Sie reden nicht mehr miteinander, sprechen nichts außer dem, was ihre Arbeit fordert. Immer widerwillig, kaum ganze Sätze, eher Fetzen, meistens klanglos. Laut nur, wenn sie das Böllern des Glühkopfmotors übertönen müssen oder das Heulen des Windes in Wanten und Spieren. Selbst ihr Fluchen klingt gequält.
Ganz selten finden sich ihre Augen, ungewollt. Dann fühlt Lars sich nackt, windet sich unter der stummen Anklage.
„Du hast es getan. Ich weiß es.“ Wortlos.
In Lars’ Ohren klirrt es dennoch. Als stieße der Alte immerfort diese Sätze aus. Lars spürt sie sengend unter seiner Haut.
Schrilles Schweigen. Seit dem Tag, an dem Christoph unter dem Schiff versunken ist.
„Ward ruppig hüt“, rief der Alte herüber, der achtern am Ruder stand und im Dämmerlicht über die schmale Innenförde nach Westen starrte. Die Ditte legte sich leicht auf die Steuerbordseite.
Lars hörte das Wasser um den Rumpf rauschen, während er mit Christoph das Klaufall durchsetzte und der Wind ins mächtige Gaffelsegel fuhr. Der Kutter nahm Fahrt auf.
„Lars, mok de Motor ut!“
Befehlston. Lars Jacobsen war nichts anderes gewohnt. Er belegte das Fall auf dem hölzernen Belegnagel und nickte seinem Bruder zu.
„Setz inzwischen den Klüver“, sagte er, klappte das Decksluk hoch, schwang sich mit den Beinen voran auf die Niedergangstreppe und verschwand im Maschinenraum. Sekunden später erstarb der Lärm mit ein paar letzten erbitterten Knallern.
Wieder an Deck, atmete er tief die feuchte, salzige Luft ein. Keine Schwaden von verbranntem Petroleum quollen jetzt mehr stinkend aus dem Auspuffrohr. Dafür wurde der Wind frischer.
Der Alte lag wohl richtig mit seiner Vorhersage. Wie immer.
Rasch warf Lars einen Blick über die Schulter nach Osten, hinüber zum Hafendamm, wo die hölzernen Stege der Flensburger Fischergenossenschaft ins Wasser ragten. Über dem Liegeplatz der Ditte ging eben die Sonne auf. Schwach nur drang ihr Licht durch die tiefhängenden Wolken.
Lars schaute nach vorn, wo sein Bruder mit sicheren Griffen das Vorsegel setzte. Das schaffte er allein, brauchte keine Hilfe von ihm. Siebzehn war Christoph jetzt, drei Jahre jünger als Lars. Seine blonden Haare flogen im Wind, während er mit einem Lachen im Gesicht auf dem Klüverbaum herumturnte. Wollte nichts anderes werden als Fischer, der Junge. Ein geborener Seemann. Wie der Alte, der schon die vierte Generation war in der Fischerfamilie Jacobsen.
Der Alte. Nie hatte er einen seiner Söhne gefragt. Die Jacobsens fuhren zur See und fischten. Fertig, aus. Für sie hatte er sich noch einmal verschuldet, das neue Schiff gekauft. Hatte sich alles gründlich überlegt, wieder und wieder gegrübelt, monatelang.
Sein Entschluss stehe fest, hatte er ihnen dann kurz angebunden erklärt. Gott habe es gut mit ihrer Familie gemeint. Er selbst sei für das Feld zu alt gewesen und seine Söhne noch zu jung. Der Krieg sei nun vorbei, sie seien alle am Leben und gesund, Fisch gebe es da draußen in Hülle und Fülle, und mit ihrem Schiff hätten sie auf lange Zeit die Nase vorn.
Alle Ersparnisse waren draufgegangen. Doch selbst das hatte nicht gereicht. Nicht für einen der hochmodernen ‚Haikutter‘, wie man diese Schiffe inzwischen nannte, weil sie mit ihrem eingebauten Hilfsmotor auf den Fangplätzen hin und her jagten wie die gefräßigen Raubfische. 1912, also erst vor zehn Jahren, war die Ditte auf der Karstensen Skibsværft in Skagen gebaut worden. Eine Hypothek aufs Haus hatte der Alte für sie aufnehmen müssen.
„Für eure Zukunft macht er das. Für seine Söhne.“ Mutters Worte.
Welch ein Wahnsinn. Und er steckte mitten drin, unentrinnbar, das war Lars klar. Hoffnungslos. Dabei kam ihm oft die Idee, er wäre gar kein richtiger Jacobsen. Jedenfalls war er nicht blond wie Christoph und der Alte – früher, bevor der weiß geworden war. Und er hasste die Fischerei. Kälte und Nässe und Knochenarbeit. Elende Quälerei.
Einmal schon war er fortgelaufen. Vor zwei Jahren, als die Sache mit Jens Callsen passiert war, dem Nachbarssohn, der ihn gereizt hatte. Da hatten sie ihn in Hamburg aufgegriffen. Der Alte hatte sich vor ihn gestellt, mit dem Staatsanwalt verhandelt. Seither ließen sie ihn nicht aus den Augen. „Du hast heißes Blut“, sagte die Mutter oft, „dafür kannst du nichts. Aber du musst lernen, dich zu zügeln.“
Lars schielte hinüber zum Ruderstand, wo der Alte inzwischen die Pfeife zwischen den Zähnen hatte. Das Zeichen. Auch er griff in die Tasche, zog seinen bereits gestopften Knösel hervor, bückte sich in den Windschatten der an Deck festgelaschten Körbe und setzte den Tabak in Brand.
In zwei Stunden musste er ihn am Ruder ablösen. Am Nachmittag würden sie ihre Fanggründe erreichen. Drei Tage und Nächte wollte der Alte dort fischen, bevor es wieder nach Hause ging.
Lars fröstelte im kalten Frühdunst. Seine Kiefer schmerzten, so fest hatte er sich in den Pfeifenstiel verbissen. Er nahm den Knösel aus dem Mund und massierte sich das stoppelige Kinn. Ein Schluck aus der Flasche unter seiner Matratze konnte jetzt nicht schaden.
„Bin gleich wieder da“, sagte er zu Christoph, der neben ihn getreten war.
„Ich muss mit dir reden.“
Sofort schoss Lars das Blut ins Gesicht. „Worüber? Etwa …“ Bedrohlich hing das Wort in der Luft. „Ich warne dich. Hab dir gesagt, was ich mit dir mache, wenn du sie auch nur ansiehst.“
Fahrig fuhr sich Christoph mit den Fingern durch die blonde Mähne. „Aber …“
„Kein ‚Aber‘!“, knurrte Lars, stieß den Bruder beiseite und riss die Tür zum Niedergang in die Kajüte auf. Er brauchte einen kräftigen Zug, musste sich beruhigen. „Bin gleich wieder oben. Überleg dir gut, was du mir sagen willst …“ Am besten, er steckte sich den Flachmann gleich in die Jackentasche, bevor er wieder an Deck käme. Es stank nach Ärger. Gewaltig.
Sechs Stunden später passierte die Ditte das Feuerschiff Kalkgrund II im Norden und hielt mit guter Fahrt unter Segeln auf die ausgedehnte Untiefe Bredgrund zu, die ein paar Meilen voraus lag. Dort hob sich der Meeresboden abrupt von etwa dreißig auf nur noch sieben bis fünf Meter Wassertiefe. Rund um den mächtigen Unterwasserberg herum.
Da stand der Dorsch. Genug Fisch für viele lange Tage und durchwachte Nächte.
Der Wind war frisch, blies jetzt aus Nordwest. Die Ditte zog schon hin und wieder die Süllkante an Steuerbord durchs Wasser. Bald würde der Alte den Befehl zum Reffen geben. Gerade hatte Christoph acht Knoten Fahrt geloggt. Gelacht hatte er dabei, schien sich wie ein Kind über die Rauschefahrt zu freuen.
Nun, das Lachen würde ihm vergehen. Als der Flachmann leer war, wusste Lars, was er zu tun hatte. Dass er unter der Fuchtel des Alten stand, dass er noch jahrelang mit eiskalten, aufgesprungenen Händen im stinkenden Fisch wühlen musste, daran konnte er vorerst nichts ändern. Er hatte sich sogar daran gewöhnt, dass alle ihn mieden, wo es nur ging, ihm, den sie hinter seinem Rücken ‚de füünsche Lars‘ nannten, nicht übern Weg trauten. Aber dass sein Bruder ihm Gesa wegnahm, das würde er nicht zulassen. Auf gar keinen Fall. Gesa gehörte ihm. Wenigstens sie.
„Versteh doch, Lars, wir … wir … lieben uns. Es tut mir leid für dich, ehrlich, aber … Mein Gott, dafür kann man doch nichts, das ist sowas wie … Schicksal.“
„Schicksal?“, schrie Lars auf, als hätte ihn jemand getreten. „Sie ist meine Braut, du Schweinehund, und …“
„Nicht so laut, der Alte schaut schon her!“
„Ich mach dich fertig, wenn du sie anfasst“, stieß Lars mit bebender Stimme hervor. „Oder … Hast du vielleicht … hast du sie etwa schon …?“ Ein gurgelnder Laut, als hätte er sich verschluckt. Er keuchte.
Sein Bruder fuhr zurück, als er in das wutverzerrte Gesicht blickte. Blanker Hass. „Wir reden morgen darüber, Lars, bitte. Du hast getrunken, ich kann es riechen. Wenn der Alte das merkt …“
„Sag es, auf der Stelle! Hast du sie gevögelt?“ Seine Hand schoss an die Kehle des Bruders.
„Lars, bist du denn …“, würgte Christoph. Wie Schraubzwingen presste Lars seine kalten Finger um den Hals des Jungen. Christophs Hände fuhren hoch, packten den eisenharten Arm, doch Lars ließ nicht locker. Sein Kopf schoss nach vorn, ganz nah vor das Gesicht des Bruders. Seine Augen loderten.
„Sag es! Habt ihr …“
„Und wenn? Du bildest dir was ein, Lars. Sie …“ Der Druck um den Hals wurde unerträglich. „Mein Gott, Lars, sie … ist dir doch nicht … versprochen, oder?“ Er bekam keine Luft mehr. „Lass … los!“ Nur ein Röcheln.
„Utnanner! Wi hebbt keen Tied to’n Strieten!“, rollte die Stimme des Alten durch den Wind heran. „Wi sünd dor. Kloor bi de Kurr, man fix!“
Lars spürte jeden Knochen im Leib. Drei Hols hatten sie schon hinter sich. Dreimal die Ankerboje gesetzt, die Bootswaden unter Motor in weitem Bogen ausgefahren, wieder an den Ausgangspunkt zurückgedampft und das gewaltige Netz über die Trommel eingeholt, während die Ditte stampfend und bockend an ihrem Anker zerrte. Gute Hols aber, prallvoller Fangsack, jedes Mal.
„So mutt dat!“, brüllte der Alte durch das Heulen und lachte. Stockfinstere Nacht. Aus dem Wind war Sturm geworden, doch er gab nicht auf. Stechend fuhren Lars die eisigen Nadeln ins Gesicht, salzige Spritzer, von den Wellenkämmen abgerissen.
„Een Hol opletzt, denn mokt wi Schluss för hüüt!“
Einmal noch …
Endlich warf Lars den Anker und prüfte, ob er hielt. Das Netz konnte geholt werden. Er fror. Durchnässt bis auf die Haut. Das Salzwasser stand über die Knöchel in den Stiefeln und brannte an seinen aufgescheuerten Füßen.
„Lars, komm rüber, schnell, die Netztrommel …“ Christophs Stimme klang hektisch. „… ganz heiß“, verstand Lars durch das Tosen.
Die Trommel qualmte. Der kleine Benzinmotor jaulte, bewegte die schwere Scheibe keinen Zentimeter mehr. „Das Netz hat sich irgendwo verhakt“, rief Christoph.
„Schiet“, fluchte der Alte, der nach vorn gekommen war, und zeigte im Schein seiner Handlampe außenbords auf die Netzleinen, in denen sich ein Holzstamm verfangen hatte. Der klemmte das Netz an der Bordwand unter der Ankertrosse fest.
„Dat hölpt nix, dat Ding mutt los!“
Das Beiboot sollten sie klar machen, befahl er. Einer musste raus. Wenn es so weit war, wollte er an der Winsch Lose auf die Ankertrosse geben, damit der Stamm darunter herausgezogen werden konnte.
„Du mokst dat, Christoph“, befahl er.
Gemeinsam brachten sie das Beiboot aus, und der Junge sprang ohne zu zögern hinein, als eine Welle es fast auf die Höhe der Speigatten hob.
Es dauerte nicht lang. Im tanzenden Licht sah Lars, wie sein Bruder da unten den nassen Holzstumpf packte. „Jetzt!“ rief er, und der Alte löste die Trosse. Mit beiden Händen zog Christoph an den Holeleinen, der Stamm klatschte ins Wasser. Das Netz war frei.
Der Alte drehte das Ankerspill, und Lars holte den Schraubenschlüssel aus der Jackentasche, beugte sich über die Schanz. Der Junge sah zu ihm hoch, kauerte sich ins Boot, bis wieder eine Welle heranrollte, die ihn wie im Fahrstuhl nach oben trug, und streckte Lars seine Hand hin.
Als sein Kopf noch einen halben Meter unter der Bordkante war, schlug Lars zu. Zwischen die lachenden Augen. Mitten in das übermütige Gesicht.
Ohne einen Laut kippte Christoph aus dem Boot und versank zwischen den weißen Kämmen im dunklen Wasser.
Nun fährt meistens Uwe Callsen mit ihnen raus, der Bruder von Jens, den Lars damals fast totgeschlagen hat. Fünfzehn ist der Junge, aber groß gewachsen. Erst wollten seine Eltern nicht. Wegen Lars, der ja mit an Bord ist. Aber die Zeiten sind schlecht. Viel Elend, Hoffnungslosigkeit, keine Arbeit. Da schlägt man so eine Lehrstelle als Decksjunge bei Fischer Jacobsen nicht einfach aus.
Lars kann diesen Burschen nicht leiden. Er sieht Christoph ähnlich. Dieselben hellblonden Haare, das ewige blöde Grinsen. Nicht genug Hölle wohl, ständig mit dem Alten auf dem Kahn zu hocken, der von Tag zu Tag kleiner wird. Jetzt muss er auch noch auf den jungen Idioten aufpassen.
Selbst im Haus hält er es kaum noch aus. Die Mutter fragt immer wieder. Und er sagt immer wieder dieselben Worte.
„Ich wollte ihn noch festhalten! Aber die Welle hat das Boot an die Schanz geschleudert, da ist er einfach rausgefallen. Hab ihn nicht halten können.“
Die Mutter wiegt den Kopf hin und her, sieht ihn nie an. Sagt: „Eines Tages steht er vor der Tür, wirst sehen, Lars. Er kann ja schwimmen.“ Er sei nur unterwegs, sagt sie, auf einer langen Reise, aber tot, nein, tot sei er nicht.
Und der Alte räumt immer die Flaschen weg, wenn er heimkommt.
Tagelang haben sie noch nach ihm gesucht, alle Fischer von der Förde. Dann wurde er für tot erklärt. Ganz offiziell.
‚Auf See geblieben‘.
Niemand macht viel davon her. Der Krieg ist noch nicht lang vorbei. Mit dem Tod ist jeder wohlvertraut. Nichts Besonderes in diesen Zeiten.
Der letzte Hol für heute. Elende Plackerei, nur zu zweit sind sie an Bord. Uwe ist krank, muss im Bett bleiben, hat der Alte heute Morgen gesagt und an Lars vorbeigesehen.
„Wi mööt liekers rut, de Dösch tööft nich op uns.“
Die ganze Zeit lang haben sie ihr Schweigen geschwiegen. Die lange Fahrt zum Bredgrund, beim Ausfahren der Netze, die ganzen vier schweren Hols über. Lars hört es nicht mehr, hat die Flasche fast leergetrunken.
Massenhaft Fisch zappelt in der Bünn.
Nicht genug. Nie, wenn man den Alten fragt.
Lars klappt den Deckel zu, lascht das Netz fest, wartet auf den Befehl zum Ankerlichten. Doch der kommt nicht. Der Alte steht am Ruder, sieht ihm auf einmal mitten ins Gesicht, zeigt stumm nach steuerbord.
Lars kneift die Augen zusammen. Nebelschwaden liegen über dem Wasser. Kaum ein Lüftchen zu spüren. In Sichtweite dümpelt die Klara, auch ein Fischkutter aus Flensburg, im trägen Wasser. Die Sonne ist untergegangen. Gleich wird es Nacht sein.
Zuerst hört er es nur. Riemen quietschen und Ruderblätter klatschen ins Wasser. Ein Boot taucht neben der Ditte aus dem Dunst heraus.
„Christoph?" Im letzten Tageslicht sieht Lars ihn dort in dem Ruderboot stehen, aufrecht. Seine Jacke hat er an, die karierte, die der Alte nicht leiden kann, hebt den blonden Kopf, starrt hoch, sucht die Augen seines Bruders, streckt die Hand aus, zeigt auf Lars, ruft: „Mörder.“
Lars taumelt wie getroffen, stöhnt auf, wimmert wortlos. Kindliches Jammern.
Der Alte steht jetzt neben ihm. „Und nu?“ Mehr nicht.
„Aber ich hab ihn doch … wie soll das … das ist doch … er kann einfach nicht …“
„Du giffst dat nu to?“
Lars läuft der Speichel aus dem Mund, er zittert, seine Zähne schlagen aufeinander.
„Ich komm, um dich zu holen“, sagt dieser Christoph auf. Hölzern, angelernt, kein Wort betont. Das Boot treibt näher.
„Du süsst dat bloot togeven!“
„Ja!“ Nur ein Heulen, „ja doch!" Lars’ Blick zuckt hektisch über das Deck, kopflos.
Der Alte nickt, löst die Strickleiter, lässt sie außenbords fallen. Riemen klatschen ins Wasser, das Boot wummert in der leichten Dünung an den Rumpf, wieder und wieder. Wie ein Anklopfen tönt es durch das ganze Schiff. Herauf zu Lars, in seine Ohren. Er hechelt, sieht sich um, panisch, sucht einen Fluchtweg.
„Komm hooch, dat is nu vörbi“, ruft der Alte hinunter zum Ruderboot.
„Nein! Nicht! Nein!“ Irre Schreie, wild, klirrend wie zerberstendes Glas. Weg hier! Lars greift an die Schanz, springt, fällt. Sieht dabei den Alten über sich. Sieht, wie dessen Finger sich ins Holz der Ditte krallen, dass er sich vorbeugt, hinter ihm herschaut. Lars findet seine Augen. Kalt, eisern halten sie seinen Blick.
Das Dollbord des Ruderboots kracht ihm quer in den Rücken, presst alle Luft aus ihm heraus, bevor er ins Wasser gleitet. Ein Brennen im Leib, überall.
Der Alte über ihm öffnet den Mund. „Lars!“ Schallend wie ein Schuss.
Lars keucht, spuckt, tobt. Hell schäumt das Wasser auf. Er wendet den Kopf, sieht zum Ruderboot. „Christoph …?“
„Nein!“ Lang, flach, hilflos. Uwes schmale Gestalt kniet im Boot, beugt sich vor, starrt zu ihm herüber.
Da versteht Lars. Ungläubige, hilflose Wut überkommt ihn. Er reißt den Mund auf, will schreien, schluckt noch mehr salziges Wasser.
Verdammt, das ist sein Spiel! Dieser gemeine Hund …
Lars schaut nach oben, mühsam. Alles wird taub.
Der Alte ist verschwunden.
Dunkel ist es geworden. Schwach nur hört Lars ein Wimmern vom Boot her, leise verklingend.
Stille. Ganz silbrig funkelt auf einmal das Wasser um seinen Kopf herum, weiß fast.
Schön, eigentlich, denkt Lars. Warm.
„Dunkles Wasser“ wurde 2018 mit dem 1. Platz des Jurypreises im Literaturwettbewerb um den Nord Mord Award, dem traditionsreichsten Krimipreis Norddeutschlands, ausgezeichnet.