Das war eine ganz entscheidende Woche in seinem Leben, auch er selbst hat das gesagt. … An diesem Wochenende begann er sich von der KP abzuwenden.
Victor Weisskopf
Am 24. August 1939 setzte die Sowjetunion die Welt in ungläubiges Staunen: Wie gemeldet wurde, hatte sie am Vortag einen Nichtangriffspakt mit dem nationalsozialistischen Deutschland geschlossen. Eine Woche später begann mit dem fast gleichzeitigen Überfall Deutschlands und der Sowjetunion auf Polen der Zweite Weltkrieg. Zu diesen folgenschweren Ereignissen schrieb Oppenheimer seinem Physikerkollegen Willie Fowler: »Ich weiß, Charlie [Lauritsen] wird ein düsteres ›Hab ich dir doch schon beim Nazi-Sowjet-Pakt gesagt‹ von sich geben, ich gehe aber noch keine Wetten auf irgendeinen Aspekt von dem Hokuspokus ein, außer vielleicht, dass die Deutschen tief in Polen stehen. Ça stink [das stinkt].« 351
Inzwischen war Oppenheimer Senior Professor und eine im öffentlichen Leben ziemlich prominente Figur. Er hielt Reden zu politischen Themen und unterschrieb Petitionen, gelegentlich erschien sein Name in der örtlichen Presse. Seit dem Streik der Hafenarbeiter war San Francisco eine stark polarisierte Stadt, und die extremen Positionen hatten sich verhärtet, sowohl auf der Linken wie auf der Rechten. Und als die Konservativen wieder an Boden gewannen, war sich Oppenheimer wohl bewusst, dass seine politischen Aktivitäten Auswirkungen auf den Ruf der Universität haben könnten. Im Frühjahr 1941 vertraute er seinem Caltech-Kollegen Willie Fowler an, er werde möglicherweise »seine Stelle verlieren, … weil nächste Woche an der University of California Ermittlungen wegen radikaler Umtriebe aufgenommen werden, und Sache ist, dass die Ausschussmitglieder keine Gentlemen sind und mich nicht leiden können.« 352 »Naheliegend, dass die University of California zum Ziel wurde«, erzählte uns Martin D. Kamen, ein ehemaliger Student, »und Oppenheimer war überall bekannt, weil er sich häufig äußerte und aktiv war. Über manche Ereignisse regte er sich sehr auf, dann aber musste er wohl ein bisschen zurückstecken und wurde ruhiger. Doch wenn er sich durch irgendetwas provoziert fühlte … reagierte er sofort. Er war ein widersprüchlicher Typ.«
Im Gegensatz zu Chevaliers Behauptungen über Oppenheimers Sympathien für die Kommunisten 1939/40 gewannen andere Freunde den Eindruck, dass er die Sowjetunion immer illusionsloser betrachtete. Seit 1938 hatte die amerikanische Presse regelmäßig über den politischen Terror berichtet, den Stalin gegen Tausende angeblicher Verräter in der Partei entfesselte. »Ich las über die Säuberungsprozesse, allerdings nicht in allen Einzelheiten«, schrieb Oppenheimer 1954, »und ich konnte nicht anders, als das Sowjetsystem zu verurteilen.« Während sein Freund Chevalier einen Aufruf des Daily Worker vom 28. April 1938 zustimmend unterschrieb, in dem die Moskauer Urteile gegen trotzkistische und bucharinistische »Verräter« gelobt wurden, hat Oppenheimer Stalins mörderische Säuberungen nie verteidigt. 353
Im Sommer 1938 besuchten zwei Physiker, George Placzek und Victor Weisskopf, die sich mehrere Monate in der Sowjetunion aufgehalten hatten, Oppenheimer auf seiner Ranch in New Mexico. Lange debattierten die drei über die Zustände in der Sowjetunion. »Russland ist nicht so, wie du denkst«, erklärten die Besucher einem zunächst »ungläubigen« Oppenheimer, erzählten ihm von Alex Weissberg, einem österreichischen Ingenieur und Kommunisten, der plötzlich verhaftet worden sei, nur weil er sich mit Placzek und Weisskopf getroffen habe: »Es war schrecklich, wir riefen unsere Freunde an, und sie verleugneten uns, wollten uns nicht kennen. … Es ist schlimmer, als du dir vorstellen kannst, ein Sumpf.« 354 Oppenheimer habe bohrende Fragen gestellt, ein deutliches Zeichen dafür, wie sehr ihn der Bericht verstört hatte. Sechzehn Jahre später, während der Anhörungen von 1954, erklärte Oppenheimer: »Ihr [Placzeks und Weissbergs] Bericht erschien mir so solide, so wenig fanatisch und so aufrichtig, dass er mich sehr beeindruckte. Danach war Russland, auch aus ihrer begrenzten Sicht, ein Land der Säuberungen und des Terrors, einer lächerlich schlechten Verwaltung und eines seit langem leidenden Volkes.« 355 Noch sah er keinen Grund, nur wegen der Nachrichten über Stalins Greueltaten seine Grundsätze zu ändern und seine Sympathien für die amerikanische Linke aufzugeben. Er glaubte, so jedenfalls Weisskopfs Erinnerung, »noch weitgehend an den Kommunismus«. Gleichwohl habe er seinem, Weisskopfs, Bericht vertraut: »Er mochte mich wirklich sehr, das hat mich tief gerührt.« Robert wusste, dass Weisskopf, ein österreichischer Sozialdemokrat, nicht aus Antipathie gegen die Linke sprach: »Wir waren beide vollständig davon überzeugt, dass der Sozialismus die Richtung angibt, in die sich die Dinge entwickeln müssten.« 356 Andererseits hatte Weisskopf den Eindruck, dass Oppenheimer damals zum ersten Mal richtig erschüttert war: »Diese Gespräche hatten eine große Wirkung auf Robert. Das war eine ganz entscheidende Woche in seinem Leben, auch er selbst hat das gesagt. … An diesem Wochenende begann er sich von der KP abzuwenden.« Oppenheimer, darin war sich Weisskopf sicher, sah »die Hitlergefahr deutlich. … Und 1939 hatte sich Oppenheimer schon sehr weit von der kommunistischen Gruppe entfernt.« 357
Kurz nach Weisskopfs und Placzeks Besuch sprach er mit Edith Arnstein, Jean Tatlocks langjähriger Freundin: »Opje sagte, er sei zu mir gekommen, weil er wisse, dass ich zu meinen politischen Überzeugungen stünde, und er müsse mit jemandem reden.« So habe sie gehört, was er von Weisskopf erfahren hatte. Er könne das eigentlich nicht glauben, sich aber auch nicht so ohne weiteres darüber hinwegsetzen. Später schrieb Arnstein: »Er war niedergeschlagen und aufgewühlt, und … heute weiß ich, wie er sich fühlte, damals aber hatte ich für seine Leichtgläubigkeit nur Verachtung übrig.« 358 In diesem Herbst fiel den Freunden auf, dass Oppenheimer nicht mehr so gern über Politik diskutierte; er tat dies nur noch mit guten Freunden, im privaten Kreis. »Opje geht es gut und er lässt Dich grüßen«, hatte Felix Bloch schon im November 1938 an I.I. Rabi geschrieben, »offen gesagt, ich glaube nicht, dass Du seine Geduld erschöpft hast, aber wenigstens lobt er Russland nicht mehr ganz so laut, und das ist ja schon ein Fortschritt.« 359
Wie eng auch immer Oppenheimers Beziehungen zu KP-Mitgliedern gewesen sein mögen, seine Sympathie für Franklin D. Roosevelt und den New Deal hatte er nie verloren. Manche Freunde erlebten ihn als leidenschaftlichen Anhänger des Präsidenten, so etwa Ernest Lawrence, der sich erinnerte, wie heftig ihn der Freund vor den Präsidentschaftswahlen von 1940 bedrängte: Oppenheimer habe einfach nicht glauben wollen, dass er, Lawrence, so unentschlossen sei. Leidenschaftlich habe er sich einen Abend lang für Roosevelt und seine Kampagne für eine dritte Amtszeit eingesetzt, dass er, Lawrence, schließlich versprochen habe, für FDR zu stimmen. 360
Oppenheimers politische Ansichten wandelten sich, vor allem unter dem Eindruck der verheerenden Kriegsnachrichten. Der Zusammenbruch Frankreichs im Frühsommer 1940 bedrückte ihn sehr. Hans Bethe hat ihn kurz darauf, während einer Tagung der American Physical Society in Seattle, getroffen. Er kannte Oppenheimers politische Ansichten zumindest in Umrissen und hörte überrascht, wie sein Freund in einer »wundervollen Rede« erklärte, der Fall von Paris sei eine Bedrohung für die ganze westliche Kultur: »Wir müssen die westlichen Werte gegen die Nazis verteidigen, und allein wegen des Molotow-Ribbentrop-Paktes kann es für uns keine Gemeinsamkeit mit den Kommunisten geben.« 361 Jahre später sagte Bethe dem Physiker und Historiker Jeremy Bernstein: »Seine Sympathien lagen damals bei der extremen Linken – was vermutlich vor allem humanitäre Gründe hatte. Der Pakt zwischen Hitler und Stalin hatte die meisten prokommunistisch eingestellten Leute verwirrt. So ignorierten sie den Krieg, bis die Nazis 1941 Russland überfielen. Doch Oppenheimer war bereits durch den Fall Frankreichs so schockiert, dass dieses Ereignis für ihn alles andere verdrängte.« 362
Am Sonntag, dem 22. Juni 1941, hörten die Chevaliers und Oppenheimer auf der Rückfahrt von einem Strandpicknick im Radio vom Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion. Lange blieb man auf, um die neuesten Nachrichten zu verfolgen: Man versuchte zu verstehen, was da vor sich ging. Hitler, so hörte Chevalier den Freund an diesem Abend sagen, habe einen großen Fehler gemacht. Indem er jetzt die Sowjetunion angreife, habe er »mit einem Schlag die so gefährliche, in liberalen Kreisen gleichwohl beliebte Fiktion zerstört, dass Faschismus und Kommunismus nur zwei unterschiedliche Versionen derselben totalitären Philosophie« seien. Jetzt werde man die Kommunisten überall als Verbündete der westlichen Demokratien begrüßen – eine Entwicklung, die beide Männer für lange überfällig hielten.
Ein halbes Jahr später, nach dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941, befanden sich auch die Vereinigten Staaten im Krieg. »Es war ganz natürlich«, so Chevalier, »dass unser kleiner Kreis in Berkeley diesen Stimmungsumschwung im Land widerspiegelte.« Man habe sich weiterhin getroffen, Oppenheimer sei allerdings seltener gekommen und viel auf Reisen gewesen. »Wenn wir zusammenkamen, beschränkten wir uns weitgehend auf die Erörterung der Entwicklung des Krieges und der Ereignisse an der Heimatfront.« Chevalier hat stets behauptet, dass Oppenheimer, den er als seinen besten Freund betrachtete, seine eigenen linken politischen Auffassungen geteilt habe – bis ins Frühjahr 1943, als er Berkeley verließ: »Wir (strebten) … gemeinsam das Ideal einer sozialistischen Gesellschaft an … In all diesen Jahren … hat es in seiner Stellungnahme niemals ein Schwanken, niemals ein Erlahmen gegeben. Er stand fest wie ein Felsen.« Womit er, Chevalier, nicht sagen wolle, Oppenheimer sei ein Ideologe gewesen: »Er kannte … keine Blindheit, keine engstirnige Parteilichkeit, kein automatisches Einordnen in Reih und Glied.« 363
In solchen Darstellungen erscheint Oppenheimer als linker Intellektueller, der sich keiner Parteidisziplin unterworfen hat. Doch als Chevalier 1948 über seine Freundschaft mit Oppenheimer zu schreiben begann, wollte er noch etwas anderes zu verstehen geben. Der Protagonist in Chevaliers Roman, ein brillanter Physiker, der am Bau einer Atombombe arbeitet, ist zugleich der Leiter einer »Zelle« der Kommunistischen Partei. 1950 ließ Chevalier das unvollendete Manuskript liegen, weil er keinen Verlag dafür fand. 1954 aber, nach Oppenheimers Sicherheitsanhörung, nahm er die Arbeit wieder auf, und 1959 erschien der Roman bei G.P. Putnam’s Sons unter dem etwas pompösen Titel Der Mann, der Gott sein wollte. Es war ein Schlüsselroman, aber er verkaufte sich nicht gut, und Chevalier war enttäuscht über die Rezensionen. So monierte der Rezensent von Time: »Der Ton des Romans lässt an einen ehemaligen Verehrer denken, der auf seinem gestürzten Idol herumtrampelt.« 364 Doch die Sache ließ Chevalier nicht los. Im Sommer 1964 schrieb er Oppenheimer, er sei gerade dabei, einen Bericht über ihre Freundschaft fertigzustellen: »In meinem Roman habe ich versucht, die Geschichte in ihren Grundzügen zu erzählen. Aber die Leser ließen sich durch die Mischung aus Dichtung und Wahrheit irritieren, und da ist mir klargeworden, dass ich die Geschichte so erzählen muss, wie sie wirklich war … ein wichtiger Teil betrifft Deine und meine Mitgliedschaft in derselben Einheit der KP von 1938 bis 1942. Ich möchte diesen Punkt in einer angemessenen Perspektive darstellen, indem ich die Tatsachen berichte, wie ich sie erinnere.« Ob er, Oppenheimer, etwas dagegen habe, wenn er darüber schriebe. Zwei Wochen später kam Oppenheimers knappe Antwort:
In Deinem Brief fragst Du, ob ich etwas dagegen hätte. Ja, ich habe etwas dagegen. Was Du über Dich selbst schreibst, überrascht mich. Ganz sicher aber ist das, was Du über mich sagst, in einer Hinsicht unwahr. Ich war nie Mitglied der Kommunistischen Partei und daher auch nicht Mitglied einer Einheit der Kommunistischen Partei. Ich habe das natürlich immer gewusst und dachte, Du auch. Ich habe das immer und immer wieder öffentlich zum Ausdruck gebracht, so auch in Reaktion auf das, was Crouch 1950 sagte. Und ich habe es vor zehn Jahren in den Anhörungen des AEC gesagt.
Wie stets,
Robert Oppenheimer 365
Chevalier nahm diesen Einspruch auch als Warnung, dass er mit einer Verleumdungsklage rechnen müsse, wenn er schriebe, Oppenheimer habe der KP angehört. Sein Buch Mein Fall Oppenheimer erschien im folgenden Jahr – ohne diese kühne Behauptung. Aus der »geschlossenen Einheit« ist ein »Diskussionskreis« geworden. Er habe dieses Buch schreiben müssen, so Chevalier an Oppenheimer, weil »Geschichte als ihre Magd die Wahrheit braucht«. In diesem Fall aber ist die »Wahrheit« eine persönliche Wahrnehmung. Waren alle Mitglieder des »Diskussionskreises« von Berkeley auch Mitglieder der KP? Chevalier muss dieser Ansicht gewesen sein; Oppenheimer jedoch beharrte darauf, dass zumindest er kein Parteimitglied war. 366
John Earl Haynes und Harvey Klehr – zwei Historiker des amerikanischen Kommunismus – schreiben: »Kommunist zu sein hieß, einem engen Weltbild anzuhängen, das gegen jeden Einfluss von außen völlig abgeschirmt war.« Auf Robert Oppenheimer traf dies zu keinem Zeitpunkt zu. Er las Marx, aber auch die Bhagavad Gita, Ernest Hemingway und Sigmund Freud – Letzteres war damals Grund genug für einen Parteiausschluss. Kurz, Oppenheimer ist diesen eigentümlichen Gesellschaftsvertrag, der von Parteimitgliedern erwartet wurde, niemals eingegangen. 367