Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.
Franz Kafka, Der Prozess
Kaum hatte Oppenheimer Strauss mitgeteilt, dass er nicht zurücktreten werde, setzte der General Manager der AEC, Kenneth Nichols, die Maschinerie einer außergewöhnlichen amerikanischen Inquisition in Gang. Der Physiker, schrieb er an Harold P. Green, den jungen AEC-Anwalt, der das offizielle Schreiben mit den Vorwürfen gegen Oppenheimer aufsetzen sollte, sei ein »aalglatter Hund, doch diesmal werden wir ihn kriegen.« 1075 Ein Satz, der, wie Green rückblickend einräumte, genau dem Tenor und Stil der Anhörung entsprach, wie sie die AEC dann vorantrieb.
Am 24. Dezember 1953 beschlagnahmten zwei FBI-Agenten in Olden Manor die bei Oppenheimer verbliebenen Geheimpapiere. Am gleichen Tag erhielt er den vom 23. Dezember datierten Brief mit den förmlichen Anschuldigungen der AEC. Man frage sich, hatte Nichols geschrieben, »ob Ihre weitere Beschäftigung bei der Atomenergiekommission nicht die Verteidigung und Sicherheit der Allgemeinheit gefährdet und ob eine solche Beschäftigung tatsächlich mit den Interessen der Nationalen Sicherheit vereinbar ist.« Mit diesem Brief wolle man auch auf das hinweisen, »was Sie tun können, um zur Klärung dieser Frage beizutragen …« 1076 Alle »abträglichen« Fakten (die Gründe, seine Unbedenklichkeitsbescheinigung aufzuheben) wurden noch einmal aufgezählt: Oppenheimers Verbindungen zu bekannten und unbekannten Kommunisten, seine Spenden an die Kommunistische Partei Kaliforniens, die Chevalier-Affäre – »und dass Sie entscheidend dazu beigetragen haben, andere hervorragende Wissenschaftler zu überreden, nicht am Projekt der Wasserstoffbombe mitzuarbeiten, und dass der Widerstand gegen die Wasserstoffbombe, dem Sie als deren erfahrenstes, einflussreichstes und effektivstes Mitglied angehören, die Entwicklung der Bombe definitiv verzögert hat.« Mit Ausnahme des letzten waren alle diese Vorwürfe von General Groves und der AEC zuvor bereits überprüft und zurückgewiesen worden.
Dass Oppenheimers Ablehnung der Superbombe nun in die Liste der Vorwürfe aufgenommen wurde, zeigt die wachsende Hysterie der McCarthy-Ära. Man war so weit, dass bereits eine abweichende Meinung mit Illoyalität gleichgesetzt und damit die Rolle von Regierungsberatern völlig neu definiert wurde. Juristisch waren die Vorwürfe kaum haltbar, vor einem Gericht jedenfalls hätten sie nicht standgehalten: Man kann diesen Brief nicht anders als eine politische Anklageschrift lesen.
Ein, zwei Tage vor Weihnachten 1953: Oppenheimers Sekretärin Verna Hobson saß an ihrem Schreibtisch und sah Robert und Kitty in sein Büro gehen und die Tür hinter sich schließen. Das sei ihr sofort aufgefallen, er habe seine Türe sonst stets offen gelassen. Lange seien die beiden da drin geblieben, »ganz klar, da war etwas schiefgelaufen«. Als sie schließlich herauskamen, nahmen sie einen Drink, boten auch Verna einen an. Zu Hause habe sie mit ihrem Mann Wilder darüber gesprochen: »Die Oppenheimers sind in Schwierigkeiten. Ich weiß nicht, was los ist, aber ich möchte ihnen etwas schenken.« Wilder Hobson hatte gerade die Aufnahme einer brasilianischen Sopranistin gekauft, und diese Schallplatte habe sie am nächsten Morgen mit ins Büro genommen, Oppenheimer überreicht und ihm gesagt: »Soll kein Weihnachtsgeschenk sein. Ich bin nicht extra losgelaufen, um sie für euch zu besorgen. Wir haben sie sogar schon gespielt. Nein, ich möchte dir einfach jetzt etwas schenken.« Robert habe eine ganze Weile mit gesenktem Kopf dagesessen, schließlich aufgeblickt und gesagt: »Das ist unglaublich lieb.«
Nachmittags rief er Verna Hobson in sein Büro, zog die Tür zu: Er wolle ihr erklären, was los sei. Die nächsten anderthalb Stunden erzählte er ihr nicht nur von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen, sondern die gesamte Geschichte seiner Kindheit, seiner Familie, seines Erwachsenenlebens. Noch nie hatte er darüber gesprochen. Möglicherweise, so vermutete sie in unserem Gespräch, sei dies eine Art Probe gewesen für das, was er auf Nichols’ Vorwürfe erwidern wollte. Die abträglichen Informationen, so habe er ihr erklärt, könne man nur »im Zusammenhang meines Lebens und meiner Arbeit gerecht bewerten«.
Die AEC hatte ihm für seine Stellungnahme eine Frist von dreißig Tagen eingeräumt. Fieberhaft machte sich Oppenheimer an die Vorbereitung seiner Verteidigung. Zunächst musste er ein Team von Anwälten zusammenbringen. Gleich Anfang Januar beriet er sich mit Herb Marks und Joe Volpe. Marks riet dem Freund, sich unbedingt von einem angesehenen Anwalt mit politischen Verbindungen vertreten zu lassen. Volpe dagegen drängte Oppenheimer, sich einen Strafverteidiger mit Prozesserfahrung zu suchen. Schließlich gingen Oppenheimer und Marks gemeinsam zu Lloyd K. Garrison, dem Seniorpartner der New Yorker Kanzlei Paul Weiss, Rifkind, Wharton & Garrison. Oppenheimer hatte den Anwalt im Frühjahr zuvor kennengelernt, als dieser zum Treuhänder des IAS bestellt worden war, und dessen distinguierte Art hatte ihm imponiert. Garrison war ein gestandener Liberaler, Mitglied im Vorstand der American Civil Liberties Union. Ihn also trafen Marks und Oppenheimer kurz nach Neujahr in dessen Wohnung und legten ihm Nichols’ Schreiben vor. Garrison las es, und als er fertig war, sagte Oppenheimer: »Sieht ziemlich schlecht aus, was?« Ein schlichtes »Ja« war die Antwort. 1077
Garrison war bereit, den Fall zu übernehmen. Als Allererstes müsse man die AEC dazu bringen, die Dreißigtagefrist für die Erwiderung zu verlängern. Das erreichte er am 18. Januar in Washington. Keinen Erfolg hatte er mit seiner Suche nach einem prozesserprobten Strafverteidiger. Zugleich begann er selbst mit Oppenheimer an dessen Erwiderung zu arbeiten. Die Zeit verging, und aus Zeitnot wurde Garrison schließlich zu Oppenheimers Verteidiger. Allen, auch ihm selbst, war klar, dass Garrison, dem die notwendige Prozesserfahrung fehlte, keine ideale Besetzung war.
Die Nachricht von der anstehenden Anhörung Oppenheimers sickerte durch und machte in Washington rasch die Runde. Am 2. Januar 1954 hörte das FBI ein Telefongespräch Kitty Oppenheimers ab; sie hatte erfolglos versucht, Dean Acheson zu erreichen, um zu hören, »wie die Dinge stehen«. 1078 Vannevar Bush stellte Strauss in dessen Büro zur Rede. Die Maßnahmen gegen Oppenheimer seien »in der ganzen Stadt« bekannt, und sie seien, wie Bush dem Vorsitzenden der AEC frei heraus erklärte, ein »großes Unrecht«. Wenn Strauss den Fall weiterverfolge, könnten sich die Angriffe nur gegen ihn selbst kehren. Ärgerlich erklärte Strauss, das sei ihm »schnurzegal«; durch solche Anwürfe jedenfalls lasse er sich nicht »erpressen«. 1079
Auch wenn er sich später zu einem Mann unter Belagerung stilisierte – Strauss war im Vorteil, und er wusste das. Täglich lieferte ihm das FBI Zusammenfassungen dessen, was Oppenheimer tat und was er mit seinen Anwälten besprach: Strauss konnte die Linie seiner Verteidigung also vorwegnehmen. Zudem war er es, der die Mitglieder des Untersuchungsausschusses bestellte. Und er wusste, dass die Akte Oppenheimer beim FBI Dinge enthielt, von denen die Anwälte nichts erfahren würden – er selbst hatte dafür gesorgt, dass sie die zur Akteneinsicht notwendige Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht erhielten. Eine solche Bescheinigung beantragte Garrison am 16. Januar 1954 für sich und Herb Marks, Strauss lehnte für Marks ab – dabei hatte Marks der Rechtsabteilung des AEC angehört. 1080 Ob Garrison die Bescheinigung zumindest für sich erhalten hätte und rechtzeitig genug, dass er das Verfahren hätte vorbereiten können, muss offen bleiben. Denn Garrison beharrte: Entweder das ganze Team werde freigestellt oder keiner – eine Entscheidung, die er bald bedauern sollte und vergeblich zu revidieren suchte.
Ende März erfuhr Garrison, dass die Mitglieder des Untersuchungsausschusses eine ganze Woche Zeit bekamen, um die Akten des FBI zu studieren. Schlimmer noch: Der »Staatsanwalt« des AEC sollte anwesend sein, um die Ausschussmitglieder auf kritische Punkte eigens hinzuweisen und ihre Fragen zu beantworten. Garrison fühlte das Schiff sinken: Nach einer Woche Aktenstudium mussten diese Männer Vorurteile gegen seinen Mandanten entwickeln. Doch als er die gleichen Privilegien für sich forderte – er wollte bei diesem einwöchigen Briefing anwesend sein –, wurde dies rundweg abgelehnt. Gleichzeitig versuchte Garrison für sich eine außerordentliche Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erwirken, so dass er zumindest gleiche Akteneinsicht hätte. Doch Strauss erklärte dem Justizministerium, eine solche Clearance dürfe dem Anwalt »auf keinen Fall« erteilt werden. 1081 Nach Strauss’ Ansicht war das geplante Verfahren kein Zivilprozess, sondern eine Anhörung des Personal-Sicherheitsausschusses der AEC, also könnten weder Oppenheimer noch seine Anwälte die »Rechte« eines Angeklagten reklamieren.
Strauss, der sich als Herr des Verfahrens betrachtete, machte sich ohne irgendwelche verfassungsrechtlichen Bedenken daran, Oppenheimers Verteidigung zu unterminieren. Er wusste, dass die Telefonmitschnitte des FBI illegal waren, doch das kümmerte ihn wenig. Vielmehr erklärte er einem Agenten, »dass die technische Beschattung Oppenheimers in Princeton durch das ›Bureau‹ [FBI] der AEC sehr nützlich gewesen sei, da sie dadurch immer im Voraus wussten, was er im Sinn hatte«. 1082 Dieses Vorgehen ging Harold Green derart gegen den Strich, dass er Strauss erklärte, das Verfahren gleiche »weniger einer Untersuchung als einer Strafverfolgung … und damit wolle er nichts zu tun haben«. Er bat darum, von diesem Fall abgezogen zu werden. 1083
Anlässlich eines Besuchs bei den Bachers in Washington erklärte Robert seinen Gastgebern, wie sehr er befürchtete, überwacht zu werden: »Kaum betrat er einen Raum«, so Jean Bacher, »und noch bevor er irgendetwas anderes tat, hob er die Bilder an und schaute dahinter, um zu sehen, wo sich das Abhörgerät befand.« Eines Abends habe er ein Bild von der Wand genommen und gesagt: »Da ist es!« Die Überwachung habe Oppenheimer »in Angst und Schrecken versetzt«. Als ein FBI-Agent in Newark vorschlug, die elektronische Überwachung von Oppenheimers Wohnung »in Anbetracht der Tatsache« zu unterbrechen, dass »diese die Beziehungen zwischen Anwalt und Mandant offenlege«, lehnte Hoover ab. 1084 Die Überwachung wurde vielmehr auf Personen in Oppenheimers Umfeld ausgedehnt, sogar auf seine betagten Schwiegereltern.
Strauss war fest entschlossen, Oppenheimer jeglichen Einfluss auf Angelegenheiten der AEC nehmen, und er machte daraus einen Kreuzzug für Amerikas Zukunft. William Mitchell, dem Chefjustitiar der AEC, erklärte er: »Sollte der Fall verlorengehen, wird das Atomenergieprogramm … in die Hände der Linken fallen. Und das wäre ein zweites Pearl Harbor. … Wenn Oppenheimer die Q-Clearance bekommt, kann sie jeder bekommen, ganz gleich welche Informationen gegen ihn vorliegen.« Die Sicherheit des Landes stehe auf dem Spiel, darum könne man sich über die üblichen rechtlichen und moralischen Beschränkungen hinwegsetzen. Es reiche eben nicht, Oppenheimers Vertrag als Berater der AEC zu lösen. Man müsse den Ruf des Physikers ruinieren, andernfalls werde Oppenheimer sein Prestige zu lautstarker Kritik an der Atomwaffenpolitik der Regierung Eisenhower nutzen. Das wollte Strauss unbedingt verhindern. Und er setzte alles daran, aus der Anhörung einen »Star Chamber«-Prozess 1085 zu machen.
Strauss organisierte das Verfahren so, dass Oppenheimer jeglichen Einfluss in der AEC verlieren musste. 1086 Ende Januar hatte er den sechsundvierzigjährigen Roger Robb, einen gebürtigen Washingtoner, erkoren, die Anklage im Fall Oppenheimer zu führen. Mit sieben Jahren Erfahrung in der Strafverfolgung – erworben als Assistent Attorney – stand Robb in dem Ruf eines aggressiven Anklagevertreters, seine Vorliebe für scharfe Kreuzverhöre war bekannt. Zudem hatte er über die Jahre »herzliche« Kontakte zum FBI entwickelt und sich, wie man Hoover mitteilte, den Agenten gegenüber stets »vollständig kooperativ« verhalten. 1087 Insofern kann nicht verwundern, dass Strauss die FBI-Clearance für Robb in nur acht Tagen erwirken konnte. Und er sandte ihm, im Februar und März, während Robb die Anhörung vorbereitete, Informationen aus seinen eigenen Aufzeichnungen. Wer immer als Zeuge aufgerufen werden sollte, ob Dr. Bradbury, Dr. Rabi oder General Groves, für jeden lieferte Strauss ein Dokument als Argumentationshilfe, mit dem Robb erschüttern konnte, was ein Zeuge zugunsten Oppenheimers aussagen würde. 1088
Seinen Ankläger hatte er also gefunden, und Strauss konnte sich nun um die Auswahl der Richter kümmern. Er brauchte drei Männer, die im Sinne des AEC-Sicherheitsrevisionsausschusses arbeiten würden, und er suchte Kandidaten, von denen anzunehmen war, dass sie an Oppenheimer zweifeln würden, sobald dessen linke Vergangenheit offenbar würde. Ende Februar entschied er sich für Gordon Gray, damals Präsident der University of North Carolina und zuvor Armeeminister in der Regierung Truman, der den Vorsitz übernehmen sollte. Als alter Freund Gordons wusste Strauss, dass der konservative Demokrat bei der Wahl von 1952 für Eisenhower gestimmt hatte. Der Südstaatenaristokrat Gray wiederum hatte keine Ahnung, worauf er sich einließ; auch Strauss’ persönliche Feindschaft gegen Oppenheimer entging ihm. Diese Unbedarftheit zeigte sich zum Beispiel an seinem Vorschlag, David Lilienthal in den Ausschuss zu berufen. Strauss wird entsetzt gewesen sein. Natürlich entschied er sich für einen anderen, für Thomas Morgan, Vorstandsvorsitzender der Sperry Corporation und ein verlässlich konservativer Demokrat. Zum dritten Mitglied wählte Strauss den konservativen Republikaner Dr. Ward Evans, dessen Hauptvorzüge in seinem wissenschaftlichen Hintergrund als emeritierter Chemieprofessor sowie darin bestanden, dass er in vorangegangenen AEC-Anhörungen verlässlich gegen Unbedenklichkeitsbescheinigungen gestimmt hatte. Keiner der drei Auserwählten hatte bis dahin gehört, dass Oppenheimer Sympathien für die KPUSA gezeigt hatte. Entsprechend entsetzt würden sie reagieren, wenn sie erst Oppenheimers Sicherheitsakte gelesen hätten.
Im Januar saß James Reston, der Leiter des Washingtoner Büros der New York Times, zufällig in der Maschine, mit der auch Oppenheimer von Washington nach New York flog. Die beiden kamen ins Gespräch, und Reston notierte später, dass Oppenheimer »in meiner Gegenwart unerklärlich nervös wirkte und ganz offensichtlich unter Druck stand«. 1089 Und er begann in Washington herumzutelefonieren, um herauszufinden, was los sei mit Oppenheimer »in diesen Tagen«. Bald meldeten die Abhörbänder des FBI, dass Reston auch mehrfach versucht hat, Oppenheimer zu erreichen.
Oppenheimer beunruhigte, dass die Aufhebung seiner Unbedenklichkeitsbescheinigung über kurz oder lang öffentlich bekannt würde. 1090 Als er schließlich einen von Restons Anrufen entgegennahm, berichtete ihm dieser, er habe gerüchteweise von der Suspendierung gehört und auch davon, dass die AEC gegen ihn ermittle. 1091 Oppenheimer wollte das nicht kommentieren. Selbst als Reston erklärte, er bereite einen Artikel darüber vor, blieb Oppenheimer bei seiner Weigerung, riet Reston allerdings, sich an seinen Anwalt zu wenden. Reston und Garrison trafen sich Ende Januar 1954 und kamen zu einer Einigung. Garrison, der davon ausging, dass die Geschichte früher oder später sowieso publik würde, gab Reston Kopien sowohl des Schreibens der AEC als auch der Erwiderung Oppenheimers. Im Gegenzug versprach Reston, seinen Artikel erst dann zu veröffentlichen, wenn die Nachricht sowieso die Runde mache. 1092
Oppenheimers Vorbereitungen wurden zu einer zermürbenden Nervenprobe. Die längste Zeit des Tages saß er mit Garrison, Marks und anderen Anwälten in seinem Büro in Fuld Hall an der Formulierung und dem Feinschliff seiner Erwiderung. Jeden Nachmittag um fünf verließ er die Runde und ging hinüber nach Olden Manor, häufig in Begleitung seiner Anwälte, und die Arbeit ging weiter bis in die Nacht. Anstrengende Tage seien das gewesen, so die Sekretärin, doch Robert habe einen ziemlich gelassenen Eindruck gemacht: »Es sah so aus, als könne ihm das alles nichts anhaben. Er hatte ja diese phantastische Vitalität, die man oft bei Menschen findet, die eine Tuberkulose überstanden haben. Er war unglaublich dünn, aber auch unglaublich zäh.« Ein Entwurf nach dem anderen sei entstanden, im »mühsamen Versuch, so klar und wahrhaftig wie möglich zu sein. Ich weiß nicht, wie viele Stunden er darauf verwendete.«
Nach und nach spürten die Freunde jedoch, wie abgelenkt und oft unerklärlich passiv Oppenheimer war. Irgendwann, der Rechtsanwalt erläuterte gerade seine Strategie, verlor Verna die Geduld und begann Robert zu drängen. »Ich dachte, er kämpft nicht wirklich, und mir schien auch Lloyd Garrison zu gentlemanlike, mich ärgerte das. Ich dachte, sie sollten losziehen und kämpfen.« Verna Hobson war bei den Debatten der Rechtsanwälte häufig zugegen; sie seien, soweit sie das habe überblicken können, keine große Hilfe für ihren Mandanten gewesen: »Ich dachte immer, das Ganze ist doch ganz offensichtlich Unsinn.« »Sanfter Logik« würden Oppenheimers Widersacher in Washington nie zugänglich sein, »und wer immer sich mit dem Fall befasste, musste doch davon ausgehen, dass man nur eines tun konnte: Druck machen, zurückschlagen, angreifen.« Im Kreis der Anwälte habe sie sich nicht getraut zu sagen, was sie dachte, »doch ihm gegenüber meckerte und murrte ich unablässig«. Schließlich habe Oppenheimer sie zur Seite genommen und auf der Hintertreppe von Olden Manor sanft zu ihr gesagt: »Verna, ich kämpfe wirklich so hart, wie ich kann, und so, wie es mir am besten scheint.«
Verna war nicht die Einzige, die Garrison nicht aggressiv genug fand. Auch Kitty Oppenheimer war nicht einverstanden mit dem Weg, auf den die Anwälte Robert führten. Kitty war eine Kämpferin. Zwanzig Jahre war es nun her, dass sie als junge Frau vor den Fabriktoren in Youngstown, Ohio, gestanden und kommunistische Flugschriften verteilt hatte. Und nun würde sie alle ihre Energie, Zähigkeit und Intelligenz brauchen, seit damals zum ersten Mal wieder. Immerhin war ihre Vergangenheit Teil der Anklagen gegen ihren Mann. Möglicherweise würde sie aussagen müssen. Es konnte nur zu einem Martyrium werden, für sie wie für ihn.
Eines Samstagmittags, nachdem sie den ganzen Morgen an der Erwiderung gearbeitet hatten, verließ Oppenheimer das Büro, zusammen mit Verna Hobson: »Ich sollte ihn nach Hause fahren.« Als sie zum Parkplatz gingen, tauchte unerwartet Einstein auf. Oppenheimer blieb stehen, die beiden sprachen miteinander; sie habe derweil im Auto gewartet. Als Oppenheimer schließlich zugestiegen sei, habe er gesagt: »Einstein denkt, der Angriff auf mich sei so ungeheuerlich, dass ich schlicht zurücktreten sollte.« Möglicherweise erinnere er sich an seine Erfahrungen in NS-Deutschland, jedenfalls glaube Einstein, dass ein Oppenheimer »nicht verpflichtet sei, sich einer solchen Hexenjagd zu unterwerfen. Er habe seinem Land gut gedient, und wenn dies der Dank Amerikas sei, dann solle er ihm den Rücken kehren.« Bis heute, so Verna, habe sie Oppenheimers Reaktion nicht vergessen: »Einstein versteht das nicht.« Dieser sei, so habe Oppenheimer erklärt, aus seiner Heimat geflohen, als es gerade dem Gift des Nationalsozialismus erlag – und er weigere sich, je wieder einen Fuß in dieses Land zu setzen. Er aber, so Oppenheimer, könne Amerika nicht den Rücken kehren; Verna Hobson: »Er liebte Amerika, und diese Liebe war so tief wie seine Liebe zur Wissenschaft.« 1093
Einstein ging dann in sein Büro in Fuld Hall, und mit dem Kopf in Oppenheimers Richtung nickend, sagte er zu seinem Assistenten: »Da geht ein Narr [dt. im Orig.].« 1094 Weder hat Einstein Amerika in eine Linie mit NS-Deutschland gestellt noch geglaubt, Oppenheimer müsse ins Exil. Er war zutiefst beunruhigt vom McCarthyismus, und wie die weitere Entwicklung zeigen sollte, war seine instinktive Reaktion richtig. »Oppenheimer war kein solcher Zigeuner wie ich«, vertraute Einstein seiner Freundin Johanna Fantova an, »ich bin mit der Haut eines Elefanten auf die Welt gekommen; da gab es keinen, der mich verletzen konnte.« 1095 Oppenheimer dagegen hielt er für einen Mann, den man leicht treffen könne – und er habe sich bereits einschüchtern lassen.
Am 5. März 1954 wurde Oppenheimers Erwiderung, verfasst in der Form einer Autobiographie, der AEC zugestellt: zweiundvierzig maschinegeschriebene Seiten.
Am 3. April 1954 erzählte Oppenheimer seiner alten Liebe Ruth Tolman am Telefon, was ihm bevorstand. Seit Monaten hatten die beiden nicht miteinander gesprochen. »Es tat unglaublich gut, heute morgen Deine Stimme zu hören«, schrieb Tolman in einem Brief, »ich nehme an, dass Du viel zu aufgestört und verwirrt warst, um zu schreiben. … Ich habe stets an Dich gedacht, Lieber, natürlich mit großer Besorgnis. … O, Robert, Robert, wie oft haben wir das erlebt: dass wir uns außerstande fühlten, dem anderen zu helfen, und es doch so gerne getan hätten.« 1096
Ein paar Tage später schickten die Oppenheimers Peter und Toni mit dem Zug zu den Hempelmanns, den alten Freunden aus Los Alamos. Bei ihnen in Rochester sollten die Kinder für die Zeit der Anhörung bleiben. Kurz bevor Kitty und Robert Oppenheimer ihrerseits nach Washington aufbrachen, erreichte ihn noch ein Brief seines alten Freundes Victor Weisskopf, der von Roberts Bedrängnis gehört hatte: »Mir und allen, die so empfinden wie ich – und ich möchte, dass Du dies weißt –, ist völlig bewusst, dass Du auch unseren Kampf führst. Offenbar hat das Schicksal Dich auserwählt, dass Du die schwerste Last in diesem Kampf zu tragen hast. … Wer sonst in diesem Land könnte den Geist und die Philosophie all dessen, wofür wir leben, besser zum Ausdruck bringen als Du. Bitte denke an uns, wenn Du niedergeschlagen bist. … Ich bitte Dich, bleib der, der Du stets gewesen bist, und alles wird gut werden.« 1097
Das war schön gedacht.