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VITTORIA

E r wird uns gehen lassen. An diesen Gedanken muss ich mich klammern. Es ist nur ein winziger Fetzen, aber ich halte mich daran fest. Der Anblick von Emmas Gesicht neben Bastians Gesicht war alarmierend. Er hat sie genau in dem Moment erwischt, in dem sie ihre sorgenvollen Augen zur Kamera wendet, vor Erstaunen und Angst weit aufgerissen. Das lässt die Augenringe, für die sie noch zu jung ist, noch dunkler erscheinen.

Ich stehe direkt hinter der Türschwelle von Amadeos Schlafzimmer im Haus in Ravello. Nach der Zeremonie und der Unterschrift, mit der ich mein Leben aufgab, kam ein Hubschrauber, um Amadeo und mich hierher zu bringen. Er wies den Gorilla an, mich in sein Schlafzimmer zu bringen und verschwand in einen anderen Teil des Hauses, um sich um einen Anruf zu kümmern.

Emma ist auf dem Weg. Das ist es, worauf ich mich konzentrieren muss. Sie ist gerade mit Hyacinth in einem Flugzeug. Sie haben sie da rausgeholt, ohne jemanden zu verletzen. Obwohl Amadeo vage war, was diesen Teil anging.

Ich bin so dankbar, dass Hyacinth bei ihr ist. Zumindest kann sie sie beruhigen. Obwohl die arme Frau selbst große Angst haben muss. Mein Vater hat sie nach Moms Tod als Nanny für Emma eingestellt. Sie ist Anfang fünfzig und für Emma wie eine junge Großmutter.

Ich schaue mich um und gehe dann ins Bad, um mir das Gesicht zu waschen. Sein Zimmer ist luxuriös. Die Master Suite ist größer und opulenter, als ich es je gesehen habe. Das Schlafzimmer ist geschmackvoll mit antiken Möbeln und modernem Luxus eingerichtet und hat einen unglaublichen Ausblick auf den Horizont, der nur von der magentafarbenen Bougainvillea gestört wird, die sich am Geländer des Balkons festklammert.

Das Badezimmer ist ganz aus Marmor und Glas und doppelt so groß wie das in unserem Penthouse. Ich spritze mir Wasser ins Gesicht und tupfe es trocken, während ich mich betrachte, am Tag meiner Hochzeit. Mit den ungekämmten Haaren, den ungebändigten und wilden Wellen auf meinem Rücken, den Schatten unter meinen Augen und der blassen Haut, die ich von Natur aus habe, bin ich keine schöne Braut. Seit dem Tod meines Vaters habe ich ein paar Pfunde abgenommen. Und das sieht man meinem Gesicht an.

Aber das macht nichts. Emma wird in ein paar Stunden bei mir sein.

Ich höre, wie sich die Schlafzimmertür öffnet und Amadeos Stimme, als er den Gorilla von der Aufgabe befreit, mich zu bewachen. Als die Schlafzimmertür zufällt, öffne ich die Tür zum Badezimmer und trete in den Türrahmen. Ich blicke meinen Mann an.

Er trägt eine Hose und ein Hemd, dessen oberste Knöpfe geöffnet und dessen Ärmel bis zu den Unterarmen hochgekrempelt sind. Ich sehe das Tattoo. Pusteblumen. Dieses kleine Detail hat er sich über all die Jahre gemerkt. Ein Detail, das ihm wichtig genug war, um es auf seine Haut zu tätowieren. Ich wurde zu ihrem Ziel, als ich erst fünf Jahre alt war. Sie hatten immer vor, mich zu schnappen, mich zu benutzen, um meine Familie bezahlen zu lassen. Er beendet das, was auch immer er auf seinem Handy macht, und steckt es in seine Tasche. Mein Herz schlägt schneller, als seine Augen meine treffen.

„Wie lange dauert es, bis sie hier sind?“, frage ich, um zu verdrängen, was diese Nacht ist. Was passieren muss.

„Nicht mehr lange.“

„Du hast gesagt, ich könnte mit ihr FaceTime machen.“

„Sie schläft schon.“ Er holt sein Handy heraus, kommt auf mich zu und zeigt mir das Display. Ich lese die Nachrichten zwischen ihm und seinem Bruder. Amadeo fragt, wie es läuft. Bastian sagt, dass es ihr gut geht, dass sie ruhig ist, was ich erwartet habe, und dass Emma endlich eingeschlafen ist.

Ich bin enttäuscht, aber ich muss es akzeptieren. Es sind ja nur noch ein paar Stunden.

„Werden sie hierher kommen? Oder fahren wir zum Haus in Neapel?“

„Hierher.“

Ich nicke und denke an das Versprechen, das er mir in der Kirche gegeben hat. Es überraschte mich, dass er es überhaupt gegeben hat. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Aber dann erklingt sein Schwur in meinen Ohren. Bis dass der Tod uns scheidet. Mein Tod? Es wäre leicht für ihn gewesen, mich darüber zu belügen, dass er Emma und mich gehen lässt, damit ich die Papiere unterschreibe. Er hätte mich zur Unterschrift zwingen können. Da ich die Dokumente unterschrieben habe, braucht er mich nur am Leben zu lassen, bis ich einundzwanzig bin. Nur noch ein paar Tage. Er wird ein Lebenszeichen vorweisen müssen, aber danach ist es egal. Es ist ja nicht so, als würde sich danach jemand gegen ihn stellen, um mir zu helfen.

Aber ich muss glauben, dass er sein Wort halten wird. Ich habe keine andere Wahl. Das ist der einzige Weg, um bei Verstand zu bleiben.

Er geht auf den Tisch an einem der Fenster zu, auf dem eine Flasche Champagner in einem silbernen Flaschenkühler mit Eis steht, daneben eine halb volle Flasche Whiskey. Der Champagner wurde erst hergebracht. Er lässt den Korken knallen und ich sehe zu, wie die Flüssigkeit über den Rand sprudelt, während er zwei Gläser einschenkt. Denkt er wirklich, dass wir das tun? Das feiern?

Er kommt mit beiden Gläsern auf mich zu und hält mir eines hin.

„Auf meine wunderschöne Braut.“ Ist das Spott in seiner Stimme? Alles, was ich vorhin in seinen Augen gesehen habe, ist verschwunden. Ich sehe zu, wie er sein Glas leert.

Ich schnaube. „Du meinst deine unfreiwillige Braut.“ Wir sind wieder auf unseren ursprünglichen Seiten des Boxrings gelandet. Ich frage mich, ob er das tun muss, um weitermachen zu können. Ob er mich als Feindin sehen muss, als Feind und Spielfigur, um das zu tun, was er tun wird. Was passieren muss.

„Du bist wunderschön“, sagt er, während er mich genau ansieht. Ich spüre, wie ich erröte. Er sieht es wohl auch, denn er lächelt. „Trink.“

„Nein, danke. Ich bin müde.“

„Jetzt schon“, sagt er. „Das verheißt nichts Gutes für eine lange Ehe, wenn man bedenkt, dass es unsere Hochzeitsnacht ist.“ Ich beobachte, wie er den Inhalt des zweiten Glases leert, bevor er beide Gläser beiseitestellt und mich von oben bis unten mustert, wobei ein Mundwinkel zuckt. „Zieh dich aus.“

„Déjà-vu.“

Er tritt auf mich zu, mit einem belustigten Blick in den Augen. „Nein. Das letzte Mal war, um dich zu durchsuchen. Heute ist es, um dich zu ficken.“ Bei seinen unverblümten Worten durchströmt mich Hitze. Eigentlich sollte ich empört sein, aber als er das Haar von meinen Schultern hebt, es fast zärtlich zwischen seinen Fingern hindurchgleiten lässt und dann wieder zurücklegt, fühle ich mich nicht beleidigt. Meine Lippen sehnen sich nach seinem harten Kuss, und mein Körper erinnert sich an die Berührung seiner Hände. An das Versprechen, das zu beenden, was er begonnen hat.

„Wenn du kommen willst, musst du heute Nacht deine Hand benutzen. Ich werde nicht mit dir schlafen.“ Ich sage es mit mehr Nachdruck, als ich spüre, und mache einen Schritt zur Seite, aber er hält meinen Arm fest und zieht mich zurück.

„Du willst es genauso sehr wie ich, Pusteblume. Belüge dich nicht selbst. Belüge dich niemals selbst. Das ist eine weitere Lebenslektion von mir. Gern geschehen.“

„Du bist ein Arschloch, weißt du das?“ Ich versuche, mich zu befreien, aber er lässt nicht los.

Er grinst, aber einen Moment später ist es vorbei mit der Fröhlichkeit. „Unsere Ehe wird vollzogen werden.“

Ich stutze kurz, fange mich aber wieder. Ich kann ihm nicht alles geben. Ich muss einen Teil der Sache kontrollieren. „Ich habe eine bessere Idee. Wie wäre es, wenn wir nicht ficken und sagen einfach, dass wir es getan haben?“

„Du gibst nicht nach. Das mag ich an dir, Pusteblume. Vielleicht mehr als alles andere.“

„Soll ich mich geschmeichelt fühlen?“

„Regeln sind Regeln. Du kannst der Kirche die Schuld geben. Ausziehen.“

„Weißt du was? Ich glaube, ich nehme doch etwas zu trinken. Das hilft vielleicht gegen die Übelkeit.“

Er lässt mich los und geht zum Tisch, um mir erneut ein Glas einzuschenken. „Ich kann mich nicht erinnern, dass dir vorher übel wurde, als ich dich berührt habe.“ Er hält inne und ich denke, er ist fertig, aber er fährt fort. „Oder, als ich dich geküsst habe.“

Sein Tonfall ist bei diesem letzten Teil anders. Der Kuss. Ich bin überrascht, dass er es erwähnt und froh, dass er mit dem Rücken zu mir steht, denn so kann er mein Gesicht nicht sehen. Aber so, wie er sich anhört und wie er vermeidet, mich anzusehen, frage ich mich, ob ihn das genauso getroffen hat wie mich.

Als er das Glas zu mir bringt, bin ich damit an der Reihe, den Blick abzuwenden. Ich schaue zur Tür, obwohl ich weiß, dass sie verschlossen ist, und auch wenn nicht, gehe ich sowieso nirgendwo hin. Er hält mir den Champagner hin, als ich ihn wieder ansehe. Ich nehme ihn, trinke das Glas leer und beginne sofort zu husten, weil die Bläschen zu sehr sprudeln.

Er grinst. „Ganz ruhig, Pusteblume. Wir haben die ganze Nacht Zeit. Es gibt keinen Grund, etwas zu überstürzen.“ Er nimmt das Glas und stellt es beiseite.

„Das war nicht das, was ich gemacht habe.“

Er legt eine große Hand auf meinen Bauch. Ich stehe mit dem Rücken zur Tür und er ist so nah wie möglich bei mir, ohne dass sich unsere Körper berühren. Sein Gesicht wird ernst. „Das muss geschehen. Du kannst dich dagegen wehren und es hart für dich machen, oder du kannst es genießen und es dir leicht machen. So oder so, ich werde dafür sorgen, dass du kommst. Ladys first und so.“

„Wie romantisch du bist. Ich will nicht kommen.“

„Darüber haben wir schon gesprochen. Jeder will kommen.“

„Ich will nicht mit dir kommen.“

„Gibt es jemand anderen? Meinen Bruder vielleicht? Er wird auch an der Reihe sein.“

„Das ist kein Witz“, sage ich erst nach einer langen Pause, in der ich das Letzte, was er gesagt hat, verarbeiten musste.

„Nein, das ist kein Witz, Pusteblume“, sagt er ernst. „Aber es muss passieren, und es wird passieren.“ Er sieht mich an, seine dunklen Augen auf meinem Gesicht. „Ich werde dir nicht wehtun. Du brauchst keine Angst zu haben.“

Ich blinzle bei seinen Worten. Und als ich verstehe, was er meint, muss ich lachen. Es ist ein merkwürdiger, wirrer Laut, der ihn eindeutig verunsichert.

Er erwartet, dass ich noch Jungfrau bin. Soll ich es ihm sagen? Ihn auf die Enttäuschung vorbereiten?

Amadeo sieht mich an, aber ich halte mein Gesicht ausdruckslos. Ich werde ihm nichts verraten. Die Frau, die er in meinen Augen erblickte, als er mich küsste, werde ich ihm nicht geben. Nicht, wenn er das von mir nimmt, was er von mir nehmen will.

Er lenkt seinen Blick auf mein Oberteil und beginnt, es aufzuknöpfen. Ich beobachte seine Finger bei der Arbeit. Bei jeder Berührung versengen sie meine Haut und ich bewege mich nicht, als er das Oberteil auseinanderzieht und meinen BH entblößt.

Ich zwinge mich, meinen Blick zu ihm zu bewegen.

„Sehr schön.“ Er beugt sich zu mir und küsst mich. Es ist ein gestohlener Kuss, der nicht lange genug dauert, als dass ich darauf reagieren müsste. Mich entscheiden muss, ob ich mich gegen ihn wehre oder den Kuss erwidere. Dafür bin ich dankbar.

Seine Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf meinen Körper, meinen BH. Ich beobachte seine großen, schwieligen Hände, wie er die spitzenbesetzten Körbchen unter meine Brüste schiebt und sie freilegt. Die kleinen, runden Hügel recken sich nach vorne, die Brustwarzen sind nach oben gerichtet und fest, als würden sie sich ihm bereits unterwerfen. Er senkt den Kopf und bringt mich zum Keuchen, als er über eine leckt und sie dann in den Mund nimmt und saugt.

Meine Hände legen sich wie von allein auf seine Schultern, und als er an der Brustwarze saugt, spüre ich, wie das Gefühl direkt durch meinen Körper wandert und in meinem Inneren explodiert. Ich kann mir das Stöhnen nicht verkneifen, das tief aus meinem Hals kommt.

Er richtet sich auf und grinst. Siegesgewiss. „Also keine Übelkeit?“

Ich schlucke schwer und versuche, meinen Körper daran zu erinnern, wie er sich bei seiner Berührung fühlen sollte. Aber als er sich das Hemd über den Kopf zieht und es auf das Bett wirft, kann ich nicht verhindern, dass mein Blick über seine Schultern, seine Arme, das Pusteblumen-Tattoo und seine muskulöse, vernarbte Brust wandert. Nur mit Mühe gelingt es mir, meinen Blick wieder zu ihm zu lenken.

„Wirst du mich zwingen?“, frage ich.

„Es muss geschehen.“

„Ich frage dich, ob du mich zwingen wirst.“

Er hält meinen Blick fest, während er mir das Oberteil von den Schultern streift und es auf den Boden gleiten lässt. Der BH kommt als Nächstes. Er wird geöffnet und weggeworfen. Und die ganze Zeit über stehe ich still, als wäre ich gefangen, eingesperrt.

„Pusteblume“, sagt er und schiebt seine Hand in meine Leggings, mein Höschen und mir stockt der Atem, als seine Finger ihr Ziel finden. „Ich werde dich nicht zwingen müssen.“ Meine Beine zittern, als seine Finger ihre Arbeit tun. Ich umschlinge seine Schultern mit den Händen, um mich aufrecht zu halten, als ein Wimmern aus meiner Kehle entwischt. Mit einem Grinsen kneift er meinen Kitzler und bringt mich zum Schreien. Ich bin mir nicht sicher, ob es vor Schmerz oder vor Lust ist. Er zieht seine Hand aus meinen Leggings und drückt seinen Mund an mein Ohr. „Du wirst mich anflehen.“

Ich schlucke schwer, als ich den deutlichen Spott in seiner Stimme höre und schüttle den Kopf, um den Nebel zu vertreiben. Meine Hände verwandeln sich in Krallen in seinen Haaren. Ich halte ihn an mich gedrückt und beiße ihm fest ins Ohrläppchen.

Er murmelt einen Fluch und zieht sich zurück. Eine Hand umschließt meine Kehle mit einem ganz anderen Griff als noch vor einem Moment. Er drückt mich gegen die Tür, während die andere Hand zu seinem Ohr wandert, um die Verletzung zu begutachten. Seine Finger sind blutig.

„Ich werde dich nie um etwas bitten, Amadeo. Niemals.“

„Das war ein Fehler.“ Er verlagert seinen Griff auf meine Handgelenke und dreht meine Arme hinter meinen Rücken, während er mich zum Bett führt.

„Du spielst mit mir. Du verspottest mich. Was erwartest du, dass ich tue? Dass ich mich nicht wehre? Welches kranke Vergnügen bereitet dir das?“, frage ich. Er wirft mich mit dem Gesicht nach unten auf das Bett und reißt mir die Leggings und das Höschen vom Leib. Dann dreht er mich auf den Rücken, kniet sich breitbeinig über mich und hält meine Handgelenke fest, während ich gegen ihn kämpfe, weil ich mich wehren muss.

Ich blicke auf sein Ohr. Es blutet, aber nicht stark. Ich hätte es abreißen sollen.

„Brauchst du es, dass ich dich zwinge? Ist es das?“, fragt er mit leisem, aber wütendem Ton, ohne jegliche Verspieltheit.

„Das würdest du tun, nicht wahr? Um zu bekommen, was du willst.“

„Würdest du dich weniger hassen, wenn ich das täte, Pusteblume?“

„Hör verdammt noch mal auf, mich so zu nennen! Mein Name ist Vittoria.“

„Beantworte meine Frage, Vittoria .“ Er lehnt sich nahe heran, seine Stimme eine Warnung. „Wirst du dich weniger dafür hassen, dass du mich willst, wenn ich dich dazu zwinge?“

Ich kämpfe erneut gegen ihn, denn er hat es erfasst. Er liest mich wie ein Buch. Wenn ich mich unterwerfe, werde ich mich hassen. Wenn ich kämpfe, wenn er mich zwingt, kann ich ihn hassen. Ich muss ihn nur noch ein bisschen mehr provozieren, auch wenn ich weiß, dass ich mich dabei auf dünnem Eis bewege. Körperlich bin ich gegen ihn machtlos. Er wird immer gewinnen, wenn es zu einem physischen Kampf kommt. Aber ich habe eine Waffe, die ihn tief verwunden kann.

„Du wirfst meinem Bruder vor, deine Schwester vergewaltigt zu haben. Wenn du das mit mir machst, inwiefern bist du dann anders?“