27

VITTORIA

W ährend die Brüder noch in der Küche sind und ich unbewacht nach oben darf, schleiche ich mich wieder in Amadeos Zimmer, obwohl ich keinerlei Absicht habe, dort zu schlafen. Bei meiner Erkundung des Zimmers, während er unter der Dusche stand, fand ich etwas, das mir gehörte. Der kleine Dolch, den er mir in der Nacht abgenommen hatte, als er mich hierher brachte, lag vergessen in einer Nachttischschublade.

Ich hole ihn schnell heraus und gehe dann in den Schrank, um mir eine Schlafshorts und ein Seidentanktop anzuziehen, eines der vielen Kleidungsstücke, die hier für mich hängen, noch mit Etiketten versehen. Anscheinend kam Amadeo zu dem Schluss, dass ein Koffer mit Klamotten für eine Woche, von denen die meisten ruiniert sind, nicht lange halten würde, und wenn ich mir anschaue, wie viele Sachen er gekauft hat, frage ich mich, wie lange er vorhat, uns zu behalten.

Ich nehme ein Kissen vom Bett und schiebe den Dolch in den Bezug. Ich werde vorbereitet sein, falls ich einem der Brüder oder einem der Soldaten begegne. Das Bett ist immer noch zerknittert von der Nacht, in der wir Liebe gemacht haben. Nein, das war kein Liebesakt. Warum denke ich diese Worte überhaupt? Wir haben gefickt. Und ich will nicht daran denken, wie ich ihm gesagt habe, dass er es tun soll. Wie ich mich nicht gegen ihn gewehrt habe. Wie ich gekommen bin.

Der Bereich zwischen meinen Beinen schmerzt, als ich mich dazu zwinge, mich vom Bett abzuwenden und zur Tür zu gehen. Ich kann jetzt noch nicht verarbeiten, was passiert ist. Die Situation zwischen uns sollte klar und eindeutig sein. Er ist mein Entführer. Ich bin seine Geisel. Wir haben einen Deal abgeschlossen. Punkt. Aus. Ende. Aber es ist kompliziert geworden. Sogar das heute Abend, als ich Bastian mit der schlafenden Emma in seinen Armen sah, warf mich aus der Bahn.

Ich schüttle den Kopf. Es ist schon spät. Ich bin müde. Das ist alles.

Ich gehe über den Flur in Emmas Zimmer, dankbar, dass ich auf dem Weg dorthin niemandem begegne. Weder Emma noch Hyacinth regen sich, als ich den Dolch aus dem Kissenbezug nehme und einen Platz suche, um ihn zu verstecken. Das Zimmer ist vollgestopft mit Spielzeug, Puppen, Büchern und Kleidern, die aus den Regalen des begehbaren Kleiderschranks quellen. Ich suche mir einen Schuhkarton aus, nehme die Sandalen heraus und stelle sie auf den Boden, dann lege ich den Dolch in die Schachtel und stopfe zwei Pullover darüber. Oben auf dem obersten Regal besteht keine Gefahr, dass meine Schwester ihn findet. Dann kehre ich ins Schlafzimmer zurück.

Hyacinth wacht auf, lächelt, als sie mich sieht, und schläft wieder ein. Sie ist bei uns, seit Mom gestorben ist. Und sie liebt Emma genauso sehr wie ich.

Ich nehme das Kissen, das ich mitgebracht habe, rutsche neben Emma ins Bett, lege einen Arm um ihren warmen kleinen Körper und rieche den vertrauten Duft ihres Shampoos, während ich die Augen schließe. Aber das ist nicht alles, was ich rieche. Das Kissen, das ich mir geschnappt habe, muss das von Amadeo sein. Ich nehme seinen Geruch wahr, als ich mein Gesicht darauf lege. Etwas flattert in meinem Magen. Er hätte sich nehmen können, was er von mir wollte und mich beiseiteschieben können. Mich zurück in mein Zimmer sperren. Oder noch schlimmer. Er hätte mir Emma verweigern und meine Schwester im Haus meines Bruders lassen können. Aber er hat nichts von alledem getan. Und obwohl ich weiß, dass er Emma benutzen kann, um mich zu zwingen, das zu tun, was er will, hätte er mich auch so zwingen können. Er hätte sie nicht herbringen müssen.

Und dann ist da noch Bastian. Die Art, wie seine Augen mich mustern, als würden sie direkt in mich hineinsehen. Die Leidenschaft in ihnen, die er nicht so leicht verbergen kann wie sein Bruder. Die Art, wie Emma so friedlich schlief, ihren Kopf auf seiner Schulter. Die sanfte Art, wie er sie trug.

Er ist anders als Amadeo. Vielleicht fühlt er sich wohler mit seinem Hass auf mich. Aber da steckt mehr dahinter, und ich will wissen, was, wodurch die Sache noch schwieriger wird. Deshalb muss ich mich auf eines konzentrieren. Ich muss Emma und Hyacinth von hier rausbringen. Ich hoffe nur, dass Amadeo sein Wort hält, und wenn ich die Möglichkeit habe, ihm – ihnen – zu entkommen – werde ich sie nutzen. So sehr ich mir auch bewusst bin, wie tief ich den verweilenden Duft von Amadeos Aftershave auf dem Kissen einatme, muss ich mein Ziel im Auge behalten.

Überleben.

Uns hier rausbringen.

Sobald wir sicher von den Brüdern weg sind, werde ich eine Lösung für den Rest finden.

Mit diesen Gedanken schmiege ich mich an den kleinen Körper neben mir und lasse mich in den Schlaf treiben.

* * *

Ich wache auf, weil sich kleine Arme um meinen Hals drücken, was mir sofort ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Ich öffne die Augen und sehe, dass Emma mich ungläubig anschaut.

„Oh, mein Liebling“, sage ich, drücke sie fest an mich, drücke mein Gesicht in ihre weichen Locken und spreche ein stilles Gebet der Dankbarkeit, dass sie hier ist, dass sie wirklich hier in meinen Armen liegt und in Sicherheit ist.

Wenigstens vor einem Monster in Sicherheit.

Ich lehne mich zurück und schaue sie an, wobei ich alles andere als Freude in meinem Gesicht verstecke. Sie setzt sich auf, reibt sich mit ihrem Stoffschwein Rosie die Augen und schaut sich mit großen braunen Augen und offenem Mund im Zimmer um. Ich setze mich ebenfalls auf und sehe, dass auch Hyacinth langsam erwacht.

Emma legt ihre Hand auf meine Wange und ich drehe mich zu ihr um. Sie macht eine fragende Bewegung mit den Händen, zieht die Schultern hoch. Was ich Bastian und Amadeo erzählt habe, war so ziemlich das Ausmaß dessen, was ich weiß. Meine kleine Schwester hat seit dem Tod unserer Mutter kein einziges Wort mehr gesprochen. Ein Trauma. Sie kann hören. Und sie kann, körperlich gesehen, sprechen. Aber der Tod unserer Mutter und vermutlich die Tatsache, dass sie stundenlang mit ihrer Leiche im Auto eingeschlossen war, hat sie im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos gemacht.

Die Therapie, auf die ich bestanden habe, hat ihr überhaupt nicht geholfen. Und die einzigen Menschen, in deren Gegenwart sie sich im letzten Jahr wohlgefühlt hat, waren Hyacinth und ich. Selbst in der Kindertagesstätte, die sie für ein paar Stunden in der Woche besucht, um Kontakt zu anderen Kindern zu haben, spricht sie nicht. Sie hat nicht einen einzigen Freund gefunden.

Aber es gibt Hoffnung. Der Zustand kann sich wieder ändern.

„Das ist dein neues Zimmer, während wir bei den Brüdern wohnen“, sage ich zu ihr, aber ich weiß nicht genau, wie ich es erklären soll. „Ist es nicht schön? Und sieh dir all die Spielsachen und Bücher an. Ich wette, da sind ein paar deiner Lieblingssachen drin.“

Sie sieht sich das Bücherregal an, dann rutscht sie vom Bett und geht dorthin. Hyacinth und ich werfen uns einen stummen Blick zu, als wir beobachten, wie sie ein Buch auswählt und es lächelnd zu mir bringt, es sich wieder auf dem Bett gemütlich macht und es mir überreicht.

Der Grüffelo. Es ist eines ihrer Lieblingsbücher. Und eins von meinen.

Sie sitzt im Schneidersitz da und zeigt auf das Buch, und dann scheint sie die Ringe an meinem Finger zu sehen. Sie neigt den Kopf zur Seite und reibt den Diamanten, dann schaut sie zu mir auf.

„Sollen wir es lesen?“, frage ich, unsicher, wie ich ihr erklären soll, dass ich verheiratet bin, aber sie scheint die Bedeutung der Ringe nicht zu erfassen, denn sie nickt und konzentriert sich auf das Buch. Ich lese ihr vor, während Hyacinth ins Badezimmer geht, um ihr ein Bad einzulassen.

„Hier drin gibt es auch viele Spielsachen, Emma“, sagt sie. „Sogar eine rosa Zahnbürste für dich.“

Emma lächelt, legt das Buch auf ihr Kissen, klettert vom Bett und greift dann nach meiner Hand.

Ich stehe auf und lasse mich von ihr ins Badezimmer führen, wo sie sich am Waschbecken die Zähne putzt. Hyacinth stellt das Wasser ab, und ich kann die Fragen in ihren Augen sehen.

„Ab in die Wanne mit dir, kleine Emma“, sagt sie und hilft ihr aus den Klamotten, die sie wohl schon in der Kita getragen hat. Ich erkenne sie wieder.

Hyacinth und ich lassen uns auf dem Badewannenrand nieder und ich beginne ihr zu erzählen, was los ist. Zunächst einmal, wer Bastian ist. Ich frage Emma, ob er nett zu ihr war. Sie zuckt mit der Schulter und nickt. Als ich sie frage, ob sie Angst hatte, hält sie zwei Finger nah zusammen, um mir zu zeigen, dass sie nur ein kleines bisschen Angst hatte.

„Er war sehr vorsichtig mit ihr“, sagt Hyacinth, als Emma mit dem Rücken zu uns sitzt. Sie spielt mit einem Spielzeug, während ich ihr die Haare wasche. „Er hat sie gefragt, ob sie zu dir kommen will. Sie hat ihre Hand direkt in seine gelegt, was mich überrascht hat. All diese Männer, das war ziemlich angsteinflößend“, flüstert sie so leise, dass nur ich es hören kann. „Was geht hier vor? Ist alles in Ordnung mit dir?“ Sie blickt auf die Ringe an meiner Hand.

Ich nicke. „Ich weiß nicht, wie viel du oder Emma von der Beerdigung gesehen habt.“

„Ich habe sie weggebracht, als –“

„Danke.“

Sie legt mir eine Hand auf die Schulter und drückt sie.

„Bist du …?“ Sie verstummt und wird von Emma unterbrochen, die sich umdreht, um uns eines der Spielzeuge zu zeigen.

„Wer hat Hunger auf Frühstück? Ich auf jeden Fall“, sage ich und brauche Zeit, um mir einen Weg zu überlegen, wie ich Hyacinth alles erklären soll. Emma kann ich erst mal ablenken.

Emma reibt sich den Bauch und nickt.

„Hyacinth, wenn du Emma beim Anziehen hilfst, schlüpfe ich auch schnell in ein paar Klamotten. Für dich besorgen wir auch was.“ Ich denke, sie könnte Francescas Größe haben.

Aber als ich mich umdrehe, um zu gehen, wird Emmas Gesicht ernst, und sie hält mich fest und schüttelt verzweifelt den Kopf.

„Ist schon gut. Ich bin gleich wieder da. Meine Klamotten sind den Flur runter. Ich verspreche es. Ich bin gleich wieder da. Vielleicht können wir heute beide rosa Kleider anziehen. Was hältst du davon?“

Das scheint sie zu beruhigen, obwohl ihre Augenbrauen immer noch gefurcht sind. Ich schaffe es, mich von ihr zu lösen, gehe in Amadeos Zimmer und stelle fest, dass das Bett gemacht ist und frage mich, ob er überhaupt hier geschlafen hat. Ich sehe keine Soldaten, aber ich höre sie unten und beeile mich, mich anzuziehen. Ich schlüpfe in das erste rosa Sommerkleid, das ich finde, schlicht und hübsch und nicht zu freizügig. Ein Paar flache Sandalen und ein kurzer Blick in den Spiegel, um meine Haare zu kämmen, dann eile ich zurück in Emmas Zimmer, während ich sie zu einem Pferdeschwanz zusammenbinde.

Sie zieht gerade die gleichen Schuhe an, die sie immer trägt. Sie liebt sie. Es sind glitzernde, bunte Turnschuhe, die Mom ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hat. Zum Glück waren sie ihr damals zu groß, denn seit Mom gestorben ist, trägt sie sie fast nur noch, was man ihnen ansieht.

Ich nehme ihre Hand, und wir gehen in die Küche. Hyacinth folgt uns, und ich halte Ausschau nach den Brüdern. Ich bin dankbar, dass Amadeo aus seinem Arbeitszimmer kommt, als wir die Treppe hinuntergehen.

„Vittoria“, sagt er und sieht mich an, bevor sein Blick zu Hyacinth wandert. Er nickt ihr zu. „Guten Morgen. Ich bin Amadeo.“

„Guten Morgen“, sagt sie zaghaft. „Hyacinth.“

„Das muss die kleine Emma sein“, sagt er und geht vor ihr in die Hocke, womit er mich komplett überrascht. Emma lehnt sich ein wenig zurück und wirft mir einen kurzen Blick zu, dann sieht sie ihn an und studiert sein Gesicht, so wie er ihres studiert. Er lächelt und hält ihr die Hand hin.

„Es freut mich sehr, dich kennenzulernen“, sagt er.

Sie sieht mich wieder an und ich nicke, woraufhin sie ihre kleine Hand in seine große legt. Er schüttelt sie sanft und lässt sie dann los.

„Du musst hungrig sein.“ Er steht auf.

„Das sind wir“, sage ich.

„Ich hoffe, ihr mögt Pancakes, denn in der Küche stapeln sich ungefähr hundert davon.“

Emmas Augen werden groß und ihr Mund steht offen. Ich lächle. Sie ist in dem Alter, in dem sie alles so wörtlich nimmt.

„Komm, ich führe dich rein und stelle dich Francesca und meiner Mom vor. Sie sind die Köchinnen, das heißt, sie sind die wichtigsten Leute in diesem Haus, vor allem wenn es um Dinge wie Cookies geht.“ Er zwinkert ihr zu und obwohl sie nicht wirklich lächelt, ist sie neugierig. Er spricht fast nur mit ihr, was mich überrascht. Genauso überraschend wie sein sanfter Ton, den er mir gegenüber nur sehr selten verwendet und meistens, um zu bekommen, was er will.

„Amadeo“, sage ich, während ich seinen Arm berühre. „Hyacinth braucht ein paar Klamotten. Meinst du, Francesca könnte ihr etwas leihen?“

Er sieht sie an. „Natürlich. Ich kümmere mich darum.“

Wir folgen ihm in die Küche, wo Francesca und Amadeos Mom am Herd stehen und Pancakes backen. Sie drehen sich beide um, um uns zu begrüßen. Es sind zwar keine Hundert, aber doch eine ganze Menge.

Amadeo stellt ihnen Emma vor. Seine Mom strahlt über das ganze Gesicht und eilt zu dem kleinen Mädchen. Sie geht in die Hocke, legt die Hände an ihre Wangen und streichelt ihre Haare, bevor sie sie in eine Umarmung zieht.

„Bist du nicht ein hübsches Ding“, sagt sie zu ihr, und ich bin überrascht, als Emma ihre Hand aus meiner löst und der älteren Frau den Rücken tätschelt. „Ach Gottchen“, fährt Nora fort, zieht sich ein wenig zurück und wischt eine Träne weg. „Ich weiß noch, als Hannah so alt war wie du“, sagt sie, lächelt und richtet sich auf. „Möchtest du ein paar Pancakes, Emma?“

Emma nickt, und Nora nimmt Emmas Hand, um sie zum Tisch zu führen, während ich staunend zuschaue. Emma setzt Rosie auf den Tisch und zieht einen leeren Teller für sie heran, während sich Nora daneben setzt und beginnt, Emmas Teller mit Pancakes zu beladen.

„Sie kann nicht so viel essen –“

Amadeo legt mir die Hand auf die Schulter, um mich davon abzuhalten, mich einzumischen. „Das ist egal.“ Er beobachtet seine Mutter genauso gebannt wie ich Emma, als sie ihre Gabel nimmt und sich einen triefenden Bissen Pancakes in den Mund steckt. Nora wischt ihr lächelnd das Kinn ab und Emma tut so, als würde sie Rosie füttern, dann sieht sie zu mir auf und zeigt auf den Stuhl neben ihrem.

Ich setze mich, während Amadeo dafür sorgt, dass Francesca Hyacinth mitnimmt und ihr frische Klamotten leiht. Dann macht er Kaffee, setzt sich zu uns an den Tisch und stellt die Tasse vor mir ab.

„Du bist ein ruhiges kleines Mädchen, nicht wahr? Na ja, daran ist nichts auszusetzen“, fährt Nora fort. „Ich hoffe, du magst die Spielsachen und Bücher. Und wir haben einen Pool.“

„Sie kann noch nicht schwimmen“, sage ich, was Noras Aufmerksamkeit erregt. Sie lächelt mich an, aber ihr Blick ist sofort wieder auf Emma gerichtet. „Emma, du darfst nicht ohne mich in den Pool, okay? Das ist eine Regel“, sage ich.

„Bastian schwimmt unglaublich gerne. Er kann es ihr beibringen. Sein Vater hat es ihm beigebracht.“ Den letzten Teil sagt sie mehr zu sich selbst.

„Ich muss ein paar Dinge erledigen. Ich dachte, du würdest gerne mit Emma das Haus erkunden“, sagt Amadeo.

„Wo ist dein Bruder?“ Bastian bringt mich durcheinander. Zu sehen, wie er Emma gestern Abend so behutsam ins Haus trug, ist nicht mit dem Mann in Einklang zu bringen, den ich in meinem Kopf erschaffen will. Bis ich also weiß, wie ich mit ihm umgehen soll, ist mein Plan einfach: Ich werde ihm aus dem Weg gehen.

„Er ist noch nicht nach unten gekommen. Wir reden heute Nachmittag, wenn Emma sich etwas eingerichtet hat.“

Ich nicke, als er aufsteht. „Danke.“

„Vielleicht könntet ihr wirklich schwimmen gehen. Es wird heiß werden, und das wird ihr gefallen, denke ich. Schwimmst du gerne, Emma?“

Sie sieht zu ihm auf. Ihr Gesicht ist nicht mehr so entspannt wie bei Nora, aber auch nicht so, wie es bei Dad war, die paar Male, die er nach dem Unfall in ihrer Nähe war. Das führte immer dazu, dass ich mich fragte, ob es ihm zu schwerfiel, sie zu sehen, die Narbe in ihrem Gesicht zu sehen und daran erinnert zu werden, was passiert war, was er verloren hatte.

Emma überrascht mich erneut, als sie durch ein Nicken mit ihm kommuniziert.

„Gut.“ Er schenkt mir kurz seine Aufmerksamkeit, dann ist er verschwunden. Ich bin verwirrt. Was auch immer ich für heute erwartet habe, das hier ist es nicht wirklich. Das ist viel besser.

Nach dem Frühstück verbringt Emma Zeit damit, die Spielsachen und Bücher in ihrem Zimmer zu erkunden. Nora kommt eine Weile zu uns, und am späten Vormittag ziehen wir unsere Badesachen an und gehen zum Pool.

Der hübsche ovale Pool in diesem Haus ist größer als der in Neapel. Ich habe das Gefühl, dass die aufblasbaren Spielzeuge in einer Ecke nur für Emma gekauft wurden, und ich weiß zu schätzen, wie viel Amadeo getan hat, aber ich bin auch überrascht. Ich traue dem Ganzen nicht.

Hyacinth kommt auch zu uns und hilft mir, Emma die Schwimmflügel um die Arme zu legen. Sie kann sich kaum noch zurückhalten, als wir sie aufblasen, und springt noch vor mir ins Wasser, während Hyacinth sich in den Schatten eines Sonnenschirms setzt. Wir spielen im Wasser, bis Emma langsam müde wird. Nora kommt nach draußen und wischt sich die Hände an einem Handtuch ab, während Hyacinth Emma abtrocknet.

„Bist du bereit für das Mittagessen?“, fragt sie Emma, die nickt.

„Danach sollten wir beide ein Nickerchen machen“, schlägt Hyacinth vor. „Ich bringe sie rein“, sagt sie zu mir.

„Danke. Ich räume nur noch die Spielsachen auf und komme dann nach.“

Ich sehe ihnen nach, und als sich die Tür hinter ihnen schließt, genieße ich den Moment allein. Mit dem Rücken zum Haus halte ich mich am Rand des Pools fest und lasse den Ausblick auf mich wirken. Es ist ein heißer Tag, die Sonne steht hoch am klaren blauen Himmel, der mit dem Meer darunter verschmilzt. Es ist wunderschön hier. Atemberaubend.

Ich genieße immer noch die Ruhe, als ein lautes Platschen den Frieden unterbricht und das Wasser über den Rand schwappt. Ich drehe mich um und sehe Bastian unter der Wasseroberfläche. Er gleitet geschmeidig durch das Becken, kommt zum Luftholen hoch und schwimmt zurück. Ich sehe, wie er sich in Haifischmanier nähert und auftaucht, das Wasser aus seinen Haaren schüttelt und mich damit erneut nass spritzt, während er seine Hände auf beide Seiten von mir legt und mich einsperrt.

„Genießt du eine kleine Auszeit, Pusteblume?“

„Was zum Teufel ist dein Problem?“ Ich drücke gegen einen Arm, aber er kommt einfach näher, drückt seine nackte Brust gegen meine fast nackte und hält mich gefangen.

„Ich habe kein Problem. Abgesehen von dir.“

Ich treffe seinen Blick, sehe das bernsteinfarbene Glühen. Durch das Wasser fällt sein dunkles Haar zurück und ich sehe den gleichen stählernen Kiefer, wie ihn sein Bruder hat. Ich sehe die gleichen kräftigen Schultern. Mein Blick wandert tiefer zu dem Tattoo über seinem Herzen. Eine Waage mit einem Totenkopf in der einen und einem menschlichen Herzen in der anderen Schale. Überall sind Pusteblumen verstreut. Ich lese den Satz, der dort steht. Er lässt mich erschaudern.

Ich werde große Rache an ihnen verüben und mit meinem Zorn sie strafen.

Als ich den Blick hebe, sind seine Augen immer noch auf mich gerichtet. Ich schlucke und lecke mir über die Lippen, als sein Blick über mein Gesicht wandert und bei meinen Lippen stoppt, bevor er mir wieder in die Augen schaut.

„Wie geht es deinem Schwesterchen?“

„Gut. Entschuldige mich“, sage ich und versuche, unter seinem Arm durchzuschlüpfen.

Aber er lässt mich nicht.

Ich strecke meine Arme zu beiden Seiten aus, um mich festzuhalten. Das Becken ist so tief, dass ich nicht stehen kann, aber Bastian ist größer, also hat er nicht das gleiche Problem. Also ist es entweder das, oder ich muss mich an seinen Schultern festhalten, was ich nicht tun will, denn dann sieht es für alle, die uns beobachten, so aus, als würden wir ein freundliches Gespräch führen. Oder ein intimes Gespräch. Doch dann fallen mir seine Worte von unserer ersten Begegnung wieder ein. „Du bist jetzt hier. Du gehörst uns. Wir werden dich bestrafen. Um es auszugleichen.“

„Was willst du?“, frage ich, höre das leichte Zittern in meiner Stimme und frage mich, ob er es auch bemerkt.

Er zuckt mit der Schulter. „Ich schlage nur die Zeit tot.“

„Nun, dann schlag sie alleine tot. Ich habe noch etwas zu tun.“ Wieder versuche ich, ihm zu entkommen, aber wieder lässt er es nicht zu. Diesmal legt er seine Hände um meine Arme und drückt mich gegen die Beckenwand.

„So benimmt man sich nicht gegenüber seinem Schwager.“

„Wo ist mein Mann?“ Ich lege Wert darauf, dieses Wort zu benutzen, denn obwohl ich weiß, dass ich ihn nicht aufstacheln sollte, sehe ich, wie sehr es Bastian wurmt.

„Brauchst du ihn? Dass er dich vor mir rettet?“

Ich starre ihn an und versuche herauszufinden, was er vorhat. Versuche zu ignorieren, wie nahe ich ihm bin, vor allem, da wir beide kaum etwas anhaben.

„Er wird es nicht mögen, wenn du so nah bei mir bist“, sage ich, aber das Wort „unsere“ wiederholt sich in meinem Kopf. Sie haben es beide benutzt. Plant Amadeo, mich mit Bastian zu teilen? Das ist allerdings nicht der schlimmste Teil der Sache. Es ist, dass mich der Gedanke nicht abstößt. Im Gegenteil.

„Wird er nicht? Ich glaube, er würde es sogar lieben. Er redet ständig davon, wie du uns gehörst.“

Ich schlucke.

„Mach dir keine Sorgen, Pusteblume. Ich bin nicht hier, um dich zu ficken. Ich will nur sicherstellen, dass du weißt, woran du bist. Er hat dich gefickt, weil er es musste. Die Ehe kann jetzt nicht mehr angefochten werden. Keine Chance auf Annullierung. Nichts.“

Ich weiß nicht, warum mich seine Worte verletzen. Mir ist bewusst, dass Bastian mich hasst.

„Glaube nicht, dass du dich zwischen uns drängen kannst“, fügt er hinzu, und ich begreife, warum er das tut. Er hat Angst.

Ich lasse meine Augen schmal werden, während sich ein Mundwinkel nach oben bewegt. „Was ist los, Bastian? Hast du Angst, dass ich genau das schon getan habe?“

Bastian kommt allerdings nicht dazu, darauf zu antworten, denn Amadeos tiefe Stimme unterbricht ihn. „Was ist hier draußen los?“

Ich schnappe nach Luft und mein Blick fliegt zu Amadeo. Ich habe ihn weder gesehen noch gehört, wie er sich uns näherte und fühle mich ertappt. Ich fühle mich schuldig. Bastian grinst nur, als hätte er es die ganze Zeit gewusst. Er dreht sich nicht einmal um.

„Dein Bruder versucht, mir meinen Platz klarzumachen“, sage ich zu Amadeo, der sich zu meiner Überraschung auf die Kante eines der Sessel setzt, die Beine weit gespreizt, die Hände auf die Ellbogen gestützt, und uns beobachtet.

„Tut er das?“

Ich schaue Bastian verwirrt in die Augen. Sein Grinsen wird breiter.

„Sag ihm, er soll mich gehen lassen“, sage ich zu Amadeo, obwohl ich Bastian dabei ansehe.

„Du hältst sie doch nicht gegen ihren Willen fest, oder, Bruder?“, fragt Amadeo und es ist wie an dem Abend im Restaurant, als sie mich im Bad in die Enge trieben. Die beiden reden, als wäre ich nicht da, beobachten mich aber gleichzeitig.

„Das würde ich nie tun, Bruder.“

Amadeo lächelt. „Hilf ihr raus.“

Das ist kein Sieg für mich. Ich weiß das, und Bastians breiter werdendes Grinsen verunsichert mich noch mehr.

„Mit Vergnügen“, sagt Bastian, und bevor ich nachdenken kann, hat er seine Hände um mich gelegt und hebt mich mühelos aus dem Becken. Er setzt mich auf den Beckenrand, wobei der untere Teil meiner Beine noch im Wasser baumelt, und legt seine Hände auf meine Oberschenkel, um mich dort festzuhalten.

Ich werfe Amadeo, der uns beobachtet, einen Blick zu.

„Der Bikini sieht gut aus“, sagt Amadeo, und mir wird klar, dass ich einen Fehler gemacht habe, als ich dachte, Amadeo würde mich über seinen Bruder stellen. Das wollte ich nicht. Das war überhaupt nicht das, was ich erwartet hatte. Ich wollte nur seinen Schutz, wie er es versprochen hatte. Er steht auf und geht um den Pool herum auf uns zu. Ich beobachte ihn, denn ich kann Bastian nicht ansehen. Hinter mir bleibt er stehen. „Emma isst gerade zu Mittag, auf der anderen Seite des Hauses“, sagt er zu mir.

Ich blicke zu ihm auf. „Ich möchte zu ihr gehen.“

„Wenn wir hier fertig sind“, sagt er. „Zuerst“, beginnt er, streicht mir die nassen Haare nach hinten und über meinen Rücken. „Es ist an der Zeit, dass du etwas verstehst.“ Er kniet sich hinter mich und sperrt mich zwischen seinen kräftigen Schenkeln ein. Seine Finger streichen über die leichte Wölbung meiner Brüste, bevor er die dreieckigen Körbchen des Bikinioberteils ergreift und sie nacheinander zur Seite schiebt, um meine Brüste freizulegen.

Ich keuche und bedecke mich mit meinen Händen.

Amadeo schließt seine Hände über meinen und bringt seinen Mund an mein Ohr. „Du gehörst zu uns beiden, Pusteblume. Du musst das begreifen. Du musst es in deinen Knochen spüren“, sagt er so laut, dass Bastian es hören kann.

„Ich –“

„Zeig uns, dass du das verstehst.“ Er nimmt meine Hände und zieht sie hinter meinen Rücken, hält beide Handgelenke in einer seiner Hände und neigt dann meinen Kopf nach hinten, damit er mir ins Gesicht sehen kann. „Keine Sorge, ich weiß, dass du es willst.“

„Aber –“

„Sieh Bastian an.“

Ich schlucke.

„Sieh ihn an, Pusteblume“, wiederholt er und lässt mich los, damit ich mich zu Bastian drehen kann. Seine Augen brennen wie Lava, aber da ist auch noch etwas anderes. Hass. Ob auf sich selbst oder auf mich, weiß ich nicht genau.

Bastians Blick wandert zu meinen Brüsten und dann zurück zu seinem Bruder. Sie führen einen stummen Austausch, den ich nicht verstehe.

„Jetzt zeig ihm deine Pussy“, sagt Amadeo zu mir und lässt meine Handgelenke los.

Ich blicke nervös zu ihm auf.

„Tu es. Schieb deinen Bikini rüber, damit er deine Pussy sehen kann.“

Ich schlucke schwer, denn eine Vielzahl von Gefühlen kämpft in mir. Erregung, Scham und Verwirrung. Will ich das? Ist das wichtig? Ja, das ist es. Amadeo wird mich nicht zwingen. Das weiß ich.

Ich lecke mir über die Lippen, drehe mich zu Bastian um und mit einem Flattern im Bauch wie von tausend Schmetterlingen ziehe ich den Stoff zwischen meinen Beinen zur Seite und beobachte, wie er seinen Blick senkt und mich betrachtet. Und ich merke, dass ich will, dass er mich ansieht. Ich will, dass sie mich beide ansehen. Genau genommen ist das alles, was ich in diesem Moment will. Ihre Augen auf mir.

Ich spreize meine Beine ein wenig weiter und spüre die Hitze der Erregung.

Bastian legt den Kopf schief und studiert mein entblößtes Geschlecht. Ich halte mich komplett rasiert und spüre, wie ich unter seinem Blick feucht werde.

„Sie ist nass, und das hat nichts mit dem Pool zu tun“, sagt Bastian.

„Das überrascht mich nicht. Ich glaube, sie mag es, wenn wir sie ansehen. Sie anfassen“, sagt Amadeo so nah an meinem Ohr, dass sich alle Haare in meinem Nacken aufstellen. „Du solltest sie probieren.“

Amadeo ergreift wieder meine Arme. Ich winde mich ein wenig, aber er hält mich fest. Es ist nicht so, dass ich es nicht will. Ich bin extrem erregt. Aber das ist falsch. Mit beiden zusammen zu sein. Sie beide zu wollen. Oder nicht?

Bastian zieht mich näher an den Rand des Pools und spreizt meine Schenkel weiter. Er blickt zu mir hoch, die Augen schwarz wie Kohlen, aber darunter glüht ein bernsteinfarbenes Feuer. Er hält meinen Blick, während er zwei Finger über die Stelle gleiten lässt, an der mein Oberschenkel auf meine Hüfte trifft und sie dann unter den Stoff schiebt. Mein Atem stockt, als er mehr von mir seinem Blick freigibt.

Die Bartstoppeln an seinem Kinn kitzeln die Innenseite meines Oberschenkels. Er bewegt den Kopf und öffnet den Mund, um mich zu küssen und eine Linie ganz bis zu meinem Zentrum zu lecken, während Amadeo mich ein wenig nach hinten lehnt, um Bastian noch mehr von mir zu zeigen. Gleichzeitig bringt er mich so dazu, mehr davon zu sehen, wie sich Bastians dunkler Kopf zwischen meinen Beinen bewegt. Ich spüre, wie seine heiße Zunge zum ersten Mal über meine Klitoris streicht, bevor er seine Lippen um sie schließt und daran saugt. Ich stoße einen kleinen Schrei aus und weiß nicht, ob ich meine Arme frei haben will, um ihn zu mir zu ziehen, oder um ihn von mir zu stoßen.

„Spreize deine Beine weiter, Pusteblume“, sagt Amadeo, den Mund an meinem Ohr, die Zähne an meinem Hals. „Gib sie ihm. Gib ihm einen Vorgeschmack auf deine hübsche kleine Muschi.“

Ich tue, was er sagt, und Amadeo küsst meinen Mund. Es ist ein tiefer, inniger Kuss, verzehrend und unglaublich erotisch und nass, genauso nass wie Bastians Zunge auf meinem Schritt. Und es dauert nicht lange, bis ich in Amadeos Mund keuche. Er zieht sich zurück, um mir zuzusehen, zuzusehen, wie Bastians Zähne über meinen Kitzler streifen und mir einen Schrei entlocken, bevor er seinen Mund darüber schließt und daran saugt. Seine Finger gleiten in mich hinein und krümmen sich ein wenig, gerade so weit, dass sich meine Sicht verdunkelt und meine Welt aus den Angeln gehoben wird.

Es ist zu schnell vorbei und ich keuche, als Amadeo mich aufrichtet und Bastian sich zurückzieht, die Finger einer Hand in meinen Oberschenkel krallt und seine fast schwarzen, wütenden Augen auf mich richtet. Er wischt sich mit dem Handrücken über den Mund, bevor er davonschwimmt. Ich beobachte, wie er den gegenüberliegenden Rand erreicht und sich hochstemmt. Seine kräftigen Arme und Schultern spannen sich an und das Wasser glitzert auf seiner braun gebrannten, olivfarbenen Haut. Er dreht sich nicht um, um seinen Bruder oder mich anzusehen, sondern schnappt sich das Handtuch, das er wohl vorher auf einen Stuhl fallen ließ, und geht weiter, mit dem Rücken zu uns, bis er im Haus verschwindet.