Kapitel 16
Jesse
»Du warst gestern nach dem Familienessen schnell weg«, stellt Saint fest und ich verkneife mir nur knapp ein genervtes Augenrollen.
»Ich hatte keinen großen Bock auf den üblichen Mist. Wahrscheinlich hätten unsere Eltern irgendwann wieder davon angefangen, wer von den Singles unter uns als Nächster sein Mädchen findet und mich ins Visier genommen«, entgegne ich und vernehme prompt das empörte Schnauben der Zwillinge, die sich deswegen offenbar immer noch ärgern.
»Du hättest Samstag mit uns ausgehen sollen«, wechselt Deacon dann zu meiner Erleichterung das Thema. »Der Dreier, den Saint und ich in der Nacht hatten, war der Hammer. Die Kleine war echt hemmungslos …«, schwärmt er und mein Cousin nickt bestätigend. »Landon, du Idiot hättest dich nicht abseilen sollen, um mit Jesse Trübsal zu blasen, das war …«
»Schon klar«, unterbricht dieser seinen Zwillingsbruder und zwinkert mir kurz verschwörerisch zu.
Colton seufzt und tauscht einen entnervten Blick mit Ash, der über seinem Laptop brütet und E-Mails beantwortet. Gott sei Dank haben wir die kommenden zwei Monate nun erst einmal überwiegend Pause, von den Arbeiten an unserem zweiten Album abgesehen. Doch danach geht der ganze Stress wieder von vorn los. So sehr ich das Musik machen an sich liebe, auf die nächste, ausgedehnte Tour, die vermutlich um einiges größer und länger als unsere letzte wird, habe ich nur bedingt Lust. Nicht, weil mir das Spielen an sich keinen Spaß macht, aber das Leben im Tourbus, ständig im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen, setzt mir manchmal zu. Trotz der Erfahrungen, die ich
damit von klein auf als Sohn eines Rockstars gemacht habe, habe ich das letztlich unterschätzt.
»Ich hoffe, ihr habt die Mädels die üblichen Erklärungen unterschreiben lassen, eine weitere Schlagzeile über eine Sexorgie braucht Rising Phoenix so dringend wie einen Kropf«, mosert Ash in sich hinein und wird dabei von den Twins nachgeäfft. Als er, ohne überhaupt aufzusehen, die Arme hebt und den beiden die Mittelfinger entgegenstreckt, verschlucke ich mich vor Lachen beinahe an meinem Bier.
»Ich muss euch übrigens etwas sagen«, ergreife ich das Wort. Das mit Hope sollen sie als Erste und vor allem von mir erfahren. Mit wenigen Sätzen informiere ich sie darüber, dass sie Samstagnacht bei mir aufgetaucht ist und wir nun zusammen sind.
»Fuck, unsere Väter haben recht behalten«, mault Saint, der scheinbar kein größeres Problem als das hat. »Dir ist schon klar, dass das ein bisschen lebensmüde ist, oder? Noah wird nicht begeistert sein.«
Deacon nickt bestätigend. »Ich fand ihren Dad bei unseren Besuchen im Tattoostudio immer ein wenig unheimlich und mir wäre im Traum nicht eingefallen, mich an seine Kleine heranzumachen.«
»Hat sie die entsprechenden Formulare unterschrieben?«, bohrt Ash nach und ich schnaube entnervt.
»Hope geht damit nicht an die Presse!«, zische ich.
»Also nicht.« Er seufzt, ehe sein Blick zu den Zwillingen und Saint schweift.
»Hast du mir nicht zugehört? Wir hatten nicht bloß Sex, wir sind zusammen! Du denkst nicht echt, dass ich ihr so einen Wisch unter die Nase halte, oder?!«
Als Ash zu grinsen beginnt, begreife ich, dass er mich lediglich verarschen wollte. Ich lache und auch das Terror-Trio stimmt
mit ein, bis unser Bandmanager erst zu Saint, dann zu Deacon sieht und eine geschäftsmäßige Miene aufsetzt.
»Keine Sorge, unser
Betthäschen hat brav alles unterzeichnet … Alter, bist du bei uns zwanghaft mit diesem Mist«, mault Deacon.
»Dass ich
bei euch so zwanghaft mit diesem Mist bin, sorgt dafür, dass eure
Fressen nicht ständig in den einschlägigen Klatschspalten auftauchen«, kontert unser Manager trocken. »Aber ich mache drei Kreuze, wenn auch in euren Köpfen irgendwann mal ankommt, dass im Leben noch mehr existiert.«
Saint gibt Würgegeräusche von sich und die Zwillinge stimmen ebenfalls ein.
»Wieso hast du gestern denn nichts davon gesagt?«, erkundigt sich Colton in einem scheinheiligen Tonfall. »Unsere Familien wären entzückt gewesen, diese Neuigkeit zu hören.«
»Erstmal hätten ein paar Geldscheine ihre Besitzer gewechselt«, wirft Ash ein und bringt uns alle zum Lachen. »Wobei … haben die nicht irgendwie geschlossen auf dich gesetzt? Oder gab es irgendeinen, der dagegengehalten hat?«
»Keine Ahnung, ich bin an dem Abend ja nicht lang genug geblieben, um mir anzuhören, wie das mit den Wetten letztlich ausgegangen ist.« Ich zucke mit den Schultern und leere danach meine Bierflasche. »Und was deine Frage angeht, das mache ich doch nicht, bevor ich nicht mit Hope darüber gesprochen habe«, wende ich mich an unseren Bassisten. »Vor euch wollte ich es nicht geheimhalten, aber unsere alten Herrschaften können ruhig noch ein paar Tage schmoren.«
»Wie ist sie denn so im B…«, fängt Saint an, kassiert dann allerdings von Colton einen Schlag auf den Hinterkopf. »Was?! Ist das in dem Fall auch ein No Go?!« Manchmal frage ich mich wirklich, was genau in seinem Hirn verkehrt geschaltet wurde.
»Natürlich ist es das!«, herrsche ich ihn an und lächele in mich hinein, als ich daran zurückdenke, wie es mit Hope war. Jedes
Mal ist besser gewesen, als das davor. Und wenn wir jetzt schon so miteinander harmonieren, obwohl wir uns auf dieser Ebene praktisch noch kennenlernen … ich kann bloß für mich sprechen, aber für mich war der Sex mit ihr nicht von dieser Welt.
»Sein dämliches Grinsen sagt mir alles, was ich wissen wollte«, frotzelt Saint, weicht aus und springt auf, als Colton ihm erneut einen mit der flachen Hand geben will. »Hey, es reicht, dass meine Mom das immer noch macht!«, mosert er und stürzt sich dann auf unseren Bandkollegen.
»Ich kann dir lediglich empfehlen, haltet das nicht so lange geheim, die Presse wird euch vermutlich sowieso schnell auf die Schliche kommen«, rät mir Ash mit einem sorgenvollen Ausdruck. »Logan trägt es dir bis in alle Ewigkeit nach, wenn er das durch eine Schlagzeile erfährt.«
Es ist so bezeichnend, dass er sich keine Sorgen darum macht, wie meine eigenen Eltern es aufnehmen könnten.
Mein Onkel hat uns echt gut im Griff, was das angeht.
Ich nicke. »Habe ich nicht vor, ich wollte Hope fragen, ob sie nächsten Sonntag zum Familienessen mitkommt und ihre Eltern ebenfalls einladen. Dann schlagen wir praktisch alle Fliegen mit einer Klappe.«
Deacon und Landon sehen sich kurz an und lachen gehässig.
»Du glaubst, Noah macht dich in Anwesenheit unserer Familien nicht rund?«, presst Deacon schließlich hervor.
Colton und Saint, die ihre kleine Rauferei inzwischen beendet haben, prusten los.
»Das kannst du dir abschminken. Du hast seine Tochter geknallt, er wird dich sowas von ungespitzt in den Boden rammen«, verkündet Saint dermaßen schadenfroh, dass ich unsere Verwandtschaft einen Moment lang in Zweifel ziehe. »Und jedes Mal, wenn er dich ansieht, wird er daran denken, dass du es ihr wieder und wieder besorgen wirst … er wird dich hassen.«
»Sein Schwanz-Radar wird es ihm wahrscheinlich bereits verraten haben, kaum, dass Hope gestern aus deinem Bett gekrochen und nach Hause gekommen ist«, fügt Landon hinzu, während er irgendwie versucht, ernst zu bleiben.
»War schön, dich gekannt zu haben«, kommt es so trocken von Colton, dass die Zwillinge und ihr teuflischer Anführer sofort loswiehern.
»Als ob ich nicht bereits genug Stress hätte, dann muss ich auch noch deine Beerdigung vermarkten, Ersatz für dich suchen …«, jammert Ash und stößt danach einen völlig übertriebenen Seufzer aus, ehe er es nicht länger schafft, sich zusammenzureißen. Er lacht und es wird noch schlimmer, als ich ihm den Mittelfinger zeige.
»Seid ihr bald fertig?« Augenverdrehend schnappe ich mir meine Drumsticks und erhebe mich. »Leute, ernsthaft, wir sollten arbeiten.«
»Ja … wir sollten zusehen und so viel Material wie möglich aufnehmen, bevor Jesse kommenden Sonntag ins Gras beißen muss«, quetscht Saint zwischen zwei Lachern hervor. »Ich hoffe bloß für dich, der Sex war es wert.«
Mein geistig manchmal etwas minderbemittelter Cousin hat keine Ahnung und ich werde ihn sicherlich nicht aufklären. Der wird ohnehin nichts checken, ehe ihm nicht selbst die Frau begegnet ist, von der er mehr will.
Aber ja … Hope war und ist es wert.