11.
»Ich werde eine Frau heiraten,
die du kennst, Steve«

Ihre Karriere hat die von Robert noch weiter vorangebracht 
Robert Serber

Ende 1939 hatte sich Oppenheimers oft stürmische Beziehung zu Jean Tatlock aufgelöst. Robert liebte sie, wollte sie, trotz aller Probleme, heiraten. »Mindestens zweimal waren wir so nahe an einer Heirat, dass wir uns als verlobt betrachten konnten«, sagte er später. 368 Aber mit seinem Verhalten brachte er immer wieder Jeans problematische Seiten zum Vorschein, verärgerte sie zum Beispiel mit seiner Gewohnheit, Freunde mit Geschenken zu überhäufen. So jedenfalls wollte Jean nicht umsorgt werden: »Keine Blumen mehr, Robert, bitte!« 369 Doch unweigerlich kam er, wenn er sie das nächste Mal bei einer Freundin abholte, mit dem üblichen Strauß Gardenien. Jean sah die Blumen, warf sie auf den Boden und bat die Freundin: »Sag ihm, er soll gehen, ich bin nicht da.« Sie sei, so Robert Serber, durch Phasen gegangen, in denen sie »für Wochen, manchmal Monate verschwand und dann mit Robert unbarmherzig ihren Spott trieb. Sie reizte ihn, indem sie verlauten ließ, mit wem sie zusammen gewesen sei und was sie mit anderen getrieben hätte. Sie schien entschlossen, ihm weh zu tun, vielleicht weil sie wusste, wie sehr Robert sie liebte. 370

Sie war es schließlich, die die Beziehung abbrach. Seinen letzten Heiratsantrag lehnte sie ab. An Willensstärke stand sie Robert nicht nach. Sie hatte drei Jahre Medizin studiert, was schon außergewöhnlich genug war in den 1930er Jahren: Nur wenige Frauen wurden damals Ärztinnen. Und damit nicht genug, sie wollte Psychiaterin werden, was sogar ihre Freunde erstaunte; manche hielten das für typisch für diese bisweilen so hochfahrende, impulsive Frau, ahnten aber auch, dass dieser Berufswunsch zu ihr passte. Denn sie war, von ihren politischen bis zu ihren psychologischen Interessen, stets von dem Wunsch beseelt, anderen auf praktische, realistische Weise zu helfen. Ihr Wunsch, Psychiaterin zu werden, entsprach ihrem Temperament und ihrer Intelligenz. Im Juni 1941 legte sie ihr Medizinexamen in Stanford ab, arbeitete anschließend ein Jahr als Medizinalassistentin im psychiatrischen St. Elizabeth Hospital in Washington, 1943 dann als Ärztin im Mount Zion Hospital in San Francisco.


Um über seine Enttäuschung hinwegzukommen, traf Robert Verabredungen mit einigen »zumeist sehr attraktiven, sehr jungen Frauen«, hatte eine Beziehung mit Haakon Chevaliers Schwägerin Ann Hoffman, dann mit Estelle, der Schwester Herbert Caens, des Kolumnisten des San Francisco Chronicle . Bob Serber sprach von einem halben Dutzend Freundinnen, auch eine Engländerin, Sandra Dyer-Bennett, sei darunter gewesen. 371 Oppenheimer brach mehrere Herzen. Und weiterhin fuhr er auch zu Jean, wenn sie niedergeschlagen war und ihn anrief, und versuchte, sie aus ihrer Depression herauszuholen. Sie blieben enge Freunde und gelegentliche Liebhaber.

Dann, im August 1939, besuchte er eine Gartenparty bei Charles Lauritsen in Pasadena und wurde im Lauf des Nachmittags einer neunundzwanzigjährigen verheirateten Frau vorgestellt: Kitty Harrison. 372 Bob Serber, zufälliger Zeuge dieser Begegnung, meinte, Kitty sei auf der Stelle wie gebannt gewesen. Und auch sie selbst schrieb später: »Ich verliebte mich schon an jenem ersten Tag in Robert, aber ich hoffte, dies verborgen halten zu können.« Bald darauf erschien Robert, zur Überraschung der Freunde, unangekündigt mit Kitty Harrison am Arm auf einer Party in San Francisco. An diesem Abend trug sie flammende Orchideen am Mieder. Alle waren etwas betreten, denn Gastgeberin war Estelle Caen, Oppies neueste Geliebte. Eine, so Chevalier, »nicht allzu glückliche Situation«. Kitty aber war keine vorübergehende Laune, und seine Freunde gaben ihre Reserve auf: »Nehmen wir es, wie es ist. Es mag skandalös sein, immerhin wird er durch Kitty menschlicher.«

Die kleine brünette Katherine Puening Harrison war so attraktiv wie Jean Tatlock, aber von ganz anderem Temperament. Dass sie an dem Abend, als Oppies Freunde sie zum ersten Mal zu Gesicht bekamen, einen extravaganten Orchideenschmuck trug, war ihr Stil: Sie zog diese anspruchsvollen Blumen in ihrer Wohnung und wusste sich zu schmücken. Überhaupt hatte die lebhafte Kitty nichts Verdrießliches. Dabei hatte sie harte Schicksalsschläge hinnehmen müssen, sich auch selbst in merkwürdige Situationen manövriert, daraus jedoch auch immer wieder herausgefunden. Mochte Jean wie eine irische Prinzessin aussehen, Kitty machte geltend, eine wahre Prinzessin zu sein: Sie stamme aus einem deutschen Fürstenhaus. »Kitty war«, wie auch Robert Serber bestätigte, »mütterlicherseits mit allen gekrönten Häuptern Europas verwandt. Als Kind pflegte sie im Sommer ihren Onkel zu besuchen, den König von Belgien.« Geboren wurde Kitty Puening am 8. August 1910 in Recklinghausen, zwei Jahre später emigrierten ihre Eltern, der einunddreißigjährige Franz Puening und die dreißigjährige Käthe Vissering Puening, nach Pittsburgh. Der Vater, ein Ingenieur, hatte überraschend eine Stelle in einem Stahlwerk bekommen. 373

Kitty, ein Einzelkind, wuchs privilegiert auf: im vornehmen Pittsburgher Vorort Aspinwall. Freunden erzählte sie später, ihr Vater sei »Thronerbe eines kleinen Fürstentums in Westfalen« und ihre Mutter mit Queen Victoria verwandt. Der Großvater Bodewin Vissering war Königlich Hannoverscher Kronlandpächter und Mitglied des Stadtrats von Hannover. Die Vorfahren ihrer Großmutter Johanna Blonay dienten, seit der Zeit der Kreuzzüge im 11. Jahrhundert, dem Haus Savoyen, einer der ältesten Dynastien Europas, als königliche Vasallen, als Verwalter und Berater des Hofes in verschiedenen savoyischen Fürstentümern in Italien, der Schweiz und Frankreich. Sie selbst besaßen ein herrliches Château südlich des Genfer Sees. 374

Käthe Vissering, eine schöne und imposante Erscheinung, war kurz mit einem Kusin verlobt, mit Wilhelm Keitel, dem späteren Feldmarschall Hitlers, der 1946 in Nürnberg als Kriegsverbrecher gehängt wurde. 375 Während die Mutter darauf bestand, Tochter Katherine zu Besuchen ihrer »fürstlichen« Verwandtschaft nach Europa mitzunehmen, musste sie ihrem Vater versprechen, über ihre blaublütigen Vorfahren Stillschweigen zu bewahren. Als junge Frau jedoch ließ sie gelegentlich durchblicken, dass sie aus einer adeligen Familie stamme. Freunde der Familie wie Serber erinnerten sich an Briefe, die Verwandte aus Deutschland »An Ihre Hoheit Katherine« adressiert hatten.

Während des Ersten Weltkriegs hatten die Puenings, Einwanderer aus Deutschland, einige Probleme. Als feindlicher Ausländer wurde Franz Puening von örtlichen Behörden unter Aufsicht gestellt, und selbst der kleinen Kitty bereiteten Kinder aus der Nachbarschaft harte Zeiten. Englisch war nicht ihre Muttersprache, und auch später sprach sie noch ein schönes Hochdeutsch. Ihre Mutter fand die Heranwachsende »herrisch«, gut kamen die beiden nicht miteinander zurecht. Sie war draufgängerisch und überschwänglich, ein Mädchen, das es mit den gesellschaftlichen Konventionen nicht so genau nahm. »Sie war in der Highschool so wild wie der Teufel«, so Pat Sherr, eine spätere Freundin.

Kittys Collegezeit war unstet, zunächst schrieb sie sich an der Universität Pittsburgh ein, ging ein Jahr später bereits nach Deutschland und Frankreich. Eigentlich wollte sie in München, an der Sorbonne und in Grenoble studieren, verbrachte jedoch die meiste Zeit in Pariser Cafés und zog mit Musikern herum. »Ich steckte wenig Zeit in mein Studium«, räumte sie später ein. Einen dieser jungen Männer, den in Boston geborenen Musiker Frank Ramseyer, heiratete sie 1932, einen Tag nach Weihnachten, Hals über Kopf. 376 Einige Monate später fand Kitty das Tagebuch ihres Gatten – er führte es in Spiegelschrift – und entdeckte, dass er drogenabhängig und homosexuell war. Sie floh zurück nach Amerika, schrieb sich an der University of Wisconsin ein und begann ein Biologiestudium. Am 20. Dezember 1933 annullierte ein Gericht in Wisconsin ihre Ehe – die Zeugenaussagen wurden einbehalten wegen Obszönität. 377

Zehn Tage später wurde Kitty von Selma Baker, einer Freundin in Pittsburgh, zu einer Neujahrsparty eingeladen: Sie habe einen Kommunisten kennengelernt, ob Kitty ihn auch kennenlernen wolle. »Da keine von uns je einem richtigen, lebendigen Kommunisten begegnet war«, so Kitty später, »fanden wir es interessant, einen zu sehen.« So lernte sie Joe Dallet kennen, den sechsundzwanzigjährigen Sohn eines reichen Geschäftsmannes aus Long Island. »Joe war drei Jahre älter als ich. Ich verliebte mich auf dieser Party in ihn und ich hörte nie auf, ihn zu lieben.« Knapp sechs Wochen später verließ sie Wisconsin und ging nach Youngstown, Ohio, heiratete Dallet und lebte mit ihm zusammen. 378

Dallet, ein großer, hagerer junger Mann mit dichten dunklen Locken, schien zu fast allem fähig zu sein. 1907 geboren, sprach er fließend Französisch, spielte Klavier und war bewandert in den Lehren des dialektischen Materialismus. Beide Eltern waren Amerikaner deutsch-jüdischer Herkunft in der ersten Generation. Eine Zeitlang hatte er eine Privatschule besucht und sich im Herbst 1923 im Dartmouth College eingeschrieben. Damals hatte er sich bereits politisch radikalisiert und kämpfte militant für seine »proletarischen Ideale«. Anlass seiner Politisierung war wohl die Hinrichtung der in Italien geborenen Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti im August 1927. »Es ist schwer zu sagen, was aus mir geworden wäre«, schrieb er seiner Schwester, »wären nicht am 23. August 1927 ein paar Spaghettifresser auf dem elektrischen Stuhl des Staates Mass [achusetts] zu Tode verbrannt worden.«

Entschlossen, »die Spuren seines früheren behüteten Lebens verschwinden zu lassen«, arbeitete Dallet zunächst als Sozialarbeiter, dann als Hafenarbeiter und Bergmann. 1929, nach seinem Eintritt in die KP, schrieb er seinen besorgten Eltern: »Ihr müsst begreifen, dass ich tue, woran ich glaube, was ich tun will, was ich am besten tun kann … und dass ich wirklich glücklich bin.« Einige Monate hielt er sich in Chicago auf, wo er nach einer Rede vor einigen Tausend Menschen von der berüchtigten »Red Squad« der Stadtpolizei verprügelt wurde.

1932 arbeitete Dallet als Gewerkschafter in Youngstown, Ohio, an vorderster Front der ruppigen Kampagne, die der Congress of Industrial Organizations (CIO) veranstaltete, um Stahlarbeiter in den Schoß der Gewerkschaft zu holen. An den oft gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Schlägern der Stahlunternehmen beteiligte er sich mit Mut und körperlichem Einsatz. Mehrfach steckte ihn die Polizei ins Gefängnis, um zu verhindern, dass er auf Gewerkschaftsversammlungen sprach. Als Kandidat der KPUSA trat er auch zur Bürgermeisterwahl an. 379

Obwohl Kitty seine Frau war, durfte sie erst in die Young Communist League eintreten, nachdem sie ihr Engagement unter Beweis gestellt hatte – das hieß, den Daily Worker auf der Straße verkaufen und Flugblätter an Stahlarbeiter verteilen: »Ich trug, wenn ich an den Fabriktoren Flugblätter der KP verteilte, immer Tennisschuhe, so dass ich schnell weglaufen konnte, falls die Polizei kam.« Ihr Mitgliedsbeitrag betrug zehn Cent die Woche. Das Ehepaar wohnte in einer heruntergekommenen Pension für fünf Dollar Monatsmiete, sie lebten von Sozialhilfe: Zusammen erhielten sie 12,50 Dollar für zwei Wochen. »Das Haus hatte eine Küche«, so Kitty, »aber der Gasherd hatte ein Leck, und es war unmöglich, darauf zu kochen. Unsere Nahrung bestand aus zwei Mahlzeiten, die wir in einem schmuddeligen Restaurant einnahmen.« Im Sommer 1935 arbeitete sie als »Literaturagentin« für die Partei: Sie sollte Mitglieder dazu bewegen, die marxistischen Klassiker zu kaufen und zu lesen. Bis 1936 hielt Kitty durch, dann erklärte sie Joe, unter solchen Bedingungen könne sie nicht länger leben. Doch Joes Leben war die Partei, und so kam es zum Streit. Wie Steve Nelson, ein gemeinsamer Freund, berichtete, reagierte Joe »ziemlich dogmatisch auf ihre Weigerung, sich so eng an die Partei zu binden wie er«. 380 Nach zweieinhalb Jahren in äußerster Armut kündigte sie an, sie müssten sich trennen: »Obwohl die Liebe zwischen Joe und mir anhielt, deprimierte mich unsere Armut immer mehr …« Im Juni 1936 schließlich floh sie nach London, wo ihr Vater einen Auftrag zum Bau eines Hochofens übernommen hatte. Eine Zeitlang hörte sie nichts von Dallet – bis sie eines Tages feststellte, dass ihre Mutter seine Briefe abfing. Sie hätte sich gern wieder mit ihm versöhnt; hocherfreut hörte sie, er werde nach Europa kommen. 381

Dallet hatte sich Anfang 1937 entschlossen, als Freiwilliger in einer kommunistischen Brigade für die spanische Republik und gegen die Faschisten zu kämpfen. Im März 1937 bestiegen er und sein alter Kollege Steve Nelson die Queen Mary . Kitty wartete am Hafen, als das Schiff in Cherbourg eintraf. Zu dritt verbrachten sie eine Woche in Paris – Nelson immer mit dabei: »Ich war wie das fünfte Rad am Wagen. Kitty beeindruckte mich, sie war eine kluge und süße junge Frau, nicht sehr groß, blond und sehr freundlich.« Sie hatte genügend Geld aus London mitgebracht, die drei konnten in einem anständigen Hotel wohnen und gut essen gehen. Nelson erinnerte sich an den französischen Käse und den Wein, und auch daran, wie gerne Kitty ihren Joe auf die spanischen Schlachtfelder begleitet hätte. Aber die Partei hatte entschieden, dass Ehefrauen nicht mit ihren Männern nach Spanien gehen durften. Joe sei außer sich gewesen: »Das ist die reine Bürokratie, hat er geschimpft, sie könnte viel tun, zum Beispiel einen Krankenwagen fahren. Kitty wäre auf jeden Fall mitgegangen.« Aber alle Bemühungen, ein Schlupfloch zu finden, waren vergeblich. Am Ende dieser Woche musste sich Dallet von Kitty verabschieden, er und Nelson fuhren nach Spanien. Am letzten Tag ging Kitty mit den beiden Freiwilligen warme Flanellhemden, mit Wolle gefütterte Handschuhe und Wollsocken kaufen. Dann fuhr sie nach London zurück und wartete auf eine Gelegenheit, wieder zu ihrem Mann zu stoßen. Sie schrieben sich viel, und Kitty machte es sich zur Gewohnheit, ihm jede Woche ein Foto von sich zu schicken. 382

Nachdem es ihm gelungen war, durch die spanische Grenze zu schlüpfen, schrieb Dallet an Kitty: »Ich bete Dich an und kann es kaum abwarten, nach A. [Albacete] zu kommen und Deinen Brief zu finden.« Noch im Juli schrieb er ihr optimistische, glühende Berichte von seinen Erlebnissen: »Es ist ein verdammt interessantes Land, ein verdammt interessanter Krieg und der interessanteste Job, den ich bisher hatte, nämlich den Faschisten verdammt eins draufzugeben.« 383

Kitty mochte Steve Nelson, und so schrieb sie dessen Frau Margaret, die sie noch nicht kennengelernt hatte, über ihre gemeinsame Woche in Paris: »Wir hatten schöne fünf Tage. Wahrscheinlich waren sie nicht die beste Vorbereitung auf die harte Reise, die die Männer vor sich hatten, aber sie haben großen Spaß gemacht.« Auch an der großartigen Massenkundgebung, auf der 30000 Menschen gegen die neutrale Haltung des Westens im Spanischen Bürgerkrieg protestierten, hätten sie teilgenommen. »Da wir die Reden auf der Kundgebung nicht verstehen konnten, war die Fahrt mit der U-Bahn dorthin das Aufregendste für uns. Hunderte junger Kommunisten hielten die U-Bahn auf, bis alle drin waren, sie sangen die Internationale und riefen antifaschistische Parolen. Alle sangen und schrien mit, und als wir in Grenelle [der U-Bahnstation in der Nähe der Kundgebung] ankamen, hatte man den Eindruck, ganz Paris singe die Internationale. Ich bin vielleicht ein emotionaler Typ (obwohl ich mir da nicht so sicher bin), aber ich habe mich gefühlt, als sei ich plötzlich dreimal so groß geworden, mir kamen die Tränen, und ich wollte mit aller Kraft losbrüllen.« 384

In Spanien wurde Joe Dallet dem 1500 Mann starken McKenzie-Papineau Bataillon als »Politkommissar« zugeteilt, einer überwiegend kanadischen Einheit, die zu diesem Zeitpunkt viele amerikanische Freiwillige aus der Abraham Lincoln Brigade aufnahm. Im Sommer begannen er und seine Männer mit der Kampfausbildung. Militärisch gesehen war die Lage der Republikaner nicht gut, die Faschisten waren in der Überzahl, auch technisch besser gerüstet und wurden zudem von Deutschland und Italien mit Flugzeugen und Geschützen beliefert. Auch Dallet und seine Männer bekamen das zu spüren. Zudem wurde die spanische Linke, wie Dallet bald mitbekam, zusätzlich geschwächt durch erbitterte, manchmal tödliche Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Fraktionen. Im Herbst führte Dallet den Vorsitz bei »Prozessen« gegen Deserteure, nach einem Bericht sollen einige dieser Männer hingerichtet worden sein. Dallets Ansehen bei seiner Truppe sank. 385 Nach einem Bericht der Komintern vom 9. Oktober 1937 »erklärten viele Männer offen ihre Unzufriedenheit mit Joe, und es heißt, er werde vielleicht abgesetzt …« 386 Vier Tage später, in seinem ersten Kampfeinsatz, führte er sein Bataillon in eine Offensive gegen die von den Faschisten gehaltene Stadt Fuentes del Ebro. Als Erster stürmte er aus dem Graben, und nach nur wenigen Metern wurde er von Maschinengewehrfeuer in der Leistengegend getroffen. Schwerverletzt versuchte er, in die eigenen Gräben zurückzurobben. Von einer weiteren Salve getroffen, starb er, keine dreißig Jahre alt. 387

Kitty, die siebenundzwanzigjährige Witwe eines Kriegshelden der KP, kehrte nach Amerika zurück; die Partei sorgte dafür, dass seiner gedacht wurde. Einer der wenigen Ivy-League-Kommunisten war zum Märtyrer der Arbeiterklasse geworden. Mit Kittys Einverständnis veröffentlichte die Partei 1938 unter dem Titel Letters from Spain eine Auswahl aus Joes Briefen an seine Frau. Einige Monate verbrachte Kitty, nach einer spontanen Einladung Steves, in der überbelegten New Yorker Wohnung der Nelsons und traf dort auch einige von Joes alten Freunden, allesamt Parteimitglieder. Wie sie später vor Ermittlungsbeamten der Regierung aussagte, gehörten zu ihren Bekannten so berühmte Kommunisten wie Earl Browder, John Gates, Gus Hall, John Steuben und John Williamson. Sie dagegen sei, als sie Youngstown im Juni 1936 verlassen habe, aus der Partei ausgetreten; Mitgliedsbeiträge habe sie keine mehr gezahlt. 388

Anfang 1938 besuchte Kitty eine Freundin in Philadelphia, entschloss sich zu bleiben und schrieb sich zum Frühjahrssemester an der University of Pennsylvania für Chemie, Mathematik und Biologie ein. Endlich schien sie bereit, ihren Collegeabschluss zu machen. Im Frühjahr oder Sommer 1938 sah sie den in England geborenen Arzt Richard Stewart Harrison wieder, den sie als junges Mädchen kennengelernt hatte. Harrison, ein großer, gutaussehender Mann, hatte in England bereits als Arzt gearbeitet und beendete damals gerade sein Medizinalpraktikum, die Voraussetzung für seine Zulassung in den Vereinigten Staaten. Er war älter als Kitty und interessierte sich nicht für Politik, hatte also etwas zu bieten, was Kitty nun unbedingt wollte: Verlässlichkeit und gesicherte Verhältnisse. Wieder traf sie eine impulsive Entscheidung: Am 23. November 1938 heiratete sie Harrison. Von Anfang an, so sagte sie später, sei diese Ehe »ein einzigartiger Misserfolg« gewesen. Sie sei drauf und dran gewesen, ihn zu verlassen, »lange bevor sie es dann wirklich tat«. Harrison ging bald nach Pasadena, wo er eine Stelle als Assistenzarzt antrat. Kitty blieb zunächst in Philadelphia und erwarb im Juni 1939 mit Auszeichnung ihren Bachelor of Arts in Botanik. Zwei Wochen später folgte sie Harrison nach Kalifornien. 389

Mit neunundzwanzig Jahren schien Kitty endlich bereit, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. 390 Zwar steckte sie fest in einer »unmöglichen Ehe«, war aber entschlossen, ihren beruflichen Werdegang nun selbst in die Hand zu nehmen. Sie wollte Botanikerin werden, und mit einem Forschungsstipendium nahm sie an der University of California in Los Angeles ihr Graduiertenstudium auf, wollte promovieren, hoffte Professorin für Botanik zu werden. Im August 1939 besuchte sie mit Harrison jene Gartenparty in Pasadena, auf der sie Oppenheimer kennenlernte. Ihr Studium in Los Angeles sollte im Herbst beginnen, aber sie konnte den großen jungen Mann mit den blassblauen Augen nicht vergessen. In den nächsten Monaten begegneten sie sich wieder, und von da an verabredeten sie sich häufig. Obwohl Kitty noch verheiratet war, taten sie nichts, um ihre Affäre geheim zu halten. Häufig sah man sie in Roberts Chrysler-Cabrio. So auch Dr. Louis Hempelmann, ein Arzt, der in Berkeley lehrte: »Er fuhr mit der hübschen jungen Frau vor. Sie war sehr attraktiv, rank und schlank wie er. Sie küssten sich und gingen ihrer Wege. Robert trug immer diesen Porkpie-Hut.« 391

Im Frühjahr 1940 lud Oppenheimer – ziemlich kühn – Richard und Kitty Harrison für den Sommer nach Perro Caliente ein. Im letzten Moment, so Harrison später vor dem FBI, habe er sich entschlossen, nicht zu fahren, seiner Frau jedoch freigestellt, die Reise ohne ihn anzutreten. Für die gleiche Zeit hatte Robert auch Bob und Charlotte Serber auf die Ranch eingeladen. Und als sie aus Urbana, Illinois, wo Serber unterrichtet hatte, nach Berkeley zurückkamen, erklärte Oppie, er habe auch die Harrisons eingeladen, Richard jedoch werde nicht mitfahren: »Vielleicht kommt Kitty allein. Ihr könntet sie mitnehmen. Das überlasse ich euch. Aber wenn ihr sie mitnehmt, kann das schwerwiegende Folgen haben.« Kitty fuhr gern mit den Serbers – und blieb zwei ganze Monate auf der Ranch. Kurz nach ihrer Ankunft ritten Kitty und Robert – sie nannte ihn stets Robert – zu Katherine Pages Ranch in Los Pinos, blieben über Nacht, erst am nächsten Morgen ging es zurück. Katherine – die Frau, die den jungen Oppenheimer im Sommer 1922 so fasziniert hatte – folgte ihnen ein paar Stunden später und brachte Kitty mit schelmischem Lächeln das Nachthemd, das sie unter Roberts Kopfkissen in Los Pinos gefunden hatte. 392 Ende dieses Sommers rief Oppenheimer bei Harrison an, um ihm mitzuteilen, dass seine Frau schwanger sei. Die beiden einigten sich, dass Harrison sich von Kitty scheiden lassen werde, damit sie Oppenheimer heiraten konnte – ein Arrangement unter Gentlemen. Später erklärte Harrison dem FBI, er und die Oppenheimers verstünden sich »immer noch gut«, man habe eben »eine moderne Einstellung zum Sex«. 393

Bob Serber hatte die leidenschaftliche Affäre im Sommer 1940 miterlebt, dennoch war er erstaunt, als er im Oktober hörte, dass sein Freund heiraten wollte. Im ersten Moment sei ihm gar nicht klar gewesen, wen Oppenheimer eigentlich heiraten wollte, Jean oder Kitty – es hätte die eine so gut wie die andere sein können. Andere Freunde waren ziemlich empört darüber, dass Oppenheimer mit der Frau eines anderen auf und davon gegangen war. 394

In Herbst 1940 saß Oppenheimer bei einer Benefizveranstaltung für Flüchtlinge des Spanischen Bürgerkriegs in Berkeley zufällig neben Steve Nelson auf dem Podium. Nelson war gerade nach San Francisco gekommen und hatte von Oppenheimer, dem Hauptredner der Veranstaltung, bisher nichts gehört. Oppenheimer führte aus, wie der Sieg der Faschisten in Spanien geradewegs zum Ausbruch des Kriegs in Europa geführt habe; alle, die wie Nelson in Spanien gekämpft hätten, hätten den Kriegsausbruch nur hinausgezögert.

Anschließend ging Oppenheimer auf Nelson zu und sagte mit breitem Lächeln: »Ich werde eine Frau heiraten, die du kennst, Steve.« Nelson hatte keine Ahnung, wer sie sein könnte. Oppenheimer erklärte: »Kitty, ich werde Kitty heiraten.«

»Kitty Dallet!«, rief Nelson. 395 Seine Verbindung zu ihr war abgerissen, seit sie bei ihm und Margaret in New York gewohnt hatte. »Sie sitzt hinten im Saal«, sagte Oppenheimer und winkte Kitty herbei. Die beiden fielen sich in die Arme und verabredeten ein Treffen. Bald darauf kamen die Nelsons zu den Oppenheimers zum Abendessen. Dann zog Kitty nach Reno, Nevada, wo sie für die für eine Scheidung vorgeschriebene Dauer von sechs Wochen ihren Wohnsitz nehmen musste, und am 1. November 1940 erhielt sie die Scheidungsurkunde. Noch am gleichen Tag heiratete sie Robert in Virginia City, Nevada. Als Trauzeugen fungierten ein Pförtner und ein Gerichtsbeamter. Als die Neuvermählten nach Berkeley zurückkamen, trug Kitty Oppenheimer ein Umstandskleid. 396

Ende November rief Margaret Nelson Kitty an: Sie habe gerade eine Tochter geboren und sie Joe Dallet zu Ehren Josie genannt. Umgehend lud Kitty die Nelsons in ihr neues Haus ein und bot ihnen das freie Schlafzimmer an. In den nächsten Jahren waren die Nelsons häufig bei den Oppenheimers zu Gast, die Kinder spielten zusammen. Das FBI überwachte diese Kontakte. Aus einem Abhörprotokoll geht hervor, dass sich Oppenheimer mit Nelson am Sonntag, dem 5. Oktober 1941 traf, offenbar um ihm einen Scheck über 100 Dollar für die streikenden Landarbeiter zu geben. 397 Doch ihre Beziehung beschränkte sich nicht auf Politisches. Als Josie Nelson im November 1942 zwei Jahre alt wurde, stand Oppenheimer zur Überraschung ihrer Mutter mit einem Geschenk auf der Türschwelle. Margaret war verblüfft und gerührt von seiner Freundlichkeit: »Bei all seiner Brillanz«, habe sie gedacht, »hat er doch auch sehr menschliche Qualitäten.« 398

Trotz ihrer Schwangerschaft setzte Kitty das Biologiestudium fort und hielt auch an ihrer Absicht fest, als Botanikerin zu arbeiten. »Kitty war sehr aufgeregt über die Aussicht, wieder zu studieren«, so Margaret Nelson. Beide, Kitty und Robert, hatten naturwissenschaftliche Interessen, in ihren Temperamenten aber waren sie grundverschieden. »Er war sanft und mild«, so Sabra Ericson, die beide kannte, »sie dagegen heftig, energisch und aggressiv. Aber es sind oft die Gegensätze, die eine gute Ehe ausmachen.« Die meisten Verwandten Roberts hatten für Kitty nicht viel übrig. Jackie Oppenheimer, die nie ein Blatt vor den Mund nahm, hielt die Schwägerin für »eine Intrigantin« und verübelte ihr, dass sie Robert von seinen Freunden zu trennen suchte. 399 Noch Jahrzehnte später ließ sie ihrer Animosität freien Lauf: »Kitty war eine Intrigantin … Wenn Kitty etwas wollte, bekam sie es auch. … Sie war nicht echt. Alle ihre politischen Überzeugungen waren unecht, alle ihre Ideen von irgendwoher übernommen. Ehrlich – sie ist einer der wenigen wirklich bösen Menschen, die ich in meinem Leben gekannt habe.« Kitty hatte eine scharfe Zunge, ebenso gewiss ist aber, dass sie einen stabilisierenden Einfluss auf Roberts Leben nahm. »Ihre Karriere«, so Bob Serber, »förderte auch die von Robert, da sie nun bestimmenden, regelnden Einfluss darauf nahm.«


Bald nach ihrer überstürzten Hochzeit mieteten Robert und Kitty Oppenheimer ein großes Haus in Kenilworth Court, nördlich vom Campus. Er verkaufte den alten Chrysler und schenkte seiner Braut einen neuen Cadillac, den sie »Bombsight« nannten. 400 Kitty brachte ihren Gatten dazu, sich seiner Stellung angemessener zu kleiden. Zum ersten Mal trug Oppenheimer Tweedjacketts und teure Anzüge. Nur von seinem braunen Porkpie trennte er sich nicht. »Eine gewisse Spießigkeit überkam mich«, ließ er später über sein Eheleben verlauten. 401 In ihren ersten Ehejahren kochte Kitty gern, sie kochte gut, und so luden sie oft Freunde ein, die Serbers, die Chevaliers, Kollegen aus Berkeley. Alkohol fehlte nie im Haus. Margaret Nelson erinnerte sich an eine Diskussion, in der Kitty bekannte, dass »ihre Rechnungen für Alkohol höher seien als die für Lebensmittel«.

Eines Abends Anfang 1941 kam John Edsall zum Essen, Roberts Freund aus seiner Zeit in Harvard und Cambridge, der inzwischen eine Professur für Chemie innehatte. Seit zehn Jahren hatten sich die beiden nicht gesehen. Verblüfft registrierte Edsall, wie sehr sich der Freund verändert hatte. Aus dem introvertierten Jungen, den er in Cambridge und auf Korsika kennengelernt hatte, sei eine Respekt einflößende Persönlichkeit geworden: »Er wirkte viel stärker und selbstbewusster als früher.« 402

In dieser Zeit wurde Robert Vater. Geboren wurde der Sohn am 12. Mai 1941 in Pasadena, wo Oppenheimer wie in jedem Frühjahr unterrichtete. Sie nannten ihn Peter, Robert verpasste ihm den Kosenamen »Pronto«. Einigen Freunden, so auch Pat Sherr, erklärte Kitty in scherzhaftem Ton, das Baby – es wog 3600 Gramm – sei eine Frühgeburt. Sie hatte eine schwierige Schwangerschaft hinter sich, und Oppenheimer war in diesem Frühjahr am Pfeiffer’schen Drüsenfieber erkrankt. Im Juni jedoch hatten sich beide so weit erholt, dass sie die Chevaliers einladen konnten. Und an diesem Abend baten Robert und Kitty die Chevaliers um einen großen Gefallen. Kitty brauche unbedingt Ruhe, sie würden gerne nach Perro Caliente fahren: Ob die Chevaliers bereit wären, ihren zwei Monate alten Sohn Peter zusammen mit seinem deutschen Kindermädchen für einen Monat zu sich zu nehmen? Wieder hatte Haakon das Gefühl, dass Oppie ihn als seinen besten Freund betrachtete: Die Chevaliers empfanden es als »große Ehre«, dass sie um diesen Gefallen gebeten wurden, erklärten sich sofort bereit und behielten Peter nicht nur einen, sondern volle zwei Monate bei sich; erst zum Herbstsemester kehrten Kitty und Robert zurück. 403 Ein ungewöhnliches Arrangement – mit langfristigen Folgen für Mutter und Sohn. Kitty fand nie ein richtiges Verhältnis zu Peter; noch ein Jahr später war es stets Robert, der seinen Sohn voller Stolz den Freunden präsentierte. Kitty, so die Freundin Ruth Meyer Cherniss, »schien nicht besonders interessiert«.

Sobald sie in Perro Caliente ankamen, fühlte sich Robert gestärkt. Schon in der ersten Woche brachten er und Kitty die Energie auf, neue Schindeln auf das Dach der Hütte zu nageln. Und wieder unternahmen sie ihre langen Ausritte in die Berge. Kitty, die stets etwas Draufgängerisches hatte, ritt eines Tages in leichtem Galopp auf dem Sattel stehend über eine Wiese. Pech dagegen hatte Robert, er wurde von einem Pferd getreten, das er für seinen Freund Bethe, der zu Besuch war, einfangen wollte, und musste sich im Krankenhaus von Santa Fe röntgen lassen. 404

Nach ihrer Rückkehr zogen die Oppenheimers samt Sohn in das neue Haus am Eagle Hill Nr.1, oberhalb von Berkeley. Robert, der es vor ihrer Reise kurz besichtigt hatte, war sofort bereit, den verlangten Preis von 22500 Dollar plus weiterer 5300 Dollar für zwei angrenzende Grundstücke zu zahlen. 405 Ebenerdig, im spanischen Stil weiß gekalkt und mit roten Ziegeln gedeckt, stand das Haus auf einer Hügelkuppe, die an drei Seiten steil abfiel in bewaldete Cañons; der Blick öffnete sich nach Westen, zur untergehenden Sonne und zur Golden Gate Bridge. Das geräumige Wohnzimmer hatte einen Holzfußboden, eine knapp vier Meter hohe Balkendecke und an drei Seiten Fenster. Über dem großen steinernen Kamin war ein blutrünstiger Löwe eingemeißelt, große Türen führten in einen hübschen, von Eichen gesäumten Garten. Es gab eine gut ausgestattete Küche und eine separate Gästewohnung über der Garage. Das Haus war nur teilweise möbliert, Barbara Chevalier half Kitty bei der Einrichtung. Fast ein Jahrzehnt nannte es Robert sein Heim, und alle Freunde fanden es großartig.