W
ir haben uns so lange geküsst, bis wir von allein getrocknet sind, und dann immer noch nicht damit aufgehört. Keine Ahnung, wie lange wir so in der Dusche standen und uns festhielten, aber irgendwann ging das Licht aus, und Noah stieß einen Fluch aus.
«Fuck. Okay, wenn wir hier nicht eingeschlossen werden wollen, dann sollten wir jetzt verschwinden.»
Ich scheuche Noah nach draußen, während ich mit fliegenden Händen meine Wechselsachen aus dem Beutel reiße, in Jeans und T-Shirt schlüpfe und auch den Sweater überstreife. Hoffentlich habe ich meine Klamotten richtig rum an, ich kann im Dunkeln nämlich überhaupt nichts sehen.
Zum Glück geht kurz darauf, das Licht wieder an, sodass ich meine Schuhe, die ich vorhin in der Umkleide habe stehenlassen, nicht blind herumtastend suchen muss.
Noah wartet draußen schon auf mich, als ich in den großen Saal komme. Der Boxclub ist tatsächlich komplett leer, und als wir nach vorne gehen, sieht uns der Typ am Tresen, der irgendwelche Flaschen und anderes Zeug auffüllt, nur mit hochgezogenen Brauen an. Der Wortwechsel zwischen Noah und ihm fällt kurz aus.
«Wells.» Noah nickt ihm zu.
Wells grinst und hebt eine Hand. «Seid ihr fertig? Kann ich das Licht dann wieder ausmachen?»
«Klar. Wir sehen uns.»
Danach stehen wir auf der Straße. Mein Auto sieht im Licht der Straßenlaterne noch schäbiger aus als ohnehin schon. Vielleicht sollte ich es doch Cora nennen. «Willst du mit mir fahren?»
«Ich hab mein Rad hier.» Noah nickt zu den Fahrradständern vor dem Eingang.
Wir könnten versuchen, sein Fahrrad in den Kofferraum zu bugsieren. Oder ich könnte Cora hier stehenlassen und einfach mit ihm zu Fuß gehen. Oder ich könnte mich auch einfach hier von ihm verabschieden, weil … weil ich verdammt noch mal völlig vergessen habe, dass Jenna heute Abend vorbeikommen wollte.
«Mist», sage ich. «Ich habe Jenna vergessen. Wir waren eigentlich verabredet.» Ich ziehe mein Smartphone aus der Tasche und sehe, dass sie mich schon angerufen hat. Und da ist auch eine Nachricht von Ivy.
Ivy:
Jenna und ich fangen schon mal an zu netflixen. Mach dir keinen Stress.
«Schon okay. Ich muss eh noch ein Essay für morgen schreiben.» Noah kramt den Schlüssel für das Fahrrad aus seiner Tasche.
«Worum geht’s denn?» Ich habe kein gutes Gefühl dabei, mit Noah über sein Filmstudium zu sprechen, aber das will ich ihn nicht spüren lassen.
«Um Regisseure. Wen wir besonders bewundern. Ich weiß von
zehn Leuten aus meinem Kurs, die eine verfickte Liebeserklärung an David Lynch schreiben.»
Okay
. Ich atme erleichtert aus. Das hat nichts mit dem zu tun, was meine Mom macht. Aber David Lynch ist gruselig. «Siehst du auch gerne Filme von David Lynch?» Ich hoffe, er sagt nein.
«Fuck, nein. Lieber lasse ich mir von einem Affen die Eier abkauen. Ich könnte eher ein Essay darüber schreiben, warum ich David Lynch hasse.»
Gott sei Dank. «Ich glaube, ich habe außer Mulholland Drive
nichts von ihm gesehen. Danach hatte ich Albträume. Wahrscheinlich habe ich den Film nicht verstanden.»
Er nickt. «Ging mir genauso. Lynchs Hauptthema ist Angst. Ich finde das abartig. Klar, er inszeniert eine Wahnsinnsatmosphäre, die Kameraführung, die Musik, das alles ist irgendwie hypnotisch, als wäre man auf einem Drogentrip …» Er hält inne. «Oder so ähnlich», fügt er schnell hinzu. «Aber Liebe ist bei ihm obsessiv und albtraumhaft, und die ganze Welt frustrierend. Ein beschissenes Labyrinth. Es gibt keine Logik, keine Aufklärung, keinen Sinn. Alles ist surreal und verstörend. Wieso rennt dieser Cowboy da ständig rum?»
«Ich glaube, der war nur symbolisch.»
«Das ist doch scheiße. Ich meine, okay, vielleicht bin ich einfach gestrickt, aber ich will einen Film schon beim ersten Mal kapieren und ihn nicht hundertmal angucken müssen, um irgendwelche verfickten Symbole zu interpretieren. Wahrscheinlich stehe ich deshalb eher auf Games.» Jetzt grinst er.
Es ist süß, wie er sich bei diesem Thema heißredet. «Ich finde, du solltest dieses Hass-Essay über David Lynch schreiben», sage ich.
«Dein Kursleiter wird begeistert sein, wenn er vorher zehn Liebeserklärungen lesen musste.»
«Vielleicht mache ich das.» Noah schiebt die Hände in die Taschen seiner Jeans. «Dann bis morgen.»
Er macht keine Anstalten, mir näher zu kommen, deshalb bleibe ich auch stehen. Morgen werden wir uns nicht sehen. Verlegen hebe ich eine Hand, und meine Fingerspitzen berühren meine Lippen, die sich geschwollen anfühlen. Es ist seltsam, einfach so gute Nacht zu sagen, und ich muss an einen Satz denken, den ich neulich auf Instagram gelesen habe. Als ich noch einen Account hatte. Und mein altes Leben.
Love makes the shy brave and the brave shy.
Noch vor zwei Wochen konnte ich damit nicht viel anfangen. Jetzt ist das anders. Jetzt erkenne ich plötzlich mich selbst darin wieder. Deshalb muss ich den Satz gleich unbedingt in Errol lettern. Auch wenn ich nicht weiß, ob das hier Liebe ist. Oder ob ich vorher mutig oder schüchtern gewesen bin. Und erst recht nicht, was davon ich jetzt bin. Ich weiß nicht, wie mutig ich sein kann, aber ich weiß, dass ich Noah so nicht verabschieden will. Die Distanz zwischen uns überbrücke ich mit zwei Schritten und lege die Arme um seinen Hals, meine Wange an seine.
«Hey», sagt er rau. Er zerrt eine Hand umständlich aus der Hosentasche, dann spüre ich sie ganz leicht an meinem Rücken.
«Ich muss morgen nach New York. Es ist nur für zwei Tage, eine Werbung für Frühstücksflocken. Aber falls du dein Essay schnell fertig bekommst und es noch nicht zu spät ist, dann … also … ich könnte vielleicht noch vorbeikommen.»
Um Sex zu haben. Mit dir.
Oh Gott, dieser Gedanke heult wie eine Sirene durch meinen Kopf, so laut, dass er das einfach hören muss.
Noah nickt erst, dann geht die Bewegung übergangslos in ein Kopfschütteln über. «Da sind noch verdammt viele What ifs
in deinem Kopf, findest du nicht?»
«Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich … also eigentlich …» Ich stammle hilflos, und das vermittelt ihm wohl nicht gerade, dass ich mir sicher bin bei dem, was ich will.
«Ich werde sowieso verdammt lang an diesem Essay arbeiten», versucht er die Zurückweisung abzumildern. Dann gibt er mir einen sanften Kuss auf den Mundwinkel. «Und du kommst ja in zwei Tagen wieder zurück, oder?»
«Ja», sage ich und klinge dabei, als wäre ich zwei Stockwerke nach oben gerannt.
«Gut.» Seine Stimme hört sich genauso an. Als wäre er gemeinsam mit mir die Stufen nach oben gerannt. Und irgendwie sind wir das ja auch. «Wenn du nämlich nicht zurückkommst, dann muss ich nach New York fahren, und damit ich mir das leisten kann, muss ich mir einen zweiten Elvis suchen. Und die Typen gehen mir echt auf den Sack.»
In meinem Brustkorb breitet sich Wärme aus, weil es das Beste ist, was er sagen konnte. «Danke.» Ich löse mich von ihm und gehe die paar Schritte zum Auto. Dort drehe ich mich noch mal um. «Gute Nacht, Noah. Bis in zwei Tagen.»
«Natürlich ist es total unrealistisch», sagt Jenna, als ich mich zu ihnen auf das Sofa werfe. Auf dem Bildschirm flimmert irgendein Actionfilm mit Helen Mirren. Und sie ist in ihrem Alter selbst auf High Heels noch schneller als jeder von uns im echten Leben. Tougher sowieso. Als Entschuldigung dafür, dass ich zu spät bin, habe ich an der Tankstelle drei Becher Eis besorgt.
«Es tut mir total leid», wiederhole ich noch einmal.
«Ist nicht so schlimm. Du hast eine wirklich sehr gute Entschuldigung mitgebracht.» Jenna schnappt sich ihren Eisbecher vom Tisch.
Ivy ist einen Schritt weiter und hat den ersten Löffel schon im Mund. Sie schluckt das Eis hinunter und kichert dann. «Ich schätze, du hast auch ansonsten eine ziemlich gute Entschuldigung, oder, Aubree?»
Mir läuft das Blut so schnell ins Gesicht, als würde ich einen Kopfstand machen. Ich stoße ihr den Ellbogen in die Rippen, und um nicht näher darauf einzugehen, frage ich Jenna nach ihrem Abend gestern bei den NAD
.
Jenna seufzt. «Wir haben nur eine Pressemitteilung für eine Veranstaltung abgesegnet. Nichts Wichtiges. Aber wisst ihr, was mich gerade echt aufregt? Guckt euch das an.» Sie deutet auf den stummen Bildschirm. «Welche Frau rennt denn bitte freiwillig mit hochhackigen Schuhen oder kämpft mit offenen Haaren?»
«Ich nicht», sage ich und deute auf meinen Kopf. «Aber klar, ich würde sie mir zusammenbinden.»
«Ich auch», sagt Ivy. «Und High Heels gehen gar nicht. Ich ziehe die nicht mal an, wenn ich ausgehe. Aber hauptsächlich, weil ich damit nicht richtig laufen kann. Und es ist total unrealistisch in einem Actionfilm. Aber weißt du, was noch unrealistisch ist? Die BHs. Ist jetzt vielleicht ein krasser Themenwechsel, aber in den meisten Filmen oder Serien tragen Frauen beim Sex einen BH
. Macht ihr das etwa?»
«Natürlich nicht», sagt Jenna.
Ich puste langsam aus. «Da kann ich noch nicht wirklich mitreden, wie du weißt.»
«Wieso nicht?», will Jenna wissen.
Ivy leckt ihren Löffel ab und steckt ihn dann grinsend zurück ins Eis. «Ich sage nichts dazu.»
Jennas Blick schießt zwischen Ivy und mir hin und her. «Moment, Leute, ich komme gerade nicht mehr mit.»
Ich rede nicht sonderlich oft darüber, aber es ist mir auch nicht peinlich. Und Jenna vertraue ich, obwohl wir uns erst so kurz
kennen. «Ich bin noch Jungfrau.»
«Aber das ist doch gut.» Jenna nickt mir aufmunternd zu. «Das kann schließlich jeder für sich entscheiden. Bleib so lange Jungfrau, wie du willst. Und wenn du nicht mehr willst, such dir jemanden … na ja, jemanden, dem du etwas bedeutest.» Ihre Mundwinkel ziehen sich nach oben.
Nicht grinsen, Aubree.
Aber, oh Gott, ich kann nicht anders.
«Da rieselt es wieder, das Herzchenkonfetti», sagt Ivy. «Wo ist Errol, ich habe einen Spruch für dich, den du unbedingt aufschreiben musst.»
Während sie Jenna erklärt, wer Errol ist, stehe ich auf und gehe vor dem Tisch in die Hocke, um das Buch und einen Stift darunter hervorzukramen. Ich schlage Ivy die erste freie Seite auf und halte ihr beides hin. Sie zieht den Stöpsel mit den Zähnen ab und malt mit schnellen Zügen auf die Seite:
Du streust Konfetti in mein Leben.
Als sie den Stift wieder zustöpselt, stöhnt sie plötzlich auf. «Verdammt, jetzt habe ich mir auf die Zunge gebissen. Lettering-Unfall.»
Ich schnaube amüsiert, aber Jenna fängt so heftig an zu lachen, dass sie vom Sofa rutscht, und dann ist es um uns alle geschehen. «Oh Gott, ihr seid verrückt», japst Jenna.
Ivy kuschelt sich an mich, als unser Lachen verebbt. «Ich freue mich wirklich für dich, Aubree. Du siehst glücklich aus. Ich hoffe nur, Noah versaut es nicht.»
«Sag das nicht, okay? Ich verstehe echt nicht, warum du so eine schlechte Meinung von ihm hast. Er ist der verständnisvollste und netteste Typ, der mir je begegnet ist.» Und weil Ivy daraufhin ein gequältes Stöhnen von sich gibt, sage ich schnell: «Und jetzt lass uns nicht mehr darüber reden. Mir fällt aber noch etwas ein, was in den Filmen immer total unrealistisch ist.»
«Okay, schieß los.»
«Frauen haben niemals ihre Tage.»
«Das stimmt», sagt Jenna. «Weil die Menstruation das totale Tabuthema ist.» Ihre Stimme geht empört in die Höhe. Sie scheint nicht das erste Mal darüber nachzudenken. «Niemand will hören, wie man sich mit Krämpfen windet oder mit Tampons oder einem von diesen Silikoncups rumquält. Oder dass man ausläuft, weil man sich das blöde Ding falsch eingesetzt hat oder es nicht rechtzeitig ausspülen konnte. In Filmen kommt das nie vor, dabei betrifft es fünfzig Prozent der Menschheit mehrere Tage pro Monat! Ich meine, es kommt alles in Filmen vor, die ausführlichsten Sexszenen …»
«… mit BH
», ergänzt Ivy.
«Natürlich mit BH
. Aber dieser Part unseres Lebens wird
komplett ausgeklammert. Wenn ich später als Lehrerin arbeite, dann will ich das nicht bloß kurz im Biologieunterricht abhandeln. Man muss doch auch darüber reden, dass mal was schiefgehen kann, oder? Dass man ausläuft. Mir ist das schon mal bei meiner Tante passiert. Sie hatte nachher einen Fleck auf dem Sofa, und ich bin fast gestorben, weil mein … also mein, äh … Cousin das mitbekommen hat.»
«Thomas?», frage ich.
«Natürlich. Wenn, dann ziehe ich bei peinlichen Momenten gleich den Hauptgewinn.»
«Shit», sagen Ivy und ich wie aus einem Mund.
Mir wird allein bei der Vorstellung flau. «Oh Gott, das tut mir total leid. Was hat er gesagt?»
«Er hat nichts gesagt, das ist ja das Schlimme. Er hat Polsterreiniger geholt und sauber gemacht.»
«Er
hat sauber gemacht?» Ivy und ich starren sie ungläubig an. «Ohne irgendeinen blöden Kommentar?»
«Ja», presst sie durch zusammengebissene Zähne hervor. «Ein blöder Spruch wäre mir viel lieber gewesen, dann hätte ich ihn anmeckern können. Aber was willst du schon zu einem Typen sagen, der eine Decke über das Sofa wirft und seiner Mutter gegenüber hinterher behauptet, er hätte etwas zu trinken verschüttet. Oh Gott, ich konnte ihm ein Jahr lang nicht in die Augen sehen.»
«Oh wow», sage ich. «Er wollte dich nicht bloßstellen, das ist …»
«… einfach nur wow», wiederholt Ivy meine Aussage. «Er hat nichts
gesagt?» In ihrer Stimme schwingt so viel Unglauben mit, als hätte Jenna ihr gerade erzählt, von Aliens entführt worden zu sein. Aber nach dem, was sie mir über das Zusammenleben mit Asher und
Noah erzählt hat, wundert mich das nicht unbedingt. Und dass Noah meist erst redet und dann nachdenkt, weiß ich inzwischen schließlich aus eigener Erfahrung.
«Kein Wort.»
Wir schweigen für einen Moment fassungslos. «Ich kenne Thomas ja nicht. Aber so ein Mann muss doch irgendeinen Haken haben, oder?», fragt Ivy. «Eine Piepsstimme? Müffelt er? Ist er Republikaner oder sonst auf irgendeine Art hohl?»
«Er ist Handwerker. Und er ist in jeder Hinsicht attraktiv.»
Ich nicke bestätigend. «Sehr attraktiv. Selbst Rosa steht ihm phantastisch. Und er trinkt seinen Kaffee schwarz mit einem Löffel Zucker», ergänze ich.
«Was soll mir das denn sagen?», fragt Ivy.
«Dass er Geschmack hat. Ich trinke meinen Kaffee auch so.» Ich schenke mir mit einem Grinsen ein Glas Wasser ein, weil vom vielen Lachen und Reden meine Kehle ganz trocken ist.
«Wenn er nicht dein Cousin wäre, müsstest du ihn daten.»
«Ivy, er ist nicht wirklich mein Cousin.» Sie seufzt. «Seine Mutter ist nur mit meiner Mom und ihren Brüdern zusammen aufgewachsen.»
«Und selbst wenn, das wäre nicht illegal, oder?»
«Nur in einigen Staaten. Ich habe es mal aus Interesse gegoogelt», gibt sie zu. «Aber Thomas ist nicht mein Cousin!» Sie hat das schon mehrmals betont und lacht nun unsicher auf, weil ihr das wahrscheinlich gerade selbst auffällt.
«Ich habe das auch mal aus Interesse
gegoogelt. In manchen Staaten dürfen Cousin und Cousine sogar heiraten und Kinder kriegen.» Ivy kann es nicht lassen, sie noch ein wenig zu ärgern.
«Wir sind nicht blutsverwandt! Thomas ist …» Sie stockt, als sie unsere Gesichter sieht und stößt ein herzliches «Ihr seid blöd» aus.
«Wo wir aber gerade beim Thema sind, was ist mit Geburten?», fragt Ivy. «Ich meine im Film. Ganz abgesehen davon, dass Frauen immer
Kinder bekommen wollen – selbst wenn sie zu Beginn total dagegen waren –, wenn sie dann schwanger sind, natürlich ohne je ihre Menstruation bekommen zu haben, dann platzt die Fruchtblase garantiert mit einem lauten Platsch. Wieso ist Fruchtwasser okay, aber Menstrualblut ist es nicht?»
«Das verstehe ich auch nicht. Und was ist mit dem Hausmeister?», hake ich nach.
«Hausmeister? Was für ein Hausmeister denn?»
«Na ja, der der das Fruchtwasser aufwischen muss. Okay, ich gebe zu, das ist jetzt kein Frauenklischee. Aber in jedem beschissenen Highschool-Film steht am Eingang ein hässlicher Typ mit Wischmopp.»
Ivy muss so urplötzlich lachen, dass sie ihr Eis ausprustet.
«Siehst du», sage ich kichernd, «und das würde man in einem Film auch nie zu sehen bekommen. Eine sabbernde Heldin.»
«Ich habe nicht gesabbert.» Sie wirft mit einem Kissen nach mir.
«Und immer ist ein Kissen zum Werfen zur Stelle, wenn man es braucht.»
«Ihr beide seid so bekloppt», stellt Jenna fest. «Aber habt ihr schon mal gegen einen von diesen Snackautomaten geschlagen? Ich schwöre euch, das will ich unbedingt mal ausprobieren, weil in jedem Film erst einmal dagegengehämmert wird, bevor das Ding endlich was ausspuckt. Kein Kaffee oder Schokoriegel ohne Gewaltanwendung. Aber mir ist das noch nie passiert. Und ich warte sehnsüchtig darauf, meine Wut einmal
an einem Automaten auslassen zu können. Ohne verhaftet zu werden, meine ich.»
Wir lachen. Und dann lachen wir noch etwas mehr. Irgendwann später sehen wir gemeinsam eine Folge Sex Education
. Wir liegen zu dritt Schulter an Schulter auf dem Sofa, mit den Füßen auf dem Tisch. Die verdammte Feder pikst mir in den Hintern, und ab und zu macht eine von uns einen einzelnen Sit-up, um an die Chipstüte zu kommen.
«Sie hatte keinen BH
an», bemerkt Jenna. «Aimee, meine ich. Erste Folge. Sie hatte keinen BH
an, als sie mit Adam im Bett war.»
Ivy gibt ein zustimmendes Brummen von sich. «Deshalb ist die Serie auch so gut.»
Ich nicke enthusiastisch. «Der britische Akzent ist echt toll. Findet ihr nicht auch, dass sogar vulgäre Ausdrücke mit britischem Akzent irgendwie vornehmer klingen?» Das ist schon allein aus Sprechersicht für mich interessant.
«Nein», sagt Jenna trocken. «Eigentlich nicht.»
«Ich habe gelesen, dass die beiden Schauspieler auch in echt zusammen sind.» Das ist jetzt nicht wirklich wichtig, aber ich finde die Vorstellung süß. «Aimee und Adam.»
«Das ist der Kiffer, oder?»
«Er kifft ja jetzt nicht mehr, weil Otis’ Mom ihn darüber aufgeklärt hat, dass das zu frühzeitiger Impotenz führen kann.»
«Noah hat früher übrigens auch gekifft.»
Ich schlage Ivy auf den Bauch, und sie zieht gleichzeitig stöhnend und lachend die Beine an. «Tut mir leid, tut mir leid, ich konnte nicht anders. Aber du wirst mir bestimmt sagen, dass Noah damit keine Probleme hat.»
«Ich werde dir garantiert gar nichts mehr sagen, wenn es um
deinen Bruder geht.»
Jenna steht auf, um ins Bad zu gehen. Als wir das Türschloss hören, wird Ivy ernst und dreht sich zu mir um. «Und du bist wie eine Schwester für mich. Ich habe einfach Angst, dass das mit euch beiden so richtig schiefgehen könnte. Weil Noah in seinem Leben bisher ziemlich viel Mist gebaut hat.»
Sie blinzelt, und ihr Gesicht wirkt im Fernsehlicht seltsam fahl. «Du weißt, dass ich Noah liebe. Aber dich liebe ich auch, und wir haben so viel mehr Zeit zusammen verbracht. Ich kenne dich viel besser als ihn. Und auch wenn ich mir wünsche, dass er einfach mal glücklich sein kann, ohne daran zu zweifeln, es verdient zu haben, mache ich mir mehr Sorgen um dich. Weil du gerade keine Unsicherheit gebrauchen kannst. Verstehst du, was ich meine?»
«Ich glaube schon.» Und sofort liegt da dieses Gewicht auf meinem Brustkorb. Ivys Stimme ist eindringlich, fast drängend. Es kommt mir vor, als hätte sie mir das schon lange sagen wollen, aber nicht den Mut dazu gefunden.
«Noah traut seinem Glück nicht. Er wartet immer nur darauf, dass man es ihm nimmt. Ich liebe Noah, aber er
kann es nicht. Sich selbst lieben, meine ich. Er wartet darauf, dass man ihm weh tut, und wenn das nicht passiert, dann wird er etwas tun, um es herauszufordern. Er provoziert es. Aubree, ich habe Angst, dass er dir weh tun wird. Nicht, weil er das will. Er wird es tun, damit du ihm
weh tust.»