25
»Die Druckanzüge ziehen wir an. Es wird eng, aber wir können uns nicht im Taxi umziehen.«
Zwei Stunden hatten sie schon zusammengesessen und ihre Planung gemacht. Es war ein ermüdendes Gespräch geworden, und zwar aus zwei Gründen: Sie stellten fest, dass sie allesamt nicht genug wussten, um sich wirklich auf alle Eventualitäten vorzubereiten, und sie kauten das einmal Besprochene immer wieder durch, um diese Erkenntnis zu verdrängen und irgendwie ein Gefühl der Zuversicht zu erzeugen. Aber jetzt, wo die Reise, die sie anzutreten bereit waren, kein ferner Gedanke mehr war, keine irgendwie verheißungsvolle, aber letztlich abstrakte Idee, wurde ihnen allen mulmig zumute. Sia zeigte es durch eine gewisse Irritation, wenn jemand etwas sagte, was sie für Blödsinn hielt. Uruhard zupfte nervös an seinem Bart. Ryk versuchte, die Sache rational anzugehen, aber da er von allen die wenigste Kenntnis hatte, half das nicht viel. Momo war stoisch wie immer und akzeptierte alles mit einer tiefen Gelassenheit, die ihn auch nicht verließ, als Samson eindringlich auf die Gefahren ihrer Aktion hinwies. Gefahren, in die er sich begab, in der Zuversicht, dass für ihn die Möglichkeit bestand, heil aus der Sache herauszukommen und wieder seinem Tagwerk nachzugehen. Diese Option bestand für den Rest der Gruppe nicht.
Andere wie Dassio, Theosius und Andhmergen, von Risa und dem Samurai ganz abgesehen, hatten sich nach und nach verabschiedet. Alles, was es zu wissen gab, hatte Samson parat und nur Meister Dahn versprach, »noch einmal nach dem Rechten zu sehen«, kurz bevor der Start geplant war. Da die Zeit ablief und die nächste Sporenkapsel in Kürze starten würde, entstand ein Gefühl des Getriebenseins, denn keiner wollte diese Chance verpassen und weiter abwarten. Es hinter sich zu bringen erschien ihnen allen wie die beste Idee und auch Samson hatte angedeutet, dass er nicht völlig frei in seinen Entscheidungen sei und seine Dienste benötigt würden, gerade für die dringenden medizinischen Transporte, die er regelmäßig für die Hybriden durchführte. Es wurde allen klar, dass sie letztlich entsetzlich schlecht vorbereitet in diese Sache gehen würden, gleichzeitig aber eine bessere Vorbereitung gar nicht möglich erschien.
Es war, wie es war. Es war nicht gut. Nichts daran stimmte Ryk zuversichtlich. Aber es war befreiend. Denn es beendete jede Grübelei.
Als sie alles diskutiert hatten, manches mehrfach, legten sie den Zeitplan fest. Eine weitere Nacht würden sie sich ausruhen und die Ausrüstung begutachten, die ihnen die Apostel zur Verfügung gestellt hatten. Das Wichtigste, die Druckanzüge, hatten sie selbst beschafft. Dazu kamen jetzt Waffen, die Ryk zwar nicht unbekannt waren, die er aber bisher nur in den Händen sehr wohlhabender Persönlichkeiten und deren Entourage wahrgenommen hatte. Es waren Handfeuerwaffen der Union, rückstoßfrei und daher auch in der Schwerelosigkeit verwendbar, ein Zustand, mit dessen Existenz Ryk nun konfrontiert wurde und von dem er nicht sicher war, ob er ihn in all seinen Konsequenzen tatsächlich begriff. Samson hatte in der Garage, die er in Metropole 7 unterhielt, sogar einen Schießstand. Sie alle durften einige Runden auf Pappkameraden schießen, doch sowohl Ryk wie auch Uruhard stellten sich nicht besonders gut dabei an. Sia traf jedes Mal ins Schwarze und dieser Erfolg machte sie ein wenig verlegen. Sie wies darauf hin, dass sie eingebaute Hilfe hatte. Momo weigerte sich, die Waffen zu benutzen, sie verschwanden ohnehin fast in seinen Händen. Er behielt seinen Knüppel mit Metallbeschlag und bekam zusätzlich ein bemerkenswert langes Messer, fast schon ein Schwert, und mit beidem zeigte er sich ausgesprochen zufrieden.
Am Morgen des entscheidenden Tages setzte sich Sia noch einmal mit Ryk in ein eigenes Zimmer und trug ihm die Salbe auf. Die Anstrengungen der letzten Tage und vor allem heftige körperliche Reaktionen, die zu Schweiß geführt hatten, hatten die Schorfbildung wieder verschlimmert und die erste Behandlung durch die Hybride musste wiederholt werden.
»Vielleicht werden wir dort, wo wir hinreisen, eine Heilung für dich finden«, sagte Sia.
»Vielleicht werden die Hybriden mir helfen, wenn wir zurück sind«, antwortete Ryk.
»Ich hoffe es sehr. Dass wir zurückkehren, meine ich. Es wäre alles so sinnlos, wenn wir den Admiral finden und die Kunde nicht mehr nach Hause bringen könnten.«
Ryk genoss die kühle und sanfte Berührung des Applikators, wie er über die schartigen, halb mit dünnen, roten Krusten bedeckten, halb aufgerissenen und nässenden Hautflächen tanzte. Die Salbe folgte mit einer angenehmen Wärme, die die Illusion plötzlicher Geschmeidigkeit vermittelte. Sia trug sie dick auf und ließ sich richtig Zeit, um die Substanz sorgfältig einzumassieren. Wer wusste schon, wann sie das nächste Mal die Gelegenheit haben würden?
»Ich habe ziemliche Angst«, sagte Ryk schließlich fast kleinlaut.
»Ich auch. Aber ich bin auch sehr glücklich.«
Das war alles, was sie zu sagen hatte, und es war sicher auch ausreichend. Die Behandlung wurde in einer Atmosphäre stiller Vertrautheit zu Ende geführt und an ihrem Ende fühlte sich Ryk, allem Unwohlsein beraubt, so bereit, wie man nur sein konnte.
Sia stand auf und betrachtete seinen nackten, an vielen Stellen nun geschmeidig glänzenden Körper prüfend, wie eine Konstrukteurin, die ihre Maschine einer letzten Begutachtung unterzog. Es war dermaßen unerotisch, dass in Ryk jede Regung, die er zu Beginn vielleicht empfunden haben mochte, mehr oder weniger abstarb.
»Momo scheint zu glauben, dass wir was miteinander haben«, sagte sie dann unvermittelt.
Ryk zuckte kurz zusammen. Der Defo. Dick, stumm, stoisch. Aber er hatte seine Augen überall und er beobachtete genau. Das war peinlich.
»Ich … weiß gar nicht, wie er darauf kommt«, brachte Ryk hervor. Es klang selbst in seinen Ohren bemerkenswert schwach.
Sia sah ihn an und nickte bestätigend. »Nicht wahr? Eine Hybride und ein Normaler? Wer hat denn so was schon gehört?«
»Niemand!«, bekräftigte Ryk. Er verbarg die plötzliche Traurigkeit, die er empfand, so gut er konnte. Niemand, na klar. Absurder Gedanke, absurde Hoffnung. Wie hätte er sich das jemals vorstellen können? War er ein Ersatzteilhändler? Zeit, zur Vernunft zu kommen.
»Andererseits hat der Gedanke was für sich«, murmelte Sia. Ryk zuckte ein zweites Mal zusammen und begann, sich anzuziehen, um überhaupt etwas zu tun.
»Hat er?«
Hoffentlich hatte seine Frage nicht allzu viel von seiner Sehnsucht preisgegeben. Das wäre wirklich sehr ärgerlich.
»Ein Normaler als Geliebter wäre bereit, ein Organ zu spenden, wenn ich eines brauche. Ich glaube, Männer machen aus Liebe einige Dummheiten, oder?«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Ryk heiser und verhedderte sich mit einem Bein in seiner Unterhose. »Nicht alle. Nicht so.«
»Nein?«, echote Sia sanft. »Oder einen Mord begehen, um die Seele der Geliebten zu bewahren?«
Ryk wurde rot. Deutlich spürte er dieses brennende, unangenehme Gefühl im Gesicht. Aber er fühlte sich gerührt. Sie hatte es verstanden. Doch was bedeutete das für sie?
Das mit dieser verdammten Unterhose ist so peinlich!
»Lass mal, ich helfe dir«, flüsterte Sia. Sie stand jetzt neben ihm.
Dann griff sie zwischen seine Beine, die Hand noch ganz weich und fettig von der Salbe, und diesmal strich sie nicht über schorfige Wunden, diesmal umfassten ihre kräftigen Finger den Schaft seines Penis, der plötzlich, unerwartet und erwartungsgemäß unkontrollierbar reagierte.
Es war unbeschreiblich. Ryk schloss die Augen und wollte nicht, dass es jemals aufhörte. Es war … auf unbeschreibliche Weise unbeschreiblich.
»Das sieht gut aus«, flüsterte sie. Der Hauch ihrer Worte in seinem Ohr, das warme Gefühl ihres Atems. Ging er schneller? Nur ein wenig? Definitiv.
Sie war fordernd in ihrer Bewegung, denn sie war Sia.
Sie wusste aber auch, was weh tat und was nicht. Denn auch das machte sie aus.
»Verdammt«, wisperte sie in sein Ohr. »Eine Hybride und ein Normaler. Wir fliegen zu den Sternen. Wir folgen einem irren Traum. Dann dürfte das hier unser leichtestes Spiel sein.«
Und dann spielten sie, weil es sein musste, sein sollte und sie beide es wollten.
Es war nicht leicht. Manche Wunde schmerzte. Manche Bewegung war falsch, manche Berührung unachtsam. Zwei sehr verletzliche Menschen, beide mit ihren Schmerzen, versuchten, sich Freude zu bereiten. Es war dieser Wille, der sie vereinte, und dann waren es ihre Körper, die dem Willen folgten.
Es war sehr seltsam.
Aber es war wunderbar.