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Springer kamen viel herum und nicht überall waren sie als Überbringer von Nachrichten gerne gesehen – vor allem, wenn es sich um schlechte handelte. Darüber hinaus bildeten sie eine verschworene Gemeinschaft, die darauf Wert legte, die Geheimnisse – oder vielmehr Tricks und Kniffe – ihres Berufes für sich zu behalten. Dass ihrer aller Karriere im Regelfall kurz war und oft tödlich endete, führte ebenfalls zu einem besonderen Zusammengehörigkeitsgefühl. Daher hatten einige Springer, die dann doch überlebt oder rechtzeitig aufgehört hatten, nach ihrem Ruhestand – manchmal aufgrund von Verletzungen, manchmal weil sie zu faul für die großen Anstrengungen des Berufs waren – Gästehäuser eröffnet. In jeder Metropole gab es mehrere, in denen sie ihresgleichen Schutz und Obdach gewährten. Wer das wirklich garantieren wollte, sorgte für entsprechende Aufrüstung, und das Gästehaus in Stink bildete da keine Ausnahme, ganz im Gegenteil. Der Sire war als unangenehmer Zeitgenosse bekannt und trotz der zahlreichen Arrangements, die jeder Betreiber eines Gästehauses mit den lokalen Autoritäten hatte, wurde auch immer dafür gesorgt, dass man auf alles vorbereitet war. Springer halfen Springern. Wer sollte es sonst tun in dieser Welt, in diesen Zeiten?
Ryk war hier durchaus bekannt. Hundertsiebzehn Sprünge gingen an den Kollegen nicht unbemerkt vorbei und seine generell eher umgängliche Art machte ihn durchaus sympathisch. Dass er Gäste mitbrachte, als sie zu dritt das Foyer des Gästehauses betraten, war ebenfalls nicht ungewöhnlich. Zahlende Gäste waren in Begleitung eines Springers durchaus willkommen, wenn sie sich bereiterklärten, ihre Schlafstatt freizugeben, sollte die Kapazitätsgrenze der Herberge überschritten werden. Das geschah sehr selten und so sorgten Gäste für Auslastung und knisternde VE in den Taschen der Betreiber. So viele Springer gab es gar nicht, vor allem nicht zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Schon gar nicht in Stink. Normalerweise hielt sich hier niemand länger als nötig auf.
Hinter der etwas ranzig wirkenden Theke der Rezeption stand Olga, die ehemalige Springerin, der dieses Etablissement gehörte. Sie war eine der ältesten noch Lebenden ihrer Profession, vor allem deswegen, weil sie nach weniger als hundert Sprüngen rechtzeitig aufgehört hatte. Ihre wahre Leidenschaft entwickelte sich nun in der Beherbergung, für die sie ein echtes Händchen hatte. Es wirkte außerdem lebensverlängernd und obgleich schon älter, machte Olga einen sehr lebendigen und gesunden Eindruck.
»Ryk! Welch eine Freude für meine alten Augen!«, begrüßte sie den jungen Mann mit einem breiten Lächeln, das ihren voluminösen, von dickem Fett ummantelten Kopf so sehr auszudehnen schien, als drohe er gleich von ihrem Hals zu Boden zu tropfen. Olga ging es in der Tat sehr gut und sie bewies es der Welt, indem sie eine Menge aß, und nur von den guten Sachen. Ihre rosig glänzende Hautfarbe war ein weiterer Beweis dafür, jedenfalls nahm Ryk das an. Er kannte Olga nur so: breit hinter der Theke hockend, lächelnd, aufgeräumt und großzügig, nahezu mütterlich. Rabatt gab es bei ihr aber nicht, nicht einmal für Stammkunden. Beim Geschäft endete die Herzlichkeit. Daher war sie auch wohlhabend genug, um ein Leben an einem Ort wie Stink erträglich zu gestalten.
Ryk ergriff die dargebotene Hand. Sie war weich und sanft, die Haut gut gepflegt, doch als sie zudrückte, offenbarte sich Stahl darunter. Olgas Karriere als Springerin ließ sich nicht verleugnen und trotz des guten Essens war die Arbeit in der Herberge auch nicht ohne. Sie hatte viel Bewegung, daran bestand kein Zweifel.
»Du hast Gäste?« Olga sah die Neuankömmlinge mit einem freundlichen Grinsen an. Ryk ging davon aus, dass sie Uruhard erkannte. Es sprach für ihre Diskretion und Geldgier gleichermaßen, dass sie sich nichts anmerken ließ.
»Für eine Nacht.« Er sah Sia kurz an. »Vielleicht zwei.«
»Deine Freundin?« Olga lachte keckernd. Sie mochte Anzüglichkeiten. Sie war eine stete Quelle sexueller Anspielungen. Keiner fand diese besonders originell, aber Olga amüsierte sich königlich. Ryk hatte die anderen darauf vorbereitet, also verzog niemand eine Miene.
»Nein, Olga. Nur gute Bekannte.«
»Uruhard der Wachtmeister ist ein alter Bekannter?« Sie sah Ryk zweifelnd an. Sie schien ihm nicht allzu viel guten gesellschaftlichen Umgang zuzutrauen. Das war ihr nicht übel zu nehmen. Damit wäre er die große Ausnahme unter den Springern.
»Ist es nicht das Prinzip des Gästehauses, dass keiner Fragen stellt?«
Olga kicherte. »Natürlich. Du hast deine Rechnungen immer bezahlt und du hast hundertsechzehn Sprünge. Das genügt mir. Mit wem du schläfst, ist allein deine Sache.«
Wieder das keckernde Gelächter. Ryk erwiderte es mit einem müden Lächeln. »Hundertsiebzehn.«
»Mein Prinz. Aus dir wird noch ein richtiger Mann.« Wieder ein anzügliches Zwinkern.
Ryk wies auf die Batterie altmodischer Schlüssel im Kasten hinter ihr.
»Was kannst du uns anbieten?«
Olga reichte ihm einen Schlüssel, ein mächtiges, schmiedeeisernes Gebilde. »Zimmer 7. Drei Betten. Kann man auch zusammenrücken, sage ich nichts gegen. 25 VE die Nacht, 30 mit Frühstück.«
Ryk nickte und ignorierte das vielsagende Augenzwinkern ein weiteres Mal. Zu dritt erklommen sie die Treppe zum ersten Stock und betraten bald darauf Zimmer Nr. 7. Einfach, fast karg, aber sauber. Sia und Uruhard waren über den Mangel an Luxus nicht erbost oder enttäuscht. Sie warfen ihre großen Rucksäcke auf die Betten und sahen Ryk auffordernd an. Dies war sein Territorium. Hier trug er die Verantwortung.
Was für ein abscheuliches Gefühl.
»Ich lasse was zu essen bringen. Bleibt hier und ruht euch aus«, sagte er.
»Wohin willst du?«, fragte Sia. Nicht aus Sorge um ihn. Wahrscheinlich eher aus Sorge um ihre Mission und die Dummheiten, die Ryk anstellen könnte. Er hatte sich ihr Vertrauen gewiss noch nicht verdient.
»Ich muss mich bei Olga blicken lassen. Gehört zum Ritual. Sie möchte Geschichten hören. Teil der Bezahlung. Es dauert nicht lange.«
Er sagte nichts weiter, wandte sich ab und verschloss die Tür hinter sich. Den schweren Schlüssel verwahrte er sicher in der Hosentasche. Er hatte gelogen. Olga wollte keine Geschichten hören, sie war meist viel mehr daran interessiert, welche zu erzählen, und das Gute war: Sie war herumgekommen, kannte viele Leute und war bestens vernetzt. Eine Quelle an Informationen, wenn man ihre Anzüglichkeiten zu ertragen wusste. Normalerweise hörte Ryk einfach zu und aß dabei etwas, ohne sich nachher so genau an das erinnern zu können, was der endlose akustische Wasserfall aus Olgas Mund eigentlich enthalten hatte. Diesmal aber war es anders.
Diesmal hatte er eine Frage.
Olga machte so etwas glücklich. Jede Frage war für sie eine Herausforderung, eine Chance, sich unter Beweis zu stellen. Keine Frage war zu dumm oder zu schwierig. Jede packte sie bei der Ehre, und darauf baute Ryk. Manche nannten sie eine Klatschtante. Ryk war zu dem Schluss gekommen, dass das unfair war. Olga erzählte nicht irgendwas, sie erzählte nur das, von dem sie überzeugt war, dass es der Wahrheit entsprach. Das war ein Filter, der sich in der Vergangenheit als ausgesprochen verlässlich erwiesen hatte, und es war auch heute Abend seine Hoffnung.
»Ryk. Was ist? Schon müde?« Olga zwinkerte ihm zu. »Die Süße ist doch eine Hybride? Ich höre, die werden nie
müde. Überall Elektromotoren und widerstandsfähige Gummimanschetten und so. Anstrengende Sache, auch für einen jungen Hengst wie dich!«
Ryk setzte sich auf einen der Hocker vor der Bar, die nahtlos in die Rezeption überging. Olga bewegte sich ungern weit. Er bestellte etwas zu trinken, denn einen Obolus musste man immer entrichten, wenn man Olgas Aufmerksamkeit wollte. Sie war
wohlhabend.
»Der junge Hengst hat eine Frage an dich«, sagte er dann lächelnd.
»Oh, ich fühle mich geschmeichelt. Ich sag dir, wo es Hybridenmädels am liebsten mögen. Ich kenne das Geheimnis!«
Für einen Moment war Ryk tatsächlich versucht, es sich verraten zu lassen. Doch er konnte sich beherrschen. Er schüttelte den Kopf. »Es ist was anderes.«
Olga war bereit. »Raus damit!«
Ryk holte tief Luft. Die Frage schien zu absurd, aber seit Sia es erwähnt hatte, ließ sie ihn nicht mehr los. Sie lautete: »Kann man auf andere Planeten springen?«
Olga öffnete den Mund, als wolle sie wieder eine Anspielung loswerden, aber ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Sie sah plötzlich sehr neugierig drein. Das war kein Thema, bei dem sie schallend loslachte. Es war für sie von ernsthafter Natur, und das war nicht, was Ryk erwartet hatte.
»Was meinst du genau, Ryk?«
Nein, dieser Tonfall besagte definitiv nicht: »Du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank«, sondern eher: »Erzähl mehr, das interessiert mich.«
Ryk räusperte sich, nun plötzlich unsicher, ob er die hohen Erwartungen der Herbergsmutter tatsächlich würde erfüllen können. »Gibt es … so was wie Triebwürmer … also, etwas … oder, anders gefragt …«
»Raumschiffe.«
»Haben die Viecher des Hives Raumschiffe?«
Olga lächelte. »Der Hive ist
eins.«
Das war bekannt. Oder vielmehr: Er war einmal eines gewesen. Die Meinungen waren da sehr gespalten.
»Ich meine … sie sind ja jetzt gelandet und vielleicht fliegen sie eines Tages wieder ab. Aber in der Zwischenzeit …«
»Die Antwort ist: Ja. Auch, wenn sie nicht wie Raumschiffe aussehen, jedenfalls nicht wie die, die die Union einst geflogen hat. Du weißt, was ich meine. Es sind die Sporenschiffe, oder einfach nur Sporen, die sich manchmal von der Spitze des Hives lösen. Bei sehr klarem Wetter kannst du sie sehen.«
»Ich war bisher immer davon ausgegangen, dass sie irgendwo anders auf der Erde niedergehen und eine neue ihrer komischen Fabriken etablieren.«
Olga zuckte mit den Schultern. »Das kann durchaus sein. Aber das gilt gewiss nicht für alle, mein junger Freund. Es sind in jedem Fall auch dicke Klumpen aus organischem Material und anorganischer Technologie, die regelmäßig von den Hives zu den anderen Welten ihres … Siedlungsgebiets geschickt werden. Ich weiß nicht, ob sie so was wie eine Besatzung haben. Die Union hat sie damals schon entdeckt, als die allerersten Hivestöcke gelandet waren und der Krieg noch nicht endgültig verloren war. Damals gab es Wissenschaftler, die alles beobachtet haben, soweit sie dazu Gelegenheit bekamen. Sie waren der Meinung, es seien Transporte von Samen, genetischem Material und Informationen. Aber so genau haben sie es wohl nicht gewusst. Oder wenn doch, dann haben wir diese Kenntnisse nicht mehr. Jedenfalls nicht viele von uns.« Olga seufzte. »Es ist lange her. Wir vergessen mit jeder Generation etwas mehr. Oder weiß heute noch jemand, was für schöne Dinge man mit einem Analspreizer machen kann?«
»Mit einem …?« Ryk hielt inne. Er musste wirklich nicht alles wissen. Außerdem war es gefährlich, das Gespräch in diese Richtung driften zu lassen. »Das heißt also, rein theoretisch, dass man auf eines dieser Sporendinger springen könnte, wie auf einen Muskelzug, wenn man weiß, wo und wann es abfliegt?«
Er bekam jetzt eine Idee, wovon Sia gesprochen hatte – und was für einen Wahnsinn sie sich wirklich vorstellte.
Olga nickte. »Das ist sogar schon passiert. Es gibt Springer, die das gemacht haben, völlig abgedrehte Irre. Eins ist aber bekannt: Jeder Hive hat die Fähigkeit, ein solches Sporenschiff abzusondern, auch unserer hier. Der ist sogar recht aktiv. Allein in diesem Jahr drei Stück, die man direkt nach oben hat abdüsen sehen. Zisch! Irre Geschwindigkeit! Ab ins Weltall!« Sie machte eine entsprechende wilde Armbewegung.
»Du weißt so was?«, hakte Ryk nach.
»Unnützes Wissen, weil niemand damit was anfangen kann.« Sie seufzte. »Wie mit dem Analspreizer.«
Oh ja, sie wollte, dass er danach fragte. Das würde er aber nicht tun. Auch nicht unter Androhung von Folter. Olga wirkte enttäuscht, als sie das erkannte, war dann aber glücklicherweise schnell wieder sehr interessiert am eigentlichen Thema. Sie nickte ihm auffordernd zu.
»Was ist aus jenen geworden, die den Hive hochgeklettert sind wie Bergsteiger oder mit selbst gebastelten Fluggleitern zur Spitze geschwebt sind oder sonst wie den Weg nach ganz oben angetreten haben und dann gesprungen sind – das ist deine nächste Frage, oder?«
Ryk war dankbar dafür, dass sie anfing, sich selbst zu interviewen. »Ja. Was?«
»Keine Ahnung. Niemand hat je wieder was von ihnen gehört. Und nie ist ein Springer von einer der anderen Unionswelten hier angekommen – oder von sonst wo. Starben sie auf dem Weg? Wurden sie entdeckt und zu Biogrundstoff verarbeitet? Erstickt, erdrückt, erschossen? Die Drachen werden die meisten von ihnen erwischt haben. Das sind die Großmäuler der Lüfte und sie dürften jede Annäherung sehr kritisch bewerten. Aber am Ende kann ich nur sagen: Keiner weiß es. Hin und wieder traut sich noch mal einer, aus Neugierde, Geltungssucht oder Wahnsinn. Ich tippe auf Wahnsinn oder Verzweiflung, das ist ja oft nicht zu unterscheiden. Wir hören uns die Geschichten hier an der Theke an, weil sie spannend sind, und wünschen den Irren viel Glück. Viele setzen ihre Pläne dann doch nicht in die Tat um, weil sie vernünftig werden oder die Hose voll haben. Aber es gibt immer ein paar. Und weil das so ist, schauen wir immer, ob ein Hive reif ist und eine Spore abschießt. Was ist, Ryk? Bist du voller Geltungssucht, neugierig oder wahnsinnig? Oder einfach nur verzweifelt?«
Das war, fand Ryk, eine ziemlich gute Frage, die er nicht ehrlich beantworten konnte, ohne weitere Fragen zu provozieren, zu denen er auch nichts sagen wollte.
Er zuckte mit den Schultern, eine Geste, von der sie beide wussten, dass sie erstunken und erlogen war. »Ich frag nur so.«
Olga nickte wissend. Erstunken und erlogen
.
»Verstehe«, sagte sie.
»Es waren immer Springer?«, fragte Ryk. »Also – die Irren, die es versucht haben?«
»Wer sonst? Wer sonst würde so was wagen? Das machen nur wir. Es bedarf eines gewissen Basisirrsinns, findest du nicht?«
Ganz unrecht hatte sie da bestimmt nicht. Und selbst Ryk, der weder völlig irre noch verzweifelt war, spürte den Reiz der Idee. Der Sprung seines Lebens. Der wäre hundert andere auf der Scorecard wert, mindestens. Wenn man ihn überlebte, was, wie es schien, nicht sehr wahrscheinlich war.
»Wer war der Letzte, der es gewagt hat?«
»Das war vor zehn Monaten. Michael hieß er. Etwas seltsamer Typ. Ich mag Männer mit ungepflegten Bärten nicht. Redete wie ein Wasserfall und hatte zu allem eine Meinung. Das ist eigentlich mein Job. Er war ganz besessen von der Idee. Wollte mal was erreichen im Leben, meinte er. Das schien er wörtlich zu nehmen. Er bereitete sich vor, so gut es ging, und am Abend, als klar wurde, dass der Hive reif war, ist er verschwunden. Keine Ahnung, ob er überhaupt in die Nähe gekommen ist oder nur die Welle gemacht hat, damit ihm mal jemand zuhört. Niemand hat je wieder was von ihm gesehen. Wenn du mich fragst, haben ihn die Großmäuler erwischt. War nicht viel an ihm dran. Ein Schnapp, Kopf ab, wie’s halt so ist.«
»Hm.«
Olga schüttelte besorgt den Kopf. »Mach so was nicht, Ryk. Wäre schade um dich. Ich meine das ernst. Wirklich schade.«
Meinte sie es ernst? Bei Olga wusste man nie.
Ryk sagte noch einige beruhigende Worte. Er war sich nicht sicher, ob er
diese ernst meinte. Die Idee, auf eines dieser Raumschiffe, oder was sie auch waren, zu springen und damit die Erde zu verlassen, erfüllte ihn mit großer Furcht. Wenn Sia das vorhatte und ihn dabeihaben wollte, weil er ein Springer war, dann … Er wusste nicht, was er davon halten sollte.
Sia sah es vielleicht als selbstverständliche Idee, eine konsequente Folge dessen, was sie zu tun beabsichtigten. Uruhard wusste wahrscheinlich ebenso viel darüber wie sie und es regte ihn nicht sonderlich auf. Allein der Gedanke, Terra zu verlassen! Für seine Vorfahren mochte das eine Selbstverständlichkeit gewesen sein – aber nicht für ihn.
Nein. Nicht für ihn!
Und vor allem nicht auf diese Art und Weise. Selbstmord. Anders ließ sich das wohl nicht beschreiben, denn er glaubte Olga jedes einzelne Wort.
In düstere Gedanken versunken kehrte er in ihr Zimmer zurück. Draußen wurde es dunkel, vom Viertel der Hybriden schimmerte helles Licht herüber. Das Gästehaus war ebenfalls erleuchtet, wenngleich es nur der trübe, flackernde Schein schlecht funktionierender Gaslampen war. Sia sah ihn prüfend an. Sie lag auf ihrem Bett und las irgendetwas, als er das Zimmer betrat, aber sie sagte nichts. Er wollte seine Angst nicht teilen, fühlte sich in Gegenwart seiner Gefährten mit einem Male unbedeutend, fast feige, und wusste nicht richtig mit seiner Unsicherheit umzugehen. Von der Erde springen. Was für ein irrer Gedanke! Je länger er sich damit beschäftigte, desto tiefer wurde das kalte Entsetzen in seiner Brust.
Ryk ermahnte sich. Es nutzte niemandem, wenn er sich jetzt in etwas hineinsteigerte. Er war müde. Wer müde war, gab sich leichter negativen Gedanken hin. Müdigkeit war kein guter Ratgeber, niemals, vor allem nicht für einen Springer, der doch seine sieben Sinne stets beisammenhaben musste.
»Ich leg mich hin«, sagte er also nur und ignorierte das Gemurmel der beiden. Er wollte nicht einmal wissen, was sie zu sagen hatten, selbst wenn es sich um ihn drehen sollte. Er legte sich auf eines der Betten, streckte sich aus, schloss die Augen und spürte die innere Unruhe im Widerstreit mit der bleiernen Decke der Erschöpfung, die auf ihm zu lasten schien. Er würde nicht leicht Ruhe finden, das wusste er jetzt schon.
Und er würde nicht gut träumen.
Wie kam er nur aus dieser Sache raus?
Und was viel schlimmer war, als letzter Gedanke, ehe ihn die Müdigkeit übermannte: Wollte er das überhaupt?