31.
»Finstere Worte über Oppie«

Durch und durch widerlich – aber das ist nur ein Windstoß gegen den Gibraltarfelsen Deines Ansehens im amerikanischen Leben.
David Lilienthal an Robert Oppenheimer, 10. Mai 1950

Als zu Ende war, was er später »unser langwieriger, aber planloser Kampf gegen die Superbombe« 965 nannte, zog sich Oppenheimer bitter enttäuscht nach Princeton zurück. George Kennan schrieb ihm im Frühjahr 1950: »Wahrscheinlich weißt Du gar nicht, in welchem Maß Du zu meinem intellektuellen Gewissen wurdest.« 966 Die Debatte über die Super hatte die beiden großen Geister miteinander verbunden; ihr Denken und Fühlen konvergierten in ihrer Ablehnung einer Verteidigungsstrategie, deren Grundstein die Drohung mit einem nuklearen Krieg war.

Wenn Kennan später an diese Tage zurückdachte, stand ihm vor allem Oppenheimers »Beharren auf einer wünschenswerten Offenheit« vor Augen. Mit der Geheimhaltung von Informationen über die Bombe wachse die Gefahr von Missverständnissen, darum habe er immer wieder gefordert, »dass man mit [den Sowjets] so offen wie möglich über die Probleme der Zukunft und den Einsatz der Waffe« diskutieren müsse. Wie er selbst habe auch Oppenheimer die Nuklearwaffen als ein Übel, als Mittel des Völkermords betrachtet: »Es hätte den Menschen damals einsichtig sein sollen, dass dies eine Waffe war, von der niemand einen Nutzen haben konnte. … Schon die Vorstellung, dass man mit der Entwicklung dieser Waffen irgendetwas Positives bewirken könnte, erschien mir von Anfang an widersinnig.«

Kennan war Oppenheimer stets dankbar dafür, dass er ihn ans Institut geholt und ihm dort einen Neuanfang als Wissenschaftler und Historiker ermöglicht hatte: »Ich, der Deinem Vertrauen und Deiner Ermutigung die Chance verdanke, als Mann im mittleren Alter zu erreichen, was mir als Wissenschaftler erreichbar war, stehe persönlich in Deiner Schuld.« 967 Tatsächlich war Kennans Berufung nach Princeton durchaus umstritten; manche fragten nach der Qualifikation eines Berufspolitikers und Diplomaten, der keine Veröffentlichung vorzuweisen hatte, die man auch nur im weitesten Sinn hätte als wissenschaftlich bezeichnen können. Die meisten Mathematiker, angeführt wie üblich von Oswald Veblen, widersprachen der Berufung: Sie erfolge allein aufgrund der Freundschaft zwischen Kennan und Oppenheimer und nicht aus akademischen Gründen. Schon »weil dies Gelegenheit bot, Oppenheimer zu attackieren«, so Freeman Dyson, lehnte man Kennan ab. Doch Oppenheimer, der inzwischen große Bewunderung für Kennans Intellekt hegte, setzte die Berufung im Kuratorium durch und ließ Kennan aus den Mitteln der Institutsleitung ein Stipendium von 15000 Dollar auszahlen.


Nicht nur der H-Bombe wegen bedrückte Oppenheimer die Aufrüstung im Kalten Krieg. Allerdings glaubte er bereits 1949 nicht mehr daran, dass in absehbarer Zukunft Fortschritte in der atomaren Abrüstung zu erreichen seien. Und so versuchte er seinen Einfluss zu nutzen, um die wachsenden Erwartungen zu dämpfen, die Regierung und Öffentlichkeit im Hinblick auf die Atomtechnik hegten. Die Presse zitierte ihn mit der Bemerkung: »Kernkraft für Flugzeuge und Kriegsschiffe ist nicht viel mehr als Geschwätz.« GAC-intern kritisierten Oppenheimer und andere Wissenschaftler das Lexington-Projekt der US Air Force, das der Entwicklung von atomgetriebenen Bombern diente. Auch zu den Risiken der zivilen Nutzung nukleartechnischer Anlagen äußerte er sich –Themen, mit denen er sich weder im Verteidigungsministerium noch in der Rüstungsindustrie oder Energiewirtschaft beliebt machte. 968

Dabei waren seine Vorträge im GAC in der Regel von untadeliger Objektivität. Selten zeigte er irgendwelche Emotionen, auch nicht als beispielsweise Vizeadmiral Hyman Rickover dem Ausschuss berichtete, mit welchem Hochdruck die US Navy die Entwicklung atomgetriebener U-Boote vorantrieb. Die AEC dagegen, beklagte er sich, verfolge den Reaktorbau nicht nachdrücklich genug. Und er forderte Oppenheimer mit der Frage heraus, ob er denn damals gewartet habe, bis er »alle Fakten« zur Hand hatte, bevor er mit dem Bau der Atombombe begonnen habe. Oppenheimer bedachte ihn mit einem seiner eiskalten Blicke und sagte »Ja«. Obwohl Rickovers herrische Art bekannt war, ging Oppenheimer, nachdem jener sich verabschiedet hatte, zu dem kleinen Holzmodell eines Atom-U-Boots, nahm den Rumpf in die Hand und zerdrückte ihn. Schweigend verließ auch er den Raum. 969

Die Zahl von Oppenheimers politischen Feinden wuchs, Strauss blieb der gefährlichste von ihnen. Die Demütigung vor dem Kongressausschuss im Sommer hatte er ebenso wenig vergessen, wie man ihm hätte ausreden können, dass Oppenheimer die Arbeit an der thermonuklearen Bombe bewusst verzögerte. Oppenheimer sei »ein General, der nicht kämpfen will. Ein Sieg durch ihn ist kaum zu erwarten.« 970 Anfang 1951 ging Strauss, obwohl er dem Gremium damals nicht mehr angehörte, mit einem sorgfältig vorbereiteten Memorandum zu Gordon Dean, dem Vorsitzenden der AEC, und bezichtigte Oppenheimer der »Sabotage des Projekts«. Man brauche »radikale Maßnahmen«, im Klartext: Oppenheimers Entlassung. Und wie um die politischen Risiken zu unterstreichen, die eine Beschäftigung dieses Wissenschaftlers mit sich bringe, warf er sein Memorandum melodramatisch ins Feuer von Deans Kamin. Eine, ob bewusst oder unbewusst, metaphorische Geste: Die Sicherheit des Landes verlange, dass Oppenheimers Einfluss zu Asche reduziert werde. 971

Bereits im Herbst 1949, als die interne Debatte um die Superbombe immer hitziger wurde, waren Strauss hochgeheime Informationen zugespielt worden, die seinen Verdacht noch schürten. Das FBI hatte dem dechiffrierten Fernschreibverkehr der Sowjets entnommen, dass in Los Alamos ein sowjetischer Spion tätig gewesen war. Die Dokumente verwiesen auf Klaus Fuchs, einen britischen Physiker, der 1944 als Mitglied der British Scientific Mission in Los Alamos gearbeitet hatte. In den folgenden Wochen erkannten Strauss und andere, dass Fuchs weitgehenden Zugang zu geheimen Unterlagen sowohl zur Atom- wie auch zur Wasserstoff-Bombe gehabt hatte.

FBI und britischer Geheimdienst ermittelten gegen Fuchs, gleichzeitig begann Strauss seine Ermittlungen gegen Oppenheimer. In einem Telefongespräch befragte er General Groves, ausgehend von den ihm vorliegenden FBI-Unterlagen, nach der Affäre Chevalier. Daraufhin schrieb Groves zwei lange Briefe, in denen er Strauss zu erklären versuchte, was 1943 vorgefallen war und warum er Oppenheimers Erklärung damals akzeptiert hatte. Im ersten Schreiben strich er sein Vertrauen in Oppenheimers Loyalität als amerikanischer Bürger heraus; im zweiten versuchte er die komplizierte Affäre zu rekonstruieren. Er stellte klar, dass Roberts damaliges Verhalten belastend gewesen sei, gab aber zu bedenken, »dass wir viele unserer fähigsten Wissenschaftler verloren hätten, hätten wir damals jeden sofort ausgeschaltet, der Verbindungen hatte zu Freunden mit kommunistischen Neigungen oder der irgendwann selbst Sympathie für die Russen erkennen ließ.« 972

Strauss beruhigte das nicht, er setzte seine Nachforschungen fort. Anfang Dezember nahm er Verbindung auf zu Oberst Kenneth Nichols, Groves’ damaligem Adjutanten, und dieser wurde zu Strauss’ wichtigstem Verbündeten und Vertrauten. Beide Männer konnten Oppenheimer nicht ausstehen, das verband sie. 1951 besorgte Nichols für Strauss die Kopie jenes Briefs, den Arthur Compton im September 1945, auch im Namen von Oppenheimer, Lawrence und Fermi, an Henry Wallace geschrieben hatte und in dem stand, dass sie »eine Niederlage in einem Krieg« einem Sieg vorzögen, wenn dieser durch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen wie der Superbombe errungen worden sei. Der Brief empörte Strauss, aber er war ein weiterer willkommener Hinweis auf Oppenheimers gefährlichen Einfluss. Dass Compton der Autor war, dass der Brief zudem von Fermi und Lawrence mitgetragen wurde, machte für Strauss keinen Unterschied. 973


Am Nachmittag des 1. Februar 1950, einen Tag nach der Bewilligung des H-Bomben-Programms durch Truman, erhielt Strauss einen Anruf von J. Edgar Hoover. Der Chef des FBI wollte ihn davon unterrichten, dass Fuchs die Spionage gestanden habe. 974 Oppenheimer hatte mit dessen Abordnung nach Los Alamos nichts zu tun gehabt, gleichwohl machte ihm Strauss zum Vorwurf, dass es unter seiner Projektleitung zu Fuchs’ Spionagetätigkeit hatte kommen können. An Truman schrieb er am 2. Februar, der Fall Fuchs »bekräftigt nur die Weisheit Ihres Entschlusses [zum Bau der Superbombe]«. 975 In Strauss’ Gedankenwelt lieferte der Fall Fuchs auch weitere Gründe für die Politik der Geheimhaltung; jeder Austausch von nuklearem Wissen und Forschungsisotopen mit den Briten oder irgendeiner anderer Nation war zu unterbinden. Und der Fall Fuchs rechtfertigte für Männer wie Strauss und Hoover eine erneute Untersuchung von Oppenheimers linker Vergangenheit.

Von Fuchs’ Geständnis erfuhr Oppenheimer zufällig am gleichen Tag, an dem er sich mit Anne Wilson Marks in der berühmten Oyster Bar in der Grand Central Station verabredet hatte. Natürlich sprachen die beiden darüber. Und sie seien sich, so Anne Wilson, einig gewesen, dass Fuchs damals eine so stille, einsame, ja beklagenswerte Gestalt gewesen sei. Oppenheimer, »wie betäubt von dieser Nachricht«, meinte jedoch, Fuchs’ Wissen über die Super müsse beschränkt gewesen sein auf das unpraktikable »Ochsenkarren-Modell«. Darum erklärte er in dieser Woche auch seinem Institutskollegen Abraham Pais, er hoffe, Fuchs habe den Russen alles gesagt, was er über die Wasserstoffbombe wisse: »Das wird sie um Jahre zurückwerfen.« 976

Einige Tage bevor die Öffentlichkeit von Fuchs’ Geständnis erfuhr, war Oppenheimer vor dem JCAE zum ersten Mal direkt zu seinen politischen Verbindungen in den 1930er Jahren befragt worden. Wieder erscheinen seine Ausführungen einigermaßen naiv. Damals habe er geglaubt, dass die Kommunisten einige Antworten zu den Problemen gehabt hätten, vor denen Amerika während der Großen Depression stand. Seine Studenten hätten nur unter Schwierigkeiten eine Stelle gefunden, und außenpolitisch sei Hitler immer bedrohlicher geworden. Parteimitglied sei er nie gewesen, aber bis Kriegsende mit einigen Kommunisten befreundet. Allmählich sei ihm klargeworden, dass der KP »Ehrlichkeit und Integrität« fehlten, die »Elemente von Geheimnistuerei und Dogmatismus« hätten ihm stets missfallen. Spätestens Ende des Krieges sei er zum »entschiedenen Anti-Kommunisten« geworden. In einem Brief, den William Liscum Borden, ein junger Mitarbeiter des JCAE, nach der Verhandlung an Oppenheimer schrieb, dankte er diesem höflich für sein Erscheinen: »Ich … denke, es war richtig, dass Sie vor dem Ausschuss erschienen sind, und ich denke, es hat Gutes bewirkt.« 977

Borden, graduiert an der Yale Law School, war ein gescheiter und lebhafter Mann, aber fixiert auf die Bedrohlichkeit der Sowjetunion. 1946 hatte er ein alarmistisches Buch über die Risiken eines »nuklearen Pearl Harbor« verfasst: There Will Be No Time. The Revolution in Strategy . Amerikas Feinde, so Bordens Prophezeiung, würden in den kommenden Jahren über eine große Zahl an Langstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen verfügen. Noch in Yale hatte er mit anderen konservativen Kommilitonen eine Anzeige finanziert, die Präsident Truman bewegen sollte, der Sowjetunion ein Ultimatum zu stellen: »Lassen Sie Stalin entscheiden: Atomkrieg oder Atomfrieden.« Auf diese Anzeige hin machte Senator McMahon den achtundzwanzigjährigen Borden zu seinem Assistenten im JCAE. 978


Einen Oppenheimer in voller Aktion erlebte Borden zum ersten Mal während einer Sitzung des GAC, in der dieser das Lexington-Projekt der US Air Force heftig kritisierte. Und als sei das noch nicht genug, wandte er sich auch gegen die Pläne der AEC, ein Programm ziviler Atomkraftwerke voranzutreiben: »Dies ist ein technisch gefährliches Unternehmen.« 979 Borden hat die Sitzung mit dem Eindruck verlassen, Oppenheimer sei der »geborene Manipulator«. Nach Fuchs’ Geständnis allerdings fragte er sich, ob der Physiker nicht noch viel gefährlicher sei. Und fand mit seinen Verdächtigungen, kaum überraschend, Rückhalt bei Strauss. 1949 redeten sich die beiden mit Vornamen an. 980 Und auch als Strauss die AEC verlassen hatte, blieb er in freundschaftlichem Kontakt mit dem Stabsleiter des Senatsausschusses.

Borden war auch zugegen, als Hoover vor dem JCAE aussagte. Eigentlich war der FBI-Chef gekommen, um den Ausschuss über den Fall Fuchs zu informieren, doch er nutzte die Gelegenheit, sich ausführlich mit Oppenheimer zu befassen. So hörten die Senatoren McMahon und Henry Jackson zum ersten Mal davon, dass Haakon Chevalier 1943 an Oppenheimer mit jener Frage herangetreten war, ob man der Sowjetunion wissenschaftliche Informationen zugänglich machen sollte. 981 Hoover hatte zutreffend berichtet, dass Oppenheimer diesen Vorschlag zurückgewiesen habe, doch Bordens misstrauischem Kopf erschien allein der Vorgang belastend. In ihm keimte der Verdacht, dass Oppenheimers Widerstand gegen die Wasserstoffbombe getragen sein könne von einer ruchlosen Sympathie für die kommunistische Sache. 982 Einen Monat später erfuhr Borden von Edward Teller, dass Oppenheimer nach Kriegsende für die Auflösung von Los Alamos plädiert habe. »Wir sollten’s den Indianern zurückgeben«, soll er gesagt haben. Ebenso hörte Borden, dass Kitty Oppenheimer in erster Ehe mit einem Kommunisten verheiratet gewesen war, der in Spanien gekämpft hatte und gefallen war.

Nicht weniger empört waren Borden, McMahon und Jackson, dass Oppenheimer kurz zuvor für taktische Atomwaffen plädiert hatte. Die Air Force und ihre Verbündeten im Kongress sahen darin einen durchsichtigen Versuch, die dominierende Rolle des Strategic Air Command (SAC) zu erschüttern. Für Jackson und seine Kollegen war die Fähigkeit des SAC, einen vernichtenden Atomschlag zu führen, der eigentliche Trumpf der amerikanischen Verteidigung. In einer Rede hatte Jackson erklärt: »Bis jetzt hielt unsere atomare Übermacht den Kreml in Schach. Ein Rückschlag im atomaren Wettrüsten wäre ein nationaler Selbstmord. Die letzte russische Explosion zeigt, dass Stalin ganz auf Atomenergie setzt. Höchste Zeit, dass auch wir darauf setzen.« 983


Politiker wie Jackson mochten Oppenheimer für naiv halten, ihm mangelndes Urteil vorwerfen – Bordens Verdächtigungen gingen sehr viel weiter. Am 10. Mai 1950 las er auf der Titelseite der Washington Post , dass zwei ehemalige KP-Mitglieder, Paul und Sylvia Crouch, ausgesagt hätten, Oppenheimer habe Parteifunktionäre zu einem Treffen in sein Heim in Berkeley, Kenilworth Court Nr.10, geladen. Kenneth May, so erklärten sie vor dem HUAC, habe sie dorthin gefahren, und zwar im Juli 1941, kurz nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion. Paul Crouch, Vorsitzender der KP von Alameida County, sollte dort die neue Parteilinie erläutern. Etwa zwanzig, fünfundzwanzig Leute seien gekommen. Nach Sylvia Crouch war die angebliche Sitzung bei Oppenheimer eine Versammlung von Spitzenleuten der Partei, bekannt als »Sondereinheit und von solcher Bedeutung, dass ihr Aufbau vor gewöhnlichen Parteimitgliedern geheim gehalten wurde«. Sie und ihr Mann seien keinem der Anwesenden vorgestellt worden. Dass der Gastgeber Oppenheimer gewesen sei, habe sie erst 1949 erfahren, als sie ihn in einer Wochenschau gesehen habe. Nach Fotografien, die ihnen das FBI vorgelegt hat, konnten die Crouches David Bohm, George Eltenton und Joseph Weinberg als weitere Anwesende identifizieren. Weinberg sei, so Sylvia Crouch, der »Wissenschaftler X« gewesen, der Mann, von dem das HUAC behauptete, er hätte während des Krieges geheime Unterlagen an einen Spion weitergegeben. 984

Umgehend veröffentlichte Oppenheimer eine Erklärung, in der er diese Behauptungen zurückwies: »Ich bin niemals Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen. Ich habe niemals eine solche Gruppe von Menschen zu welchen Zwecken auch immer in meinem Haus oder anderswo versammelt.« Zudem sei ihm der Name Crouch unbekannt. Weiter hieß es: »Ich habe kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich einmal viele Leute aus linken Kreisen gekannt und einigen linken Organisationen angehört habe. Die Regierung war davon im Detail unterrichtet, seit ich in das Atombombenprojekt eingestiegen bin.« 985 Viele Zeitungen veröffentlichten diese Erklärung, und die Sache schien erledigt. Freunde boten Unterstützung an. Lilienthal, der von »dieser hässlichen Sache« in kalifornischen Zeitungen gelesen hatte, schrieb Oppenheimer: »Durch und durch widerlich – aber das ist nur ein Windstoß gegen den Gibraltarfelsen deines Ansehens im amerikanischen Leben.« 986

Lilienthal unterschätzte jedoch die Wirkung dieser Aussagen auf weniger besonnene Köpfe. Borden schrieb in einer Aktennotiz, er halte die Aussagen der Crouches für »durchaus glaubhaft«. 987 Das Ehepaar war Wochen zuvor vom FBI ausführlich verhört worden, beide standen als informelle Mitarbeiter auf der Gehaltsliste des Justizministeriums, und regelmäßig traten sie überall im Land als Zeugen gegen angebliche Kommunisten auf.

Zunächst erschien Paul Crouch als glaubwürdiger Zeuge gegen Oppenheimer. Er konnte das Innere von dessen Wohnung beschreiben, sagte, dass ihm der Mann, den er erst später als Oppenheimer identifizieren konnte, einige Fragen gestellt habe; nach Abschluss der Sitzung hätten sie sogar ein kurzes privates Gespräch geführt. Und auf der Heimfahrt habe ihm Kenneth May erzählt, er habe mit »einem der führenden Wissenschaftler des Landes« gesprochen. 988 Detailreich, wie sie war, klang Crouchs Aussage glaubhaft – und richtete ziemlichen Schaden an.

Doch Oppenheimer kann am fraglichen Treffen gar nicht teilgenommen haben. In einem Verhör durch das FBI am 29. April und am 2. Mai 1950 erklärte er, er und seine Frau seien zur fraglichen Zeit auf ihrer Ranch Perro Caliente gewesen – 1910 Kilometer von Berkeley entfernt –, es war jener Sommer, als die beiden nach New Mexico gefahren waren und den neugeborenen Peter in der Obhut der Chevaliers gelassen hatten. Oppenheimer konnte sogar nachweisen, dass er am 25. Juli 1941 in einem Krankenhaus in Santa Fe geröntgt worden war – nachdem ihn am Tag zuvor ein Pferd getreten hatte. 989 Hans Bethe, der zu Besuch in Perro Caliente war, konnte sich an den Vorfall erinnern. Und es gab das Protokoll eines Unfalls – der Wagen der Oppenheimers war, von Kitty gelenkt, am 28. Juli mit einem Fisch-und-Wild-Transporter auf der Straße nach Pecos zusammengestoßen. Aus all dem geht hervor, dass sich Oppenheimer mindestens vom 12. Juli bis zum 11. oder 13. August kontinuierlich in New Mexico aufgehalten hat. Crouch musste sich mit seiner Behauptung, Oppenheimer Ende Juli in Kenil Court gesehen zu haben, entweder geirrt haben, oder er hatte das erfunden und erlogen. 990 Tatsächlich entpuppte sich Paul Crouch mit der Zeit als äußerst unzuverlässiger Informant, der sich in den eigenen Lügen und theatralischen Geschichten verhedderte. Seine Zeugenaussagen in einem wichtigen Prozess, den das Justizministerium gegen führende KP-Mitglieder führen wollte, zwangen den Supreme Court 1956 dazu, den Fall abzuweisen. 991

Borden aber wollte diesem Zeugen glauben. Denn wenn er die Wahrheit sagte, dann wäre aus Oppenheimer, dem Rätsel, endlich und eindeutig der Sympathisant der KP geworden. So beauftragte Borden im Juni 1951 J. Kenneth Mansfield, einen seiner Mitarbeiter, mit Oppenheimer zu sprechen. Der habe sich, so Mansfields Notizen, »höchst ambivalent« zum rasch wachsenden Atomwaffenarsenal Amerikas geäußert. Seiner Meinung nach hätten die strategischen Atomwaffen – die »Städteknacker« – nur einen Zweck: Sie sollten die Sowjets von einem Angriff auf Amerika abschrecken. Selbst wenn man deren Zahl, wie von der Regierung Truman vorgeschlagen, verdopple, füge man dieser Abschreckung nichts hinzu. 992 Anders verhalte sich dies bei taktischen nuklearen Gefechtsköpfen. 1946 hatte sich Oppenheimer in einem Brief an Truman noch skeptisch über solche Waffen geäußert. Doch nach dem ersten Atomtest der Russen hatten Oppenheimer und seine Kollegen im GAC die Regierung Truman gedrängt, statt der Superbombe mehr »Gefechtswaffen« zu bauen. Im Bulletin of the Atomic Scientists schrieb er im Februar 1951: »Nur wenn man die Atombombe für nützlich hält, weil und insofern sie integraler Bestandteil militärischer Operationen ist, wird sie tatsächlich hilfreich sein für die Kriegsführung.«

»Ich nahm die Überzeugung mit«, erklärte Mansfield seinem Chef, »dass Oppenheimer einen Krieg [mit der Sowjetunion] für undenkbar hält, ein Spiel, bei dem man keinen Blumentopf gewinnen würde.« 993 Mit seinem Memorandum vom Juni 1951 gibt Mansfield Geist und Logik der Argumente ziemlich genau wieder, mit denen Oppenheimer für die Entwicklung taktischer Waffen eintrat – in einem Bild zusammengefasst: Die Politik des strategischen Bombens mit Superwaffen erschiene ihm, »als gebrauche man den Vorschlaghammer statt des Skalpells«. Borden aber wollte oder konnte nicht erkennen, dass Oppenheimers politischem Rat irgendeine Logik zugrunde lag. Es mussten einfach andere, finstere Motive gewesen sein; und Borden unterstellte, dass auch andere so dachten. Im Spätsommer traf er sich mit Strauss, und man diskutierte die beiderseitigen Verdächtigungen gegen Oppenheimer. In einem Protokoll heißt es: Strauss »widmete einen großen Teil des Gesprächs der Darlegung seiner Befürchtungen und Bedenken gegen Oppenheimer.« 994

Auch die Unterstellung, dass Oppenheimer ein geheimes Parteitreffen in seinem Haus stattfinden ließ, erörterten die beiden ausführlich. Trotz aller Gegenbeweise hielten sie an Crouchs Geschichte fest: Oppenheimers Perfidie stand schlicht außer Frage. Allerdings war auch ihnen klar, dass man diese Aussage nicht wasserfest würde bestätigen können, selbst dann nicht, wenn man Oppenheimers Telefon abhörte. Er werde stets von seinen Wissenschaftlerfreunden unterstützt, außerdem herausfinden, dass er überwacht wurde. In einer persönlichen Notiz hielt Borden fest: Er habe Strauss dargelegt, dass andere Stellen (vermutlich das FBI) »die Möglichkeit, zu irgendeiner definitiven Erkenntnis zu gelangen, mit dem gleichen Gefühl völliger Vergeblichkeit« betrachteten. Von Verschwörungsängsten bestimmt, konnten die beiden in Oppenheimers Plädoyer für taktische Atomwaffen nichts als einen Schachzug zur Blockierung der Wasserstoffbombe erkennen. Dass sich Oppenheimer, nachdem Teller und Stanislaw Ulam letzte konstruktive Probleme gelöst hatten, seinerseits still verhielt, die Konstruktion sogar »technically sweet« genannt hatte, übergingen sie. 995

1952 legte auch Teller dem FBI eine Liste übler Vorwürfe gegen Oppenheimer vor. Deren Generallinie war: Oppenheimer »hat die Entwicklung der H-Bombe verzögert, hat das zumindest versucht«. 996 Das Gespräch darüber fand in Los Alamos statt, und Teller tat sein Bestes, Oppenheimer durch Andeutungen zu verleumden: »Eine Menge Leute glauben, dass Oppenheimer sich ›auf direkte Anweisung aus Moskau‹ gegen die Entwicklung der H-Bombe wendet.« Um sich selbst zu decken, erklärte Teller zugleich, er selbst halte den Kollegen nicht für »illoyal«. Sein Verhalten zeige vielmehr eine Persönlichkeitsstörung: »Oppenheimer ist eine sehr komplizierte Persönlichkeit und ein hervorragender Mann. In seiner Jugend litt er an irgendwelchen körperlichen oder mentalen Störungen, die ihm womöglich bis heute zu schaffen machen. Er besitzt großen wissenschaftlichen Ehrgeiz und merkt, dass er nicht der große Physiker ist, der er gerne wäre.« Kurz, er, Teller, »würde tun, was möglich ist«, um Oppenheimers Beratertätigkeit für die Regierung zu beenden. 997

Teller war nicht der einzige Verfechter der Wasserstoffbombe, der verzweifelt versuchte, Oppenheimers Einfluss auszuschalten. Im September 1951 wurde David Tressel Griggs, Professor der Geophysik an der University of California, zum leitenden Wissenschaftler der US Air Force berufen. Nach dem Krieg hatte er als Berater für die gerade gegründete RAND Corporation, eine Denkfabrik der US-Streitkräfte, gearbeitet und dort gerüchteweise von Oppenheimers Sicherheitsproblemen gehört. Nun erklärte ihm sein unmittelbarer Vorgesetzter, Air-Force-Minister Thomas K. Finletter, er hege »ernste Bedenken hinsichtlich Dr. Oppenheimers Loyalität«; über Beweise allerdings verfügten weder Finletter noch Griggs. Ihr Verdacht gründete allein auf einem »Muster von Aktivitäten, die alle Dr. Oppenheimer betreffen«. 998 Oppenheimer wiederum zweifelte am Verstand der Air-Force-Führung. Deren mörderische Pläne und Strategien, die er 1951 einsehen konnte, entsetzten ihn: Ihr Ziel war die Vernichtung sowjetischer Städte in großem Maßstab, ein Plan des verbrecherischen Völkermords – »die verfluchteste Sache, die ich je sah«, wie er Freeman Dyson einmal sagte. 999

Einige Wochen nach seinem Dienstantritt führte Griggs eine Delegation der Air Force nach Pasadena zu einer Konferenz mit einer Gruppe von Wissenschaftlern des Caltech. Unter Lee DuBridges Federführung (des Leiters von Caltech) hatte diese Gruppe den Auftrag, einen hochgeheimen Bericht – Deckname Vista Report – über die Rolle zu verfassen, die Atomwaffen im Fall einer sowjetischen Bodenoffensive gegen Westeuropa spielen würden. Griggs und Leute von der Air Force waren beunruhigt durch Gerüchte, denen zufolge der Vista Report sich skeptisch zu strategischen Bombardements äußerte. Stattdessen rieten die Vista-Autoren, »das Gefecht auf das Schlachtfeld zurückzuverlegen«, indem man kleinen, taktischen Gefechtsköpfen Vorrang vor thermonuklearen Bomben einräume. In Kapitel fünf des Berichts hieß es, thermonukleare Bomben seien ungeeignet für den Einsatz in Bodengefechten. Darum sei es den Interessen der Vereinigten Staaten dienlicher, wenn Washington in einer öffentlichen Erklärung auf eine Politik des »Erstschlags« verzichte. Daher wurde auch vorgeschlagen, dem Strategic Bomber Command nur ein Drittel des kostbaren Vorrats an spaltbarem Material zuzuweisen. Die anderen zwei Drittel sollten der Army für taktische Waffen zur Verfügung stehen. 1000 Griggs nahm diese Vorschläge voller Zorn zur Kenntnis – und war nicht überrascht zu hören, dass Oppenheimer der eigentliche Autor dieses Kapitels war: Er war zwar kein Mitglied des Vista-Projekts, doch DuBridge hatte ihn hinzugezogen, und vom Vista-Material ausgehend hatte er die kontroversen Passagen verfasst. 1001

Oppenheimers Votum für taktische Nuklearwaffen als Alternative zu einer völkermörderischen Kriegsführung hatte unbeabsichtigte Konsequenzen. Mit seinem Vorschlag, »das Gefecht auf das Schlachtfeld zurückzuverlegen« 1002 , machte er den Einsatz von Atomwaffen wahrscheinlicher. Noch 1946 hatte er erklärt, Atomwaffen »sind keine Waffen der Politik, aber … sie sind es, die einen Krieg zum totalen Krieg machen«. Nun, 1951, schrieb er in den Vista Report: »Es ist eindeutig, dass sie [taktische Atomwaffen] nur zur Unterstützung eines Feldzugs eingesetzt werden können, der noch andere Komponenten hat und dessen oberstes Ziel der militärische Sieg ist. Sie sind nicht zuerst Waffen des Terrors und der Totalisierung, sondern Waffen, die eingesetzt werden, um den kämpfenden Verbänden die Unterstützung zu geben, die sie anders nicht haben.« Dass sie aber auch als nuklearer Stolperdraht fungieren und den wechselseitigen Einsatz immer größerer Waffen auslösen könnten, bedachte Oppenheimer nicht: So verzweifelt konzentrierte er sich auf seinen Versuch, die Air Force daran zu hindern, im Gewand einer rationalen strategischen Planung ein Armageddon heraufzubeschwören. 1003


Im Frühjahr 1952 hat Griggs auch Rabi gegenüber erklärt, Oppenheimer und das GAC blockierten die Entwicklung der H-Bombe. Entrüstet verteidigte Rabi den Freund. Griggs brauche nur die Protokolle des GAC zu lesen, dann werde er sehen, wie fair Oppenheimer dessen Sitzungen leite. Er machte den Vorschlag, ein Treffen der beiden Kontrahenten in Princeton zu arrangieren. Griggs war einverstanden. Am 23. Mai 1952 um halb vier Uhr nachmittags betrat er Oppenheimers Institutsbüro und nahm Platz: Es hätte zumindest der Versuch einer Verständigung werden können. Doch Oppenheimer zog sofort eine Kopie des GAC-Reports vom Oktober 1949 hervor, der seine strittige Empfehlung gegen die Entwicklung der H-Bombe enthielt: ein rotes Tuch für seinen Gesprächspartner. Oppenheimer wusste durchaus, wie er seinen beträchtlichen Charme einsetzen musste, um einen Gegner aus der Bürokratie zu beruhigen; aber er stand sich auch immer wieder selbst im Weg. In Griggs sah er einen dieser machtbesessenen Idioten, den mittelmäßigen Wissenschaftler, der sich mit Generälen und einem ambitionierten Physiker, nämlich Edward Teller, zusammengetan hatte. Und Oppenheimer dachte nicht daran, sich vor einem solchen Mann zu rechtfertigen. Rasch war die Luft zum Schneiden dick. Als Griggs fragte, ob Oppenheimer das Gerücht in die Welt gesetzt habe, Minister Finletter prahle damit, die USA könnten mit ein paar H-Bomben die Welt regieren, verlor Oppenheimer das letzte bisschen Geduld, das er sich bewahrt hatte. Er maß Griggs mit einem seiner kalten Blicke und sagte, er habe diese Geschichte gehört und halte sie für wahr. Aber er sei doch im Raum gewesen und müsse gehört haben, dass Finletter nichts dergleichen gesagt habe. Darauf Oppenheimer: Er habe das aus einer untadeligen Quelle, die ebenfalls anwesend gewesen sei.

Das Stichwort Verleumdung war gefallen, und Oppenheimer fragte nun seinerseits, ob Griggs ihn für »prorussisch oder nur für verrückt« halte. Der knurrte zurück, die Antwort darauf wüsste er selbst gerne. »Gut«, sagte Oppenheimer, »dann frage ich Sie, haben Sie jemals meine Loyalität in Zweifel gezogen?« Ja, entgegnete, Griggs, er habe in der Tat gehört, dass Oppenheimers Loyalität in Frage gestellt worden sei, und er habe mit Minister Finletter sowie mit Hoyt Vandenberg, dem Stabschef der Air Force, über Oppenheimer als Sicherheitsrisiko gesprochen. Jetzt nannte Oppenheimer seinen Besucher einen »Paranoiker«. 1004

Griggs ging verärgert und war überzeugter denn je von Oppenheimers Gefährlichkeit. In einem Gespräch unter vier Augen unterrichtete er Finletter von der Begegnung. Oppenheimer, in seiner üblichen Unbedarftheit, was Personen anging, hielt Griggs für zu unbedeutend, als dass dieser ihm schaden könne. Und um noch eins draufzusetzen, gab er ein paar Wochen später bei einem Mittagessen mit Finletter die gleiche Vorstellung. Für dieses Treffen hatten Ministerialbeamte gesorgt, die es an der Zeit fanden, dass die beiden ihre Differenzen im direkten Gespräch klärten. Oppenheimer kam verspätet von einer Anhörung auf dem Capitol Hill und saß Finletter mit versteinertem Gesicht gegenüber. Mehrfach versuchte der, ein versierter Wall-Street-Anwalt, Oppenheimer aus der Reserve zu locken. Und dieser wiederum gab sich gar keine Mühe zu verbergen, was er von seinem Gesprächspartner hielt. »Unglaublich grob« sei er gewesen. 1005 Oppenheimer waren diese Air-Force-Leute, die nur darauf aus waren, immer mehr Bomben zu bauen, um immer mehr Menschen zu töten, inzwischen einfach zuwider. Nicht er, Oppenheimer, sondern sie waren gefährlich, moralisch derart abgestumpft, dass er sie nur als Gegner betrachten konnte. Ein paar Wochen später erklärten Finletter und seine Leute im JCAE, man müsse tatsächlich die Frage stellen, »ob er [Oppenheimer] ein Subversiver ist«. 1006


Finletters Anwürfe zeigten, wie weit die an der Atomdebatte Beteiligten auseinandergedriftet waren. Auch Oppenheimer war gegen dieses Gift nicht immun. Im Juni 1951 hielt er vor dem Committee on the Present Danger, einer Gruppe von Privatleuten, die sich bei der Regierung dafür einsetzen wollten, die konventionelle Verteidigung zu stärken, und der er angehörte, eine außerprotokollarische Rede. Ohne Notizen sprechend, befürwortete er eine Verteidigung Westeuropas vor Ort, eine Option, mit der »Europa frei und [durch Atombomben] unzerstört« bleibe: »In der Auseinandersetzung mit den Russen haben wir es mit einem unzivilisierten, rückständigen Volk zu tun, das kaum loyal zu seinen Regierenden steht. Unser oberstes politisches Ziel sollte es letztlich sein, das Atomzeug als Waffe loszuwerden.« 1007

1952 hatte Oppenheimer genug von Washington. So oft hatte Präsident Truman seinen Rat übergangen, dass er nur noch daran denken konnte, sich aus der Politik zurückzuziehen. Anfang Mai traf er sich mit James Conant und Lee DuBridge zum Lunch im Washingtoner Cosmos Club. Die drei Freunde, unzufrieden mit ihrer Stellung in Washington, bemitleideten sich gegenseitig. Conant notierte anschließend in sein Tagebuch: »Einige der ›Jungs‹ haben das Beil ausgegraben gegen uns drei im GAC der AEC. Behaupten, wir seien Hemmschuhe der H-Bombe. Finstere Worte über Oppie.« 1008 Im Juni fühlten sie, dass sie gescheitert waren in dieser inzwischen zehn Jahre währenden Auseinandersetzung »mit einer bösen Sache, die nun wirklich böse zu werden droht«, und waren sich der Kräfte bewusst, die bereitstanden, sie aus dem GAC zu drängen. Alle drei erklärten ihren Rückzug aus diesem Beratungsgremium der Atomenergiekommission. Seinem Bruder schrieb Oppenheimer, er wolle sich nun wieder der Physik widmen: »Physik ist kompliziert und wundersam, und viel zu schwer für mich, es sei denn als Zuschauer; es wird irgendwann einmal wieder leichter werden müssen, vielleicht aber doch nicht so bald.« 1009

Tatsächlich war es nicht so einfach, sich aus Washington zu verabschieden. Kaum hatte er sich aus dem GAC zurückgezogen, überredete ihn Gordon Dean, der AEC mit einem ordentlichen Vertrag weiterhin als Berater zur Verfügung zu stehen. Das verlängere seine »Q-Clearance«, die höchste Unbedenklichkeitsstufe, automatisch um ein weiteres Jahr. Und nicht nur das hielt ihn fest. Im April bereits hatte er Außenminister Acheson zugesagt, in einem Sonderausschuss zu Fragen der Abrüstung mitzuwirken, dem auch Vannevar Bush, John Sloan Dickey, der Präsident des Dartmoor College, Allan Dulles, damals stellvertretender Leiter der CIA, und Joseph Johnson angehörten, der Präsident der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden. Wie stets wurde Oppenheimer zum Vorsitzenden des Ausschusses gewählt.

Acheson hatte auch McGeorge Bundy gewinnen können; er – damals dreiunddreißig, Politikwissenschaftler mit einer Professur in Harvard – sollte als Protokollführer des Ausschusses fungieren. »Mac« Bundy war der Sohn von Harvard Bundy, der rechten Hand von Henry Stimson, und er war gespannt darauf, Oppenheimer kennenzulernen. Als Junior Fellow war er Mitautor gewesen von Stimsons 1948 erschienenen Memoiren On Active Service in Peace and War , sowie Ghostwriter von Stimsons berühmtem, im Februar 1947 in Harper’s Magazine erschienem Essay »The Decision to Use the Atomic Bomb«, mit dem er den Bombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki verteidigt hatte. So war er einigermaßen vertraut mit den Unwägbarkeiten nuklearer Waffen. Als er ihn kennenlernte, war Oppenheimer sofort angetan von diesem jungen Bostoner Gelehrten. Und Bundy schickte dem neugewonnenen Freund nach dieser ersten Begegnung ein ungewöhnlich bescheidenes Briefchen: »Ich finde es schwer, Ihnen hinreichend zu danken für die Geduld, mit der Sie sich letzte Woche um meine Bildung gekümmert haben.« 1010 Nicht lange dauerte es, und die beiden schickten einander handgeschriebene Briefe, die mit »Lieber Robert« oder »Lieber Mac« begannen.

Bundy sollte rasch zu spüren bekommen, wie lästig seinem neuen Freund die Kontroversen wurden. In einer der ersten Sitzungen verständigten sich Oppenheimer und der Ausschuss auf das eigentliche Thema: das Problem des Überlebens. »Die Vereinigten Staaten und Russland stecken in einem Patt wie zwei Skorpione, das kann zu offenem Krieg ohne den Einsatz der Stachel führen, oder auch nicht.« 1011 Wie Oppenheimer wusste, hofften Teller und seine Kollegen, Ende Herbst einen ersten Prototyp des neuen Geräts testen zu können. So leuchtete ihm Vannevar Bushs Überlegung ein, dass Amerika und Russland noch vor Überschreiten dieser Schwelle einen totalen Verzicht auf Erprobung jeglicher thermonuklearen Waffen vereinbaren sollten. Ein solcher Vertrag würde keine Inspektionen notwendig machen, weil jede Verletzung des Verzichts sofort entdeckt würde: Ohne Tests konnte die H-Bombe nicht zu einer militärisch zuverlässigen Waffe entwickelt werden. Auf diese Weise ließe sich ein thermonukleares Wettrüsten vermeiden, bevor es begonnen hatte.

Nicht nur der Herbsttermin für einen ersten amerikanischen Test – Deckname »Mike« – war Oppenheimer und seinen Kollegen bekannt, sie wussten auch, dass jeder Versuch, diesen Test zu verhindern, auf erbitterten Widerstand der Air Force stoßen würde. Und die Gruppe, so überzeugt sie von der Triftigkeit ihrer Überlegungen war, sah keine Möglichkeit, ihre Ansichten zu veröffentlichen. Ein dichter Schleier der Geheimhaltung war über alle Fragen der Atompolitik gezogen worden. Hätten sie ihre Bedenken öffentlich gemacht, wäre ihnen sofort die »Q-Clearance« – die Berechtigung, Atomwaffen betreffende Geheimunterlagen einzusehen – entzogen worden. Ein weiteres Mal machten sie sich daran, die außenpolitischen Wortführer und Mächtigen in Washington davon zu überzeugen, dass die gegenwärtige Atomwaffenpolitik nur in eine Sackgasse führen könne. Doch am 9. November lehnte Trumans nationaler Sicherheitsrat den Vorschlag eines Test-Moratoriums rundweg ab. Verärgert erklärte Verteidigungsminister Robert Lovett, dass »jede derartige Idee aus dem Bewusstsein gelöscht und alle Papiere zu dieser Frage vernichtet werden« sollten. 1012 Das einflussreiche Mitglied des außenpolitischen Establishments fürchtete, dass Senator McCarthy nichts lieber sähe, als dass irgendwelche Nachrichten dieser Art an die Öffentlichkeit gelangten und er Untersuchungen gegen das Außenministerium und seine Berater einleiten könnte.

Am 1. November 1952 zündeten die Vereinigten Staaten auf der Insel Elugelab im pazifischen Eniwetok-Atoll eine thermonukleare Bombe mit einer Sprengkraft von 10,4 Megatonnen. Die Insel verdampfte mit allem, was sich auf ihr befand; es blieb ein Krater von drei Kilometern Durchmesser und sechzig Metern Tiefe. Ein sichtlich deprimierter Conant erklärte einem Journalisten von Newsweek : »Ich habe keine Verbindungen mehr zur Atombombe. Ich habe nicht das Gefühl, dass etwas erreicht worden wäre.« 1013

Eine Woche später saß ein grimmiger Oppenheimer mit neun Mitgliedern eines weiteren Ausschusses zusammen – diesmal des Science Advisory Committee beim Office of Defense Mobilization –, und man beriet darüber, ob man nicht besser aus Protest zurücktreten sollte. 1014 Viele Wissenschaftler hatten nach dem Test der Wasserstoffbombe das Gefühl, dass die Regierung schlicht kein Interesse daran hatte, die Ratschläge ihrer Experten auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Lee DuBridge ließ den Entwurf eines Rücktrittsschreibens zirkulieren. Zuletzt aber, in der vagen Hoffnung, dass die neue Regierung einen Kurswechsel vornehmen werde, legte man den Brief beiseite. Dabei wussten alle, dass die Zeichen gegen sie standen. Während der Sitzung beugte sich James R. Killian, der Präsident des MIT, zu DuBridge und flüsterte ihm zu: »Ein paar Leute von der Air Force wollen gegen Oppenheimer vorgehen, wir sollten Näheres herausfinden und uns wappnen.« DuBrigde war, wie er Sherwin berichtete, entsetzt; er hatte gedacht, sein Freund werde noch immer als Held geachtet.

Gleichzeitig entwarf Oppenheimer mit Bundy den Abschlussbericht des Abrüstungsausschusses für das Außenministerium. Er wurde Außenminister Acheson vorgelegt, als Eisenhower gerade ins Weiße Haus eingezogen war; damals natürlich eine Verschlusssache höchster Stufe. Nur ganz wenige Mitglieder der Regierung Eisenhower bekamen ihn überhaupt zu Gesicht. Hätte man ihn 1953 freigegeben, es hätte sich ein Sturm der Empörung erhoben. 1015 Verfasst hat den Bericht McGeorge Bundy, viele Gedanken und Argumente stammten jedoch von Oppenheimer, vor allem der Hinweis auf die Bedrohung der gesamten Weltzivilisation: In nur wenigen Jahren, so heißt es darin, werde die Sowjetunion über 1000 Atombomben verfügen, und die Zahl könne rasch auf 5000 steigen. Das verschaffe den Sowjets die Macht, »eine ganze Zivilisation und mit ihr eine sehr große Zahl von Menschen zu vernichten«.

Möglicherweise würde ein »nukleares Patt« zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten zu einer »prekären Stabilität« führen, sofern beide Seiten sich hüten würden, diese Waffen einzusetzen; jeder Einsatz wäre selbstmörderisch. Doch könne eine »so gefährdete Welt nicht sehr ruhig sein, und um den Frieden zu erhalten, stünden die Staatsmänner nicht nur einmal, sondern in jedem einzelnen Fall wieder vor dem Problem, sich gegen übereilte Aktionen zu entscheiden.« Und »für den Fall, dass der atomare Rüstungswettlauf nicht auf irgendeine Weise gebremst wird«, folge daraus, »dass unsere ganze Gesellschaft in größte Gefahr gerät«.

Diesem Szenario setzte das Gremium unter Oppenheimers Leitung die Idee der »Offenheit« entgegen. Eine Politik exzessiver Geheimhaltung habe dafür gesorgt, dass die Amerikaner von der nuklearen Gefahr nichts wüssten. Das müsse sich ändern, und darum sollte die neue Regierung »offen über die atomare Bedrohung und Gefahr« sprechen. Erstaunlicherweise votierten die Mitglieder des Gremiums sogar dafür, »Umfang und Folgen der nuklearen Produktion« zu veröffentlichen und auch darauf hinzuweisen, »dass wir über ein bestimmtes Maß hinaus die sowjetische Bedrohung nicht dadurch abwehren können, dass wir ›den Russen stets ein Stück voraus‹ sind.« 1016

Der Begriff »Offenheit« war von Niels Bohr inspiriert, der stets darauf bestanden hatte, dass Sicherheit ohne Offenheit nicht zu haben sei. In dieser Hinsicht war Oppenheimer weiterhin Bohrs Prophet. In die seit langem festgefahrenen Abrüstungsgespräche der Vereinten Nationen dagegen setzte er keine großen Hoffnungen mehr. Er hoffte allerdings, die neue Regierung werde erkennen, dass »Offenheit« einerseits die Menschen in Amerika für die Gefahren sensibilisieren würde, die in der Abhängigkeit von Atomwaffen liegen, andererseits den Sowjets signalisieren würde, dass die Amerikaner nicht vorhätten, diese Waffen für einen Präventivschlag einzusetzen. Zusätzlich drängte das Gremium auf direkte, interkontinentale Kommunikation. Der Kreml sollte eine grobe Vorstellung von Größe und Art des amerikanischen Nuklearpotentials gewinnen können und wissen, dass Washington sehr interessiert sei an bilateralen Gesprächen über eine Verminderung dieses Arsenals. Wären die Empfehlungen des von Oppenheimer geleiteten Gremiums 1953 von der Regierung Eisenhower akzeptiert worden, hätte der Kalte Krieg möglicherweise einen weniger militarisierten Verlauf genommen. Von diesen quälenden Spekulationen handelt Bundys Aufsatz, »The Missed Chance to Stop the H-Bomb«, den er 1982 im New York Review of Books veröffentlichte. 1017

In den Jahren nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums haben Dokumente aus russischen Archiven die Historiker veranlasst, ihre Grundannahmen über den Beginn des Kalten Kriegs zu revidieren. Die Archive des Gegners hatten gezeigt, so der Historiker Melvyn Leffler, dass bei den Sowjets »keine vorgefassten Pläne« bestanden, »Osteuropa kommunistisch zu machen, die chinesischen Kommunisten zu unterstützen oder Krieg in Korea zu führen«. Stalins Deutschlandpolitik sei keinem »Masterplan« gefolgt, eine militärische Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten habe er vermeiden wollen. Nach Kriegsende habe er die sowjetischen Streitkräfte von 11,3 Millionen im Mai 1945 auf 2,8 Millionen Soldaten im Juni 1947 verringert. Woraus hervorgehe, dass die Sowjetunion selbst unter Stalin weder die Fähigkeit noch die Intention gehabt hatte, einen Angriffskrieg zu führen. 1018 Später schrieb George F. Kennan, er sei »nie davon ausgegangen, dass sie [die Sowjets] es als ihr Interesse betrachtet haben, Westeuropa militärisch zu überrennen, oder einen Angriff auf diese Region starten würden, auch dann nicht, wenn es die sogenannte atomare Abschreckung nicht gegeben hätte.« 1019

1953 jedoch hatte der Kalte Krieg die politischen Optionen in Washington zumindest ebenso unverrückbar erstarren lassen wie in Moskau. Oppenheimers unablässige Versuche, dafür zu sorgen, dass der nukleare Geist in der Flasche blieb, konnten gegen den Strom der damals in Amerika mächtigen Kräfte nichts ausrichten. Zudem war nun ein Republikaner Präsident geworden, und die ihn politisch stützenden Kräfte waren entschlossen, den Unruhegeist Oppenheimer in die Flasche zu sperren.