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B. M. Abdel-Karim, F. X. Kollmer (Hrsg.)Sustainable Financehttps://doi.org/10.1007/978-3-658-36389-5_3

3. Konzeption und Einflussbereich des Sustainable Finance

Benjamin M. Abdel-Karim1   und Franz Xaver Kollmer1  
(1)
Frankfurt am Main, Deutschland
 
 
Benjamin M. Abdel-Karim (Korrespondenzautor)
 
Franz Xaver Kollmer

Dieses Kapitel fügt die Grundlagen aus Kap. 2 in das übergeordnete Konzept des Sustainable Finance und den daraus resultierenden Einflussbereich ein. Vor diesem Hintergrund wird zunächst das Konzept Sustainable Finance im Sinne der Gesetzgeber und politischen Entscheider vorgestellt (Abschn. 3.1), um anschließend auf die daraus resultierenden Einflussbereich (Abschn. 3.2) einzugehen.

3.1 Konzeption des Sustainable Finance auf Basis der aktuellen Gesetzesentwürfe

Aus den vorangegangenen Kapitel ergibt sich, dass Sustainable Finance im Sinne des Gesetzgebers das Ziel hat, die Volkswirtschaften zu einem nachhaltigen Transformationprozess zu motivieren (Höck und Christian, 2020, S. 85). Im Zentrum der Überlegungen stehen die Banken und Finanzdienstleister, welche durch die gezielte Vergabe von nachhaltig orientierten Finanzprodukten, diesen Transformationsprozess beschleunigen sollen. Dieser Katalysator-Effekt entsteht durch die Schaffung von Transparenz und Bevorzugung von nachhaltigen Finanzierungsprojekten und Finanzprodukten.

In einem funktionierenden Finanzmarktsystem fungieren Banken und Finanzdienstleister als Intermediäre. Das bedeutet, dass Banken und Finanzdienstleister durch die Bereitstellung entsprechender Produkte, Kapital bei Investoren aufnehmen und dieses Kapital den Unternehmern und Selbstständigen für Investitionen in Form von Krediten zur Verfügung stellen. Das Geschäft der Finanzintermediäre besteht darin, aus der Differenz zwischen Kreditzins und Anlagezins einen Profit zu erwirtschaften. Zusätzlich schaffen Banken und Finanzdienstleister durch ihre Funktion als Intermediäre Sicherheit für die beteiligten Akteure.

Dieser Umstand erklärt, weshalb Banken und Finanzdienstleister für eine funktionierende Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung sind und wieso die Gesetzgeber versuchen, diesen Intermediär aufgrund der Relevanz für die einzelnen Volkswirtschaften entsprechend zu regulieren. Im Kontext des Sustainable Finance ergibt sich daraus das besondere Augenmerk der Gesetzgebung auf Banken- und Finanzdienstleister. Die Abb. 3.1 illustriert den Kerngedanken der Finanzintermediäre im Kontext funktionierender Volkswirtschaften.
Abb. 3.1

Die zentrale Idee des Sustainable Finance

Die Abb. 3.1 soll stark vereinfacht die Vergabe von Kapital im einem funktionierenden Finanzmarkt vor dem Hintergrund des Sustainable Finance illustrieren. Ausgangspunkt ist eine Bank als klassischer Vertreter eines Finanzintermediärs (siehe Nr. 1 in Abb. 3.1). Die Bank bietet ihren Kunden, die Kapital anlegen möchten, entsprechende Finanzprodukte an, um über diese liquide Mittel für die spätere Kreditvergabe einzusammeln (siehe Nr. 2 in Abb. 3.1). Der Investor, der sein Geld bei der Bank anlegt, bekommt für seine Geldanlage entsprechende Zahlungsströme (siehe Nr. 3 und 4 in Abb. 3.1). Solche Zahlungsströme für das bereitgestellte Kapital können beispielsweise Dividenden oder Zinsen sein. Die Bank sucht sich entsprechende Investitionsmöglichkeiten, um das Geld der Investoren gewinnbringend anzulegen. Hierzu prüfen Analysten, auf Basis der verfügbaren Daten wie beispielsweise Geschäftsberichte, Produktinformationsblätter und Analysen, entsprechende Firmen (siehe Nr. 5 in Abb. 3.1). Für das skizzierte Beispiel wird angenommen, dass es sich bei diesen potenziellen Firmen um solche handelt, welche Kapital benötigen, um Maschinen und Materialien einzukaufen. Dafür nimmt solch eine Firma bei der entsprechenden Bank einen Kredit auf und zahlt der Bank im Gegenzug die Tilgungsraten und den Kreditzinsen zurück (siehe Nr. 6 und 7 in Abb. 3.1).

Die Besonderheit im Kontext des Sustainable Finance besteht darin, dass durch zusätzliche Offenlegungsauflagen und die zugewiesenen Nachhaltigkeitsratings (siehe Nr. 5 und 2 in Abb. 3.1) die Vergabe von Kapital für nachhaltige Projekte gefördert werden solle. Hierbei sollen beispielsweise unabhängige Ratingagenturen (siehe Nr. 8 in Abb. 3.1) entsprechende Ratings für die einzelnen Firmen und Finanzprodukte zur Verfügung stellen. Die Ratings sollen entsprechend Informationen über Nachhaltigkeit im Sinne der ökologischen ESG-Faktoren aggregieren. Entsprechend dieser Neuausrichtung auf Nachhaltigkeit des Finanzmarktsystems kommt den Aufsichtsbehörden eine besonders bedeutende Rolle zu. Sie müssen in Zukunft prüfen, inwieweit die Finanzmarktteilnehmer die neuen Offenlegungspflichten einhalten. Damit sind die Aufsichtsbehörden angehalten, Kapitalgesellschaften, Banken und Finanzdienstleister zu überprüfen (siehe Nr. 9 in Abb. 3.1).

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die hier vorgestellte Darstellung eine starke Vereinfachung ist. Zudem sind viele Aspekte der Umsetzung bisher nicht ausgereift. Der kritische Leser wird im Selbststudium zu dieser Thematik, die zahlreichen Kritiken bemerken. Exemplarisch sei auf die fehlenden Standards des Verfahrens zum Rating hingewiesen (Dorfleitner et al., 2015). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass eine Vielzahl von Ratings den Markt bestimmen könnten, ähnlich wie die Gütesiegel Problematik aus der Lebensmittelindustrie. Die Aussagekraft der Gütesiegel in der Lebensmittelindustrie ist allgemein hin bekannt. Eine vergleichbare Umsetzung würde die Durchsetzung der edlen Ziele des Sustainable Finance deutlich bedrohen. Ungeachtet der Bedenken, dessen tiefere Diskussion die Zielsetzung des Buches verfehlen würde, widmet sich das nächste Kapitel der Betrachtung der möglichen Einflussbereiche.

3.2 Einflussbereiche des Sustainable Finance

Aus der oben genannten Darstellung des Sustainable Finance (Abschn. 3.1) ergibt sich in Konsequenz die potenziellen Einflussbereiche auf die verschiedenen Gebiete des Finanzmarktes. Dieses Kapitel möchte einen Überblick über diese potenzielle Einflussbereiche geben. Aus der Sicht einer deduktiven Betrachtung, vom Oberbegriff des Sustainable Finance abgeleitet, ergibt es Sinn, sich zunächst auf den Einfluss auf bestehende Gesetzen und Regulator zu fokussieren.

Auf Basis der Ausführungen in Abschn. 2.​2 kann der EU-Aktionsplan mit seinen Kernpunkten als zentraler Treiber für die Umsetzung des Sustainable Finance im Sinne der Gesetzgeber aufgefasst werden. Diese Annahme führt dazu, dass dieser Aktionsplan in seiner schrittweisen Umsetzung auf bestehenden Gesetze fußt und damit auf diese Gesetze Einfluss nehmen wird. Dies ergibt sich insbesondere aus den vorgesehenen Punkten zur Einbeziehung der Aufsichtsbehörden und die Anpassungen der Berichtspflichten. Im Speziellen soll die Offenlegungsverordnung (offizieller Titel ist: Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor) auch bekannt als Sustainable Finance Disclosure Regulation (FFDR) die Reportingpflichten um den Aspekt der Nachhaltigkeit erweitert werden. Der Einfluss dieser Verordnung zeigt sich dadurch, dass die Gesetzgeber die bestehenden Offenlegungspflichten um die Nachhaltigkeitsaspekte von Produkten, Prozessen und Strategien ausbauen. Diese Offenlegungspflichten greifen damit in nahezu alle vorvertraglichen und vertraglichen Dokumente, sowie Geschäfts- und Jahresberichte von Banken und Finanzdienstleister ein.

Im Zusammenhang mit der Offenlegungsverordnung rückt die Benchmarkverordnung in den Blickpunkt. Dieses Regelwerk regelte bisher die Rechte und Pflichten für Benchmarks, wie beispielsweise die Indizes für Aktien und Anleihen. Die Benchmarks dienen als Vergleichsindikatoren für die Finanzmarkteilnehmer. Bekannte Vertreter im deutschen und angelsächsischen Raum sind exemplarisch der Deutscher Aktienindex (DAX) oder der Standard & Poor's 500 (S&P 500). Die Zielsetzung der Benchmarkverordnung ist die Sicherstellung für die Finanzmarkteilnehmer, dass diese Vergleichsindikatoren zuverlässig und vertrauenswürdig sind. Durch die Ausrichtung auf die Nachhaltigkeitsaspekte soll dieses Regelwerk angepasst werden, sodass den Finanzmärkten entsprechende Benchmarks im Sinne der Nachhaltigkeit zur Verfügung gestellt werden. Während die Offenlegungsverordnung zum Zeitpunkt der Erstellung des Buches relativ weit voran geschritten war, fehlte eine detaillierte Ausarbeitung für die Benchmarkverordnung im Hinblick auf Nachhaltigkeits-Benchmarks.

Durch die Fokussierung auf die Nachhaltigkeit im Finanzmarktsystem werden nicht nur die Benchmarks, sondern auch die Fonds beeinflusst. Vor diesem Hintergrund sind mit der Anpassung in der OGAW-Richtlinie (offizieller Titel ist: Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)) zu rechnen. Dieses Rahmenwerk regelt unter anderem die Pflichtinformationen für Anleger (Produktinformationsblätter). Durch die oben beschriebenen Offenlegungsverordnung ist also davon auszugehen, dass auch solche Informationen, im Sinne der Nachhaltigkeit und ESG-Kriterien den Investoren zur Verfügung gestellt werden sollen. Im Kern ist die OGAW-Richtlinie EU Recht. Dies bedeutet, dass entsprechende Anpassungen in nationales Recht übertragen werden, wie beispielsweise das Investmentgesetzt und Kapitalanlagegesetzbuch. Praktisch müssen in naher Zukunft Banken und Finanzdienstleister ihre Produkte im Sinne der Nachhaltigkeitsaspekten in den Produktbeschreibungen darstellen.

Ausgehend von den OGAW-Richtlinien wird analog die AIFM-Richtlinie (offizieller Titel ist: Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010) von Anpassungen betroffen sein.

Im Sinne der Anlageregulierung ist ebenfalls das MiFID zu sehen (Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates). Bei MiFID (spätere Form MiFID II) handelt es sich im Kern um eine Regelwerk, das die Investitionen über regionale Grenzen hinweg im gesamten europäischen Raum ermöglichen soll. Damit reguliert das Gesetz des Risikoprofils eines Anlegers, die Rahmenbedingungen für die Handelsausführung, die Auflagen zur Dokumentation und die Archivierung der Dokumentation.

Auf Basis der oben beschreibenen Gesetzesgrundlagen zeigt sich politische Sensibilität für die Risiken des Klimawandels und die damit übernommene Verantwortung (vgl. Dikau und Volz, 2021, S. 1). Allerdings stellt sich damit die Frage, wer mit der Überwachung und Kontrolle der oben beschriebenen Gesetzesanpassungen beauftragt wird. Der Forschungsbeitrag von Dikau und Volz (2021) zeigt, dass diese Frage nicht abschließend geklärt ist. Von den 135 untersuchten Zentralbankmandaten sind nur 16 mit Mandaten betraut, die mit Aufgaben der nachhaltigen Finanzwirtschaft zusammenhängen. (vgl. Dikau und Volz, 2021, S. 1). Zweifellos ist die primäre Aufgabe einer Zentralbank für die Preisstabilität zu sorgen. Daher ist zunächst einmal strittig, inwieweit die Überlegung des Sustainable Finance ebenfalls den Zentralbanken zugeschrieben werden können. Allerdings ergibt sich bei näherer Betrachtung die Tatsache, dass die Folgen des Klimawandels die Preisstabilität mit hoher Wahrscheinlichkeit bedrohen werden. In Konsequenz scheint es daher sinnvoll, die zentralen Organe der Finanzmärkte mit Mandaten zur Prävention zu betrauen.

Allerdings kann an dieser Stelle kritisch angemerkt werden, dass die Betrauung von Zentralbanken ebenfalls Gefahren bringt. Ein Beispiel hierfür ist die Kritik an den Anleihen Kaufprogrammen der Federal Reserve (US amerikanische Notenbank) und Europäischen Zentralbank (EZB) zu nennen. Nach der Meinung einiger Experten1 sei das Aufkaufen von Anleihen durch die Notenbank in dem aktuellen Umfang indirekte Staatsfinanzierung, was nach dem Gesetz verboten sei. Ungeachtet der Kritik ergibt sich jedoch, dass die Überwachung und implizierte Förderung der Finanzmittelvergabe, speziell an nachhaltige Projekte, sinnhaft erscheint. Die nationalen und übernationalen Zentralbanken könnten auf der Makroebene als zusätzliche Katalysator fungieren, um durch entsprechende Anreize die Umsetzung bei Banken zu fördern.

Allerdings zeigt sich auf der Seite der Banken und Finanzdienstleister ein wachsendes Bewusstsein für die kommenden Veränderungen, durch die Beteiligungen an Risikobewertungs- und Berichterstattungsinitiativen (vgl. Weston und Nnadi, 2021, S. 2). Einige Initiativen sind beispielsweise die FTSE4Good Index Series, oder die The Global Reporting Initiative. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass die Internationale Organisation für Normung begonnen hat, erste Normierungen zu schaffen, um mit Hilfe der Normen ISO 144001 und ISO 26000 erste Kriterien für das Qualitätsmanagement der Unternehmen im Kontext der Nachhaltigkeit bereitzustellen (vgl. Kimbro, 2013, S. 103). Bei den vorangegangen Beispielen handelt es sich um erste Ansätze die Nachhaltigkeitsperspektiven zu erfassen und quantifizierbar zu machen. Die Motivation für diese Ansätze, liegt zum Zeitpunkt der Erstellung des Buches darin begründet, dass es von den Gesetzgebern noch keine klaren Anleitungen und Vorgaben hierzu gibt.

Aus den erwarteten Anpassungen der Gesetzgebungen ist ersichtlich, dass Banken und Finanzdienstleister sämtliche Aktivitäten, Prozesse und Produkte entsprechend der Nachhaltigkeit erfassen müssen. Die Erfassung der Informationen führt zu zahlreichen Herausforderungen. Im Detail werden diese Herausforderungen im nächsten Kapitel besprochen.