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Am Morgen waren meine Augen so verquollen, dass ich sie praktisch nicht aufmachen konnte. Ich spritzte mir jede Menge kaltes Wasser ins Gesicht, aber das half auch nicht wirklich. Ich putzte mir die Zähne und ging wieder ins Bett. Von Zeit zu Zeit wachte ich davon auf, dass Leute vor meinem Zimmer über den Gang liefen, schlief aber gleich wieder ein. Eigentlich hätte ich packen müssen, aber ich wollte nur schlafen. Ich verschlief den ganzen Tag. Irgendwann wachte ich auf, da war es schon dunkel, ich habe aber kein Licht gemacht. Ich habe einfach im Bett gelegen, bis ich wieder einschlief.

 

Es war schon später Nachmittag, als ich schließlich aufgestanden bin. Das heißt, zunächst habe ich mich nur im Bett aufgesetzt. Ich hatte Durst. Nach all dem Weinen fühlte ich mich wie ausgetrocknet. Also habe ich mich tatsächlich aus dem Bett gequält, um die fünf Schritte zu unserem Minikühlschrank zu gehen und mir eine von Jillians Wasserflaschen zu holen.

Der Blick auf ihr leeres Bett und die kahlen Wände auf ihrer Seite des Zimmers machte mich nur noch deprimierter. Am Abend war ich noch heilfroh gewesen, dass ich allein war, doch jetzt dachte ich, ich würde verrückt werden, wenn ich nicht mit jemandem reden konnte.

Ich ging den Flur hinunter zu Anikas Zimmer. Als sie mich sah, fragte sie sofort: »Was ist denn mit dir los?«

Ich setzte mich auf ihr Bett und drückte ihr Kissen fest an mich. Ich war mit dem Wunsch gekommen zu reden, mir alles von der Seele zu reden, aber auf einmal fiel es mir so schwer, es auszusprechen. Ich schämte mich. Für mich und für ihn. Alle meine Freunde liebten Jeremiah. Sie fanden ihn einfach vollkommen. Sobald ich Anika erzählte, was los war, wäre davon nichts mehr übrig, das war mir klar. Damit wäre alles ganz real. Aus irgendeinem Grund wollte ich ihn immer noch beschützen.

»Isy, was ist los?«

Ich hatte eigentlich gedacht, ich wäre fertig mit Weinen, doch nun liefen mir schon wieder Tränen aus den Augenwinkeln. Ich riss mich zusammen und sprach es endlich aus: »Jeremiah hat mich betrogen.«

Anika ließ sich auf ihr Bett sinken. »Ach du Kacke«, flüsterte sie. »Wann? Und mit wem?«

»Mit Lacey Barone aus seiner Schwesterverbindung. In den Osterferien. Als wir Schluss gemacht hatten.«

Anika nickte. Sie musste die Neuigkeit erst einmal schlucken.

»Ich bin so wütend auf ihn«, sagte ich. »Erst fängt er mit einer anderen was an, und dann sagt er mir die ganze Zeit nichts davon. Nichts sagen ist dasselbe wie lügen. Ich komm mir so blöd vor.«

Anika reichte mir eine Kleenexschachtel. »Fühl dich, wie du willst, Isy, das ist ganz okay«, sagte sie.

Ich putzte mir die Nase. »Mein Gefühl ist … dass ich ihn vielleicht gar nicht so gut kenne, wie ich gedacht habe. Und dass ich ihm nie mehr vertrauen kann.«

»So was geheim zu halten vor dem Menschen, den man liebt, ist vermutlich das Schlimmste an der Sache«, sagte Anika.

»Du meinst, das Schlimmste ist nicht, dass er mich betrogen hat?«

»Nein, ich meine – klar, das ist schon schlimm. Aber er hätte es dir wenigstens sagen müssen. Dass er so ein Geheimnis draus gemacht hat, das gibt der Sache erst diese Bedeutung.«

Ich schwieg. Ich selbst hatte nämlich auch ein Geheimnis. Niemandem hatte ich davon erzählt, nicht einmal Anika oder Taylor. Ich hatte mir eingeredet, das liege nur daran, dass es unwichtig sei, und dann beschlossen, nicht mehr daran zu denken.

In den letzten Jahren hatte ich manchmal irgendeine Erinnerung an Conrad hervorgeholt, hatte sie angesehen und bewundert, so wie ich mir manchmal meine alte Muschelsammlung ansah. Ich fand es schön, jede einzelne Muschel zu berühren, über ihre Rillen oder ihre kühle Glätte zu streichen. Selbst nachdem Jeremiah und ich zusammengekommen waren, kam es gelegentlich vor, wenn ich im Unterricht saß oder auf den Bus wartete oder vor dem Einschlafen, dass ich so eine alte Erinnerung hervorkramte. Daran, wie ich ihn das erste Mal beim Wettschwimmen geschlagen hatte. Daran, wie er mir Tanzen beigebracht hatte. Daran, wie er morgens seine Haare mit einem nassen Kamm kämmte, damit sie nicht abstanden.

Doch eine Erinnerung gab es, an die durfte ich nicht rühren. Die war verbotenes Gelände.