Conrad
Mir war wirklich nicht klar gewesen, wie schlecht es Belly ging, bis ich sie gegen Ende der Woche mit Taylor telefonieren hörte. Bellys Tür stand offen, und ich putzte mir gerade unten im Bad die Zähne.
»Taylor«, sagte sie, »ich bin deiner Mutter wirklich dankbar, dass sie das für mich tun will, aber ehrlich, es ist schon okay so … Ich weiß, aber es käme mir irgendwie seltsam vor, wenn all unsere Nachbarinnen da wären zu meiner Brautparty, meine Mom aber nicht …« Sie seufzte, dann sagte sie noch: »Ja, ich weiß. Okay. Sag deiner Mom Danke von mir.«
Dann machte sie ihre Tür zu, und es hörte sich so an, als würde sie weinen.
Ich ging in mein Zimmer, legte mich aufs Bett und starrte an die Decke.
Belly hatte sich mir gegenüber nicht anmerken lassen, wie traurig sie wegen ihrer Mom war. Sie war ein Mensch mit heiterem Naturell, so wie Jere. Belly schaffte es, an allem das Positive zu entdecken. Es war ein Schock für mich, sie weinen zu hören. Ich wusste, ich sollte mich aus der Sache raushalten, das wäre das Klügste. Sie brauchte keinen, der auf sie aufpasste, sie war ein großes Mädchen. Und abgesehen davon – was konnte ich schon für sie tun?
Ich würde mich da raushalten. Definitiv.
Am nächsten Morgen stand ich früh auf und machte mich auf den Weg zu Laurel. Es war noch dunkel draußen, als ich losfuhr, und ich rief sie von unterwegs an und fragte, ob wir uns irgendwo zum Frühstück treffen könnten. Laurel war überrascht, stellte aber keine Fragen, sondern schlug einen Diner am Rande des Highways vor.
Laurel war von jeher besonders wichtig für mich gewesen. Schon als kleiner Junge war ich immer gern in ihrer Nähe gewesen. Ich fand es schön, dass man mit ihr auch einfach still sein konnte. Sie redete nie von oben herab mit Kindern, sondern behandelte uns stets als ebenbürtig. Nachdem meine Mom gestorben und ich nach Stanford gezogen war, gewöhnte ich mir an, Laurel von Zeit zu Zeit anzurufen. Ich redete immer noch gern mit ihr, und ich fand es schön, dass sie mich an meine Mom erinnerte, ohne dass es zu schmerzhaft war. Es war wie eine Verbindung mit meinem Zuhause.
Sie war vor mir da und wartete schon in einer der Sitznischen auf mich. »Connie«, sagte sie, stand auf und öffnete die Arme. Es kam mir vor, als hätte sie abgenommen.
»Hey, Laur«, sagte ich und umarmte sie. Sie fühlte sich tatsächlich abgemagert an, doch ihr Duft war derselbe wie immer. Laurel umgab immer dieser frische, leicht zimtige Duft.
Ich setzte mich ihr gegenüber an den Tisch. Wir bestellten Pfannkuchen mit Speck für uns beide, dann fragte sie: »Und, wie ist es dir so ergangen?«
»Ganz gut«, sagte ich und trank einen großen Schluck Saft.
Wie sollte ich bloß das Thema angehen? Solche Dinge passten überhaupt nicht zu mir, im Unterschied zu Jere konnte ich nicht ganz locker damit umgehen. Ich mischte mich hier in etwas ein, was mich nichts anging. Aber ich musste es tun. Ihretwegen.
Ich räusperte mich. »Ich hab dich angerufen, weil ich mit dir über die Hochzeit reden wollte.«
Ihre Miene wurde angespannt, aber Laurel unterbrach mich nicht.
»Laur, ich finde, du solltest hingehen. Ich finde, du solltest dabei sein. Du bist ihre Mom.«
Laurel rührte ihren Kaffee um, dann sah sie mich an und fragte: »Du meinst also, die beiden sollten heiraten?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Dann frage ich dich: Was hältst du davon?«
»Ich meine, sie lieben einander und werden es durchziehen, ganz egal, was andere denken. Und … ich meine, Belly braucht ihre Mom jetzt, wirklich.«
Trocken antwortete Laurel: »Isabel scheint wunderbar ohne mich zurechtzukommen. Sie hat mich nicht einmal angerufen, um mir zu sagen, wo sie ist. Das habe ich erst von Adam erfahren – der übrigens jetzt wohl diese Hochzeit finanziert. Typisch Adam. Außerdem ist Steven Trauzeuge, und Bellys Dad gibt nach, wie er es immer tut. Anscheinend bin ich die Einzige, die sich verweigert.«
»Belly wird überhaupt nicht damit fertig. Sie isst kaum was. Und … gestern Abend habe ich gehört, wie sie weinte. Sie sagte, Taylors Mom organisiert eine Brautparty für sie, aber für sie fühlt es sich nicht richtig an ohne dich.«
Laurels Miene wurde weicher, wenn auch nur ein bisschen. »Lucinda organisiert eine Party für sie?« Sie rührte wieder in ihrem Kaffee, dann fuhr sie fort. »Jere hat diese Sache nicht richtig durchdacht. Er nimmt das alles nicht ernst genug.«
»Da hast du recht, er ist kein ernsthafter Typ. Aber glaub mir, was Belly betrifft, da ist es ihm wirklich ernst.« Ich holte tief Luft, dann sagte ich: »Laurel, du wirst es bereuen, wenn du nicht hingehst.«
Sie sah mir in die Augen. »Reden wir hier ganz ehrlich miteinander?«
»Tun wir das nicht immer?«
Laurel nickte, trank einen Schluck Kaffee. »Doch, das stimmt. Also dann: Warum setzt du dich für die beiden ein?«
Ich hatte gewusst, dass diese Frage kommen würde. Laurel war schließlich Laurel. Sie redete nie um den heißen Brei herum. »Ich will, dass sie glücklich ist.«
»Ah«, sagte sie. »Nur sie?«
»Jeremiah auch.«
»Und das ist alles?« Sie sah mich fest an.
Ich schaute nur zurück.
Ich wollte bezahlen, schließlich war ich derjenige, der zu diesem Frühstück eingeladen hatte, doch Laurel ließ es nicht zu. »Kommt nicht in Frage«, sagte sie.
Auf der Fahrt zurück nach Cousins ging ich unsere Unterhaltung immer wieder im Kopf durch. Der wissende Blick in Laurs Gesicht, als sie mich fragte, warum ich mich für die zwei einsetzte. Was tat ich hier eigentlich? Ich ging mit Belly Vasen aussuchen, versuchte, Frieden zu stiften mit den Eltern. Auf einmal war ich ihr Hochzeitsplaner, dabei war ich doch nicht einmal mit der Heirat einverstanden. Irgendwie musste ich aus der Geschichte wieder herauskommen. Ich musste meine Hände in Unschuld waschen.