Wenn der Satz »Ich lehne Sie wegen der Besorgnis der Befangenheit ab« fällt, zuckt der abgelehnte Richter zusammen. Ein Befangenheitsantrag ist eine Kampfansage an das Gericht. Bei Rechtsmitteln gegen Gerichtsentscheidungen – sei es Beschwerde, Berufung oder Revision – geht es um die Sache. Ein Ablehnungsgesuch ist dagegen direkt gegen den Richter gerichtet. Es fällt schwer, ihn nicht persönlich zu nehmen. Er trifft den Richter auch in seiner Berufsehre. Kein Richter will sich nachsagen lassen, er sei voreingenommen. Dabei sind sie es in den meisten Fällen tatsächlich.
Gleichzeitig sind Befangenheitsanträge Verzögerungswaffen der Verteidigung. Der abgelehnte Richter darf nur noch unaufschiebbare Handlungen vornehmen. Er hat eine dienstliche Äußerung zu dem Ablehnungsgesuch abzugeben, die wiederum dem Verteidiger zur Stellungnahme zuzuleiten ist. Über die Ablehnung müssen dann andere Richter entscheiden. Durch einen Befangenheitsantrag gerät der Prozess zwangsläufig ins Stocken.
Befangenheitsanträge sind nur ausnahmsweise erfolgreich, und das wissen auch die Anwälte. Nur ganz selten kann mit ihnen ein Richterwechsel erzwungen werden. Ziemlich sicher sorgen sie aber für eine vergiftete Verhandlungsatmosphäre. Ob diese einem günstigen Verfahrensausgang für den Angeklagten förderlich ist, müssen die Anwälte selbst einschätzen.
Begründet werden die Ablehnungsgesuche mit Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters. Dies oft als Reaktion auf Äußerungen des abgelehnten Richters oder seine Verhandlungsführung. Sobald der Richter durchblicken lässt, dass er an etwas anderes als einen Freispruch denkt, wird der Verteidiger hellhörig. Ein unbedachtes Wort des Richters und schon wird der Befangenheitsantrag rausgefeuert. In der Vorstellung der Angeklagten und ihrer Verteidiger darf der Richter sich bis zur Urteilsberatung überhaupt keine Gedanken über die Schuld- und Straffrage machen.
In der Robe steckt ein Mensch. Ich glaube, es gibt keine neutralen Menschen. Jeder Richter ist durch Biografie und Erfahrungen vorgeprägt und hat dadurch seine höchst subjektive Sicht auf die Dinge entwickelt. Wer einen wirklich neutralen Richter will, muss einen Roboter-Richter bauen. Dessen Silikon-Chips könnten völlig frei von Vorurteilen und Emotionen entscheiden.
Der Strafprozess ist schon strukturell parteiisch angelegt. Das ganze Strafverfahren ist darauf gerichtet, Täter zu überführen und zu einer Strafe zu verurteilen. Das beginnt bereits bei der Polizei. Mit der Strafanzeige hat sie einen Anfangsverdacht und versucht, diesen durch ihre Ermittlungen zu bestätigen. Die Ausgangshypothese lautet gerade nicht, wir wissen nicht, ob sich jemand einer Straftat schuldig gemacht hat. Sondern die Polizei geht davon aus, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat, und sucht nach Beweisen dafür. Die Staatsanwaltschaft soll zwar gemäß § 160 Abs. 2 Strafprozessordnung nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände ermitteln. Tatsächlich sieht sie sich aber als Anklagebehörde. Eine Anklage wird als Erfolg, eine Einstellung als Niederlage betrachtet. Der Strafrichter nimmt Staatsanwälte als kompetente Kollegen wahr und kann leicht dem Schulterschlusseffekt unterliegen. Das heißt, er wird eher der Anklage der Staatsanwaltschaft als den Unschuldsbeteuerungen des Angeklagten folgen.
Der Richter ist noch aus anderen Gründen strukturell befangen. Im Strafrecht hat er gemäß § 244 Abs. 2 Strafprozessordnung eine Aufklärungspflicht. Im Unterschied dazu gilt im Zivilprozess der Beibringungsgrundsatz, nach dem es den Parteien obliegt, alle relevanten Tatsachen vorzubringen, auf deren Grundlage das Gericht dann eine Entscheidung fällt, § 282 Zivilprozessordnung. Im Strafverfahren kann sich der Richter wegen seiner Aufklärungspflicht nicht auf den Standpunkt zurückziehen, die Staatsanwaltschaft habe keinen ausreichenden Beweis für eine Schuld des Angeklagten erbracht. Der Strafrichter muss vielmehr selbst aktiv nach weiteren Beweisen suchen. Der Amtsermittlungsgrundsatz ist ein Überbleibsel des Inquisitionsprozesses. Wie unvoreingenommen kann ein Richter sein, dem die Strafprozessordnung aufgibt, selbst gegen den Angeklagten zu ermitteln?
Der aus meiner Sicht wesentlichste Grund gegen eine Unvoreingenommenheit des Richters ist die automatische juristische Bewertung aller aufgenommenen Informationen. Im Studium stand unter den Aufgabentexten: »Wie hat T sich strafbar gemacht?« Das hat jeder Jurastudent ein paar Hundert Mal durchexerziert. »T könnte sich eines Diebstahls gemäß § 242 Strafgesetzbuch schuldig gemacht haben, indem er …« Nach einer Ausbildung von zehn Jahren und mehrjähriger Berufserfahrung haben sich im Gehirn des Volljuristen vollautomatische Prüfungsroutinen ausgebildet. Als Richter schaltet man vor und während der Verhandlung sein Gehirn nicht aus. Während man die Strafakte liest und später in der Hauptverhandlung, nimmt das juristisch trainierte Gehirn die Informationen nicht einfach wertfrei auf, sondern wertet sie automatisch aus. Das kann man gar nicht unterdrücken. Fakten werden nicht einfach unbefangen und neutral aufgenommen, sondern sogleich unter dem Gesichtspunkt einer Strafbarkeit analysiert. Aus dem Nebel des zunächst ungelösten Falles schält sich irgendwann eine Idee heraus, wohin die Reise gehen könnte. Und dies geschieht meist vor den Plädoyers, also zu einem Zeitpunkt, an dem der Richter nach Ansicht des Angeklagten noch unvoreingenommen sein sollte. Lassen Sie uns eintauchen in die richterliche Welt der Voreingenommenheit.
Von welcher Verurteilungswahrscheinlichkeit geht der Richter bei einem beliebigen Fall aus? Die Staatsanwaltschaft ist keine Anklagebehörde, wie sie selbst behauptet, sondern eine Einstellungsbehörde. Die Anklage ist die Ausnahme, die Einstellung die Regel. Die Anklagequote beträgt nur noch 7 Prozent 17 und sinkt kontinuierlich. In weiteren 10,7 Prozent wird ein Strafbefehl beantragt. 18 In den verbleibenden 82,3 Prozent wird das Ermittlungsverfahren eingestellt oder auf andere Weise erledigt. Es konnte kein Täter ermittelt werden, oder die Beweislage ist schlecht, oder die Schuld des Täters ist gering. Die Staatsanwaltschaft klagt nur dann an, wenn sie angesichts der Aktenlage eine Verurteilung für wahrscheinlich hält. Die zweifelhaften Fälle hat sie schon vorher aussortiert und eingestellt. Wenn ich neue Anklagen auf den Tisch bekomme, weiß ich, dass die Anklagen nur die Spitze des Eisberges sind.
Der Richter liest die Ermittlungsakte. Er muss prüfen, ob angesichts der Aktenlage der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint, also ob die Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung besteht, § 203 Strafprozessordnung. Das Gesetz schreibt also vor, dass der Richter sich bereits vor der Verhandlung eine Meinung bildet. Schon das Aktenstudium erzeugt eine Voreingenommenheit, denn der Richter speichert den Ersteindruck von dem Fall in seinem Gedächtnis ab. Bejaht er den hinreichenden Tatverdacht, beschließt er die Eröffnung des Hauptverfahrens. Mit dem Eröffnungsbeschluss hat sich das Gericht ebenfalls dahingehend festgelegt, dass es angesichts der Aktenlage eine Verurteilung für wahrscheinlich hält. Von der Unschuldsvermutung verbleibt zu diesem Zeitpunkt wenig mehr als ein verfassungsrechtliches Nullum.
Die von Verteidigern gern und häufig ins Feld geführte Unschuldsvermutung bedarf ein paar erklärender Worte. In der Strafprozessordnung und anderen deutschen Gesetzen ist die Unschuldsvermutung nicht explizit erwähnt. Genannt wird sie erst in Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK): »Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.« Offenbar hält der deutsche Gesetzgeber es nicht für erforderlich, sie in die Strafprozessordnung zu transferieren. Die Strafprozessordnung kennt die Unschuldsvermutung nicht. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Untersuchungshaft, die aufgrund dringenden Tatverdachts auch ohne den endgültigen Beweis der Schuld des Beschuldigten möglich ist.
Es ist für mich ein Widerspruch, wenn ich als Richter den hinreichenden Tatverdacht im Eröffnungsbeschluss bejahen und gleichzeitig bis zur rechtskräftigen Verurteilung von der Unschuld des Angeklagten ausgehen soll. Beides passt nicht zusammen.
Regel Nr. 11: Die Unschuldsvermutung kann man vergessen.
In den Gerichtsshows von Salesch, Hold und Co. kommt es ständig zu überraschenden Wendungen. Plötzlich steht ein Zuschauer im Gerichtssaal auf und ruft: »Ich war’s, der Angeklagte ist unschuldig!« Oder die Polizei, die während des laufenden Prozesses fröhlich weiter ermittelt, findet ein Beweismittel, das dem Prozess eine ganz neue Richtung gibt. Oder während die Plädoyers schon gehalten werden, stürmt ein Überraschungszeuge in den Saal, der weiß, wer wirklich der Täter war. Im realen Leben kommen Abweichungen vom Akteninhalt in der Verhandlung höchst selten vor. Die Zeugen sagen das aus, was sie bereits bei der Polizei ausgesagt haben. Sachverständige wiederholen die Ergebnisse ihres bereits vorliegenden schriftlichen Gutachtens. Auf Videos ist nichts anderes zu sehen als bei ihrer Aufnahme zur Tatzeit.
Die Freispruchquote beträgt durchschnittlich magere drei Prozent. 19 Der Freispruch ist die absolute Ausnahme, die Verurteilung die Regel. Er erfolgt mangels Beweises, das heißt, die Straftat konnte nicht nachgewiesen werden. So gut wie nie erfolgt ein Freispruch wegen erwiesener Unschuld.
Wer angeklagt wird, wird meist auch verurteilt. Jedenfalls in meiner Zuständigkeit spielen Einstellungen keine signifikante Rolle, da diese nach §§ 153, 153 a Strafgesetzbuch nur bei Vergehen, nicht aber bei den von mir zu verhandelnden Verbrechen möglich sind. Diese Realität scheinen Verteidiger ihren Mandanten oft vorzuenthalten. Anders sind viele verblüffte Gesichter bei der Urteilsverkündung nicht zu erklären.
Aus der selektiven Anklagepraxis der Staatsanwaltschaft, der Bejahung des Tatverdachts im Eröffnungsbeschluss, der Überraschungsarmut von Strafprozessen und einer Freispruchquote von nur drei Prozent ergibt sich für den Richter eine allgemein hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit. Das ist auch die Berufserfahrung von Strafrichtern: Strafprozesse enden ganz überwiegend mit einer Verurteilung. Sie ist seine Ausgangshypothese bei Beginn der Hauptverhandlung.
Regel Nr. 12: Die meisten Angeklagten sind tatsächlich schuldig.
Von der Verurteilungshypothese abzuweichen fällt Richtern wegen des Inertia-Effekts nicht leicht. Als Trägheitseffekt (lat. inertia = Trägheit) bezeichnet die Psychologie das Phänomen, dass einmal getroffene Entscheidungen auch gegen widersprechende Informationen weitgehend unverändert (»immun«) bleiben. 20 Dabei werden die eigene These bestätigende Informationen über- und ihr widersprechende Informationen unterbewertet. Sprechen Beweise oder Indizien für die mit dem Eröffnungsbeschluss bejahte Verurteilungswahrscheinlichkeit, werden sie überschätzt, sprechen sie dagegen, werden sie unterschätzt.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Dies bedeutet nicht, dass der Richter bereits vor der Hauptverhandlung endgültig von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist. Allerdings bestätigt sich die Ausgangshypothese einer Schuld des Angeklagten viel häufiger, als dass sie durch die Beweisaufnahme oder Verteidigungsvorbringen widerlegt wird. Lassen Sie mich das an ein paar Beispielen erläutern.
Ein Beschuldigter wird auf frischer Tat ertappt, vorläufig festgenommen, und die Staatsanwaltschaft beantragt Untersuchungshaft. Der Richter liest die Akte und vernimmt den Beschuldigten. Schließlich bejaht er einen dringenden Tatverdacht und erlässt den Haftbefehl. Später bekommt derselbe Richter die Anklage auf den Tisch. Die weiteren Ermittlungen haben nichts Neues ergeben. Warum sollte der Richter von dem im Haftbefehl attestierten dringenden Tatverdacht abrücken? Er beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens und Haftfortdauer. Es ist naheliegend, dass dieser Richter davon ausgeht, dass der Angeklagte die Tat begangen hat. Natürlich kann die Hauptverhandlung etwas ganz anderes ergeben, meistens tut sie das aber nicht.
David Wenske hat keinen Schulabschluss und war auch nie berufstätig. Eine Psychiaterin attestiert bei ihm einen niedrigen Intelligenzquotienten. Er hat ein Drogenproblem und braucht deshalb erheblich mehr Geld, als das Jobcenter zahlt. Er hat sich deshalb auf das »Kupfern« verlegt. Er entwendet Kabel aus verlassenen Gebäuden, von Baustellen und Bahnanlagen. Er schneidet die Kabel in transportable Stücke und schmilzt die Plastikummantelung ab. Dann wandelt er sie bei einem Altmetallankauf in Bargeld um. »Kupfern« ist das Einzige, was David Wenske kann. Er ist ziemlich gut darin und auch stolz darauf. Er weiß genau, wo er Kabel entwenden kann, wie er sie bearbeiten muss und wo er sie verkaufen kann. Ich hatte ihn bereits sechsmal wegen Diebstahl in einem besonders schweren Fall verurteilt. Da landet Anklage Nummer sieben mit dem gleichen Delikt auf meinem Schreibtisch. Der Gedanke »Ach, der schon wieder« lässt sich kaum unterdrücken.
Jeder Strafrichter hat Stammkunden in seinem Dezernat. Sie bleiben oft einem Delikt treu. Wenn ich so jemanden schon mehrfach wegen immer dem gleichen Straftatbestand verurteilt habe und bekomme einen neuen Fall mit wiederum dem gleichen Straftatbestand vorgelegt, kommt der Gedanke einer Wiederholungstat ganz automatisch.
Aufgeregt meldet der Anrufer einen Einbruch in sein Haus. Er habe den Täter sogar auf Video. Die Polizei stellt vor Ort fest, dass in der Türklingel eine Videokamera mit Bewegungsmelder eingebaut ist. Sie liefert ein gestochen scharfes Bild des Einbrechers. Auf dem Video ist zu sehen, wie der Täter die Hoftür aufhebelt und hineingeht. Eine zweite Videokamera mit Bewegungsmelder überwacht den Innenhof. Der junge Mann geht zielstrebig zu der nach hinten liegenden Haustür. Er trägt Latexhandschuhe, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Er versucht, auch die Haustür aufzuhebeln. Das ist gar nicht so einfach, denn sie ist nagelneu und massiv. Einmal rutscht er mit dem Schraubenzieher ab, durchsticht seinen Latexhandschuh und verletzt sich an der Hand. Blut tropft auf den Boden. Schließlich gelingt es ihm, die Tür zu öffnen. Er durchsucht das Wohnzimmer und findet dort Bargeld sowie Schmuck im Schrank, unter anderem den Ehering der Frau. Aus dem Kühlschrank in der Küche nimmt er noch eine Flasche Bier. Auf den Aufnahmen der Außenkamera ist zu sehen, wie er mit einer Bierflasche in der Hand wieder herauskommt. Er trinkt sie aus, wirft die Flasche in den Straßengraben, steigt auf sein Fahrrad und fährt weg. Der Kripobeamte kopiert aus den Tatvideos ein Standbild des Einbrechers heraus und gibt es intern in den Umlauf. Kurze Zeit später meldet sich ein Kollege und sagt, bei dem Einbrecher handelt es sich um Ronny Nowak. Ein Vergleich mit vorhandenen Fotos in der Polizeidatenbank zeigt denselben Mann. Laut Vorstrafenregister ist er mehrfach wegen Einbruch vorbestraft. Bei den früheren Taten ist er auch jeweils in Einfamilienhäuser eingebrochen. Der Ermittlungsrichter erlässt einen Durchsuchungsbeschluss. In der Wohnung wird der gesuchte Schmuck gefunden, unter anderem der gravierte Ehering der Frau. Daneben noch ein Rucksack mit Einbruchswerkzeug. An einem Schraubenzieher werden weiße Lackabplatzungen festgestellt, die durch eine Laboranalyse der aufgehebelten Haustür zugeordnet werden können. Der Kommissar schickt die Bierflasche aus dem Straßengraben sowie die unten an der Haustür gesicherten Blutspuren ebenfalls ins Labor. Die DNA-Analyse ergibt, dass der Speichel an der Flasche sowie das Blut mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9999 Prozent vom Beschuldigten stammen.
Ein paar Wochen später landet der Fall mit einer Anklage auf meinem Tisch. Der Angeklagte lässt über seinen Verteidiger erklären, er habe den Einbruch nicht begangen. Lassen Sie mich die Ermittlungsergebnisse noch einmal zusammenfassen: Der Angeklagte ist einschlägig vorbestraft; es gibt zwei Videos von ihm, auf denen er beim Aufhebeln von Türen zu sehen ist; der entwendete Schmuck sowie das eingesetzte Einbruchswerkzeug wurden in seiner Wohnung gefunden, und zwei am Tatort gesicherte DNA-Spuren stammen von ihm. Bei dieser lückenlosen Beweiskette drängte sich mir schon beim Aktenstudium auf, dass der Angeklagte des Einbruchs schuldig sein könnte. Er wurde übrigens wegen dieser und anderer Taten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Selten gibt es Fälle, die nach Aktenlage nicht eindeutig sind. Nehmen wir das Beispiel einer Messerstecherei. Ein Mann mit Migrationshintergrund soll bei einer Prügelei vor einem Club plötzlich ein Messer gezogen und zugestochen haben. Die Zeugen haben den Täter bei der Polizei uneinheitlich beschrieben. Manche Beschreibungen treffen auf den Angeklagten zu, andere nicht. Bei der Wahllichtbildvorlage haben manche den Angeklagten wiedererkannt, andere nicht. In der Hauptverhandlung zeigt sich dann, dass es ein Unterschied ist, ob man eine Person nur beschreiben oder auf einem älteren Foto wiedererkennen soll oder ob man ihr gegenübersitzt. Fünf Zeugen zeigen nacheinander mit dem Finger auf den Angeklagten und sagen: »Der war’s.« Der Angeklagte lächelt verlegen. Da rückt ein Freispruch in weite Ferne. Häufig verdichtet sich irgendwann in einer Beweisaufnahme mein Eindruck, dass dort auf der Anklagebank die richtige Person sitzt.
Als Fazit bleibt festzustellen, dass der Strafrichter systembedingt meist befangen ist. Er kann nichts dafür, denn die Strafprozessordnung und der Verfahrensablauf machen eine vorgefasste Meinung unvermeidlich.
Regel Nr. 13: Richter sind praktisch immer befangen.