Am Wohnheim von Jeremiahs Verbindung standen die Türen weit offen, Bewohner und Gäste lagerten davor auf dem Rasen. Bunte Lichterketten waren wahllos verteilt worden – über dem Briefkasten, auf der Veranda, sogar entlang dem Gehweg lagen welche. Auf dem Rasen standen drei aufblasbare Kinderplanschbecken, in denen Leute es sich gemütlich machten wie in Hot Tubs. Jungs rannten mit Wasserpistolen herum und spritzten sich gegenseitig Bier in den Mund. Manche der Mädchen trugen Bikinis.
Ich sprang von Jeremiahs Rücken, ließ mich ins Gras fallen und zog erst einmal die Schuhe aus.
»Die Pledges haben einen guten Job gemacht«, meinte Jeremiah und sah anerkennend zu den Planschbecken hinüber. Die Pledges, also die Bewerber für die Studentenverbindung, waren für die Organisation der Party zuständig gewesen. »Hast du Badesachen dabei?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Soll ich mal fragen, ob eins von den Mädchen dir einen Bikini leihen kann?«
»Nein, danke«, sagte ich schnell.
Jeremiahs Verbindungsbrüder kannte ich ganz gut, weil ich oft in ihrem Wohnheim rumhing, aber die Mädchen kannte ich nur flüchtig. Die meisten gehörten zur Sorority Zeta Phi, und beide Verbindungen feierten oft gemeinsam. Jeremiah hätte es gut gefunden, wenn ich mich gleich um die Aufnahme bei Zeta Phi beworben hätte, aber ich wollte das nicht. Ein Zimmer im Wohnheim der Verbindung sei mir zu teuer, behauptete ich, was auch stimmte, aber eigentlich ging es mir um etwas anderes: Ich wollte mich mit ganz unterschiedlichen Mädchen anfreunden, nicht nur mit denen, die ich in einer Verbindung kennenlernen würde. Ich wünschte mir eine umfassende College-Erfahrung, wie meine Mutter immer sagte. Laut Taylor waren in Zeta Phi lauter Partygirls und Schlampen, ihre eigene hingegen sei viel exklusiver und einfach seriöser. Vor allem spiele bei ihnen das soziale Engagement eine viel größere Rolle, hatte sie dann noch hinterhergeschoben.
Immer wieder kamen Mädchen herüber, um Jeremiah zu umarmen. Sie sagten Hi, und ich sagte Hi, und dann ging ich nach oben, um meine Tasche in Jeremiahs Zimmer zu bringen. Als ich gerade wieder auf dem Weg nach unten war, sah ich sie.
Lacie Barone, im Gespräch mit Jeremiah. Sie war die Zweite Vorsitzende der Zeta Phi und hauptverantwortlich für alle gesellschaftlichen Ereignisse. Sie gehörte zum Junior-Jahrgang, war also etwa ein Jahr älter als Jere und zwei Jahre älter als ich. Lacie war eine heiße Nummer, das musste jeder zugeben: hautenge Jeans, Seidentop und High Heels aus rotem Wildleder, mit denen sie trotzdem auf höchstens eins fünfundsechzig kam. Sie war auffallend zierlich, ihr braunes Haar trug sie in einem geschwungenen Bob. Laut Taylor hatte sie es auf Jeremiah abgesehen, aber ich hatte entgegnet, ich sei da ganz unbesorgt. Das meinte ich auch ernst. Warum sollte ich mir auch Sorgen machen?
Natürlich mochten die Mädchen Jeremiah. Er war einfach der Typ, auf den alle standen. Aber selbst ein so hübsches Mädchen wie Lacie konnte uns nichts anhaben. Wir beide hatten eine lange gemeinsame Geschichte. Ich kannte Jeremiah besser als irgendwer sonst, und umgekehrt war es genauso. Nie würde er ein anderes Mädchen auch nur angucken, das wusste ich.
Jetzt bemerkte Jeremiah mich auch und winkte mir zu. Ich ging zu den beiden hinüber. »Hey, Lacie.«
»Hey«, antwortete sie.
Jeremiah zog mich an sich und erzählte, dass Lacie im Herbst für ein Semester nach Paris gehen würde. Zu Lacie sagte er: »Wir wollen nächsten Sommer nach Europa, als Backpacker.«
Sie nippte an ihrem Bier und sagte: »Cool. Welche Länder?«
»Auf jeden Fall auch nach Frankreich«, antwortete Jeremiah. »Belly spricht fließend Französisch.«
»Stimmt gar nicht«, widersprach ich verlegen. »Ich hatte es bloß auf der Highschool belegt.«
»Oje, mein Französisch ist auch eine Katastrophe. Im Grunde will ich nur dahin, um jede Menge Käse und Schokolade zu essen.«
Für einen so zierlichen Menschen war ihre Stimme erstaunlich tief. Ich fragte mich, ob sie wohl rauchte. Sie lächelte mich an, und ich fand sie wirklich nett. Dieses Mal hatte Taylor sich getäuscht.
Als Lacie kurz danach ging, um sich etwas zu trinken zu holen, sagte ich: »Sie ist nett.«
Jeremiah zuckte mit den Achseln. »Doch, ja, sie ist cool. Soll ich dir auch was zu trinken besorgen?«
»Gerne.«
Er führte mich an der Schulter zu einer Couch und drückte mich sanft aufs Polster. »Bleib einfach hier sitzen. Rühr dich nicht von der Stelle, ich bin gleich zurück.«
Ich sah ihm nach, wie er sich einen Weg durch die Menge bahnte, und war stolz, dass er zu mir gehörte. Mein Freund, mein Jeremiah. Der erste Junge, neben dem ich eingeschlafen war. Der erste, dem ich je erzählt hatte, wie ich einmal meine Eltern in flagranti erwischt habe, damals war ich acht. Der erste, der für mich losgegangen war, um Midol gegen Menstruationsschmerzen zu kaufen, der erste, der mir die Fußnägel lackiert, und auch der erste, der mir die Haare aus dem Gesicht gehalten hatte, als ich zu viel getrunken hatte und mich vor all seinen Freunden übergeben musste. Der erste, der mir auf das Whiteboard vor meinem Zimmer im Wohnheim ein Liebesbriefchen geschrieben hat.
DU BIST DIE SONNE AN MEINEM HIMMEL
Für immer und ewig. In Liebe – J.
Und er war auch der erste Junge gewesen, den ich geküsst hatte. Mein bester Freund. Immer mehr verstand ich, dass es so hatte sein sollen. Er war der Eine. Mein Ein und Alles.