit seiner Beute macht. Er ist so nah, dass ich seinen Atem an meinem Ohr und in meinem Nacken spüre, als er spricht. „Wir werden dich bestrafen. Um es auszugleichen.“
Seine Hand zerrt fester an meinen Haaren und eine Träne löst sich aus meinem Augenwinkel.
„Wenn ich sage, du sollst dich hinknien, was tust du dann, Löwenzahnmädchen?“ Er zieht meinen Kopf schmerzhaft nach hinten und ich gebe unfreiwillig einen Laut von mir, als weitere Tränen kommen. Ich schwöre, er wird mir das Genick brechen.
„Was. Tust. Du. Dann?“, fragt er erneut.
„Ich knie nieder.“
Er lässt mich los und richtet sich auf. Ich falle nach vorne, auf meine Hände und sehe den Schmutz an seinen Schuhen. Ist der vom Friedhof, frage ich mich. Oh Gott. Ist das alles erst gestern passiert?
„Braves Mädchen“, sagt er arrogant. „Es wird in deinem besten Interesse sein, dir das zu merken.“ Er sieht sich im Raum um. „Ich glaube, mein Bruder hatte recht damit, dich zu behalten.“
Das Grinsen in seinem Gesicht gefällt mir nicht.
Er geht zur Tür und ich sehe ihm nach. „Lies noch ein bisschen. Es könnte einen Test geben, den du nicht versauen willst.“