Kapitel 14
Hope
Sonne scheint mir direkt in das Gesicht und ich kneife die Lider fest zusammen, weil ich noch nicht aufwachen möchte. Doch es nützt nichts, egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich drifte nicht wieder in den Schlaf hinüber.
Moment mal, warum … in diesem Augenblick spüre ich das leichte Ziehen zwischen meinen Schenkeln und die vergangene Nacht spult sich überaus plastisch vor meinem inneren Auge ab.
Ich hatte tatsächlich Sex mit Jesse Davenport.
Es war nicht bloß ein Traum.
Nein, es ist wirklich passiert und war fantastisch.
Hitze steigt in mir empor, als ich daran denke, wie wir es gemacht haben … wieder und wieder und wieder und … Himmel, wir haben echt fünfmal gevögelt?!
Ein albernes Kichern stiehlt sich über meine Lippen, ich bin so voller Glücksgefühle, dass ich es nicht unterdrücken kann. Rasch schlage ich die Hände vor den Mund, damit Jesse mich nicht für vollkommen irre hält. Erst jetzt registriere ich das leise Klappern von Geschirr. Vorsichtig linse ich durch meine Finger, doch vom Bett aus kann ich den Küchenbereich wegen eines deckenhohen weiteren Regals, das vollgestopft ist mit Büchern, leider nicht sehen.
»Endlich ausgeschlafen?«, unterbricht seine amüsierte Stimme abrupt meine Gedankengänge.
Kaum, dass ich ihn erblicke, kann ich nicht anders, als zu lächeln. »Du hättest mich ruhig wecken können …«
Er setzt sich zu mir auf die Bettkante, beugt sich zu mir hinunter und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. »Hätte ich, doch dann wäre ich mit Sicherheit in Versuchung gekommen, noch einmal über dich herzufallen. Korrigiere mich, falls ich falschliege, aber ich nehme an, du brauchst eine kleine Pause?«
So gern ich ihm eine andere Antwort geben möchte, er hat tatsächlich recht. Ich bin ein wenig wund und Sex wäre jetzt vermutlich eher schmerzhaft. Also nicke ich schweren Herzens und ziehe einen Schmollmund, der Jesse zum Lachen bringt.
Sein Haar ist leicht feucht, offensichtlich war er nochmal unter der Dusche. Dass er obenherum noch nackt ist und lediglich eine Jeans trägt, sickert mit Verspätung in mein Bewusstsein, dafür aber umso deutlicher. Er riecht nach dem maskulinen Duschgel, das auch ich vergangene Nacht zwischen unserem vierten und fünften Mal benutzt habe, dazu umgibt ihn wieder dieser markante Aftershave-Duft, der mich so verrückt macht.
Über seine Miene huscht ein unanständiger Ausdruck und er sieht dabei so jungenhaft-frech aus, dass ich mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen kann. »Das alles hättest du so viel einfacher haben können«, neckt er mich und springt auf, als ich mir eines der Kopfkissen schnappe, um damit nach ihm zu schlagen.
»Das wirst du mir ewig vorhalten, oder?!«
Er legt den Kopf ein wenig schräg und gibt einen abwägenden Laut von sich. »Die kommenden Monate auf jeden Fall …« Bei dem Gedanken daran, dass wir nun tatsächlich ein Paar sind, werde ich ernst. »Hope, wir lassen das ganz langsam angehen.« Offenbar deutet Jesse meinen Gesichtsausdruck falsch.
»Das möchte ich gar nicht … aber ich sollte dir vermutlich von Phil erzählen. Von dem Part unserer Beziehung, den ich bis jetzt für mich behalten habe. Mir ist klar, wie unsexy das am Morgen danach ist. Doch ich will nicht, dass das noch länger zwischen uns steht, vielleicht verstehst du mich dann ein wenig besser.« Ich setze mich auf und wickele mich umständlich in die Bettdecke, woraufhin er auflacht.
»Es gibt keinen Zentimeter deines sexy, tätowierten Körpers, den ich vergangene Nacht nicht gesehen habe«, raunt er mit einem Augenbrauenwackeln und ich sehe ein, wie albern das gerade ist.
»Ich gehe kurz duschen, anschließend frühstücken wir und reden?«, frage ich ihn und er nickt.
»Eine frische Zahnbürste habe ich dir hingelegt, Zahnpasta findest du im Spiegelschrank«, ruft er mir noch hinterher.
Eine Viertelstunde später lümmeln wir auf der Couch, haben ein riesiges Tablett zwischen uns, auf dem unter anderem zwei dampfende Kaffeetassen, Schalen mit Müsli und Gläser mit Orangensaft stehen. Darüber hinaus hat Jesse ein paar Croissants aufgebacken und diverse süße Brotaufstriche dazugestellt.
Ich trage eins seiner T-Shirts, außerdem eine seiner Boxershorts. Beide Kleidungsstücke duften nach Waschmittel, aber irgendwie auch nach ihm, und das erdet mich ein wenig.
»Was ist zwischen Phil und dir passiert, dass du dich von ihm getrennt hast?«, ergreift er schließlich das Wort und macht mir den Einstieg so leichter.
»Er hat mich geschlagen. So heftig, dass ich zu Boden gegangen bin.« Jesse schnappt entsetzt nach Luft, während ich in der Erinnerung an jenen Moment erschauere. »Bis dahin habe ich mir seine krankhafte Eifersucht und seinen Kontrollzwang noch schöngeredet. Teil des Problems war allerdings auch, dass ich mich immer wieder gefragt habe, ob ich überreagiere und Schwierigkeiten sehe, wo eigentlich keine sind. Meine Freundinnen zum Beispiel haben mir jedes Mal, wenn ich über Phils Stalkerverhalten gesprochen habe, gesagt, sie würden sich einen Freund wünschen, der nur halb so aufmerksam wäre, wie es bei meinem der Fall ist. Das hat man wohl vom Romantisieren des Stalkens in Büchern und Filmen: Frauen mit einem verdrehten Kompass für Liebe, da nehme ich mich gar nicht von aus. Aber genau das hat mir oft das Gefühl vermittelt, ich wäre undankbar und wüsste seine Liebe nicht zu schätzen.«
Jesse bugsiert das Tablett mit unserem Frühstück auf den Beistelltisch und überbrückt danach die Distanz zwischen uns. Er legt einen Arm um meine Schulter, nimmt mir die Kaffeetasse ab, stellt sie ebenfalls beiseite und zieht mich an sich.
»So ein Verhalten ist doch total krank«, murmelt er in mein Haar und drückt mir einen Kuss auf es. »Es tut mir so leid, dass ich dir nicht der Freund war, den du gebraucht hättest.«
Rasch richte ich mich auf und suche seinen Blick. »Hör auf, woher hättest du es denn wissen sollen? Wir haben nie über solche Sachen gesprochen und ich war selbst völlig verunsichert, weil mich eben mein Umfeld für verrückt erklärt hat. Misshandelt dich dein Partner körperlich, liegen die Dinge anders, aber eine Frau, die sich wegen zu viel Aufmerksamkeit beschwert, wird nicht ernst genommen … zumindest habe ich die Erfahrung gemacht, dass das alle so deuten.« Ich lehne mich erneut an seinen Brustkorb und schlinge einen Arm um seine Hüfte. Jesse strahlt eine wohltuende Wärme aus, die mich automatisch weiter entspannen lässt. »Nachdem er mich geschlagen hat, war mir klar, dass er damit eine Grenze überschritten hatte, von der es keine Rückkehr zu vorher gab. Wer einmal zuschlägt, tut es wieder … und ich wollte nicht abwarten, bis das passiert.« Ein zynisches Lachen entkommt meiner Kehle. »Sarah Griffith und ihrer jahrzehntelangen Arbeit sei Dank, wenigstens diesen Fehler habe ich nicht gemacht. Eigentlich hätte ich schon viel eher gehen müssen.«
Die Ehefrau des Gravity- Bassisten war vor ihrer Beziehung zu Coltons Dad selbst ein Gewaltopfer und hat sich ganz der Aufklärungsarbeit und Hilfe verschrieben. Es ist erschreckend, wie vielen Frauen das passiert, Jesses Mom Amy hat in dieser Hinsicht ebenfalls eine Vergangenheit.
»Liege ich richtig, dass deine Eltern auch nichts gewusst haben?«, hakt er leise nach.
Nickend kuschele ich mich noch enger an ihn. »Dad hat sich deswegen total zerfleischt, weil sein innerer Warnradar bei Phil komplett versagt hat. Er hatte jetzt kein übermäßig herzliches Verhältnis zu ihm, aber er hielt ihn für einen guten Mann … seiner Tochter würdig. Das waren seine Worte, nachdem er ihn das erste Mal getroffen hat.«
Jesse streichelt mir sanft über den Rücken und atmet mehrmals tief durch. »Wie hat Phil die Trennung aufgenommen?«, stellt er eine neuerliche Frage und ich verspanne mich.
»Zuerst nicht sonderlich gut, er hat mir aufgelauert, gebettelt, gefleht und schließlich gedroht … dann hat Dad ihn zusammen mit Evan und Josh aufgesucht … seitdem ist Ruhe. Laut Josh hat mein Vater ihm kein Haar gekrümmt, ihm allerdings sehr deutlich gemacht, was passieren wird, wenn er mich weiter belästigt. Wegen des Schlags habe ich ihn angezeigt, das Verfahren ist jedoch leider letztlich eingestellt worden. Sein Wort stand gegen meines, er hat bislang keine Vorstrafen … mir war bewusst, dass es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit so ausgeht, aber ich wollte es trotzdem aktenkundig machen.«
Jesse gibt ein verstehendes Brummen von sich, er weiß, wieso mir das wichtig war. Ich kann nichts weiter tun, um andere Frauen vor Phil zu schützen, doch so stelle ich immerhin sicher, dass die Behörden bei einem künftigen Vorfall wissen, er ist kein Ersttäter.
»Kein Wunder, dass dein Vater mir gegenüber so voreingenommen ist und Angst hat, dass ich bloß mit dir spiele«, murmelt er. »Wenn du das mit uns vorerst geheimhalten willst, dann …«
»Nein, auf gar keinen Fall!« Ich lege den Kopf in den Nacken und eine Hand an seine Wange. »Dad wird damit klarkommen müssen. Sicher fange ich nun nicht an, meinen Freund vor ihm zu verstecken.« Das sich daraufhin auf seinem Gesicht ausbreitende Lächeln lässt mein Herz aus dem Takt geraten und bringt die Schmetterlinge in meinem Bauch in Aufruhr. »Es tut mir wirklich leid, dass ich so lang gebraucht habe«, entschuldige ich mich ein weiteres Mal.
Jesse neigt den Kopf und küsst mich statt einer Antwort zärtlich. Mit einem verzückten Seufzen erwidere ich seinen süßen Kuss, der meinen Puls in schwindelerregende Höhen jagt und mit jeder verstreichenden Sekunde an Intensität gewinnt. In diesem Augenblick fühle ich mich ihm unglaublich nah und bin von einer Zufriedenheit erfüllt, die ich in dieser Form nie zuvor verspürt habe.
Während wir miteinander knutschen, verliere ich jegliches Zeitgefühl, am liebsten würde ich gar nicht wieder in die Realität zurückkehren. Nur irgendwann sollte ich nach Hause fahren, ich bin mir sicher, Dad nimmt Mom schon in die Mangel und allzu lang wird sie ihm garantiert nicht standhalten.
»Ich sollte allmählich …«, nuschele ich an seinen Lippen, doch er verschließt meinen Mund augenblicklich erneut.
»Nein, noch nicht …«, widerspricht er, bringt mich unter sich und lächelt dann spitzbübisch auf mich hinunter. »Du hast mich solange auf dich warten lassen, da kannst du jetzt nicht gleich wieder verschwinden.«
»Jesse, meine arme M…« Unbeeindruckt küsst er mich und ich vergesse jeden schlauen Einwand beinahe sofort, stattdessen lasse ich mich tatsächlich zu einer weiteren Knutschrunde verführen.