Satan
Immer wieder ertappe ich mich dabei, während der Arbeit gedanklich zum vergangenen Sonntag abzuschweifen.
Was war das für ein verrückter und zugleich herrlicher Tag!
Ich habe ihn mit Oliver verbracht, wir haben gelacht, waren ernst, haben so irrsinnig viel geredet …
Ich glaube, ich habe ihn endlich ein wenig besser kennengelernt, und ich muss sagen, es hat sich gelohnt!
Sein Wesen ist ganz anders, als ich zu Anfang dachte.
Heute ist Mittwoch – seit vergangenem Freitag haben wir keinen Sex gehabt und uns trotzdem jeden Abend gesehen.
Wir haben geredet, deutlich öfter geschwiegen.
Allein diese Tatsache müsste frustrierend für mich sein, aber das ist sie nicht.
Seine räumliche Nähe ist das, was ich seit der ersten Begegnung brauche.
Nicht nur, schon klar, vor allem nicht mehr, seitdem ich begriffen habe, dass ich durchaus tiefe Gefühle für ihn hege, aber allein seine Anwesenheit ist bereits mehr, als ich jemals erwartet hätte.
Das Grinsen lässt sich nicht mehr aus meinem Gesicht vertreiben, weil jeder zweite Gedanke sich um Oliver dreht.
Um seine Macken, sein Verhalten, seine Aussagen, seine wenigen mit mir geteilten privaten Details.
„Wenn ich es nicht besser wüsste, du alter Schwerenöter, würde ich vermuten, du hast ’nen neuen Kerl am Start“, erklärt mir Kay, mein direkter Arbeitskollege und stößt mir dabei in die Rippen.
Hier im Betrieb weiß jeder, dass ich schwul bin, und auch, dass ich seit zwei Jahren keine feste Beziehung mehr habe. Mein lockeres Leben nimmt mir keiner übel, zumindest habe ich diesbezüglich noch nichts zugetragen bekommen.
Ich grinse noch breiter und hebe die Schultern. „Ich, ’nen festen Freund? Wieso sollte ich?“
„Du weißt schon, dass deine Ohren Dauerbesuch von deinen Mundwinkeln haben, oder?“ Das Aufblitzen in seinen Augen lässt mich laut loslachen.
„Haben sie? Das muss am guten Wetter liegen, ich kann wieder ständig mit dem Mopped herumdüsen.“
„Na klar, Alter! Und ich heiße Alibaba und fliege ’nen grün-blauen Teppich … Nun sag schon! Wer ist es, der dich so schweben lässt?“
Kay ist echt ein guter Kumpel, deshalb sage ich: „Na gut, Alibaba, es ist eine Zufallsbekanntschaft. Ich treffe ihn seit fast drei Wochen täglich.“
„Und er ist auch der, der dein Handy dauernd piepen lässt?“
„Jupps. Wir texten immer mal wieder, wenn wir zeitgleich Pause haben.“
„Wie heißt er? Was macht er beruflich? Wo hast du ihn getroffen? Sag nicht, in ’nem Schwulenladen!“
„Nein, im Baumarkt.“
Das lässt ihn verblüfft schweigen und er blinzelt zweimal. „Echt? Also ist er womöglich gar nicht schwul?“
„Doch, doch, ist er. Aber ich will darüber nicht weiter reden, okay? Für den Anfang muss es dir genügen, dass ich im Kreis grinse und noch keine Ahnung habe, was daraus wird.“
Er schlägt mir auf die Schulter. „Alles klar, Mann. Ich hoffe, es klappt alles!“
Kays Wunsch ist ehrlich gemeint, das weiß ich genau. Er und seine Frau haben drei Kinder und sind wohl das, was man allgemein als ‚Supporter‘ bezeichnet. An ihrem Haus weht eine Regenbogenfahne und beide Familienautos werden von Aufklebern geziert auf denen ‚Love is Love‘ und ‚Ehe für Alle‘ zu lesen steht.
„Danke. Ich werde sehen, was draus wird.“
Der Feierabend rückt näher, in zehn Minuten kann ich meinen Arbeitsplatz verlassen und mich bald darauf auf mein Motorrad schwingen.
Oliver hat bereits seit einer Stunde frei, deshalb treffen wir uns heute auch deutlich früher als sonst.
Ich düse heimwärts, gehe duschen und ziehe mich ausgehtauglich an, denn neben einer kleinen Shoppingtour wollen wir gemeinsam essen gehen und abends ins Kino.
Wird sicherlich ein schöner Tag!