Er sagte mir, er habe in dieser Situation die Nerven verloren. Irgendwie sei ihm alles zu viel geworden. … Er neigt zu irrationalen Reaktionen, wenn ihm die Dinge über den Kopf wachsen.
David Bohm
Im Herbst 1948 reiste Oppenheimer nach Europa. Vor neunzehn Jahren war er zuletzt dort gewesen, damals als angehender Physiker, von dem Großes zu erwarten war. Nun kam er wieder als der bekannteste Physiker seiner Generation, als Gründer von Amerikas führender Ausbildungsstätte für theoretische Physiker – und als »Vater der Atombombe«. Seine Reise führte ihn nach Paris, Kopenhagen, London und Brüssel, überall hielt er Vorträge oder nahm an wissenschaftlichen Konferenzen teil. Damals, während seiner Studienzeit in Göttingen, Zürich und Leiden, war er intellektuell herangereift, und mit entsprechend großen Erwartungen hatte er sich nun auf die Reise gemacht. Doch Ende September schrieb er seinem Bruder, er sei ein wenig enttäuscht von dem, was er vorgefunden habe: »Die Europareise [dt. im Orig.] ist, was sie auch früher war, eine Zeit, um Inventur zu machen. … Was die Physik angeht, waren die Konferenzen gut, doch überall – Kopenhagen, England, Paris, selbst hier [in Brüssel] hört man immer wieder: Ach, wissen Sie, wir hinken ein wenig hinterher …« Was Robert zu dem nachdenklichen Schluss führte: »Vor allem wurde mir klar, dass es Amerika sein wird, wo entschieden wird, in welcher Welt wir leben wollen.« 865
Dann kam er zum eigentlichen Anliegen seines Briefs. Frank, so drängte er, solle sich »die Beruhigung, die Kraft und den Rat eines guten Anwalts« suchen. Im Sommer hatte das House Committee of Un-American Activities (HUAC) Anhörungen abgehalten, und Oppenheimer sorgte sich um den Bruder – möglicherweise auch um sich selbst. Franks Verbindungen zur Kommunistischen Partei waren bekannt, im März 1947 hatte ihn die Washington Times-Herald der Parteimitgliedschaft bezichtigt, und unüberlegt bestritt Frank die Wahrheit des Artikels. Frank hatte, wie Robert begriff, »eine Menge nachgedacht in diesen letzten Jahren«. Und er riet dem Bruder, sich einen Anwalt zu nehmen, und nicht nur irgendeinen guten, sondern einen, der »sich in Washington, im Senat und vor allem mit der Presse auskennt. Warum ziehst Du nicht Herb Marks hinzu, der doch genau diese Qualifikationen hat?« Natürlich hoffte Robert, dass sein Bruder nicht in die Hexenjagden des HUAC verwickelt würde, aber er sollte sich darauf vorbereiten. Inzwischen sechsunddreißig Jahre alt, stand Frank Oppenheimer am Beginn einer vielversprechenden Karriere. Zuerst in Rochester, inzwischen an der Universität von Minnesota arbeitete er auf einem neuen Gebiet der Teilchenphysik. Und mit seinen Untersuchungen zu hochenergetischen Teilchen in großen Höhen (kosmische Strahlung) galt er 1949 unter Fachkollegen als einer der führenden Experimentatoren des Landes.
So besorgt er um Frank war, glaubte Oppenheimer, was ihn selbst betraf, sein Ruhm werde seine linke Vergangenheit neutralisieren. Im November 1948 erschien sein Foto auf der Titelseite von Time, begleitet von einem schmeichelhaften Kurzporträt seines Lebens und Wirkens. Millionen Amerikaner lasen, dass Oppenheimer, einer der Gründerväter des Atomzeitalters, ein »wahrer Held unserer Zeit« sei. 866
Im Interview versuchte er nicht, seine radikale Vergangenheit zu verschleiern. Bis 1936, so erklärte er unerschrocken, sei er »gewiss einer der unpolitischsten Menschen der Welt« gewesen. Doch dann habe er miterlebt, wie arbeitslose Physiker »zusammenklappten«, habe erfahren, dass seine Verwandten vor dem NS-Regime fliehen mussten, und das habe ihm die Augen geöffnet: »Ich erwachte, mir wurde klar, dass Politik ein Teil des Lebens ist. Und ich wurde zum Linken, trat der Lehrergewerkschaft bei, hatte eine Menge kommunistischer Freunde. Eben das, was die meisten Menschen bereits im College oder am Ende der Highschool tun. Das [ J. Parnell] Thomas Committee [HUAC] mag so etwas überhaupt nicht, aber ich schäme mich dessen nicht; eher schon wegen meines verspäteten Engagements. Das meiste von dem, was ich damals glaubte, erscheint mit heute als kompletter Unsinn, doch es war wichtig, um ein ganzer Mann zu werden. Hätte ich diese späte, aber unerlässliche Bildungsphase nicht durchlaufen, ich hätte meinen Job in Los Alamos niemals tun können.«
Kurz nach Erscheinen dieses Artikel gratulierte Herb Marks, der enge Freund und zeitweise auch sein Anwalt, Oppenheimer in einem Brief zu dem »ziemlich guten« Artikel. Vermutlich in Anspielung auf Oppenheimers Bemerkungen zu seiner linken Vergangenheit schrieb Marks: »Vor allem der ›vorgerichtliche‹ Touch war hervorragend.« Robert schrieb zurück: »Das Einzige, was mir gefiel, war genau der bewusste Punkt, den Du aufgegriffen hast, da sah ich die Chance, lange ersehnt, aber bis dahin nicht vorhanden.« Anne Wilson, Marks’ Frau (und Oppenheimers frühere Sekretärin), befürchtete, der Artikel könnte Kritiker auf den Plan rufen. Oppenheimer verunsicherte das, schließlich aber habe sich bei ihm der Gedanke durchgesetzt, es sei ein guter Schritt gewesen. 867
Oppenheimer mochte gehofft haben, sich gegen die Ermittler des Kongresses immunisieren zu können, doch im Frühjahr 1949 startete das HUAC eine größere Ermittlung im Radiation Laboratory in Berkeley, es ging um Atomspionage. Nicht nur Frank, auch Robert Oppenheimer war damit eine potentielle Zielperson. Vier von Oppenheimers ehemaligen Studenten – David Bohm, Rossi Lomanitz, Max Friedman und Joseph Weinberg – erhielten Vorladungen, die sie zur Aussage zwangen. Am 7. Juni 1949 war Oppenheimer an der Reihe. Sechs Kongressabgeordnete, darunter auch Richard M. Nixon, waren gekommen, um ihn in einer nichtöffentlichen Sitzung des HUAC auszuquetschen. Bewusst kehrte Oppenheimer seine Funktion als Vorsitzender des GAC hervor. Doch diese hartgesottenen Abgeordneten waren nicht angetreten, um ihn zur Atomwaffenpolitik zu befragen: Ihr Problem war Atomspionage. In den folgenden zwei Stunden zeigte sich Oppenheimer kooperativ.
Der Anwalt des HUAC versicherte gleich zu Beginn, das Komitee wolle ihn nicht bloßstellen. Aber schon die erste Frage lautete: »War Ihnen die Tatsache bekannt oder nicht bekannt, dass es im Radiation Laboratory … eine kommunistische Zelle gab?« Oppenheimer verneinte. Nun erging die Aufforderung, über die politischen Ansichten und Aktivitäten seiner ehemaligen Studenten zu berichten. Er bestritt, vor dem Krieg gewusst zu haben, dass Weinberg Kommunist war. Die nächste Frage galt Dr. Bernard Peters, der ebenfalls bei ihm studiert hatte. In seiner Antwort zeigte sich Oppenheimer wieder politisch naiv. Die Sitzung war nichtöffentlich, also ging er davon aus, dass seine Aussagen auch nicht publik gemacht würden. Ob es wahr sei, hatte der Anwalt gefragt, dass Oppenheimer dem Sicherheitsbeauftragten im Manhattan-Projekt gesagt habe, Peters sei ein »gefährlicher Mann und ziemlich rot«? Oppenheimer bestätigte, das zu Hauptmann Peer de Silva gesagt zu haben, und um nähere Angaben gebeten, erzählte er, Peters sei Mitglied der deutschen KP gewesen und hätte in Straßenschlachten gegen Nazis gekämpft. Später sei er in ein KZ gekommen, habe wundersamerweise aber »vermittels einer List« fliehen können. Als Peters in Kalifornien aufgetaucht sei, habe er die amerikanische KP heftig kritisiert: Sie sei nicht »genügend entschlossen, die [US-]Regierung gewaltsam zu stürzen«. Auf die Frage, woher er von der Mitgliedschaft Peters’ in der KPD gewusst habe, antwortete Oppenheimer: »Er hat es mir, neben anderen Dingen, gesagt.« 868
Die Frage nach Peters muss Oppenheimer aus der Ruhe gebracht haben. Denn genau einen Monat zuvor, während einer Konferenz der American Physical Society, hatte bereits sein alter Freund Samuel Goudsmit nach Peters gefragt, und zwar in seiner Eigenschaft als Berater der AEC, der gelegentlich auch Sicherheitsfragen zu prüfen hatte. Peters hatte Goudsmit kurz zuvor gefragt, warum man ihm Schwierigkeiten mache; so habe er dessen Sicherheitsakte eingesehen und sei auf Oppenheimers Bemerkung gegenüber de Silva gestoßen: Ob Oppenheimer denn noch immer dieser Meinung sei? Dessen Antwort überraschte Goudsmit: »Schau ihn dir doch an. Würdest du sagen, man könne ihm nicht trauen?« 869
Nicht nur nach Peters, auch nach weiteren Freunden wurde Oppenheimer befragt; natürlich zu Haakon Chevalier: Ob der Kommunist gewesen sei? Oppenheimer nannte ihn das »Musterexemplar eines Salonkommunisten«, doch es entziehe sich seiner Kenntnis, ob er Parteimitglied gewesen sei oder nicht. Im Hinblick auf die Affäre Chevalier wiederholte er, was er 1946 vor FBI-Leuten ausgesagt hatte: Ein verwirrter und peinlich berührter Chevalier sei zu ihm gekommen und habe ihm von Eltentons Vorhaben berichtet, »der Sowjetregierung Informationen zuzuspielen«. Und er, Oppenheimer, habe in scharfer Form erwidert, Chevalier solle aufhören mit diesem Unfug und sich da heraushalten. Über die Atombombe habe Chevalier so lange nichts gewusst, bis sie über Hiroshima explodiert sei. Nach den drei anderen Wissenschaftlern – der Geschichte also, die er Pash 1943 aufgetischt hatte, um Chevalier aus dem Ganzen herauszuhalten – wurde er nicht gefragt. Im Verlauf der Anhörung gab er vielmehr zu Protokoll, dass ihn keine weiteren Personen nach Atom-Informationen gefragt hätten.
Auf die Frage nach Franks früherer Parteimitgliedschaft antwortete Oppenheimer: »Herr Vorsitzender, ich will die Fragen, die Sie mir stellen, beantworten. Doch bitte ich Sie, nicht auf Fragen nach meinem Bruder zu bestehen. Ich werde antworten, bitte jedoch, mir diese Fragen nicht zu stellen.« In einer Geste ungewöhnlicher Rücksichtnahme zog der Anwalt des HUAC seine Frage zurück. Bevor die Sitzung geschlossen wurde, erklärte der Abgeordnete Nixon, er sei »ungeheuer beeindruckt« von Oppenheimer, »und mächtig froh, ihn in der Stellung zu sehen, die er in unserem Programm hat«. 870 Joe Volpe war erstaunt über Oppenheimers gelassenen Auftritt: »Robert war offenbar entschlossen, diese Congressmen mit seinem Charme von den Sitzen zu reißen.« 871 Nach Sitzungsschluss kamen alle sechs Kommissionsmitglieder, um dem berühmten Wissenschaftler die Hand zu schütteln. Kein Wunder also, wenn Oppenheimer weiterhin dachte, der Ruhm sei sein Schutzschild.
Oppenheimer kam unbeschadet durch diese Anhörung, seine ehemaligen Studenten hatten weniger Glück. Einen Tag später ließ Bernard Peters zwanzig Minuten lang nicht sonderlich bohrende Fragen über sich ergehen. Er bestritt, Mitglied der deutschen und der amerikanischen KP gewesen zu sein, und auch, dass seine Frau Dr. Hannah Peters jemals Parteimitglied gewesen sei. Steve Nelson kenne er nicht. 872 Anschließend fragte sich Peters, was Oppenheimer wohl ausgesagt haben mochte; er unterbrach seine Heimfahrt nach Rochester in Princeton und besuchte seinen Mentor. Oppenheimer habe mit einem Scherz geantwortet: »Gott hat ihre Fragen gelenkt, so dass ich nichts Schädliches sagen musste.« 873 Eine Woche später jedoch stand Oppenheimers nichtöffentliche Aussage in der Rochester Times-Union . Die Schlagzeilen posaunten: »Dr. Oppenheimer nannte Peters früher ›ziemlich rot‹« Und dessen Universitätskollegen konnten lesen, dass er vermittels »einer List« aus Dachau geflohen sei und, in den Vereinigten Staaten angekommen, die amerikanische KP kritisiert habe, weil sie sich ungenügend auf einen gewaltsamen Umsturz vorbereite. 874
Peters war sofort klar, dass damit seine Stelle auf dem Spiel stand. 875 Umgehend bestritt er Oppenheimers Darstellungen; der Rochester Times-Union erklärte er: »Ich habe weder Dr. Oppenheimer noch irgendwem anderen berichtet, dass ich Mitglied der KP gewesen bin, denn ich war es nicht. Gesagt habe ich, dass ich deren energischen Kampf gegen die Nationalsozialisten sehr bewundert habe … und auch die Helden, die im KZ Dachau starben.« Peters räumte ein, dass seine politischen Ansichten auch heute noch »nicht orthodox« seien, so lehne er die Rassendiskriminierung ab und halte »den Sozialismus für erstrebenswert«; ein Kommunist jedoch sei er nicht. 876 An Oppenheimer schrieb er einen wütenden Brief, erwog sogar juristische Schritte. 877 Oppenheimer ließ Peters’ Anwalt wissen, er sei »sehr erschrocken« über den Zeitungsartikel, seine Aussagen jedenfalls seien völlig falsch wiedergegeben worden. 878
Rasch hintereinander meldeten sich Frank Oppenheimer, Hans Bethe und Victor Weisskopf bei Oppenheimer; schmerzlich davon berührt, dass er einen Freund derart angreife. Weisskopf wie Bethe konnten nicht verstehen, wie er darauf verfallen sei, solche Dinge über Peters zu äußern; Weisskopf drängte ihn, er müsse »die Angelegenheit umgehend klären und tun, was in Deiner Macht steht, um Peters Entlassung zu verhindern«. 879 Bethe schrieb: »Ich erinnere mich, dass Du auf freundlichste Weise über die Peters’ gesprochen hast, und sie haben Dich gewiss als Freund betrachtet. Wie konntest Du seine Flucht aus Dachau so darstellen, dass sie als Hinweis auf seine Neigung zu direkten Aktionen erschien und nicht als Akt der Selbstverteidigung angesichts einer tödlichen Gefahr?« 880
Edward Condon, der Freund aus der Göttinger Zeit und kurze Zeit sein Stellvertreter in Los Alamos, war wütend und »über alle Maßen entsetzt«. Auch er, inzwischen Leiter des US Bureau of Standards, war zum Ziel rechter Attacken vom Capitol Hill geworden. Am 23. Juni 1949 schrieb er seiner Frau Emilie: »Ich bin überzeugt, dass Oppenheimer den Verstand verloren hat. … Wenn Oppie tatsächlich so verwirrt ist, kann das für seine Positionen sehr schwere Konsequenzen haben, auch im Hinblick darauf, dass er Urheber des Acheson-Lilienthal-Berichts zur internationalen Kontrolle der Atomenergie ist. … Wenn er zusammenbricht, kommt es zu einer Tragödie. Ich kann nur hoffen, dass er nicht viele andere mit nach unten reißt. Peters sagt, Oppies Aussage strotze vor Lügen über Dinge, die er besser wissen sollte.« 881 Condons Brief an Oppenheimer war vernichtend: »Ich habe eine Menge Schlaf daran gegeben, herauszufinden, wie Du auf diese Weise über einen Mann reden konntest, den Du so lange kennst und von dem Du genau weißt, was für ein guter Physiker und guter Bürger er ist. Man ist versucht, Dich für so dämlich zu halten, dass Du Dir einredest, Du könntest Dir dadurch Immunität erkaufen, dass Du zum Informanten wirst. Ich hoffe, das trifft nicht zu. Wenn diese Leute sich erst einmal daranmachen, sich in ihre Dossiers zu vertiefen und das zu veröffentlichen, dann wird es, und Du weißt das sehr wohl, zu ›Enthüllungen‹ kommen, die alles Bisherige als ziemlich harmlos erscheinen lassen.« 882
Einige Tage später brachte Frank Oppenheimer Peters zu seinem Bruder, der sich gerade in Berkeley aufhielt. In einem Brief an Weisskopf hat Peters dieses Treffen geschildert: »Mein Gespräch mit Robert war grauenhaft. Zuerst weigerte er sich, mir zu sagen, ob der Zeitungsbericht wahr oder falsch sei.« Doch er habe darauf bestanden, und Oppenheimer habe den Bericht bestätigt. »Er sagt, es sei ein fürchterlicher Fehler gewesen.« Oppie habe ihm klarzumachen versucht, dass er auf derartige Fragen nicht vorbereitet gewesen sei, erst als er seine Worte gedruckt gelesen habe, sei ihm aufgegangen, wie beschädigend war, was er gesagt habe. Und als er, Peters, gefragt habe, warum er ihm bei seinem Besuch in Princeton nicht die Wahrheit gesagt habe, sei Oppenheimer knallrot geworden, eine Erklärung aber habe er nicht gehabt. Peters bestätigte, dass er in Deutschland tatsächlich an Demonstrationen der Kommunisten teilgenommen habe, aber er schwor, dass er niemals in die Partei eingetreten sei. 883
Oppenheimer war bereit, dem Herausgeber der Rochester Times-Union zu schreiben und seine Aussage vor dem HUAC zu korrigieren. Am 6. Juli 1949 konnte man in der Zeitung lesen: Dr. Peters habe ihm, Oppenheimer, kürzlich glaubhaft versichert, dass er niemals Mitglied der KP gewesen sei und auch niemals den gewaltsamen Sturz der amerikanischen Regierung befürwortet habe: »Ich glaube dieser Feststellung.« Dem ließ Oppenheimer eine energische Verteidigung der Redefreiheit folgen. »Politische Überzeugungen, gleich wie radikal sie sind und wie offen sie bekundet werden, disqualifizieren einen Wissenschaftler nicht für eine wissenschaftliche Karriere.« 884
Peters hielt den Brief für ein »nicht sehr glückliches doppelzüngiges Gerede«. 885 Immerhin aber half er, Peters’ Stellung an der University of Rochester zu erhalten. 886 Doch musste Peters bald einsehen, dass seine Karriere ohne Zugang zu geheimen Unterlagen und Forschungsprojekten der Regierung in eine Sackgasse geraten würde. Ende 1949 verweigerte ihm das Außenministerium den Pass, den er beantragt hatte, um nach Indien zu reisen. Ein Jahr später lenkte das Ministerium ein, und Peters übernahm eine Stelle als Lehrender am Tata Institute of Fundamental Research in Bombay. 1955 verweigerte das Außenministerium die Verlängerung seines Passes, daraufhin beantragte Peters die Wiederherstellung seiner deutschen Staatsbürgerschaft. 1959 gingen er und seine Frau Hannah an Niels Bohrs Institut in Kopenhagen und blieben dort für den Rest ihres Berufslebens.
Im Vergleich zu Bohm und Lomanitz hat Peters noch Glück gehabt: Beide wurden etwa ein Jahr später wegen Missachtung des Kongresses angeklagt. Sie hatten von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch gemacht und die Aussage vor dem HUAC verweigert. Bohm wurde am 4. Dezember 1950 verhaftet (und nur gegen eine Kaution von 1500 Dollar wieder auf freien Fuß gesetzt). Daraufhin entband ihn Princeton von allen Lehrverpflichtungen und erteilte ihm Hausverbot für den Campus. Sechs Monate später fand sein Verfahren statt und endete mit einem Freispruch. Sein Lehrvertrag in Princeton aber wurde nicht mehr verlängert.
Noch schlechter erging es Lomanitz. Nach seiner Aussage vor dem HUAC kündigte ihm die Fisk University. Zwei Jahre arbeitete er als Tagelöhner, teerte Dächer, füllte Rupfensäcke und schnitt Bäume. Im Juni 1951 stand er wegen Missachtung des Kongresses vor Gericht. Auch er wurde freigesprochen, fand jedoch ebenfalls keine akademische Stelle mehr und arbeitete schließlich für 1,35 Dollar die Stunde als Gleisarbeiter bei der Eisenbahn. Erst 1959 erhielt er wieder einen Lehrauftrag. Bemerkenswerterweise hegte Lomanitz aber keinen Groll gegen Oppenheimer. Diesem habe er, wie er Sherwin sagte, nie vorgeworfen, was ihm FBI und das politische Klima der damaligen Zeit angetan hatten. Nur die Enttäuschung blieb. Lomanitz, der Oppenheimer einmal »fast für einen Gott« gehalten hatte, glaubte auch weiterhin nicht, dass er »böswillig« gehandelt habe, doch »die Schwäche dieses Mannes« habe ihn »betrübt«. Natürlich hätte Oppenheimer nicht viel für seine ehemaligen Schüler tun können; aber er verhielt sich, als fürchte er die Verbindung mit ihnen, als hätten sie, indem sie seine politische Vergangenheit wach hielten, seine politische Zukunft bedroht.
Bohm wusste, unter welchem Druck Oppenheimer stand. Kurz nachdem die Nachricht über seine Aussagen gegen Peters bekannt geworden war, führte er ein offenes Gespräch mit ihm. Auch er wollte wissen, warum Oppenheimer solche Dinge über ihren Freund geäußert habe. »Er sagte mir, er habe in dieser Situation die Nerven verloren. Irgendwie sei ihm alles zu viel geworden. … Ich erinnere seine genauen Worte nicht, aber das hat er gemeint. … Er neigt zu irrationalen Reaktionen, wenn ihm die Dinge über den Kopf wachsen. Er sagte, er wisse selbst nicht, warum er das getan habe.« Es war ihm schon früher passiert – 1943, im Gespräch mit Pash, oder 1945, bei seiner Begegnung mit Truman –, und es sollte ihm wieder passieren: 1954, während der AEC-Anhörung. Wie Bernard Peters gegenüber Weisskopf äußerte: »Ganz offensichtlich war ihm die Angst vor den Anhörungen in die Knochen gefahren, doch auch das ist keine wirkliche Erklärung. … Für mich war es eine ziemlich traurige Erfahrung, einen Mann, vor dem ich so hohe Achtung hatte, in einem solchen Zustand moralischer Verzweiflung zu erleben.« 887
Nur sechs Tage nach seiner Aussage vor dem HUAC fuhr Oppenheimer erneut zum Capitol Hill, diesmal, um in einer öffentlichen Sitzung des Joint Committee on Atomic Energy (JCAE), dem externen Kontrollkomitee der AEC, als Experte gehört zu werden. Auf der Tagesordnung stand die Frage, ob man ausländischen Laboratorien zu Forschungszwecken Radioisotope zur Verfügung stellen sollte. In einer Vier-zu-eins-Entscheidung hatten die Mitglieder der AEC den Exporten zugestimmt; die einsame Neinstimme gehörte Lewis Strauss, der in solchen Exporten weiterhin eine Gefahr sah, weil Radioisotope für den militärischen Einsatz der Atomenergie missbraucht werden könnten. Kurz zuvor, in einem Versuch, die AEC-Entscheidung umzustoßen, hatte Strauss, ebenfalls in einer öffentlichen Anhörung des Joint Committee, gegen den Export argumentiert.
Oppenheimer kannte Strauss’ Bedenken. Er teilte sie nicht, ja er machte dem Publikum im Sitzungssaal klar, für wie für töricht er sie hielt: »Niemand wird mir die Behauptung entlocken, dass man diese Isotope nicht zur Gewinnung von Atomenergie verwenden kann. Man kann eine Schaufel zur Gewinnung von Atomenergie verwenden; das ist vorgekommen. Man kann eine Flasche Bier zur Gewinnung von Atomenergie verwenden; auch das ist vorgekommen.« Schon erhob sich leises Gelächter unter den Zuschauern. Philip Stern, damals noch ein junger Reporter, saß unter den Zuschauern. Dass »Oppenheimer jemanden vorführte«, war offensichtlich, keine Ahnung jedoch habe er gehabt, wem der Sarkasmus galt. 888 Anders Joe Volpe, der neben Oppenheimer am Zeugentisch saß. Er wusste, wer da vorgeführt wurde. Er brauchte sich bloß nach Lewis Strauss umzuschauen und sah dessen vor Wut puterrotes Gesicht. Erneutes Gelächter quittierte Oppenheimers nächste Bemerkung: »Wenn ich also die Bedeutung von Isotopen in diesem weiten Sinn bewerte, sind sie weitaus weniger wichtig als elektronische Geräte, doch viel wichtiger als, sagen wir, Vitamine, irgendwo dazwischen also.«
Anschließend fragte Oppenheimer Volpe beiläufig: »Na Joe, war ich nicht gut?« Dem Anwalt war unbehaglich: »Zu gut, Robert. Viel zu gut.« 889 Oppenheimer maß dem, was er als politische Meinungsverschiedenheit sah, keine große Bedeutung bei, möglicherweise hatte er gar nicht beabsichtigt, Strauss zu demütigen. Er verfiel leicht in herablassende Attitüden; viel zu leicht, wie viele seiner Freunde meinten, denn dieses Verhalten zeigte er auch als Lehrer. Wie einer der Freunde bemerkte, schaffte er es, »dass sich erwachsene Männer wie Schulkinder vorkamen. Er konnte Riesen zu Kakerlaken machen.« Strauss aber war kein Student, sondern ein mächtiger, zugleich dünnhäutiger und nachtragender Mann. Voller Wut habe er den Sitzungssaal verlassen, so Gordon Dean, ebenfalls Mitglied der AEC: »Deutlich erinnere ich mich an den fürchterlichen Ausdruck auf seinem Gesicht.« Auch David Lilienthal sprach Jahre später davon: »Da war ein Hass in seinem Blick, den man bei Männern nicht oft erlebt.«
Oppenheimers Beziehungen zu Strauss hatten sich seit Anfang 1948 stetig verschlechtert, seit er nämlich keinen Zweifel daran ließ, dass er sich jedem Versuch Strauss’ widersetzen werde, sich in seine Leitung des IAS einzumischen. Auch in Angelegenheiten der AEC waren sie bereits vor dieser Anhörung mehrfach aneinandergeraten. Und diesmal hatte sich Oppenheimer einen Feind geschaffen, dessen Macht und Einfluss in jedes Feld seines Berufslebens reichten.
Einen Tag später, am 14. Juni 1949, stand Frank Oppenheimer als Zeuge vor dem HUAC. Zwei Jahre zuvor hatte er einer Zeitung gegenüber bestritten, jemals Mitglied der KP gewesen zu sein. Das war keine geplante Lüge. Ein Journalist der Washington Times-Herald hatte ihn spätabends angerufen, ihm einen Artikel vorgelesen, der am nächsten Tag erscheinen sollte, und um eine Stellungnahme gebeten. »Der Artikel war voller falscher Behauptungen, nur eines stimmte an diesem Artikel: die Mitgliedschaft in der Partei vor dem Krieg. Sie baten um eine Stellungnahme, und ich habe einfach gesagt, das Ganze ist falsch – was ich besser nicht getan hätte. Ich hätte besser überhaupt nichts gesagt.« Als der Artikel erschienen war, drängte ihn die Leitung der University of Minnesota, diesen einen Punkt schriftlich zu bestreiten. Um seine Stelle fürchtend, ließ Frank einen Anwalt eine eidesstattliche Erklärung aufsetzen. Er sei niemals Parteimitglied gewesen, heißt es darin. Doch nun, und nachdem er mit Jackie darüber gesprochen hatte, sah Frank Oppenheimer, dass er die Wahrheit sagen musste. Und so erklärte er unter Eid, dass er und seine Frau Jackie für etwa dreieinhalb Jahre KP-Mitglieder gewesen seien – von Anfang 1937 bis Ende 1940 oder Anfang 1941. Sein parteiinterner Deckname in dieser Zeit sei »Frank Folsom« gewesen. Dem Rat seines Anwalts Clifford Durr folgend, verweigerte er die Aussage über die politischen Ansichten anderer. »Ich kann nicht über meine Freunde sprechen«, sagte er. Anders als sein Bruder blieb Frank Oppenheimer bei seiner Weigerung. 890
Presseleuten erklärte er anschließend, er sei 1937 in die Partei eingetreten, weil er »eine Antwort gesucht habe für die Probleme von Arbeitslosigkeit und Mangel im reichsten Land der Welt«. Desillusioniert hätten sie die Partei 1940 wieder verlassen. Er wisse nichts über Atomspionage, weder in Los Alamos noch im Radiation Lab in Berkeley: »Ich weiß von keiner kommunistischen Aktion, niemand hat Informationen von mir haben wollen, und ich habe auch keine gegeben, aber ich arbeitete viel, und ich glaube, ich habe einen wertvollen Beitrag geleistet.« Noch keine Stunde später hörte Frank Oppenheimer von Zeitungsleuten, sein Rücktritt als Assistenzprofessor der Physik sei von der University of Minnesota akzeptiert worden. Er hatte dort vor zwei Jahren die Unwahrheit gesagt, und das war aus Sicht der Universität Grund genug, ihn aus dem akademischen Leben auszuschließen. In genau drei Monaten hätte er mit einer Festanstellung rechnen können. In einem letzten Gespräch mit dem Universitätspräsidenten wurde ihn klargemacht, dies sei das Ende. Frank Oppenheimer verließ das Büro in Tränen. Er war am Boden zerstört. Die volle Wucht des Geschehens aber traf ihn in Berkeley. Naiv hatte er angenommen, dass ihm Ernest Lawrence eine Zuflucht bieten würde. Doch auch der ließ ihn fallen.
Im Jahr zuvor hatten er und Jackie bei Pagosa Springs, hoch in den Bergen von Colorado, eine Rinderfarm mit 320 Hektar Grund gekauft, die sie als Ferienhaus nutzen wollten. Im Herbst 1949 zogen sie sich zum Erstaunen ihrer Freunde in dieses spartanische Inlandsexil zurück. An Bernard Peters schrieb Frank: »Niemand hat mir eine Stelle angeboten. Und so sind wir fest entschlossen, den Winter hier zu verbringen. Mein Gott, es ist einfach schön hier. Ich glaube, wenn Du erst mal hier warst, wirst Du das verstehen.« 891 Die Farm lag in den Bergen, auf 2400 Metern Höhe, und die Winter dort sind unglaublich kalt. »Jackie saß dann mit dem Fernglas im Haus«, so Philip Morrison, »schaute nach den Kühen im Schnee, die kurz vor einer Geburt standen. Sie mussten sofort hinauslaufen, um die neugeborenen Kälber vor dem Erfrieren zu retten.« 892
Das nächste Jahrzehnt schlug sich Roberts brillanter und liebenswürdiger Bruder als Rancher durch. Doch selbst hier, zweiunddreißig Kilometer von der nächsten Stadt entfernt, fanden Frank und Jackie Oppenheimer keine Ruhe vor FBI-Agenten, die regelmäßig Nachbarn ausfragten, gelegentlich auch auf der Oppenheimer-Ranch vorbeikamen: Frank solle einfach über andere Mitglieder der KP sprechen. Einer der Agenten brachte Franks Situation auf den Punkt: »Wie, wollen Sie denn keine Stelle an einer Universität? Wenn Sie das wollen, müssen Sie nur mit uns zusammenarbeiten.« Frank Oppenheimer wies solche Angebote jedes Mal zurück. 1950 schrieb er: »Nach all diesen Jahren ist mir klar, was das FBI will. Sie wollen nicht gegen mich ermitteln, sie wollen uns das Leben vergällen. Das ist die Strafe dafür, dass ich ein Linker bin; sie wiegeln Freunde, Nachbarn, meine Kollegen gegen mich auf und säen Misstrauen gegen mich.« 893
Robert kam fast jeden Sommer auf die Ranch des Bruders. Frank hatte sich mit seiner Situation abgefunden, doch Robert schmerzte die Vorstellung, dass sein Bruder ein solches Leben führen musste. Dazu Frank: »Ich fühlte mich als Rancher, und ich war ein Rancher. Er aber wollte nicht glauben, dass ich Rancher sein könne, und war sehr erpicht darauf, mich in die akademische Welt zurückzubringen. Dabei hätte auch er nichts dafür tun können.« Im folgenden Jahr erhielt er Stellenangebote, er hätte im Ausland, in Brasilien, Mexiko, Indien oder England Physik lehren können. Doch das Außenministerium lehnte es ab, ihm einen Pass auszustellen. 894 In den Vereinigten Staaten stand er auf der Schwarzen Liste, an eine Stelle war nicht zu denken. Im Lauf der Jahre sah er sich gezwungen, einen seiner van Goghs – Erste Schritte, nach Millet (1890) – für 40000 Dollar zu verkaufen. 895
Verzweifelt über die Lage seines Bruders sprach Robert mit Felix Frankfurter, einem Richter am Supreme Court, mit Grenville Clark aus Harvard und mit anderen Juristen darüber, ob nicht das IAS etwas tun könne. Zum Beispiel könnten Intellektuelle die Sicherheitspolitik und Loyalitätsvorstellungen der Truman-Regierung kritisieren, unter der sein Bruder und seine Studenten zu leiden hatten. Die Loyalty Order des Präsidenten, die Sicherheitsverfahren der AEC und die Ermittlungen des HUAC führten, wie er Clark erklärte, »in vielen Einzelfällen zu ungerechtfertigten Härten und setzen die Freiheit der Forschung, der Meinung und der Rede außer Kraft«. 896 Kurz danach konnte Oppenheimer einen alten Freund, Dr. Max Radin, den Dekan der Law School in Berkeley, dafür gewinnen, für ein Jahr ans Institut zu kommen und dort einen Essay zur in Kalifornien entbrannten Kontroverse um den Loyalty Oath (Treueschwur) zu verfassen.
In all diesen Jahren war Oppenheimer überzeugt, dass seine Telefone abgehört wurden. 1948 kam Ralph Lapp, Physiker und Kollege aus Los Alamos, in Oppenheimers Büro in Princeton, um mit ihm über ein Lehrbuch zum Thema Rüstungskontrolle zu diskutieren. Zu Lapps Überraschung sei Oppenheimer plötzlich aufgestanden, habe ihn nach draußen geführt und im Gehen gemurmelt: »Hier haben auch die Wände Ohren.« 897 Er wusste, dass er überwacht wurde. Dazu Dr. Louis Hempelmann, Physiker und Freund aus Los Alamos und nun häufiger Gast in Olden Manor: »Er war sich stets bewusst, dass er verfolgt wurde. Er machte durchaus den Eindruck, als glaube er, dass die Leute ihm auf der Spur waren.«
Schon in Los Alamos wurden seine Telefone überwacht, 1946/47 hat das FBI sogar die Privatwohnung in Berkeley abgehört. Nach seinem Umzug nach Princeton erhielt die FBI-Dienststelle in Newark, New Jersey, den Auftrag, seine Aktivitäten zu verfolgen. Dort war man der Meinung, dass eine elektronische Überwachung nicht zulässig sei, aber das FBI unternahm alle Anstrengungen, »vertrauliche, diskrete Quellen in Oppenheimers Umgebung zu erschließen«. 1949 hat das FBI zumindest eine Informantin rekrutiert, eine Frau, die Oppenheimer aus gesellschaftlichen Begegnungen und durch ihren Universitätsposten kannte. Im Frühjahr 1949 informierte das Büro Newark J. Edgar Hoover: »Es wurden keine zusätzlichen Informationen zu Dr. Oppenheimer gewonnen oder generiert, die darauf hinwiesen, dass er illoyal ist.« 898 Noch Jahre später erklärte Oppenheimer trocken: »Die Regierung hat mehr dafür ausgegeben, mein Telefon abzuhören, als sie mir je in Los Alamos gezahlt hat.«