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Warum will jemand Richter werden?

Ist Richter ein Traumjob?

Berufe für Jungjuristen gibt es wie Sand am Meer. Wer gerade das zweite Staatsexamen bestanden hat, könnte beispielsweise Anwalt, Verwaltungs- oder Unternehmungsjurist werden. Was treibt jemanden in die Justiz? Die Überlastung durch Aktenberge, schlechte Besoldung und miserable Ausstattung der Gerichte sind allgemein bekannt und wirken abschreckend. Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern nennt vier Vorteile des Richteramts: 1

  1. 1. Die Justiz bietet einen sicheren Arbeitsplatz mit überdurchschnittlicher Bezahlung .

    Das Lebenslänglich der Verplanung kann schnell auch als Gefängnis empfunden werden. Es kann durchaus beängstigend wirken, die nächsten 40 Jahre den immer gleichen Job am selben Ort auszuüben.

    Die überdurchschnittliche Bezahlung existiert nicht. Ein Proberichter erhält ein Jahresgehalt von ca. 45 000 Euro brutto. Das ist ungefähr so viel, wie ein Aldi-Filialleiter bekommt, der allerdings weder eine zehnjährige Ausbildung absolvieren musste noch 60 bis 70 Stunden in der Woche arbeiten muss. Reich wird man im Staatsdienst nicht. Die fälschlich ausgelobte überdurchschnittliche Bezahlung gibt es nicht in der Justiz, sondern in Großkanzleien. Die Einstiegsgehälter dort liegen aktuell zwischen 145 000 und 175 000 Euro pro Jahr. 2 Der Jungjurist verdient in einer Großkanzlei das Dreifache eines Richtergehalts. Und er hat die Aussicht, irgendwann Partner in der Kanzlei und damit Großverdiener zu werden. Einkommensmillionär kann man dagegen in der Justiz nicht werden. Selbst Deutschlands höchster Richter, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, kommt nur auf ein Jahresgehalt von 210 000 Euro brutto.

  2. 2. Sie genießen sachliche und persönliche Unabhängigkeit .

    Dies ist ein Scheinargument. Auch die Juristen in anderen Branchen können in der Regel frei entscheiden. Sie sind meist die Entscheidungsträger in ihrem jeweiligen Arbeitsbereich.

  3. 3. Sie tragen vom ersten Tag Ihrer Tätigkeit an Verantwortung .

    Das ist im Prinzip richtig. Richter entscheiden darüber, ob jemand ins Gefängnis muss, wer die Kinder bekommt oder ob eine Firma dichtgemacht wird. Doch die große Verantwortung kann auch schnell zur Bürde werden. Jeder Richter kennt die quälenden Gedanken, ob er die richtige Entscheidung getroffen hat. Hat er womöglich ein Fehlurteil erlassen und einen Unschuldigen ins Gefängnis geschickt? Oder einen Schuldigen freigesprochen und ihm damit weitere Straftaten ermöglicht? Solche Zweifel verfolgen manche Richter bis in den Schlaf.

  4. 4. Beruf und Familie sind im öffentlichen Dienst bestmöglich vereinbar .

    Das ist im Kern richtig, denn die Justiz bietet Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung bei Betreuung von Kindern an. Doch diese Möglichkeiten bieten auch Verwaltung, Unternehmen und inzwischen sogar Großkanzleien. Beim Kampf um den raren Juristennachwuchs setzen inzwischen alle Arbeitgeber auf eine ausgewogene Work-Life-Balance.

Was aber ist nun die tatsächliche Motivation, Richter zu werden? Es ist der Wunsch, die Welt ein klein wenig besser und sicherer zu machen. Der Richter ist der Produzent von Gerechtigkeit, eine der Kardinaltugenden. Niemand möchte in einer ungerechten Welt leben. Er ist die personifizierte Justitia, die mit der abwägenden Waage, dem strafenden Schwert und wegen der Augenbinde ohne Ansehen der Person die gerechte Entscheidung trifft. Dadurch schafft er Rechtsfrieden.

Indem er die guten Menschen vor den bösen beschützt, macht er die Welt ein Stück sicherer. Denken wir zur Abgrenzung an die Advokaten des Bösen. So bezeichnen sich manche Anwälte selbst. 3 Die Strafverteidiger versuchen mit allerlei zwielichtigen Tricks, die Angeklagten vor ihrer gerechten Strafe zu bewahren. Es sollte möglichst niemand mehr hinter Gitter gesteckt werden. Für sie ist es in Ordnung, wenn Mörder und Kinderschänder frei herumlaufen und weiter ihr Unwesen treiben können. Ich finde es gut, als Richter auf der richtigen Seite des Rechts zu stehen.

Richter werden gebraucht, sonst würden sich Anarchie und Selbstjustiz ausbreiten. Neben der Verurteilung von Verbrechern werden Richter auch benötigt, wenn es zum Streit zwischen Bürgern kommt. Der Krieg am Gartenzaun wäre sonst schnell nicht nur ein gefühlter, sondern ein echter. Der Richter leistet einen wertvollen Dienst für die Gesellschaft. Jeden Tag schwingt er seinen Richterhammer, um die Welt ein klein wenig besser und sicherer zu machen. Wer sonst kann das schon über seinen Job sagen? Welchen Beitrag leistet die Kosmetikherzeigerin auf Instagram, der Lobbyist oder der verbeamtete Kästchenausfüller in der Behörde für unsere Gesellschaft?

Gut und schlecht – die richterliche Freiheit

Nach Art. 97 GG sind Richter persönlich und sachlich unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Das bedeutet unter anderem, dass ein Richter keinen Weisungen unterliegt. Kein Vorgesetzter kann mir meine Entscheidungen vorschreiben. Ich kann weder gegen meinen Willen versetzt werden, noch habe ich feste Arbeitszeiten einzuhalten. Als Amtsrichter bin ich ziemlich frei in allem, was ich tue.

Die Medaille hat aber auch eine Kehrseite. Die Hausleitung benutzt die richterliche Freiheit gerne, um Richter abzuwimmeln. Wende ich mich mit einem Anliegen an sie, heißt es oft, das müsste ich im Rahmen meiner richterlichen Freiheit selbst klären. Dazu ein selbst erlebter Fall:

Wegen Hochwasser-Katastrophenalarm nur noch Notbetrieb!, begrüßte mich eines Morgens im Juni 2013 ein Schild am Eingang des Amtsgerichts. Mir waren aus den Medien tagelange heftige Regenfälle bekannt und die daraus resultierende Gefahr, dass Flüsse über die Ufer treten könnten. Durch Dessau fließt die Mulde, an der bereits Sandsäcke aufgeschichtet wurden.

Nur was bedeutet Notbetrieb?, fragte ich mich. Also rief ich den Direktor an und fragte ihn genau das. In seiner Welt stören Richter nur, und das lässt er einen deutlich spüren.

»Ich verstehe Ihre Frage nicht«, antwortete er in herablassendem Tonfall.

»Ich möchte gerne wissen, ob ich morgen meine Sitzung durchführen kann oder nicht.«

»Das müssen Sie im Rahmen Ihrer richterlichen Freiheit selbst entscheiden.«

Da war er, der liebste Abwimmelsatz des Direktors.

»Tut mir leid, es geht hier nicht um die richterliche Freiheit. Ich muss wissen, ob das Amtsgericht morgen geöffnet ist, ob Geschäftsstelle, Wachtmeister, Protokollantinnen und Zahlstelle arbeiten.«

Der Direktor legte auf, bevor ich weiter erklären konnte, dass ich auf all diese Dinge keinen Einfluss habe, richterliche Freiheit hin oder her.

In der richterlichen Kaffeerunde traf ich auf zwei weitere Kollegen, die ebenfalls beim Direktor abgeblitzt waren. Da sich unser Hausherr offensichtlich nicht mit dem Problem auseinandersetzen wollte, versuchten wir, den Präsidenten des Landgerichts zu erreichen. Weder er noch sein Vertreter waren erreichbar. Schließlich entschieden wir drei Richter, unsere Verhandlungen am nächsten Tag durchzuführen. Die Deiche brachen nicht, und das Amtsgericht wurde auch nicht überflutet. Nur fragten Anwälte und andere Prozessbeteiligte verwirrt, was es mit dem Schild Notbetrieb auf sich hätte. Das weiß niemand, nicht einmal der Direktor, war unsere Antwort.

Was ist das Schlimmste am Richterdasein?

Aktenstaub zu inhalieren

Ein Richter muss vor allem viel lesen. Hunderte Seiten dicke vergilbte Akten zu lesen bringt keinen Spaß.

An einem Montagmorgen tragen mir zwei Wachtmeister einen Umzugskarton ins Dienstzimmer. Obenauf liegt eine mit einem Stoffgürtel zusammenschnürte vierbändige Akte. Ein Band umfasst durchschnittlich 250 Seiten. Ich mache mich also daran, die insgesamt 1000 Seiten zu lesen, und öffne den Gürtel. Nach dem staatsanwaltlichen Aktenzeichen ist der Fall drei Jahre alt. Die zerfledderte Akte muss bei irgendwem länger auf der Fensterbank gelegen haben, so vergilbt ist sie auf der Vorderseite. Nach dem Aktendeckel handelt es sich um vier Angeschuldigte. Als Richter beginnt man Akten von hinten zu lesen. Am Schluss von Band 4 finde ich, was ich suche: die Anklageschrift. Den vier Angeschuldigten wird Zigarettenschmuggel im großen Stil vorgeworfen. Sie sollen unversteuerte Zigaretten kartonweise von Weißrussland über Polen nach Deutschland geschmuggelt haben. So ist es kein Wunder, dass es sich bei den Angeschuldigten um Russen handelt. Sie haben bisher von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht und werden von einer bekannten Konfliktverteidigerkanzlei vertreten. Das lässt Geständnisse unwahrscheinlich, eine lange und schwierige Beweisaufnahme aber wahrscheinlich werden. Also muss ich mich in die Akte einlesen, um mir über die Beweislage klar zu werden. Sind die Angeschuldigten hinreichend verdächtig, sodass ich das Hauptverfahren eröffnen kann? Mit welchen Beweismitteln können sie in der Hauptverhandlung überführt werden?

Als ich Band 1 aufschlage, kribbelt mir Aktenstaub in der Nase. Der Zoll hatte vor drei Jahren zwei Kleinverkäufer auf einem Supermarktparkplatz erwischt. Sie benannten einen Dimitri als ihren Lieferanten. Von ihm hatten sie nur eine Telefonnummer, keinen Nachnamen und keine Adresse. Es wurde beim Gericht eine Telefonüberwachung beantragt. Da es sich um ein inzwischen gewechseltes Prepaidhandy handelt, führt die Spur zu nichts.

Der Zoll beobachtet die einschlägigen Supermarktplätze. Nach ein paar Wochen sehen sie einen Mann, auf den die Beschreibung von Dimitri passt, der einem Kleinverkäufer ein paar Stangen Zigaretten liefert. Jetzt haben sie ein Autokennzeichen. Doch Halterin ist eine junge Studentin. Weitere Ermittlungen in ihrem Umfeld bringen nichts. Ein Zollbeamter findet aber schließlich auf Facebook heraus, dass Dimitri der Freund der Halterin ist.

Der Zoll beginnt jetzt eine groß angelegte Überwachung von Dimitri. Seine wechselnden Handys werden abgehört, das Auto seiner Freundin wird mit einem Peilsender versehen. Außerdem werden er und seine Freundin observiert. Für all dies braucht es richterliche Beschlüsse, deren Beantragung und Erlass die Seiten füllen.

Mit Band 2 geraten durch die Telefonverbindungen zwei weitere Beschuldigte in das Visier der Ermittler. Auch für sie werden Beschlüsse beantragt, um sie zu überwachen. Alle vier verhalten sich äußerst konspirativ und sprechen nur russisch miteinander. Die mitgeschnittenen Telefonate müssen übersetzt werden.

Es kristallisieren sich Verbindungen der Bande nach Weißrussland und Polen heraus. Die Schmuggelware wird offensichtlich in Russland hergestellt und über Polen nach Deutschland eingeführt. Der Zoll wendet sich mit Amtshilfeersuchen an beide Länder. Weißrussland antwortet gar nicht, Polen schreibt, ihnen seien der Zigarettenschmuggel und die Beteiligten unbekannt. Was der Zoll gerne macht, ist, Aktenvermerke zu schreiben. Auch dann, wenn es nichts Neues zu berichten gibt. Oft werden einfach nur Rücksprachen mit Vorgesetzten wiedergegeben. Auch diese als Ermittlungen getarnten Tätigkeitsnachweise muss ich lesen. Skurril wird es, wenn Urlaube und Krankenstände einzelner Zollbeamter vermerkt werden. Was hat so etwas in einer Ermittlungsakte zu suchen, frage ich mich.

Die Bande wird weiter observiert. In Band 3 gerät als Übergabepunkt ein Waldstück im deutsch-polnischen Grenzgebiet in den Fokus. Der Zoll kann das Umladen von Kartons von einem Pkw in den der Studentin beobachten. Verdeckt gemachte Fotos zeigen die Übergabe. Nach dem Vermerk des Zolls soll es sich um Kartons voller unversteuerter Zigaretten handeln. Eine gewagte Schlussfolgerung, denke ich, denn den unbeschrifteten Kartons ist ihr Inhalt nicht anzusehen. Die Verteidiger würden diese Unterstellung in der Luft zerreißen. Das dämmert irgendwann auch dem Zoll, und sie beschließen den Zugriff bei der nächsten Übergabe.

Auf den folgenden 60 Seiten werden die ergebnislosen Ermittlungen der nächsten zwei Monate vermerkt. Mal ist den mitgeschnittenen Telefonaten nicht eindeutig genug eine geplante Übergabe zu entnehmen, mal verliert der Zoll den Funkkontakt zum Peilsender am Auto. Einmal war offensichtlich eine Übergabe geplant, wegen Urlaub und Krankheit konnte der Zoll aber keinen Zugriff durchführen.

Band 4 startet dann fulminant mit einem groß angelegten Zugriff. Der Zoll hatte sich mit einem Dutzend Beamten in dem fraglichen Waldstück versteckt. Die Umladung der Kartons von einem Pkw mit polnischen Kennzeichen in das Auto der Studentin wird beobachtet und fotografiert. Als die Zollbeamten aus ihren Verstecken springen, gelingt dem Fahrer des polnischen Pkws die Flucht. Die vier Bandenmitglieder können jedoch festgenommen werden. In den Kartons befinden sich tatsächlich unversteuerte Zigaretten.

Damit ist der Bande eine Tat nachgewiesen, angeklagt sind aber vier. Mir schwant Böses, als ich den Beweismittelkarton öffne. In ihm befinden sich etwa 30 Sonderbände. Mehrere enthalten Abschriften und Übersetzungen der abgehörten Telefonate. Die Bande hat sich nur verklausuliert unterhalten. »Bring mal zehn rote« ist nach Lesart des Zolls der Auftrag, zehn Kartons Marlboro zu liefern. Für eine Verurteilung dürfte das nicht reichen. Andere Sonderbände enthalten Protokolle und Fotos der Observationen. In einem Band wird das Treffen von Dimitri mit einem anderen Russen dokumentiert. Sie verschwinden gemeinsam in einem Zoogeschäft. Ein konspiratives Treffen, das der Verabredung der nächsten Lieferung dient, schreibt der Zoll. Mag sein. Nicht dokumentiert ist jedoch der Inhalt des Gesprächs im Zooladen. In anderen Bänden wurden mit viel Mühe Bewegungsprofile der Angeschuldigten angefertigt. Öfter ging es in Richtung polnische Grenze. Natürlich sind sie zu dem Übergabepunkt im Wald gefahren, schreibt der Zoll. Vielleicht besuchen sie auch einfach nur gern Polenmärkte, denke ich.

Mich hat das Aktenstudium einen ganzen Tag gekostet. Die Beweislage ist außer in dem Fall des Zugriffs dünn. Und 90 Prozent des Gelesenen werden sich später bei der Verhandlung als überflüssig herausstellen.

Entscheidungen treffen zu müssen

Manchmal ist der Fall schwierig, und seine Lösung liegt im Nebel verborgen. Beispielsweise bei Konstellationen, in denen Aussage gegen Aussage steht. Entscheiden muss ich trotzdem. Manchmal bekommt man nachträglich ein schlechtes Gewissen, ob man auch die richtige Entscheidung getroffen hat.

Dauernd belogen zu werden

Jedenfalls der Angeklagte darf lügen. Andere Prozessbeteiligte nehmen es mit der Wahrheit auch nicht immer so genau. Es ist unerfreulich und zermürbend, jeden Tag von jemandem angelogen zu werden.

Die Anklage lautete auf räuberischen Diebstahl. Zwei Männer und eine Frau hatten einen Dessauer Elektronikmarkt aufgesucht. Sie hatten eine Klautasche dabei, eine zwischen zwei Schichten Packpapier eingearbeitete Alufolie schirmte die Sicherheitsetiketten an den Waren ab, damit bei Verlassen des Geschäfts der Alarm nicht losgeht. Während die Frau den Verkäufer der Computerabteilung ablenkte, hielt ein Mann die Klautasche auf, und der andere ließ ein Dutzend Tablets darin verschwinden. Doch der Ladendetektiv hatte den Diebstahl auf dem Monitor der Überwachungskamera beobachtet und fing das Trio hinter der Kasse ab. Sie ergriffen sofort die Flucht. Dem Detektiv gelang es noch, den Mann mit der Tasche festzuhalten. Er wehrte sich heftig mit Schlägen. Erst als zwei weitere Mitarbeiter zu Hilfe kamen, gelang es ihnen zu dritt, den Dieb zu überwältigen. Es handelte sich um einen einschlägig vorbestraften Georgier. Die Mitarbeiter des Elektromarktes konnten auf Wahllichtbildern auch die anderen beiden Täter identifizieren. Das Trio hatte schon mehrfach in anderen Geschäften bundesweit Waren mitgehen lassen.

Sandro Kapanadze sitzt alleine auf der Anklagebank, seine beiden Mittäter waren untergetaucht. Er hat schwarze Haare, trägt eine grüne Bomberjacke zu Jeans und sieht deutlich älter als seine 31 Jahre aus. Den Vorwurf der Anklageschrift, Mitglied einer georgischen Diebesbande zu sein, bestreitet er. Ich führe ihm das Überwachungsvideo vor, auf dem zu sehen ist, wie das Trio gemeinsam den Markt betrat. Nein, die Frau und den Mann kenne er nicht. Sie hätten nur zufällig zur gleichen Zeit den Laden betreten. Ich frage erstaunt nach, denn der ihm angeblich unbekannte Mann hat die Tablets in seine Tasche gesteckt. Unter Landsmännern sei man hilfsbereit, aber er kenne ihn nicht. Den Diebstahlsvorwurf streitet er ebenfalls ab. Die Tablets habe er für ein Kinderheim in seiner Heimat kaufen wollen. Dummerweise habe er seine Brieftasche in seinem Auto vergessen. Er wollte die Tablets nur schnell in seinen Kofferraum legen und dann zum Bezahlen zurückkommen. Ich halte ihm die Klautasche vor. Aber nein, selbstverständlich wollte er nicht den Alarm austricksen. Die Tasche habe er für den Fischeinkauf mit Alufolie ausgekleidet, damit der schön frisch bleibt. Ich habe genug von seiner Märchenstunde, und das Schöffengericht verurteilt ihn zu einem Jahr neun Monate Freiheitsstrafe.

Hammer, Perücke & Co.

»Hast du auch einen Hammer, trägst eine Perücke und brüllst ständig Ruhe im Gerichtssaal?«, ist eine typische Partyfrage. Der Fragesteller verwechselt offenbar die Realität deutscher Strafjustiz mit einem Gerichtsfilm aus Hollywood.

Kostenlose Rechtsberatung

Nach dem Bodypump-Kurs durchgeschwitzt, ging ich unter die Dusche. Ich hatte mich gerade eingeseift, da sprach mich ein Mitsportler an. Mit seiner Glatze sah er aus wie Meister Proper, nur fehlten ihm dessen Muskeln. Stattdessen hatte er einen Bierbauch. »Ich habe der Cindy die Titten machen lassen. Mörder-Hupen, musst du wissen.« Mit den Händen zeigt er etwas, was wohl Körbchengröße D entsprechen soll. »Jetzt hat sie mich verlassen, und ich will die Kohle wiederhaben.«

»Du wolltest die Brustvergrößerung?«

»Ja, sie hatte so kleine. Das war nicht mein Ding. Aber die neu Gemachten waren rattenscharf. Willst du Fotos sehen?« Er zeigte in Richtung seines Spindes, in dem sich vermutlich sein Handy mit Beweisbildern befand. Ich schüttelte nur den Kopf. Das konkrete Aussehen der aufgetunten Brüste wäre ohne rechtliche Relevanz.

»Soll ich sie verklagen?«

»Verlobt? Verheiratet?«

»Nee.«

Ich überlegte kurz, woraus sich hier ein Rückzahlungsanspruch ergeben sollte.

»Hast du einen Darlehensvertrag mit ihr abgeschlossen?«, fragte ich.

»Bist du bescheuert? Zu der Zeit waren wir Big in Love. Natürlich haben wir keinen Vertrag.«

Es war für mich naheliegend, dass Cindy eine Schenkung behaupten würde.

»Dann kannst du das Geld abschreiben.«

»Das kann nicht dein Ernst sein.«

Regelmäßig wird man von Freunden, Bekannten und Nachbarn um eine kostenlose Rechtsberatung gebeten. Sie wollen sich die Anwaltskosten sparen. Nein danke, kann ich da nur sagen. Die Akten im Gericht reichen mir als juristische Beschäftigung vollkommen aus. Abends und am Wochenende finde ich die Rechtsprobleme anderer eher wenig entspannend.

Negatives Menschenbild

Als Richter wate ich durch den Sumpf des Schlechten und erlebe nur selten etwas Gutes. Ich werde mit den Schattenseiten des Lebens konfrontiert. Ich erlebe keine frisch verliebten glücklichen Paare, sondern nur welche, die sich einen Rosenkrieg um die Scheidung und die Kinder liefern. Ich erlebe nicht den optimistischen Firmengründer mit tollen neuen Geschäftsideen, sondern schicke den Insolvenzverwalter zu der gerade pleitegegangenen Firma. Und ich erlebe ganz viele Leute, die etwas Böses getan haben und mit einem Bein im Gefängnis stehen. Dazu die Opfer, die teilweise für den Rest ihres Lebens gezeichnet sind. Verbrechen zeigen die hässliche Seite des Menschen. Es bleibt nicht aus, dass die ständige Beschäftigung mit dem Bösen im Lauf der Zeit zu einem nicht mehr ganz so positiven Menschenbild führt.

In drei Schritten zum Halbgott in Schwarz

Um Richter zu werden, bedarf es dreier Schritte. Sie müssen dafür Jura studieren, ein Referendariat und nach Einstellung als Richter eine Probezeit absolvieren. Und nach etwa zehn Jahren sind Sie Richter auf Lebenszeit.

Jura ist leicht – das Jurastudium

Ein Jurastudium dauert im Schnitt fünf Jahre. Wer es absolvieren will, muss über eine Menge Sitzfleisch verfügen und in der Lage sein, sich sinnlose Fakten dauerhaft merken zu können. Diese bestehen in einer Million Paragrafen samt aller Auslegungen und Theorien dazu. Die Beschränkung darauf hat aber den Vorteil, dass sich der Student mit Zivil- und Strafprozessordnung, Beweiswürdigung, dem Schreiben von Urteilen und anderen schwierigen Sachen noch nicht herumschlagen muss. Das Tolle am Jurastudium ist, dass ausschließlich feststehende Sachverhalte rechtlich zu begutachten sind. Das ist der genaue Gegensatz zum späteren Berufsleben, in dem die Kunst darin besteht, herauszufinden, was überhaupt passiert ist.

Rechtsgebiete gibt es so viele wie Sandkörner am Sylter Strand. Um das Studium übersichtlich und einfach zu halten, werden im Jurastudium nur drei unterrichtet.

Das Zivilrecht regelt das Verhältnis der Bürger untereinander. Kauf-, Miet- und Werkverträge sollten niemanden intellektuell überfordern. Beim Strafrecht geht es um Verbrechen und deren Bestrafung. Wer regelmäßig Fernsehkrimis anschaut, wird in den Strafrechtsvorlesungen wenig Neues erfahren. Das Öffentliche Recht regelt das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Ein leicht zu merkender Grundsatz lautet: »Im Zweifel hat die Behörde immer recht.«

Unterrichtet wird Jura in Vorlesungen. 250 oder mehr Studenten hören einem Professor zu, der monoton einen Text vorliest, vorzugsweise aus seinem eigenen Buch oder Skript. Der Lerneffekt und der Unterhaltungswert sind überschaubar groß.

Manche Jurastudenten besuchen neben Vorlesungen zusätzlich die Bibliothek. Dort befinden sich kilometerlange, berstende Regale voller halb verwester Jurabücher bzw. deren digitale Äquivalente. Von morgens bis abends sitzen die partner- und fernseherlosen Streber dort und lesen sich unnützes Wissen an – brauchen werden sie es später nicht.

Ziel der universitären Ausbildung ist, die Studenten auf einen Level zu bringen, der es ihnen erlaubt, erfolgreich einen Repetitor zu besuchen. Dies ist ein Einpauker, der dem Studenten gegen Bezahlung Jura beibringt. Im Unterschied zu den weltentrückten Professoren unterrichtet er den examensrelevanten Stoff und versteht sogar etwas von Didaktik. Dort die Jura-Basics beigebracht zu bekommen dauert etwa ein Jahr. 90 Prozent der Jurastudenten gehen zum Repetitor, der Rest fällt im Examen durch.

Am Ende des Studiums wird die Erste juristische Prüfung absolviert. Sie besteht aus Klausuren und einer mündlichen Prüfung.

Vom Theoriehansel zum Praktiker – das Referendariat

Nach bestandenem erstem Examen wird der Halbjurist als Referendar eingestellt. Er erhält sogar Geld dafür, obwohl er nichts leistet. Das Referendariat dauert zwei Jahre und kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Es sind vier Pflichtstationen, nämlich eine Straf-, Zivil-, Verwaltungs- und Anwaltsstation mit einer Dauer von drei bis neun Monaten zu absolvieren. Anschließend folgt eine Wahlstation.

Das Referendariat findet am Arbeitsplatz statt, also in Gerichten, Behörden und Kanzleien. Der Referendar erlebt nach Jahren Theorie einen Praxisschock. Erstmals wird er mit echten Menschen und echten Fällen konfrontiert. Erschüttert stellt er fest, dass 90 Prozent seines im Studium angehäuften Wissens in der Praxis völlig nutzlos sind, ihm dafür aber 90 Prozent der jetzt benötigten Kenntnisse fehlen. Aber keine Angst. Die paar Grundkenntnisse in den Prozessordnungen sind in parallel laufenden Arbeitsgemeinschaften schnell erlernt. Schon bald kann der Referendar auf die Menschheit losgelassen werden. Bei der Staatsanwaltschaft wird er zu Hauptverhandlungen geschickt und darf selbst Angeklagte ausbellen und Plädoyers vor den Geschworenen halten.

Das Referendariat endet mit der Ablegung der zweiten Staatsprüfung. Dies ist eine Wiederholung des ersten Examens, nur durch eine kleine Prise Prozessrecht gewürzt. Danach ist der Kandidat Volljurist und hat die Befähigung zum Richteramt.

Die Probezeit

Früher brauchte der Jungjurist zwei vollbefriedigende Examen, um als Richter eingestellt zu werden. Da der Staatsdienst als zunehmend unattraktiv empfunden wird, genügen heute oft auch mittelmäßige Noten. Der Kandidat wird dann zunächst »Richter auf Probe«. In der dreijährigen Probezeit muss er sich in der Praxis bewähren. Ein typischer Ablauf der Probezeit sieht so aus: ein Jahr Staatsanwaltschaft sowie jeweils ein Jahr Amts- und Landgericht. Über den drei Jahren hängt das Damoklesschwert der Entlassung. Der »Proberichter« kann fast ohne Gründe entlassen werden. Er wird regelmäßig von seinem Vorgesetzten beurteilt. Das klingt schlimmer, als es ist. Der Proberichter muss eigentlich nur zwei Dinge beweisen. Er ist zu einem devoten Verhalten gegenüber Vorgesetzten sowie zur Abarbeitung großer Aktenberge in der Lage. 99 Prozent aller Proberichter schaffen das. Dann haben sie den Heiligen Gral erlangt: die Ernennung zum Richter auf Lebenszeit.

»Dauert das alles nicht schrecklich lange?«, haben Sie sich nach der Schilderung der Richterausbildung vielleicht gefragt. Überhaupt nicht. Vom ersten Studientag bis zur Ernennung auf Lebenszeit sind es schlappe zehn Jahre, wovon der Richter in spe die ersten vier schlafend in der letzten Reihe des Hörsaals verbracht hat.

Beförderungen

Die Besoldungsordnung R gibt die Karrierestufen vor. Der frisch ernannte Lebenszeitrichter ist R1, also Richter am Amtsgericht oder Beisitzer am Landgericht. Die Stufen reichen bis R10, Präsident eines Bundesgerichts. Zum Aufstieg muss der Richter eine Erprobung bei einem Obergericht oder einem Justizministerium absolvieren. Nur wer sehr anpassungsfähig und devot ist, besteht das sogenannte dritte Staatsexamen. Dafür wird er mit einer Beförderung zu R2 belohnt, das ist ein Amtsgerichtsdirektor, Vorsitzender Richter am Landgericht oder Beisitzer am Oberlandesgericht. Finanziell bringt die Beförderung nur etwa 400 Euro netto. Solche Beförderungen werden nicht wegen des höheren Gehalts, sondern wegen des klangvollen Titels angestrebt. Direktor des Amtsgerichts klingt deutlich besser als Richter am Amtsgericht.

Als Nächstes folgt R3: ein Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht oder ein Vizepräsident des Landgerichts. Von beiden Stellen gibt es je Bundesland nur eine Handvoll. Die Stelle des Präsidenten des Oberlandesgerichts (R6) ist in jedem Bundesland nur einmal vertreten, die des Präsidenten des Bundesgerichtshofs (R10) bundesweit genau ein Mal. Deshalb bleiben die weitaus meisten Richter auf den Stufen R1 und R2 stehen. Jenseits R2 spielt für die Beförderungen auch zunehmend nicht mehr die juristische Kompetenz, sondern die Parteipolitik eine Rolle.

Eine kleine Richtertypologie

In den Gerichten begegnen Ihnen verschiedene Richtertypen.

Der Karrierist

Er ist schon von Weitem an seinem Anzug mit Krawatte und seinem forschen Gang zu erkennen. Nie würde er wie manche Kollegen in Freizeitkleidung im Gericht erscheinen. Die Tinte auf seiner Ernennungsurkunde zum Richter auf Lebenszeit ist noch nicht trocken, da nimmt der Gerichtspfau sich die Besoldungsordnung und plant seine weitere Richterkarriere. Sie beginnt mit R1 – Richter am Amts- oder Landgericht – und endet mit R10, Präsident eines Bundesgerichts. Er ist jetzt 30 Jahre alt und ärgert sich, dass das Mindestalter für Richter am Bundesverfassungsgericht 40 Jahre beträgt. Eine Senkrechtstarterkarriere sieht anders aus. Er erledigt seine Verfahren professionell, effizient und geräuschlos. Gegenüber dem Präsidenten zeigt er sich devot bis zur Selbstaufgabe, die Bürger und ihre Anwälte lässt er durchaus spüren, dass er zu Höherem berufen ist. Sie empfinden ihn als herablassend und arrogant. 20 Jahre später trägt er vielleicht einen glanzvollen Titel wie Senatsvorsitzender oder Präsident. Wahrscheinlicher ist er aber ein ganz gewöhnlicher Trinker geworden, weil es mit der großen Justizkarriere nichts geworden ist. Statt von einer roten Robe träumt er nun von einer Lebertransplantation.

Richter Gnadenlos

Den Spitznamen »Richter Gnadenlos« hat Ronald Schill populär gemacht. Gemeint sind damit hart urteilende Strafrichter. Schill hatte beispielsweise eine Autokratzerin zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. 4 Aber scharfe Richter gab es schon vor und gibt es auch nach Schill. Sie halten nichts von Resozialisierung und setzen auf Abschreckung durch harte Strafen. Wer vor ihnen landet, muss mit der Höchststrafe rechnen. Flankiert wird das durch markige Sprüche. So richtig zur Hochform laufen diese Law-and-Order-Fetischisten auf, wenn Presse im Gerichtssaal anwesend ist oder sie zu Talkshows eingeladen werden. Nachdem sie sich dort für die Wiedereinführung der Todesstrafe eingesetzt haben, sind sie als Richter nicht mehr tragbar und müssen als Innenminister wegbefördert werden.

Tante Gnädig

»Überfall, Geld und Zigaretten her!«, rief Lukas zu der Kassiererin und hielt ihr eine Schreckschusspistole vors Gesicht. Der 14-jährige Lukas und der 17-jährige Justin hatten sich zu dem Überfall auf eine Tankstelle in Dessau Süd entschlossen, weil sie Geld für Drogenschulden brauchten. Die ebenfalls jugendliche Kassiererin hielt die Pistolen für echt, obwohl es sich tatsächlich nur um eine Schreckschusspistole und eine Softairpistole handelte. Sie gab wie gefordert Geld und Zigaretten heraus. Die Angeklagten erbeuteten 710 Euro Bargeld und 112 Zigarettenschachteln im Wert von 610 Euro. Anschließend flüchteten sie.

Die 19-jährige Kassiererin arbeitete in der Tankstelle in Vorbereitung einer Ausbildung als Verkäuferin zur Probe. Zum ersten Mal in ihrem Leben schaute sie in den Lauf einer Waffe. Sie wurde durch den Raubüberfall traumatisiert und konnte die Ausbildung nicht antreten. Noch drei Jahre nach dem Überfall leidet sie darunter.

Auf schweren Raub steht gemäß § 250 Abs. 2 Strafgesetzbuch eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Doch im Jugendstrafverfahren gelten die gesetzlichen Strafrahmen nicht. Der Grundsatz »Erziehung vor Strafe« gibt der Jugendrichterin die Möglichkeit, ganz erheblich nach unten abzuweichen. Die beiden Täter wurden wegen schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Außerdem wurde gegen sie ein Jugendarrest von einer Woche verhängt. Während ein Erwachsener für einen schweren Raub ca. sechs bis sieben Jahre ins Gefängnis gewandert wäre, bekommen Jugendliche dafür nur Bewährung und eine Woche Jugendarrest; Letzteres, damit es nicht ganz so aussieht, als hätten sie gar keine Strafe bekommen. Vollstreckt wurde er allerdings nie.

Tante Gnädig ist das Gegenteil von »Richter Gnadenlos«. Statt zu strafen, sagt die Jugendrichterin: »Du!, du!, du! Nicht noch einmal der Oma eins mit dem Baseballschläger über den Kopf ziehen! Das macht man doch nicht!« Tante Gnädig hat viel Verständnis für jeden Angeklagten, zumal sie alle eine schwere Kindheit hatten oder zumindest gehabt haben könnten. In Zweitstudium hat sie Pädagogik studiert und kennt sich damit aus. Kuscheljustiz statt Knast lautet ihr Motto. Sie hat eine große Schar Fans, die durch Wiederholungstaten immer wieder zu ihr ins Klassenzimmer kommen.

Das lächelnde Fallbeil

Jovial und lächelnd eröffnet dieser Richter seine Verhandlung. Der Angeklagte spürt sein Wohlwollen. Der erste Robenträger, der sich wirklich für ihn interessiert. Er gesteht deshalb umfassend und beantwortet auch alle Fragen wahrheitsgemäß. Sein verständnisvoller Richterfreund wird schon Gnade vor Recht ergehen lassen. In Wirklichkeit hat er es mit einem hinterlistigen Richter zu tun, der hinter der Maske der Freundlichkeit nur alle Anklagepunkte abhaken will. Das merkt der Angeklagte aber erst, wenn das Fallbeil in Form einer harten Verurteilung fällt.

Der gottgleiche Richterkönig

Das Richtersyndrom »Ich hab immer recht« hat sich bei ihm zu einem Unfehlbarkeitswahn im Endstadium entwickelt. Im Laufe der Jahre hat er sich abgewöhnt, Gesetze und Rechtsprechung zur Kenntnis zu nehmen. Schließlich verfügt er über ein unschlagbares Judiz, das ihn befähigt, jeden Fall auch so zu lösen. Er allein weiß, was richtig und falsch ist. Er träumt davon, seine schwarze gegen eine rote Robe einzutauschen, gern auch mit Zepter und Krone. In der Verhandlung gibt er sich selbstherrlich und hört am liebsten nur sich selbst reden. Wehe dem, der es wagt, ihm zu widersprechen.

Der Doktor-Richter

Er war lange Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Professors, während er parallel an seiner Dissertation schrieb. Das wissenschaftliche Arbeiten kann er auch als Richter nicht lassen. Jedes seiner Urteile hält rechtswissenschaftlichen Maßstäben stand. Akribisch und mit vielen Zitaten gespickt, werden alle wirklichen und eingebildeten Rechtsprobleme abgearbeitet. Unter 50 Seiten geht nicht einmal ein Parkplatzunfall raus. Das besonders sorgfältige Arbeiten dauert nur leider etwas länger, weshalb der Doktor-Richter statt der geforderten 600 Fälle pro Jahr nur einige wenige erledigen kann. Am Amts- und Landgericht, wo es darum geht, die Aktenflut irgendwie zu bewältigen, kann mangelnde Praxistauglichkeit deshalb zum Problem werden. Den Rechtssuchenden tröstet bei jahrelanger Verfahrensdauer die Aussicht wenig, am St. Nimmerleinstag vom Akademiker ein Urteil auf Dissertationsniveau zu bekommen.

Das richterliche Faultier

Sein Ziel ist es, sich so wenig Arbeit wie möglich zu machen. Dank seiner richterlichen Freiheit kann er dann schon mittags nach Hause gehen, um sich dem Golfspielen, seiner Schneckenzucht oder einem anderen interessanten Hobby zu widmen.

»Wollen Sie sich nicht vergleichen?«, fragt der Zivilrichter gleich zu Beginn der Verhandlung, denn der Vergleich spart die arbeitsintensive Absetzung eines Urteils. Der Strafrichter bietet einen Deal an oder versucht, das Verfahren einzustellen. Lässt sich das Verfahren nicht auf die eine oder andere Art schnell beerdigen, greift er zu subtileren Methoden der Arbeitsverweigerung. Er pinselt Schiebeverfügungen, verlegt Termine immer wieder und beantwortet auch keine Sachstandsanfragen mehr. Wenn das Dezernat irgendwann abgesoffen ist, beantragt er eine lange Kur und erstattet eine Überlastungsanzeige. Er hofft, ein Proberichter würde das Dezernat während seines Krankenstandes aufräumen.

Der vorbildliche Richter

Er verfügt über hervorragende Rechtskenntnisse und weiß sie in einem fairen Verfahren anzuwenden. Er hat Freude am Umgang mit Menschen, gerade auch mit schwierigen Zeitgenossen. Trotz Zeitmangels kommt bei ihm jeder ausführlich zu Wort. Er gibt jedem das Gefühl, gerecht und unparteilich zu sein. Aufgrund seiner Entscheidungsfreude ist er ein schnell arbeitender Richter, der gerecht und weise oft die richtigen Entscheidungen trifft und nur selten danebenliegt. Seine Gerechtigkeitsliebe hat ihn veranlasst, sein Leben ganz der Juristerei zu widmen. Deshalb arbeitet er auch spätabends, am Wochenende und in seinem Urlaub.

Der vorbildliche Richter ist jemand, den sich jeder wünscht, und er kommt erstaunlich oft vor.