26.
»Oppie hatte einen schwachen Moment, aber jetzt ist er immun«

Er [Oppenheimer] hält sich für den lieben Gott.
Philip Morrison

Oppenheimer nahm seine Lehrtätigkeit am Caltech wieder auf, mit dem Herzen allerdings war er nicht dabei. »Ich hielt ein Seminar ab«, gab er später zu Protokoll, »aber mir ist schleierhaft, wie ich das geschafft habe. … Die Lehre hatte keinen Zauber mehr nach der großen Veränderung, die der Krieg mit sich gebracht hatte. … Ich war immer woanders und zerstreut, weil ich an andere Dinge dachte.« 765 Heimisch in Pasadena wurden Robert und Kitty Oppenheimer nicht. Sie blieb in Berkeley, im Haus am Eagle Hill, er pendelte, verbrachte eine oder zwei Nächte die Woche im Gästebungalow hinter dem Haus der Tolmans. Die Anrufe aus Washington nahmen kein Ende, und im Lauf der Monate erwies sich dieses Arrangement als ungeeignet. Im Frühjahr 1946, während seiner Verhandlungen in Washington, New York und Los Alamos, kündigte Oppenheimer an, er gedenke, ab Herbst wieder in Berkeley zu lehren.

Das moralische und intellektuelle Fiasko des »Baruch-Plans« hatte Oppenheimer und Lilienthal entmutigt, ihre Zusammenarbeit gaben sie darum nicht auf. Im Herbst 1946 ernannte Präsident Truman Lilienthal zum Vorsitzenden der Atomic Energy Commission (AEC) und setzte, wie vom Kongress gefordert, ein General Advisory Committee (GAC) ein, das den Mitgliedern der AEC beratend zur Seite stehen sollte. Auch wenn Truman Oppenheimer nicht sonderlich mochte: Aus einem solchen Gremium konnte er ihn nicht heraushalten. Seinen Beratern folgend berief er Oppenheimer – zusammen mit I.I. Rabi, Glenn Seaborg, Enrico Fermi, James Conant, Cyril S. Smith, Hartley Rowe (einem Berater von Los Alamos), Hood Worthington (vom Chemiekonzern DuPont), und Lee DuBridge, dem kurz zuvor ernannten Präsidenten des Caltech. Das Gremium sollte sich seinen Vorsitzenden selbst wählen. Anfang Januar 1947 trat das GAC zum ersten Mal zusammen. Oppenheimer, der wegen eines Schneesturms zu spät kam, konnte nur noch zur Kenntnis nehmen, dass ihn die Kollegen einstimmig zu ihrem Vorsitzenden gewählt hatten.

Oppenheimer war sowohl von der sowjetischen wie von der amerikanischen Haltung enttäuscht. Keines der beiden Länder schien Ende 1946 bereit, das Notwendige zu tun, um ein atomares Wettrüsten zu verhindern. Seine Besorgnis wuchs, und er hatte eine neue Verantwortung übernommen, beides veränderte seinen Standpunkt. Im Januar 1947, als Hans Bethe zu Besuch in Berkeley weilte, gestand ihm Oppenheimer in langen Gesprächen, er habe »die Hoffnung aufgegeben, dass die Russen einem Plan zustimmen«. Die Sowjets schienen unflexibel, ihr Vorschlag, die Bombe zu verbieten, sei dazu bestimmt, »uns die Waffe zu nehmen, die sie daran hindert, nach Westeuropa einzumarschieren«. 766 Bethe teilte seine Meinung.

Oppenheimer suchte nun seinen Einfluss als Vorsitzender des GAC zur Stärkung amerikanischer Verhandlungspositionen zu nutzen. Im März 1947 flog er nach Washington, wo ihn Acheson über die Truman-Doktrin 767 aufklärte, die kurz vor ihrer Bekanntgabe stand. »Er wollte mir klarmachen«, gab Oppenheimer später zu Protokoll, »dass wir in ein feindseliges Verhältnis zu den Sowjets eintraten und dass wir dies in unseren Überlegungen berücksichtigen müssten«. 768 Oppenheimer griff diesen Rat auf und traf sich bald darauf mit Frederick Osborn, Bernard Baruchs Nachfolger als Vertreter der USA in der Atomenergiekommission der UN. Zu Osborns Überraschung sagte Oppenheimer, die Vereinigten Staaten sollten sich aus den UN-Gesprächen zurückziehen: Die Sowjets würden einem praktikablen Plan niemals zustimmen. 769

Oppenheimers Haltung zur Sowjetunion folgte von nun an in etwa dem Verlauf des Kalten Krieges. Wie er selbst gesagt hat, hatte sich seine Begeisterung für eine linke internationalistische Politik bereits während des Krieges gelegt. Zusätzlich beunruhigt hatte ihn Stalins Moskauer Wahlrede vom 9. Februar 1946, die er, wie die meisten westlichen Beobachter, als Ausdruck der sowjetischen Angst vor »Einkreisung und ihres Bedürfnisses nach erhöhter Wachsamkeit und Aufrüstung« interpretierte. 770 Nicht weniger entmutigend empfand er die Nachrichten über die sowjetische Spionagetätigkeit während des Krieges. Ein Informant des FBI – ein Verwaltungsangestellter der Universität Berkeley, genannt »T-1« – berichtete, Oppenheimer sei 1946 »furchtbar deprimiert« von einer Besprechung in Washington zurückgekehrt. Ein (ungenannter) Regierungsbeamter habe ihn »im Hinblick auf konspirative Tätigkeiten von Kommunisten über die ›raue Wirklichkeit‹ aufgeklärt, und nun ist Oppenheimer vom Kommunismus völlig enttäuscht«. Erfahren hatte er in Washington von einem kanadischen Spionagefall, der, ausgelöst durch den sowjetischen Überläufer und Codespezialisten Igor Guzenko, zur Verhaftung von Alan Nunn May führte, einem britischen Physiker, der in Montreal arbeitete und für die Sowjets spionierte. Oppenheimer war tieferschüttert über diesen Beweis für den »Verrat« eines Wissenschaftlerkollegen. 771

Das Scheitern des Baruch-Plans machte die Dinge nur schlimmer. Sollte der Traum einer internationalen Kontrolle irgendeine Chance bekommen, würde man warten müssen, bis sich die geopolitische Lage verändert hatte. Immer klarer sah Oppenheimer, dass sich die ideologischen Differenzen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion so schnell nicht beilegen ließen. Aber nicht nur die Sowjetunion würde sich bewegen müssen, um »auf dem Gebiet der Atomenergie jeder nationalen Eifersucht ein Ende zu machen«, auch die Vereinigten Staaten müssten umdenken, wie Oppenheimer im September 1947 vor Angehörigen der Army, des diplomatischen Dienstes und des State Department ausführte: Denn internationale Kontrollen setzten »unter anderem den mehr oder weniger ständigen Verzicht auf jede Hoffnung voraus, dass die Vereinigten Staaten im Zustand der relativen Isolation von der übrigen Welt weiterbestehen könnten.« Er wisse, dass die Diplomaten vieler anderer Länder »große Augen machten« angesichts des völlig neuen, fundamentalen Charakters der internationalen Kontrollen, die er vorschlage. Sie erforderten radikale Opfer, einen zumindest partiellen Verzicht auf nationale Souveränität. Ihm sei klargeworden, dass die Opfer, die die Sowjetunion bringen müsste, von einer »anderen Größenordnung« seien, »und zwar deshalb, weil die vorgeschlagene Form der Kontrolle in allzu scharfem Widerspruch zu den gegenwärtigen Prinzipien der Staatsmacht in Russland steht«. Einen so »großen Sprung« aber würden die Sowjets nicht machen, zumindest nicht »infolge von Erörterungen in den Vereinten Nationen«. 772 An der Hoffnung, dass internationale Kontrollen in fernerer Zukunft doch noch zu erreichen seien, hielt er fest; in der Zwischenzeit aber, so sein widerstrebend und mit einer gehörigen Portion Melancholie gezogener Schluss, müssten die Vereinigten Staaten sich bewaffnen. Die Hauptaufgabe der AEC konnte also nur sein, »Atomwaffen, gute Atomwaffen und viele Atomwaffen, zu beschaffen«. Hatte er 1946 die Notwendigkeit internationaler Kontrollen und offener Forschung und Entwicklung gepredigt, rückte er 1947 dem Gedanken eines auf die Quantität von Atomwaffen gestützten Verteidigungskonzepts näher.


Allem Anschein nach war Oppenheimer 1947 ein angesehenes Mitglied des amerikanischen Establishments. Zu seinen Referenzen gehörten sein Vorsitz im GAC, das begehrte »Q« auf seiner Clearance (Unbedenklichkeitserklärung im Hinblick auf Atomgeheimnisse), der Vorsitz in der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft und seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Harvard University. Als Aufsichtsratsmitglied von Harvard war Oppenheimer Kollege so einflussreicher Persönlichkeiten wie des Dichters Archibald MacLeish, des Richters Charles Wyzanski Jr. und des bekannten Journalisten Joseph Alsop. Anfang Juni 1947 wurde ihm in Harvard ehrenhalber ein akademischer Grad verliehen. Während der Feierlichkeiten hörte er, wie sein Freund General George C. Marshall den Plan der Regierung Truman enthüllte, ein Billionen Dollar schweres Programm für den europäischen Wiederaufbau aufzulegen, das bald als Marshallplan bekannt wurde. Eine enge Freundschaft schloss Oppenheimer mit MacLeish. Der Dichter sandte ihm Sonette, es entspann sich ein reger Briefwechsel. Beide folgten nicht nur den gleichen liberalen Werten, sondern teilten auch die Sorge, dass diese von den Kommunisten auf der Linken ebenso bedroht wurden wie von der radikalen Rechten.

Manche seiner linken Freunde freilich waren verunsichert: Was sollten sie von Oppenheimers Verwandlung halten? Wer ihn nicht stets für einen Volksfront-Demokraten gehalten hatte, der sah auch, dass sich sein politischer Standort nicht grundsätzlich geändert hatte, vielmehr waren es die Verhältnisse, die sich geändert hatten. Der Krieg gegen den Faschismus war (außer in Francos Spanien) gewonnen und die Weltwirtschaftskrise überwunden, also war die KP auch nicht mehr der Magnet, der in den 1930er Jahren politisch aktive Intellektuelle angezogen hatte. Für seine nichtkommunistischen, liberalen Freunde, für Robert Wilson, Hans Bethe, I.I. Rabi und andere, war Oppenheimer sich treu geblieben.

Auch Frank Oppenheimers politische Ideen wandelten sich, jedoch vollzog sich dieser Wandel weit weniger abrupt als bei seinem Bruder. Frank war aus der Partei ausgetreten, aber an eine reale Bedrohung Amerikas durch Sowjetrussland wollte er nicht glauben. Über diese Frage hätten er und sein Bruder, so erzählte Frank Oppenheimer 1978, ihre ernstesten politischen Auseinandersetzungen geführt. Denn Robert sei durchaus der Meinung gewesen, dass »die Russen bereit seien zu marschieren, wenn sich ihnen eine Gelegenheit bietet«. Darum habe er sich auch hinter Trumans harte Linie gestellt; und auf Franks Gegenargumente habe er geantwortet, »er wisse Dinge, über die er zwar nicht reden könne, die ihn aber zu der Überzeugung gebracht hätten, dass von den Russen keine Zusammenarbeit zu erwarten sei.« 773

Haakon Chevalier wiederum schien es bei ihrer ersten Begegnung nach dem Krieg, als habe sich der Standpunkt seines Freundes verändert. Das war im Mai 1946, Robert und Kitty Oppenheimer besuchten die Chevaliers in deren neuem Haus am Meer, in Stinson Beach. Oppenheimer habe gar nicht abgestritten, dass sich seine politischen Sympathien verschoben hatten: »erheblich nach rechts«, zumindest wenn man dies aus Haakons Sicht betrachte. Schockiert habe ihn, so schreibt Chevalier, wie er »manches sehr Abträgliche über die amerikanische KP und die Sowjetunion« sagte und den Freund auch beschwor, ihm zu glauben: »Ich meine es ernst, ich habe wirklich Gründe, die ich dir nicht nennen kann, aber ich versichere dir, ich habe ernsthafte Gründe, warum ich meine Meinung über die Russen geändert habe. Sie sind nicht das, wofür du sie hältst. Du darfst an deinem Vertrauen, deinem blinden Glauben an die Politik der UdSSR nicht festhalten.« 774 Auch von anderen hörte Chevalier Dinge über den Freund, die seinen Eindruck bestätigten. In New York etwa traf er zufällig auf Phil Morrison, und sie tauschten sich über ihre Erlebnisse nach Kriegsende aus. 775 Chevalier betrachtete Morrison als ehemaligen Genossen; kannte ihn aber auch als guten Freund Oppies, als einen der bedeutenden Physiker, die mit ihm nach Los Alamos gegangen waren.

»Was ist mit Opje?«, fragte Chevalier.

»Ich sehe ihn kaum noch«, antwortete Morrison. »Wir sprechen nicht mehr dieselbe Sprache. … Er bewegt sich in anderen Kreisen.« Und er gab ein Beispiel. In einem Gespräch habe Oppenheimer mehrfach von einem gewissen »George« gesprochen. Irgendwann habe er, Morrison, wissen wollen, wer das sei:

»Verstehen Sie, General Marshall ist für mich General Marshall oder der Außenminister – aber doch nicht George. Das ist typisch.« Oppenheimer habe sich verändert: »Er hält sich für den lieben Gott.«


Chevalier hatte seit Frühjahr 1943, seiner letzten Begegnung mit Oppenheimer, einige Enttäuschungen erlitten. Er hatte sich um eine kriegswichtige Beschäftigung bemüht, doch im Januar 1944 den Bescheid erhalten, seine Sicherheitsüberprüfung sei negativ verlaufen, er durfte also nicht – was Chevalier wollte – im Office of War Information arbeiten. Von einem dort beschäftigten Freund hörte er, sein FBI-Dossier enthalte »unglaubliche« Behauptungen: »Offenbar hat dich jemand auf die Abschussliste gesetzt.« Chevalier stand vor einem Rätsel. Er blieb in New York, fand gelegentlich Arbeit als Übersetzer, schrieb Beiträge für Zeitschriften. Im Frühjahr 1945 nahm er seine Lehrtätigkeit in Berkeley wieder auf, wurde dann vom Kriegsministerium als Übersetzer im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess eingesetzt. So flog er im Oktober 1945 nach Europa und kehrte erst im Mai 1946 nach Kalifornien zurück. Inzwischen hatte die Universität ihm die Festanstellung verweigert. Chevalier sah seine akademische Karriere vernichtet und entschloss sich, an seinem Oppenheimer-Roman zu arbeiten, den er bei Alfred A. Knopf unter Vertrag hatte. 776

Am 26. Juni 1946, sechs Wochen nach seiner ersten Wiederbegegnung mit Oppenheimer, klopften zwei FBI-Agenten an Chevaliers Tür und nahmen ihn mit ins FBI-Büro nach San Francisco. Am gleichen Tag erschienen auch bei George Eltenton FBI-Agenten, er wurde nach Oakland gebracht. Beide Männer wurden gleichzeitig verhört, sechs Stunden lang: Es ging um die Gespräche, die sie im Winter 1943 über Oppenheimer geführt hatten.

Die Aussagen beider decken sich im Wesentlichen. Eltenton gab zu, dass er Ende 1942, als die Sowjets die Nationalsozialisten nur mit größter Mühe aufhalten konnten, von Pjotr Iwanow vom sowjetischen Konsulat angesprochen worden sei: Ob er die Professoren Ernest Lawrence und Robert Oppenheimer und eine dritte Person kenne? Möglicherweise sei der Name Alvarez gefallen, genau erinnere er sich aber nicht mehr. Damals habe er Iwanow erklärt, er kenne nur Oppenheimer, aber nicht gut, dann aber von sich aus hinzugefügt, er kenne jemanden, der in enger Beziehung zu Oppenheimer stehe. Ob denn dieser Bekannte Oppenheimer bitten könne, Informationen an sowjetische Wissenschaftler weiterzugeben? Also habe er, Eltenton, tatsächlich Chevalier angesprochen, ihm auch gesagt, sein russischer Freund habe versichert, dass diese Informationen »auf sicheren Kanälen weitergegeben« würden. Eltenton bestätigte dem FBI, dass Chevalier ein paar Tage später »mich zu Hause aufgesucht und berichtet hat, dass keine Aussicht bestehe, an Informationen heranzukommen, und dass Dr. Oppenheimer sich dagegen ausgesprochen habe«. Andere Personen habe er nicht angesprochen. In etwa das Gleiche gab Chevalier zu Protokoll. In seinen Erinnerungen heißt es, er habe sich gefragt, wie das FBI auf seine Gespräche mit Eltenton und Oppenheimer gekommen sei. Auch habe er nicht verstanden, warum sie glaubten, er habe drei Wissenschaftler angesprochen. 777 Einige Zeit später, im Juli oder August 1946, waren Chevalier und Eltenton zufällig beide bei einem gemeinsamen Freund in Berkeley zum Essen eingeladen – ihre erste Begegnung seit 1943. Chevalier berichtete von seinem Verhör beim FBI im Juni, und so kam heraus, dass beide am gleichen Tag verhört worden waren. Wie, so fragten sie sich, hatte das FBI Wind von der Sache bekommen? 778

Einige Wochen später lud Oppenheimer die Chevaliers zu einer größeren Cocktailparty nach Eagle Hill. Wie verabredet kamen Haakon und Barbara etwas früher, so dass die alten Freunde miteinander sprechen konnten, bevor die anderen Gäste eintrafen. Nach der Darstellung in seinen Erinnerungen will Chevalier von seinem Verhör beim FBI erzählt haben: »Sofort verdüsterte sich Opjes Gesicht. Gehen wir hinaus«, sagte er. Hoke verstand: Sein Freund vermutete, sein Haus werde abgehört. Sie gingen in den hinteren Garten, in eine mit Bäumen bestandene Ecke. Chevalier berichtete nun ausführlich von seinem Verhör. »Opje war offensichtlich … sehr beunruhigt«, schrieb er 1965. »Er stellte mir endlos Fragen.« Als Chevalier erklärte, er habe gezögert, dem FBI von seiner Unterredung mit Eltenton zu erzählen, versicherte ihm Oppenheimer, dass er richtig gehandelt habe. »Ich musste dieses Gespräch melden, verstehst du?«

»Ja«, antwortete Chevalier, obwohl er sich fragte, ob das wirklich notwendig gewesen war. »Aber was ist mit diesen angeblichen Annäherungsversuchen an drei Wissenschaftler und den angeblich wiederholten Versuchen, geheime Informationen zu erlangen?«

Nach Chevaliers Darstellung ließ Oppenheimer diese kritische Frage unbeantwortet. Aber er versuchte zu rekonstruieren, was er Pash 1943 erzählt hatte, und wurde dabei immer aufgeregter; »äußerst nervös« sei er gewesen, so Chevalier.

Schließlich rief Kitty: »Die Gäste treffen ein … ich glaube, du solltest jetzt lieber kommen.« Oppenheimer habe etwas schroff gerufen, er komme, sei aber weiterhin auf und ab gegangen und habe sich Chevaliers Geschichte noch einmal erzählen lassen. Minuten vergingen, und Kitty rief erneut. Wieder habe Oppie in barschem Ton geantwortet, doch Kitty ließ nicht locker. »Da aber ließ sich Opje«, heißt es bei Chevalier weiter, »zu meiner äußersten Bestürzung zu einem Schwall von Verwünschungen hinreißen, beschimpfte Kitty und rief zu ihr hinauf, sie sollte sich, verdammt noch mal, um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und sich zum Teufel scheren.«

So unbeherrscht hatte Chevalier den Freund noch nie erlebt. Und noch immer habe er gezögert, das Gespräch zu beenden: »Es gab etwas, das ihn ganz offensichtlich beunruhigte, aber mit keinem Wort deutete er an, was es sein mochte.« 779


Am 5. September 1946, kurz nach diesem Gespräch, meldeten sich FBI-Agenten auch in Oppenheimers Büro in Berkeley. Wie zu erwarten, wollten sie ihn zu seinem Gespräch mit Chevalier von 1942 befragen. Zuvorkommend wie immer erklärte er, Chevalier habe ihm Eltentons Absichten mitgeteilt, und auf der Stelle habe er jede Art der Zusammenarbeit abgelehnt. Wie er sich erinnere, habe er Chevalier gesagt, so etwas sei »Verrat oder nahezu Verrat«. Und Chevalier habe keinen weiteren Versuch unternommen, Informationen über das Bombenprojekt aus ihm herauszuholen. Auf weitere Nachfragen »sagte Oppenheimer, der Vorfall liege eine lange Zeit zurück, daher wisse er nicht mehr genau, welche Worte er und Chevalier in ihrem Gespräch gebraucht hätten. Würde er nun versuchen, das Gespräch exakt zu rekonstruieren, wäre das nicht viel mehr als Raten; nur an eines erinnere er sich definitiv, dass er nämlich Chevalier gegenüber entweder das Wort ›Verrat‹ oder ›verräterisch‹ gebraucht habe.« Nun fragten die FBI-Agenten nach den Annäherungsversuchen an drei andere Wissenschaftler, die mit dem Manhattan-Projekt zu tun hatten, und er habe ihnen geantwortet, dieser Teil der Geschichte sei »ausgeheckt« gewesen: »Oppenheimer erklärte, er habe in seinem früheren Bericht für den MED [Manhattan Engineer District, der offizielle Name des Manhattan-Projekts] Chevaliers Identität zu schützen versucht und eine ›Geschichte ausgeheckt‹, die er später als eine ›verwickelte Lügengeschichte‹ bezeichnete.« 780

Warum hat Oppenheimer das gesagt? Warum gab er zu, 1943 gelogen zu haben? Eine naheliegende Erklärung wäre, dass diese neue Version dem tatsächlichen Geschehen entspricht. Als er 1943 überraschend Pash gegenüberstand, war er in Panik geraten und hatte seinen Bericht mit drei fiktiven Wissenschaftlern ausgeschmückt, um ihn zu dramatisieren und die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Eine andere Erklärung könnte sein, dass er erst in jenem Gartengespräch mit Chevalier erfuhr, dass sein Freund, anders als er ursprünglich annahm, keine drei Wissenschaftler angesprochen hatte. Chevalier gegenüber hatte Eltenton Oppenheimer, Lawrence und »vermutlich Alvarez« als mögliche Anlaufstellen genannt; Chevalier könnte also in der Küche davon gesprochen haben. Eine weitere Möglichkeit ist, dass er 1943 die wahre Version erzählt hat – und sich jetzt gezwungen sah, seine Geschichte zu revidieren, um nicht nur Chevalier, sondern auch die ungenannten Wissenschaftler zu schützen. In der Sicherheitsanhörung von 1954 sollten seine Widersacher von dieser Version ausgehen – dabei ist es die am wenigsten plausible Erklärung. Den Namen Chevaliers hatte er lange zuvor genannt, und Lawrence und Alvarez brauchten kaum Schutz. Der Einzige, der jetzt Schutz brauchte, war Oppenheimer selbst; und vor dem FBI zuzugeben, dass er 1943 den militärischen Geheimdienst belogen hatte, war wohl kaum die beste Art, sich zu schützen – es sei denn, es war die ungeschminkte Wahrheit. Alle diese Erklärungen – und noch weitere – kamen acht Jahre später während der Anhörung noch einmal auf den Tisch. Und die Widersprüche zwischen ihnen sollten verheerende Konsequenzen haben.


Ende 1946 flog Lewis Strauss, damals noch einfaches, von Truman ernanntes Mitglied der AEC, nach San Francisco. Am Flughafen erwarteten ihn Ernest Lawrence und Oppenheimer. Bevor sie das eigentliche Arbeitsgespräch begannen, nahm Strauss Oppenheimer beiseite: Er habe noch etwas anderes mit ihm zu besprechen. Strauss hatte Oppenheimer erst einmal gesehen, gegen Ende des Krieges. Während sie über die Landebahn gingen, erklärte Strauss, er sei Kurator des Institute for Advanced Study (IAS) in Princeton, New Jersey, und führe derzeit den Vorsitz in einer Findungskommission des Kuratoriums, das die Aufgabe habe, einen neuen Institutsleiter zu suchen. An der Spitze einer Liste mit fünf Kandidaten stehe Oppenheimers Name, und er sei bevollmächtigt, ihm die Stelle anzubieten. Oppenheimer zeigte sich interessiert, bat aber um Bedenkzeit. 781 Ende Januar 1947 flog er nach Washington, und bei einem ausgedehnten Frühstück hörte er Strauss zu, der ihm die Stelle anpries. Anschließend erklärte er seiner Frau am Telefon, noch habe er sich nicht entschieden, aber die Sache gefalle ihm »ganz gut«; die Aufgabe, die ihm Strauss vorgestellt habe, sei reizvoll. 782

Das IAS verdankte seinen Ruf vor allem der Tatsache, dass es Wohnort und intellektuelle Zuflucht Albert Einsteins war. Als Strauss Einstein bat, den idealen Mann für die Direktorenstelle zu beschreiben, antwortete dieser: »Ah, das kann ich gern tun. Sie sollten nach einem ruhigen Mann suchen, der die Leute nicht stört, die versuchen zu denken.« Oppenheimer seinerseits hatte das Institut nicht immer für einen Ort gehalten, an dem seriöse Wissenschaft betrieben werden konnte. Nach einem ersten Besuch dort, im Jahr 1934, schrieb er seinem Bruder in aller Entschiedenheit: »Princeton ist ein Irrenhaus: Seine solipsistischen Leuchten scheinen in separater & hilfloser Trostlosigkeit.« 783 Jetzt sah er das anders. »Man müsste etwas nachdenken und sich kümmern, um eine anständige Arbeit zu machen«, sagte er zu Kitty, aber das sei ja etwas, das ihm liege. Er sicherte ihr zu, dass sie ihr Haus am Eagle Hill in Berkeley als Sommerquartier behalten würden, falls sie nach Princeton zögen. Außerdem sei er der langen Wege zwischen Berkeley und Washington müde. »Ich kann so nicht weiterleben wie in diesem Winter – im Flugzeug.« 784 Allein in diesem Jahr hatte er fünfzehn Transkontinentalflüge zwischen Kalifornien und Washington hinter sich. Die Herausforderung reizte ihn, von Kollegen hörte er, man könne etwas daraus machen, er kannte seine administrativen Talente und vor allem: Es würde ihm Zeit bleiben für seine außeruniversitären Regierungsaufgaben. Insofern war auch der neue Standort perfekt, nur kurze Bahnfahrten nach Washington und New York. Dennoch ließ er sich Zeit mit seiner Entscheidung. Schließlich, so wird erzählt, hörten die Oppenheimers während einer Autofahrt im Radio die Nachricht, Robert Oppenheimer sei zum Direktor des Institute for Advanced Study ernannt worden. »Gut«, soll Robert zu Kitty gesagt haben, »ich glaube, damit ist die Sache geregelt.« 785

Mit einem Leitartikel begrüßte die New York Herald Tribune die Ernennung als »genau richtig«: »Sein Name ist Dr. J. Robert Oppenheimer, aber von seinen Freunden wird er Oppy genannt.« Der Leitartikler sparte nicht mit Lob, Oppenheimer sei ein »bemerkenswerter Mann«, ein »Wissenschaftler unter den Wissenschaftlern«, ein »praktischer« und zugleich »geistreicher Mensch«. 786

Lewis Strauss war verärgert, dass Oppenheimer sich so lange geziert hatte. Von ganz anderer Natur als Oppenheimer, hatte er als reisender Schuhverkäufer begonnen und es zum Millionär gebracht. 1917, er war damals einundzwanzig Jahre alt, bekam er eine Assistentenstelle bei Herbert Hoover, einem aufstrebenden Politiker mit dem Ruf eines »progressiven« Republikaners im Sinne Roosevelts. Hoover verhalf Strauss, der als Mitarbeiter in Wilsons Food Relief Program für Flüchtlinge in Europa Kontakte zur Wall Street hatte knüpfen können, nach dem Krieg zu einer begehrten Stelle bei der New Yorker Investmentbank Kuhn, Loeb. Strauss stürzte sich in die Arbeit, verstand sich anzupassen, und schon bald heiratete er Alice Hanauer, die Tochter eines Partners von Kuhn, Loeb & Co. 1929 wurde er selbst Partner und verdiente über eine Million Dollar im Jahr, konnte auch den Börsenkrach relativ unbeschadet überstehen. In den 1930er Jahren erwies er sich als erbitterter Feind des New Deal, schaffte es gleichwohl, unter Roosevelt eine Stelle im Waffenamt des Marineministeriums zu bekommen, neun Monate vor Pearl Harbor. Später fungierte er im Büro des Marineministers James Forrestal als Mitarbeiter für besondere Aufgaben und kam aus dem Krieg mit dem ehrenhalber verliehenen Rang eines Konteradmirals zurück. Dank seiner Beziehungen zur Wall Street und in Washington verschaffte er sich 1945 eine einflussreiche Position im Nachkriegsestablishment. 787 In den nächsten zwei Jahrzehnten sollte er einen unheilvollen Einfluss auf Oppenheimers Leben nehmen.

Oppenheimers erster Eindruck von Strauss gibt ein Abhörprotokoll des FBI wieder: »Was Strauss anbelangt, so kenne ich ihn wenig. … Er ist nicht besonders kultiviert, aber er wird auch nichts kaputtmachen.« Lilienthal hielt dagegen: Strauss sei »ein geistig sehr reger Mensch, entschieden konservativ, aber offenbar nicht ganz schlecht«. 788 Beide unterschätzten sie Strauss. Der Mann war krankhaft ehrgeizig, hartnäckig und außerordentlich reizbar, eine Mischung, die vor allem dann gefährlich war, wenn man ihn zum politischen Gegner hatte. Einer von Strauss’ Kollegen in der AEC sagte: »Wenn man nicht einer Meinung mit Lewis ist, nimmt er zunächst an, man sei ein Dummkopf. Bleibt man beim eigenen Standpunkt, hält er einen für einen Verräter.« Selbstgerecht, wie er war, vergaß er nicht die geringste Kränkung, jede hielt er fest, in einem endlosen Strom von Notizen, die er »memorandum to the file« nannte. Er war, wie die Brüder Alsop schrieben, ein Mann mit einem »verzweifelten Bedürfnis, andere zu erniedrigen«. 789


Kitty Oppenheimer begrüßte die Entscheidung ihres Mannes, an die Ostküste zu ziehen. Das FBI hörte mit, als sie zu einem Händler sagte, sie »würden nicht lange wegbleiben – nur fünfzehn, zwanzig Jahre«, 790 und Oppenheimer ihr erzählte, dass Olden Manor, ihr neues Haus in Princeton, zehn Schlafzimmer, fünf Bäder und einen »schönen Garten« hätte. 791 Oppenheimers Kollegen in Berkeley allerdings waren, wie nicht anders zu erwarten, enttäuscht, dass er ging; der Leiter des Fachbereichs Physik sprach vom »größten Schlag, den die Abteilung jemals erlebt hat«. 792

Oppenheimer ließ viele alte Freunde zurück – und eine Geliebte: Dr. Ruth Tolman, deren Freundschaft er stets gesucht hatte. Im Krieg hatte er eng mit ihrem Mann Richard zusammengearbeitet, dem wissenschaftlichen Berater von General Groves in Washington. Tolman war es auch, der ihm nach dem Krieg zugeredet hatte, wieder am Caltech zu lehren. Oppenheimer zählte die Tolmans zu seinen besten Freunden. Kennengelernt hatten sie sich im Frühjahr 1928 in Pasadena, und er hat beide immer bewundert. Richard, sagte Oppenheimer Jahre später, »war zu Recht sehr geachtet«: »Sein Wissen und seine breitgestreuten Interessen, seine Höflichkeit und seine äußerst intelligente und reizvolle Frau, das war wie eine Insel im südlichen Kalifornien … eine Freundschaft entwickelte sich, die sehr eng wurde.« Richard Tolman sei, so gab er 1954 zu Protokoll, »ein sehr guter und teurer Freund von mir« gewesen. Frank Oppenheimer bestätigte dies: »Robert liebte die Tolmans – ganz besonders Ruth.« 793

Irgendwann im Krieg – vielleicht auch kurz nach seiner Rückkehr von Los Alamos – begannen Oppenheimer und Ruth Tolman eine Affäre miteinander. Ruth, klinische Psychologin, fast elf Jahre älter als Robert, war eine elegante und attraktive Frau. Ein Freund, der Psychologe Jerome Bruner, nannte sie »die perfekte Vertraute. Eine kluge Frau … alles, was sie tat, hatte eine sehr persönliche Note.« Die in Indiana geborene Ruth Sherman erwarb ihren Studienabschluss 1917 an der Universität von Kalifornien, heiratete 1924 Richard Chase Tolman und setzte ihre psychologischen Studien fort. Der zwölf Jahre ältere Richard war damals schon ein hervorragender Chemiker und mathematischer Physiker. Die beiden blieben kinderlos, ihre Freunde aber fanden, dass sie »gut zueinander passten«. Ruth war es, die Richards Interesse an der Psychologie und nicht zuletzt auch an den gesellschaftlichen Implikationen der Wissenschaft geweckt hat. 794

Oppenheimer war wie Ruth fasziniert von der Psychiatrie. Sie war äußerst erfolgreich in ihrem Beruf, besaß einen ungewöhnlich wachen Geist, war zugleich eine warme, sanfte und scharfsinnige Menschenkennerin. Sie scheint Aspekte von Oppenheimers Charakter erkannt zu haben, die den meisten anderen verborgen blieben: »Erinnerst Du Dich, wie schlecht es uns ging, wenn wir länger als eine Woche im Voraus planen mussten?« 795

Als Oppenheimer im Sommer 1947 seinen Umzug nach Princeton vorbereitete, schrieb er Ruth einen Brief aus seinem Feriendomizil Los Pinos, in dem er klagte, er fühle sich »vollkommen ausgepumpt«, »entsetzt«, wenn er an die Zukunft denke. Ruth antwortete: »Mein Herz ist voller Dinge, die ich sagen möchte. Wie Du bin ich dankbar, dass ich schreiben kann. Wie Du kann auch ich noch nicht ganz akzeptieren, dass es vorbei sein wird mit den monatlichen Besuchen, wenn erst der sommerliche Ausnahmezustand vorüber ist.« Sie drängte ihn, sie in Detroit zu besuchen, wo sie an einer Konferenz teilnehmen werde – wenn nicht, dann in Pasadena: »Komm zu uns, Robert, wenn Du kannst. Das Gästehaus ist immer und nur Deins.« 796

Von Oppenheimers Briefen an Ruth Tolman sind nur wenige erhalten, die meisten wurden nach ihrem Tod vernichtet. Ihre Liebesbriefe zeigen eine tief empfundene Zärtlichkeit und Nähe. »Ich blicke zurück auf Deine wundervolle Woche hier«, schrieb sie in einem undatierten Brief, »und mein Herz ist voller Dankbarkeit, Liebster. Es war unvergesslich, ich würde sonst was geben für nur einen weiteren Tag. In der Zwischenzeit hast Du die Liebe und Zärtlichkeit, die ich sende.« 797 Ein anderes Mal ging es um ein geplantes gemeinsames Wochenende; sie versprach, ihn am Flughafen abzuholen, sie hoffe »auf diesen Tag am Meer«. Ein »langer Strand«, der sie so begeistert habe, »wo Schnepfen und Möwen spielen. Oh Robert, Robert. Bald werde ich Dich sehen. Wir wissen beide, wie es werden wird.« 798 Nach diesem Wochenende am Strand schrieb Oppenheimer: »Ruth, mein Herz … Ich schreibe zur Feier des schönen Tages, den wir zusammen waren und der mir so viel bedeutet hat. Ich wusste, Du würdest mutig und klug sein, aber es ist eine Sache, das zu wissen, und eine andere, sich so nahe zu sein … Es war so wundervoll, Dich zu sehen.« Der Brief war unterschrieben mit »Meine Liebe, Ruth, immer.« 799

Kitty Oppenheimer wusste von Roberts langer Freundschaft mit den Tolmans, auch dass er während seiner wöchentlichen Lehrtätigkeit in Pasadena in ihrem Gästehaus wohnte. Häufig lud er die Tolmans und manchmal auch die Bachers in ihr mexikanisches Lieblingsrestaurant ein – und Kitty rief ihn oft aus Berkeley an. »Kitty konnte es wohl nie leiden, wenn Robert mit anderen Leuten zu tun hatte«, erinnerte sich Jean Bacher. Auch wenn Kitty ihrem Wesen nach besitzergreifend war, nichts deutet darauf hin, dass sie je von der Affäre erfuhr. 800

Dann, an einem Samstagabend Mitte August 1948, während einer Party der Tolmans, erlitt Richard Tolman einen Herzanfall. Kittys früherer Ehemann Dr. Stewart Harrison wurde gerufen, und es gelang ihm, Richard innerhalb einer halben Stunde in ein Krankenhaus zu schaffen. Drei Wochen später starb er. Ruth war am Boden zerstört, sie hatte ihren Mann vierundzwanzig Jahre lang sehr geliebt. Einige ihrer Freunde kreideten Oppenheimer diese Tragödie an. Ernest Lawrence etwa, der sich Oppenheimer gegenüber inzwischen offen feindselig verhielt, glaubte, Richards Herzanfall sei durch die Entdeckung der Affäre seiner Frau ausgelöst worden. Wie er später Lewis Strauss erklärte, habe er »vor einigen Jahren das Verhalten von Dr. Oppenheimer zu missbilligen begonnen, als dieser die Frau von Professor Tolman vom Caltech verführt hat«. Es sei »eine bekannte Affäre« gewesen, »die lange genug dauerte, dass Dr. Tolman davon erfuhr, und er starb an gebrochenem Herzen.« 801

Die Beziehung zwischen Ruth Tolman und Robert Oppenheimer riss auch nach Richard Tolmans Tod nicht ab. Vier Jahre später schrieb Ruth nach einem Treffen an Robert: »Ich werde die beiden magischen Stühle auf dem Dock nie vergessen, als das Wasser und die Lichter und die Flugzeuge über unseren Köpfen umherstürzten. Ich nehme an, Dir war klar, was ich mich zu sagen nicht traute – es war der Jahrestag – der vierte – von Richards Tod, und die Erinnerung an diese schrecklichen Tage im August 1948 und an viele frühere schöne Erlebnisse überwältigte mich. Ich war sehr dankbar, dass ich an diesem Abend mit Dir zusammen sein konnte.« In einem anderen undatierten Brief schrieb Ruth: »Mein lieber Robert – Die kostbare Zeit mit Dir letzte Woche und die Woche davor gehen mir durch den Kopf, wieder und wieder, das macht mich dankbar, aber auch sehnsüchtig, und ich möchte mehr. Ich war dankbar für diese Zeit, Liebster, und, wie Du weißt, ich hungerte auch danach.« Dann schlug sie einen Termin für ihre nächste Begegnung vor: »Wie wäre es, wenn ich sagte, Du müsstest jemanden von der Universität Los Angeles treffen, und wir würden diesen Tag wegfahren und zu einer Party am Abend zurück sein? … Lass uns darüber nachdenken.« 802 Offenbar liebten sich Ruth Tolman und Robert Oppenheimer, aber keiner von beiden wollte, dass die Affäre ihre Ehen zerstörte. Alle diese Jahre hindurch unterhielt Ruth freundschaftliche Beziehungen zu Kitty Oppenheimer und ihren Kindern. Sie war einfach eine der ältesten Freundinnen der Oppenheimers – und Roberts besondere Vertraute.


Bevor Oppenheimer die Stelle in Princeton annahm, eröffnete er Strauss, dass »derogative Informationen [Informationen, die seine Q-Clearance hätten in Frage stellen können] über mich vorliegen«. 803 Damals hat Strauss die Warnung noch abgetan. Doch nachdem der McMahon Act verabschiedet war, ging das FBI die Unbedenklichkeitserklärungen aller Angestellten und Berater der AEC durch, und die Kommissionsmitglieder mussten Oppenheimers Akte lesen. Wie ein Berater von J. Edgar Hoover sagte, erhielt das FBI damit Gelegenheit, »eine offene und breite Untersuchung über Oppenheimer durchzuführen, weil wir nun nicht mehr diskret oder vorsichtig vorgehen müssen«. Agenten wurden auf ihn angesetzt und viele seiner Mitarbeiter und Kollegen verhört, darunter Robert Sproul und Ernest Lawrence. Alle sagten zu seinen Gunsten aus. Sproul berichtete einem der Agenten, Oppenheimer habe ihm gesagt, er sei »beschämt und peinlich berührt« wegen seiner linken Vergangenheit. Lawrence erklärte, Oppenheimer »hatte einen schwachen Moment, aber jetzt ist er immun«. 804 Selbst Lawrence zeugte also für Oppenheimers Vertrauenswürdigkeit, doch Strauss und andere Mitglieder der AEC begriffen bald, dass Oppenheimers Clearance alles andere als eine Routineangelegenheit war. Ende Februar 1947 schickte Hoover dem Weißen Haus eine zwölfseitige Zusammenfassung des Oppenheimer-Dossiers, die vor allem auf dessen Verbindungen zu Kommunisten ausgerichtet war. Am 8. März 1947 wurde dieser Bericht auch der AEC zugestellt, und kurze Zeit später rief Strauss Joseph Volpe in sein Büro, den Rechtsberater der AEC. Strauss sei, so Volpe, »sichtlich erschüttert« gewesen von dem, was er gelesen hatte. Die beiden Männer gingen die Akte gründlich durch, bis sich Strauss schließlich an Volpe wandte: »Joe, was denkst du?« – »Nun, wenn jemand das alles druckt und erklärt, das beziehe sich auf den wichtigsten zivilen Berater der AEC, dann wäre der Teufel los. Seine Vergangenheit ist scheußlich. Aber Ihre Verantwortung besteht darin, zu sagen, ob dieser Mann zum jetzigen Zeitpunkt ein Sicherheitsrisiko ist, und außer dem Vorfall mit Chevalier sehe ich in dieser Akte nichts, was darauf hindeutet, dass er es ist.« 805

An diesem Montag kamen auch die Mitglieder der AEC zusammen, um über das Problem zu diskutieren. Allen war klar, dass eine Suspendierung von Oppenheimers Unbedenklichkeitserklärung ernsthafte politische Konsequenzen hätte. James Conant und Vannevar Bush erklärten ihren Kommissionskollegen, die Behauptungen des FBI seien seit Jahren bekannt und nie für relevant befunden worden. Sie wussten freilich, dass das FBI zustimmen musste, sollte die AEC eine Clearance für Oppenheimer beantragen. Am 25. März hatte Lilienthal eine Unterredung mit dem Chef des FBI. Hoover beunruhigte noch immer, dass Oppenheimer das Gespräch mit Chevalier nicht umgehend angezeigt hatte, räumte aber widerstrebend ein, dass Oppenheimer »vielleicht eine Zeitlang mit Kommunisten zu tun hatte, es aber auch Anzeichen gibt, dass er sich immer mehr von einer solchen Position zurückgezogen hat«. Als er hörte, dass die Sicherheitsbeamten der AEC das Beweismaterial für nicht ausreichend hielten, um Oppenheimer eine Unbedenklichkeitserklärung zu verweigern, gab Hoover zu verstehen, er werde die Sache nicht weiter vorantreiben. Tatsächlich kam ihm gelegen, dass die AEC für Oppenheimers Sicherheitsstatus verantwortlich war und das FBI unabhängig davon eigene Nachforschungen betreiben konnte. Hoover gab allerdings zu bedenken, dass Frank Oppenheimer ein ganz anderer Fall sei – einer Erneuerung seiner Unbedenklichkeitserklärung werde das FBI nicht zustimmen.

Von Strauss hörte Oppenheimer, er habe seine FBI-Akte »ziemlich sorgfältig« studiert und sei dabei auf nichts gestoßen, was seiner Ernennung zum Direktor des Institute for Advanced Study im Weg stehe. Bis die AEC Oppenheimers Unbedenklichkeit förmlich erklärte, dauerte es allerdings etwas länger: Erst am 11. August 1947 stimmte die Kommission über seine Q-Clearance, die höchste Geheimnisstufe, ab. Die Abstimmung verlief einstimmig, selbst Strauss, das konservativste Kommissionsmitglied, stimmte dafür. 806