M it meinem Zeug im Arm stoße ich die Tür zur Frauendusche auf. Wasser rauscht, Dampf erfüllt den Raum, und Stimmen hallen von den Kacheln wider. Es gibt hier ein Dutzend Kabinen, die Türen sind alle geschlossen. Ich hoffe, das heißt nicht, dass auch alle Duschen besetzt sind. Die Türen enden etwa dreißig Zentimeter über dem Boden, aber anstatt mich zu bücken und nach Füßen Ausschau zu halten, drücke ich testweise gegen die Kabinentüren. Schon die zweite gibt nach.
Meine Klamotten kleben an mir wie Pattex. Nur unter Anstrengung und ziemlichen Verrenkungen kann ich mich aus dem Bustier quälen und schließlich die engen Leggings herunterpellen. Zusammen mit meiner Unterwäsche stopfe ich alles in den Beutel und hänge ihn am Türhaken auf, bevor ich den Hahn aufdrehe. Das Wasser aus der Brause ist sofort heiß und prasselt kräftig auf meinen Kopf. Oh Gott, meine Muskeln sind steinhart, und die Hitze tut einfach nur gut.
Neben mir diskutieren zwei Frauen laut über ihr Training und verlassen dann gemeinsam ihre Duschkabinen. Ich spüre einen Luftzug an meinen Füßen, als die Tür zum Vorraum aufgeht. Die Tür fällt ins Schloss. Kurz darauf geht sie wieder auf, und ein kalter Hauch streift meine Waden.
«Aubree?»
Was. Macht. Er. Hier?
«Bist du hier drin? Du hast dein Handtuch vergessen.»
«Was?» Panisch drehe ich die Dusche ab und schüttele mir das Wasser aus den Ohren. Ich gucke an meinem nackten Körper runter und dann auf mein Handtuch, das innen am Haken hängt.
«Dein Handtuch, Aubree. Streck mal den Fuß unten raus, damit ich weiß, wo du bist, dann reiche ich es dir unter der Tür durch.»
Ich habe mein verdammtes Handtuch nicht vergessen. Was zum Teufel …?
«Hey», ruft eine Frauenstimme, und ich könnte schwören, dass das Claire ist. «Das ist die Frauendusche, du Schwachkopf! Verpiss dich.»
«Sorry, Ladys», erwidert Noah. «Ich bringe nur schnell meiner Trainingspartnerin ihr Handtuch, okay? Bleibt einfach für zehn Sekunden in den Kabinen, ich bin sofort wieder weg.»
«Ich gebe dir zwei, Arschloch!», ruft eine weitere Stimme. «Und dann benutze ich dich als Sandsack, ist das klar?»
Nora?
«Glasklar.»
Ist er irre? Und noch viel wichtiger: Hat er keine Angst, dass er seinen Job verliert und, keine Ahnung, wegen Spannens angezeigt wird? Will er mir wirklich nur ein Handtuch bringen? Und drehe ich gerade durch? Ich reiße mir das eindeutig nicht-vergessene Handtuch vom Haken und wickle es mir hastig um den Leib. Dann strecke ich meinen Fuß unter der Tür durch und wackle mit den Zehen. «Ich bin hier», quietsche ich.
Ich beiße mir auf die Lippe, meine Hände flattern nervös durch die Luft. Und da klopft es auch schon an der Kabinentür. Verdammt, oh verdammt. Dann drehe ich mit einem noch schlimmeren Fluch auf den Lippen den Riegel auf. Sofort schiebt Noah sich zu mir in die enge Kabine. Und er hat auch nur ein Handtuch um seine Hüften gewickelt. Wasser tropft aus seinem nassen Haar und rinnt über seinen Oberkörper.
«Okay, Ladys, die Luft ist wieder rein.» Er grinst mich an und knallt extra laut die Tür zu, bevor er den Riegel vorschiebt.
Ich starre ihn mit gerunzelter Stirn und weit aufgerissenen Augen an. Du bist verrückt , formt mein Mund lautlos, und ich schüttele energisch den Kopf. Man hört doch, dass er nicht rausgegangen ist.
«Ist der Typ weg, Aubree?», ruft Claire. «Ich hab keine Tür gehört.»
«Ja», schreie ich viel zu schrill. «Er ist weg. Alles gut.»
«Verdammt, manche Typen haben echt keinen Sinn für Anstand.» Ich kann hören, wie sie vor sich hin murmelt und dann irgendwas auf ihre Ablage knallt.
«Ich hatte versprochen, dir unter der Dusche meine Tattoos zu zeigen», wispert Noah fast tonlos. «Schon vergessen?»
Nein, das habe ich nicht vergessen. Aber jetzt? Hier? Die Kabine ist so winzig, dass wir uns gegenseitig beinahe auf die Füße treten. Ich bin immer noch unschlüssig, ob ich Noah rauswerfen soll oder nicht, da greift er hinter mich und dreht den Wasserhahn wieder auf. Sofort schießt das Wasser aus dem Duschkopf. Reflexartig reiße ich mein Handtuch herunter, damit es nicht nass wird, und werfe es auf die Ablage.
Noahs Augen weiten sich überrascht. Wow, das war einfacher, als ich dachte , formt sein Mund.
Ich gebe ein gequältes Stöhnen von mir. Es wäre leichter, wenn er mich in den Arm nehmen würde, aber das macht er nicht, deshalb verschränke ich die Arme vor dem Körper. Was natürlich nicht funktioniert, weil mir ein paar Hände fehlen, um mich wirklich zu bedecken. So zierlich bin ich nun auch wieder nicht.
Noah grinst mich frech an. Um seine Augen bilden sich Fältchen. Hallo, Aubree.
Und obwohl ich seine Stimme, sein warmes Timbre nicht höre, ziehen sich dabei alle Muskeln in meinem Unterleib zusammen.
Idiot. Aber das meine ich nicht ernst, und das weiß er auch. Das Wasser läuft mir über den Rücken, während ich darauf warte, was Noah jetzt tut. Schließlich streckt er den Arm aus, und ich halte die Luft an. Aber sein Arm greift an mir vorbei, und im nächsten Moment hält er mir ein Stück Seife vor die Nase. Das war der Deal. Er zeigt mir seine Tattoos und darf mir im Gegenzug dabei zusehen, wie ich mich einseife. Aber ich kann mich nicht erinnern, zugestimmt zu haben. Woran ich mich hingegen viel zu gut erinnere, ist das, was er danach gesagt hat:
Und dann will ich sehen, wie du kommst.
Aber das war, bevor er wusste, dass ich noch Jungfrau bin.
Mein Puls rast. Ernsthaft?
Er nickt, aber als ich danach greifen will, zieht er den Arm wieder zurück. «Ich will dich berühren, Aubree», raunt er mir durch das Wasserrauschen zu. «Aber wenn das zu viel ist, sag nur ein Wort. Soll ich gehen?»
Oh Gott. Er will mich waschen? Ich schlucke hart, dann schüttele ich den Kopf. Die Situation überfordert mich gerade ziemlich, aber einer Sache bin ich mir sicher: «Nein. Bleib.»
Ein Glitzern tritt in Noahs Augen, und er beugt sich zu mir, um mir ins Ohr zu flüstern. «Kannst du leise sein?»
Was? Wieso? Wobei denn? Beim Duschen?
Denkt er, ich singe gleich?
Verdammt, ich bin völlig überdreht, und mein Herz gerät außer Kontrolle. Dann kapiert mein benebeltes Hirn endlich, worauf er hinauswill, und ich schüttele hastig den Kopf.
Nein. Nein, auf keinen Fall!
Oh Gott, denkt er jetzt, dass ich normalerweise laut rumstöhne oder so was? Aber offenbar erkennt Noah die Panik in meinem Blick, denn er nickt ganz langsam. Okay, entspann dich. Mach die Augen zu.
Seine Hand wischt sanft über mein Gesicht, und ganz automatisch schließe ich dabei die Lider. Er lässt die Hand über meinen Augen liegen und streift mit seinen Lippen meine Wange. Bei dieser Berührung ziehen sich meine Brustwarzen kribbelnd zusammen.
«Ich glaube, ich hasse dich», flüstere ich und kann hören, wie Noah ein Lachen unterdrückt. Verdammt, ich hoffe, ihm fällt die Seife runter. Oh Gott, nein, hoffentlich fällt sie ihm nicht runter. Denn wenn sie runterfällt, müsste er sich danach bücken, und dann wäre sein Kopf genau auf Höhe … Scheiße, Scheiße, Scheiße, bete ich stumm, lass einfach die Seife nicht fallen, verdammt. Das hat man davon, wenn man plastikfrei einkauft und kein Duschgel benutzt.
Noah nimmt die Hand von meinen Augen weg, aber ich kneife sie weiterhin fest zusammen. Einen Moment passiert gar nichts, dann spüre ich eine Berührung am Arm und Noahs Finger, die sich mit meinen verschränken. Seine sind warm und glitschig von der Seife. Er hält mich nur fest. Irgendwann nimmt er die andere Hand hinzu und fährt mit beiden über meinen Ellbogen nach oben, reibt dann über meinen Oberarm, knetet sanft meine malträtierten Muskeln bis hin zur Schulter.
Noah nimmt sich meinen anderen Arm vor und wiederholt dieselbe Abfolge, was seltsam beruhigend auf mich wirkt. Verlässlich. Dann lässt er mich los. Ich kann hören, wie er sich erneut die Seife nimmt, bevor er mich umdreht und mit flachen Händen über meinen Rücken streicht. Oh verdammt, er ist wirklich gut. Seine Berührung ist nicht leicht, sondern er übt einen steten, genau richtigen Druck aus. Ich entspanne mich immer mehr. Vor allem, da mein Rücken eine ziemlich unverfängliche Körperstelle ist. Zumindest solange er oben bleibt. Aber schließlich fahren seine Hände über meinen Po. Ich versteife mich, doch er verweilt dort nicht, sondern wäscht mich wirklich nur. Das ist okay. Es ist voll okay, damit kann ich umgehen. Ich kann es tatsächlich genießen. Bis zu dem Moment, wo er einfach die Regeln ändert, und seine Hände über meine Taille nach vorne gleiten und meine Brüste umfassen. Oh wow.
Ich lege den Kopf zurück und stoße gegen Noahs Schulter. Sein Oberkörper berührt meinen Rücken, und seine Härte drückt von hinten gegen mein Gesäß. Nur sein nasses Handtuch trennt uns noch voneinander. Es ist nicht zu leugnen, dass ihm ziemlich gut gefällt, was wir hier tun. Seine Finger streicheln von meinen Brüsten über meinen Bauch und zu meinen Hüften. Und dann lässt er mich los und tritt einen Schritt zurück.
Ich öffne den Mund, will ihn fragen, was er tut, da beugt Noah sich an mein Ohr. «Aubree», raunt er leise. «Ich werde mich jetzt hinknien.»
Zischend ziehe ich die Luft zwischen die Zähne und kämpfe gegen den plötzlichen Fluchtreflex an. Es ist Noah, sage ich mir. Wenn mir irgendwas nicht gefällt, kann ich ihm das jederzeit sagen, und er wird aufhören, sofort. Das weiß ich.
Langsam atme ich aus, als Noahs Hände meine Fesseln umschließen. Er hebt meinen Fuß an, und ich gebe ein erschrecktes Quieken von mir, weil ich fast das Gleichgewicht verliere. Mit der Hand taste ich um mich und stütze mich schließlich an Noahs Schulter ab, während ich immer noch die Augen zukneife. Oh Gott, er wird doch nicht …
Nein. Er tut es nicht. Stattdessen … wäscht er meine Füße. Er wäscht mir allen Ernstes die Füße. Ich weiß nicht, wohin mit meiner Verlegenheit. Heilige Scheiße, ich will nicht wissen, was er grad alles sieht, weil meine Beine in dieser Position leicht gespreizt sind. Atmen, Aubree. Das ist doch gar keine so große Sache, oder?
Oh Gott, doch, das ist es!
Ich kann kaum ertragen, dass er jetzt vor mir hockt und meine Füße einseift. Das ist so … so … demütig . Das ist nicht das, was ich von Noah erwartet habe. Mein Brustkorb zieht sich zusammen, als er auch meinen anderen Fuß anhebt.
«Noah.» Ich berühre ihn am Kopf, und er greift nach meiner Hand, um einen schnellen Kuss daraufzudrücken, dann konzentriert er sich weiter auf meine Beine. Er stellt meinen Fuß wieder ab, und seine Finger kreisen über meiner Kniescheibe, meinen Kniekehlen, dann gleiten sie fest über die Außenseite meiner Oberschenkel nach oben. Ich spüre seine Wärme an meiner Seite, als er sich neben mir wieder aufrichtet. Er tritt hinter mich, dabei schiebt er eine Hand flach zwischen meine Schenkel, bis seine Handkante meine Mitte streift. Es ist nur eine Sekunde, aber die reicht aus, um Strom durch meinen gesamten Unterleib zu jagen. Sofort zieht er die Hand fort. Oh wow, ich wünschte, er würde das wiederholen. Vor Sehnsucht nach seiner Berührung gebe ich ein Stöhnen von mir.
«Tut mir leid», flüstert er durch das Wasserrauschen. «Die Seife könnte brennen.»
Ich kann nicht fassen, dass er sich darüber Gedanken macht. Dass er das weiß. Dass er darauf achtet. Mühsam ringe ich nach Atem, als Noah mich zu sich dreht und meinen Kopf dann zwischen seine Hände nimmt. Im Duschraum ist außer unserem Wasserrauschen nichts mehr zu hören. Ist überhaupt noch jemand hier? Ich weiß es nicht.
«Aubree?» Er küsst meine Nasenspitze, meine Wangenknochen, meinen Mund.
«Ja?»
«Mach die Augen auf.»
Ich blinzle, und mein Herz stolpert, als ich sein Gesicht vor mir sehe. In seinen Wimpern hängen Wassertropfen, die ich ihm am liebsten wegküssen würde.
«Ich habe dich angesehen, überall», sagt er.
Oh Gott, ich schließe die Augen sofort wieder.
«Hey», lacht er. Er küsst meine Augenlider. «Mach sie wieder auf. Ich habe alles von dir gesehen, und da ist nichts, was mir nicht verdammt gut gefällt, Bree. Gar nichts. Wir können diese Nummer mit der fucking Verlegenheit jetzt also hinter uns lassen, okay?»
«Okay», krächze ich.
«Dann sieh mich endlich an.»
Nach einem Moment öffne ich die Augen wieder. Noah lächelt, dann ergreift er meine Hand und legt die Seife hinein. «Jetzt du.»
Jetzt du . Mein Herz stolpert nun nicht mehr nur, es setzt ganz aus. Ich habe das Gefühl, ich brauche mindestens einen Boxschlag gegen den Brustkorb, um es wieder in Gang zu bringen.
Meine Finger legen sich so vorsichtig um die Seife, als wäre es eine Handgranate. Aber in die Aufregung mischt sich auch Vorfreude. Denn ich hatte gehofft, dass das kommt. Dass Noah mir die Kontrolle überlässt. Und wenn ich ihn jetzt noch dazu bringe, dass er auch die Augen zumacht, wird mir das ziemlich viel Spaß machen, glaube ich. Dennoch bin ich nervöser als vor meiner ersten großen Sprechrolle. Nervöser als vor jeder Prüfung. Nervöser als überhaupt jemals zuvor.
«Level 1», sage ich.
«Muss das sein? Ich will dein Gesicht ansehen.»
«Aber ich will dabei allein sein.»
Noah verschluckt sich und fängt an zu lachen. «Wie allein?»
«Na ja», gebe ich verlegen zurück. «Allein im Sinne von unbeobachtet, meine ich. Allein mit deinem Körper. Wenn das irgendwie einen Sinn ergibt.» Ich werde rot.
«Scheiße, jetzt fühle ich mich benutzt.»
«Mach einfach die Augen zu, Noah, okay?»
Er schließt die Augen. «Kann aber sein, dass ich zwischendurch mal blinzeln muss.»
«Kann sein, dass du dann aus Versehen Seife ins Auge bekommst.»
Er seufzt ergeben. «Du bist gemein.»
«Tja», sage ich. «Das Leben ist hart.» Mir wird klar, was ich gesagt habe, als Noah ein Ächzen von sich gibt.
«Nicht. Dieses. Wort. Bree.»
«Tut mir leid.»
«Fuck, ich will dich. Ich will dich jetzt an der Wand nehmen. Ich …»
Ich halte ihm erschrocken den Mund zu, weil plötzlich die Tür aufgeht. Badeschuhe schlappen über den Boden an unserer Kabine vorbei. Eine Kabinentür knarzt, aber dann kommen die Schritte wieder zurück.
Panisch halte ich den Atem an, was idiotisch ist, weil der Riegel vorgelegt ist und niemand in die Kabine reinkommen kann. Vielleicht hat jemand einfach nur was vergessen. Eine Haarspange, Autoschlüssel, eine Shampooflasche …
Als die Schritte sich wieder entfernen und der Luftzug mir verrät, dass die Tür aufgezogen wird, lasse ich langsam wieder den Atem aus den Lungen entweichen. Noah blinzelt mich an.
«Level 1», erinnere ich ihn.
Mit einem Seufzen gibt er nach, und ich schäume die Seife in meinen Händen auf. Noahs Körper ist angespannt, und aus einem Impuls heraus beuge ich mich vor und küsse ihn sanft auf den Mund. Sofort legt er seine Arme um mich, aber ich schiebe sie beiseite.
«Level 2», sage ich entschieden.
Noah stöhnt frustriert, aber er legt die Arme auf den Rücken.
Oh, ich werde das hier genießen. Geradezu zelebrieren. Ich werde mir jedes einzelne seiner Tattoos anschauen. Wobei wir beide wahrscheinlich erfroren sind, bevor ich damit fertig bin.
«Ist dir kalt?», frage ich ihn, als meine Finger sanft an seinem Bauch nach oben gleiten und er eine Gänsehaut bekommt.
«Nein», raunt er. «Mach weiter.»
Mit den Fingerspitzen kreise ich um den Pferdekopf auf seinen Rippen und massiere die Seife in seine Haut. Ich würde ihn gerne fragen, ob das ein Bild von Ebony ist, aber die schmerzhafte Erinnerung würde den Moment kaputt machen, und das will ich nicht. Neben Ebony ziehen sich Bergspitzen über seine Brust, und auf der anderen Seite ist ein dunkles Meer. Schwarze Wellen mit hellen Schaumkronen, darunter die Worte She can lead you to love, she can take you or leave you. Der Songtext kommt mir bekannt vor, es ist was Älteres, glaube ich. Aber von wem die Zeilen auch stammen, sie klingen schmerzvoll. Als hätte ihm jemand das Herz gebrochen. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter, weil ich nicht darüber nachdenken will. Aber dann streiche ich über die Worte und frage ihn doch. «Ist das von Billy Joel?»
Noah nickt wortlos.
Über seine Bauchmuskeln, oberhalb der Stelle, wo ich neulich schon die Songzeile von BANKS und die von YUNGBLUD entziffert hatte, zieht sich ein Wolfsgesicht mit einem leuchtend hellen Mond, umgeben von Wald. Derselbe Wald wiederholt sich auf Noahs rechtem Arm. Die Tannenspitzen sind so realistisch dargestellt, dass ich fast meine zu sehen, wie die Zweige sich im Wind bewegen. Und da sind Musiknoten, viele Musiknoten, ein ganzes Lied. Ich will wissen, was das für ein Stück ist, aber das frage ich ihn später. Nicht jetzt, wo er fast nackt und mit geschlossenen Augen vor mir steht. Sein linker Arm ist im Gegensatz zum rechten nicht vollständig tätowiert. Auf dem Oberarm ist ein Rabe mit abgespreizten Flügeln zu sehen, Ornamente schlängeln sich darum.
Als ich seinen Oberkörper eingeseift habe, stelle ich mich hinter Noah und mache mit seinem Rücken weiter, dabei prasselt mir das Wasser nun selbst auf den Rücken. Auf der Hinterseite seines linken Arms, über der rauen Stelle seines Ellbogens, die ich so mag, flattern drei kleine Drachen, jeder nur so groß wie mein Daumen, und darunter stehen die lateinischen Worte hic sunt dracones . Hier sind Drachen. Ich weiß, dass man so was früher auf die weißen Stellen von Landkarten geschrieben hat, aber ich weiß nicht, was es für Noah bedeutet.
Von hinten umfasse ich seine Taille, schließe die Arme um seinen Bauch, presse mich an seine Rückseite und schmiege meine Wange an sein Schulterblatt. Genau dort, wo in einer Schreibmaschinenschrift das Wort forgive steht. Der Gedanke ist absurd, aber ich kann mich nicht dagegen wehren. Es ist dieselbe Stelle, an der bei einem Engel die Flügel wachsen würden. Und dieses Tattoo … als hätte er sich dort selbst verletzt, die Flügel abgeschnitten und dafür eine Entschuldigung hinterlassen.
Ich lasse meine Hände langsam an seinem Bauch hinabgleiten und greife nach dem Handtuch. Noah spannt sich an, und ich warte, bis ich spüre, dass er die Muskeln wieder lockert. Dann atme ich einmal tief durch, ziehe das Handtuch weg und lege es zu meinem auf die Ablage.
An seiner Seite stelle ich mich auf die Zehenspitzen, meine Brust drückt sich gegen Noahs Oberarm, als ich in sein Ohr wispere: «Ich werde mich jetzt hinknien.»
Noah erstarrt wieder. Ich könnte schwören, dass er auch leise knurrt, doch vielleicht wünsche ich mir das nur.
Mit nackten Füßen tapse ich ganz um ihn herum, und kaum gehe ich vor ihm in die Knie, hält er sich eine Hand vor den Schritt. Oh verdammt, das ist so heiß, dass meine Kehle ganz trocken wird. Mir ist klar, dass er das nicht aus Scham macht. Noah fühlt sich ganz offensichtlich ziemlich wohl in seiner Haut. Aber er ist rücksichtsvoll, und das lässt ein tiefes Gefühl der Zärtlichkeit durch meinen Körper strömen. Mit wild pochendem Herzen seife ich seine Füße ein, genauso, wie er das bei mir gemacht hat. Aber ich halte mich nicht so lange damit auf, streichle seine Schienbeine, seine Waden und lehne mich beim Aufrichten kurz an ihn. Mein Gesicht berührt seinen Oberschenkel, ich gleite mit Nase und Mund daran entlang, über seinen Bauch, bis ich an seinem Brustbein und schließlich seinem Hals ankomme. Meine Brustwarzen berühren ganz leicht seinen Oberkörper, und ich lasse meine Finger an seiner Leiste nach unten streichen, schiebe seine Hand sanft beiseite und lege meine warme Handfläche an seine Erektion.
Noah hat die Augen immer noch geschlossen, aber er hat seine Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt und atmet schwer. Meine Finger schließen sich zu einer Faust. Oh Gott, die Seife ist so glitschig, dass ich gar nicht anders kann, als meine Hand an ihm auf und ab zu bewegen.
«Fuck», presst Noah durch die Zähne, und ich muss lächeln.
Aber als er nun die Augen aufmacht, vergeht mir das Lächeln, weil der intensive Blick, mit dem mich ansieht, sich bis in meine Seele brennt.
Dieser Blick.
So dunkel, so tief. Ein grünes Meer, in dem ich versinken könnte.
Noah bewegt seine Hüfte und kommt meiner Faust entgegen. Einmal, zweimal. Sein Brustkorb hebt und senkt sich angestrengt, dann ziehen sich seine Brauen zusammen, und er hält plötzlich inne, packt meine Handgelenke. Drückt so fest zu, dass ich ihn überrascht loslasse.
«T…tut mir leid. Habe ich was falsch gemacht? Ich …»
Noah zieht mich an sich und verschließt meinen Mund mit seinen Lippen. Er schiebt uns beide unter den Wasserstrahl, der sofort die Seife von uns abwäscht. Dabei ist alles an ihm fordernd. Sein Kuss längst nicht mehr sanft. Er besteht aus seiner heißen Zunge, aus Zähnen, aus Saugen. Mit einem Stöhnen lässt er dann von mir ab, vergräbt sein Gesicht an meinem Hals. Ich kann das Grollen spüren, das seinen Brustkorb vibrieren lässt, und immer noch die Härte, die sich gegen mich presst, was sich so verführerisch anfühlt, dass ich ganz automatisch weich werde, nachgiebig, meine Beine weiter spreize.
Als Noah plötzlich von mir abrückt und das Wasser abstellt, kann ich ihn für einen Moment nur verständnislos anstarren. Sein Blick ist gesenkt, während er für einige Sekunden einfach nur atmet. Ich bekomme eine Gänsehaut, weil das Wasser uns nicht mehr wärmt und er mich nicht mehr festhält. Unsicherheit droht, mich zu überwältigen, aber dann beschließe ich, Noah dankbar sein. Das hier ist schließlich eine öffentliche Dusche, und er hat das im Gegensatz zu mir nicht vergessen.
Also ziehe ich mit einem Seufzen das Handtuch von der Ablage und wickle mich darin ein, obwohl es so feucht ist, dass ich mich damit kaum noch abtrocknen kann. Weil Noah sich immer noch nicht rührt, lege ich ihm sein Handtuch um die Hüften und lächle ihn verlegen an.
«Ich … ich fand es sehr schön, mit dir zu duschen», sage ich, und sein Blick schießt zu mir. «Aber, Noah …»
«Ja?», keucht er.
«Kannst du mich vielleicht einfach …» Oh Gott, ist das blöd? Ich schlucke. Ganz bestimmt ist es blöd. Ich hoffe nur, er hält mich nicht für total bescheuert. «Kannst du mich jetzt einfach ganz fest an die Wand drücken?»
«Ich soll … was?»
«Mich an die Wand drücken.» Wieder beiße ich mir auf die Lippe.
«Du bist … Aubree.» Er schüttelt den Kopf, und dann lächelt er. Mit beiden Händen umrahmt er mein Gesicht und küsst mich. Und dann macht er genau das, was ich von ihm will. Er presst mich an die Wand, bis ich die kalten Fliesen in meinem Rücken spüre. Verdammt, er drückt mich mit seinem ganzen Körper so fest dagegen, dass ich sogar jede Fuge spüre, wahrscheinlich habe ich gleich ein Muster auf dem Rücken.
Oh Gott, ich liebe es.
Aber nach einer Weile wird Noah weicher, hält mich weiterhin im Arm, aber nicht mehr so fest. Er hört nicht auf, mich zu küssen, aber es ist nicht mehr so drängend, sondern unendlich süß, zärtlich, weil ein leises Lachen in seinem Kuss mitschwingt.
Und ich merke, dass er es jetzt ist, der nicht mehr damit aufhören kann. Er kann auch nicht mehr aufhören zu lächeln.