I
ch halte einen Zettel in der Hand. Einen Zettel mit dem Namen. Taylor hat ihn aufgeschrieben, und dann bin ich zurück ins Hotel gegangen. Ich muss jetzt allein sein. Weil er mir das so lange verschwiegen hat und ich darüber nachdenken muss, wie ich mit Taylor umgehe.
Ich kenne den Namen nicht. Es ist, als würde ich einen Thriller sehen und am Ende stellt sich heraus, dass der Täter keinerlei Verbindung mit dem Opfer hatte, dass es völlig willkürlich ausgewählt wurde. Das Ganze ist so sinnlos. Ich sehe den Namen an und empfinde dabei … nichts.
Das Schlimme ist, dass ich gedacht habe, seinen Namen zu kennen, würde mir Frieden bringen. Würde in mir ein Aha-Erlebnis auslösen, vielleicht sogar die fehlenden Erinnerungen zurückbringen. Aber das funktioniert nicht. Ich werde nie wissen, was genau in dieser Nacht passiert ist. Und damit muss ich fertig werden.
Ich werde ihn bei der Polizei anzeigen, das habe ich in dem Moment beschlossen, in dem ich den Zettel in Händen hielt. Dieser Typ hat nicht nur mich verletzt. Er hat so viel mehr getan. Er hat mir mein altes Leben weggenommen. Er hat meine Mom verletzt, und er
hat auch Taylor verletzt, der kaum damit leben kann, dass er mich aus den Augen gelassen hat. Taylor kann nichts dafür. Er ist nicht mein Beschützer, und ich muss mich auch nicht selbst beschützen.
Und mit diesem Gedanken verschwindet endlich, endlich auch das verdammte Schuldgefühl. Denn wenn ich Taylor keine Schuld gebe, dann kann ich auch mir selbst keine Schuld geben. Nicht ich
hätte mich schützen müssen, dieser Mann hätte mich niemals anfassen dürfen. Ich habe nichts getan, um das auszulösen. Ich habe nichts falsch gemacht. Ein kurzer Rock, offene Haare oder Alkohol zu trinken sind kein Fehler.
Und das nicht nur zu wissen, sondern auch zu fühlen, ist eine unglaubliche Erleichterung.
Ich setze mich an den Schreibtisch in meinem Hotelzimmer, suche die Mail von Dr. Ward heraus und bitte ihn um Rat, weil ich nicht weiß, was ich nun als Nächstes machen soll. Und das ist wahrscheinlich das Schwerste, was ich je getan habe. Anschließend schicke ich eine Nachricht an Faran, dass ich meine Meinung nicht ändern und den Vertragszusatz nicht unterschreiben werde. Scheiß auf das Geld.
Ich schlage Errol auf und sehe die To-dos an, die ich auf meiner Liste geschrieben habe. Das Fragezeichen vor dem Punkt mit der Namensänderung. Und dann streiche ich den Punkt durch. Mit einem dicken Strich, mehrmals. Es ist mein Name, der Name meiner Familie. Ich werde ihn nicht zu Geld machen, aber ich werde ihn mir auch nicht wegnehmen lassen. Ja, manchmal ist es schwer, weil es zu viele Idioten auf dieser Welt gibt, aber zum Teufel mit ihnen. Auf eine freie Seite weiter hinten schreibe ich dann das Erste, was mir in den Sinn kommt, in breiten Buchstaben, die ich anschließend mit bunten
Farben ausmale:
Don’t give a fuck!
Es tut so unheimlich gut. Scheiß drauf. Ich nehme es mir fest vor. Ich werde verdammt noch mal einen Scheiß auf die Angst und die Sorgen geben. Auf alles, was ich nicht in meinem Leben will! Ich lege mich auf das Hotelbett. Obwohl es erst halb sieben ist, ist draußen schon die Sonne untergegangen.
Doch dann mache ich einen Fehler. Einen riesengroßen Fehler.
Ich melde mich unter einem Pseudonym auf Instagram an, um nach diesem Mann zu suchen. Ich will sein Gesicht sehen. Ich will ihn erkennen können, wenn er mir auf der Straße begegnet und nicht unwissentlich einen Menschen anlächeln, der mich gegen meinen Willen angefasst hat.
Seinen Namen gibt es achtzehn Mal.
Achtzehn Profile, die denselben Namen haben wir er. Gut möglich, dass er sich hier völlig anders nennt oder dass er gar nicht auf Instagram ist. Oder dass sein Profil nicht öffentlich ist. Trotzdem klicke ich mich durch die, die ich einsehen kann, und lese mir die Bio durch, blättere durch die virtuellen Alben, suche etwas Vertrautes. Ein Foto vom College oder auch nur eins von New York. Und dann finde ich bei Nummer fünf ein Bild der Studentenvertretung des Colleges. Die typischen Farben fallen mir sofort ins Auge. Magenta und Gelb. Das Foto ist schon älter, aber der Typ ist nicht sehr aktiv in Social Media, deshalb finde ich dieses Foto ziemlich weit oben in seinem Feed. Eine Sitzung in der Bedford Lounge vom Frühjahr. Und er ist einer der Studentenvertreter. Das kann er nicht sein. Es kann nicht sein, dass ein Typ, der sich ehrenamtlich für die Belange anderer Studierender einsetzt, am Wochenende auf Partys Frauen gegen ihren Willen betatscht. Und vielleicht noch Schlimmeres. Es muss einen anderen Studenten mit diesem Namen am College geben.
Ich will ihn schon wegklicken, als mir das neueste Foto auffällt, auf dem er gemeinsam mit einer jungen Frau in die Kamera lächelt.
Oh Gott, er wirkt so nett. Und er hat den Arm um ihre Schulter gelegt, sodass ich seine Hand genau sehen kann. Und diese Hand hat sich mir ins Gedächtnis eingebrannt. Die schlanken, langen Finger. Die gepflegten Nägel. Ich habe diese Hand hundertmal auf dem Foto gesehen, das ist der Beweis, dass er der Mann ist. Aber sein Anblick ist nicht das, was mir das Herz beinahe aus der Brust springen lässt.
Nein, es ist die Frau, die er umarmt. Ich kenne sie. Mir wird eiskalt. Sie hat die Haare nicht mehr blondiert, sondern trägt einen natürlichen Braunton. Sie in seinem Arm zu sehen fühlt sich an, als würde mir jemand eine Brechstange gegen den Brustkorb rammen. Unter dem Foto stehen die Hashtags:
#happyme #bestcouple #couplegoals
In diesem Moment bricht etwas in mir auseinander.
Ginnifer.
Der Typ, der mir das angetan hat, ist ihr neuer Freund. Ihr Freund
. Mir wird schlecht. Ich kann förmlich spüren, wie sich mein Magen umdreht, wie sich alles in mir verkrampft und das Blut so hart in meinem Hals pulsiert, dass mir der Schweiß ausbricht und ich am ganzen Körper anfange zu zittern. Es ist Ginnifers Freund. Mühsam ringe ich nach Luft, kralle mich in der Bettwäsche fest. Alles um mich herum dreht sich. So schnell, dass ich die Orientierung verliere. Luft, ich brauche Luft.
Aber da ist keine mehr.
Und plötzlich habe ich Todesangst. Keuchend und mit zitternden Fingern versuche ich, mein Handy in die Finger zu bekommen. Ich brauche Hilfe, aber egal, wie oft ich es auch versuche, ich kann den
Bildschirm nicht entsperren, weil ich so sehr zittere. Mein Körper gehorcht mir einfach nicht. Minutenlang tue ich nichts anderes, als verzweifelt um Atem zu ringen und mit meinem Handy zu kämpfen.
Gott verdammt. Das kann doch nicht sein. Es kann nicht sein, dass ich keine Luft mehr bekomme. Niemand ist hier in diesem Zimmer außer mir.
Das ist nur die Angst. Aubree, das ist nur Angst, und sie ist nicht real.
Die Angst kann mich nicht umbringen. Da ist keine echte Gefahr. Das sage ich mir immer und immer wieder. Es gibt keine Gefahr. Und nach einer Ewigkeit schaffe ich es, meinen Atem zu beruhigen. Ich zähle die Sekunden, die ich aus- und wieder einatme. Zähle sie immer wieder von vorn. Ich richte mich auf, und meine Muskeln lockern sich. Meine Gedanken richte ich ganz bewusst auf etwas Schönes. Ich denke an Ivy und meine Schwester May, und ich denke an Noah und seine schilfgrünen Augen, daran, wie sich seine Hände anfühlen und wie er mich anlächelt. Wie er nicht mehr damit aufhören konnte zu lächeln.
Und endlich werde ich wirklich ruhig, entspanne mich, fühle mich sicher. Also entsperre ich den Bildschirm meines Handys und scrolle durch die Kontakte, die ich erst vor ein paar Tagen neu eingegeben habe. Unter B steht nun gleich dreimal der Name Blakely.
Blakely, Asher
Blakely, Ivy
Blakely, Noah
Mein Daumen tippt auf Ivys Namen, und ich hoffe, dass sie drangeht. Es klingelt so oft, dass ich fast schon wieder auflegen will. Doch dann nimmt sie ab.
Und als ich ihre Stimme höre, breche ich in Tränen aus.
«Was ist passiert?», fragt sie panisch. «Wo bist du? Bist du noch in New York? Soll ich zu dir kommen?»
«Nein, es ist nur …» Mein Satz wird sofort von einem Schluchzer unterbrochen. «Ich hatte gerade … ich …»
«Sag mir einfach, wo du bist! Ich kann sofort losfahren. Das … das dauert nur fünf Stunden. Bleib einfach die ganze Zeit am Telefon, ich lasse dich keine Sekunde alleine. Wo bist du? Wo finde ich dich?»
Ganz ruhig, Aubree. Ganz ruhig.
«Ich bin im Hotel. Es ist alles gut, mir ist nichts passiert. Du musst wirklich nicht herkommen. Es ist nur … Ich habe herausgefunden, wer es ist.»
«Aubree, du machst mir Angst.» Jetzt ist ihre Stimme genauso atemlos wie meine.
«Der Mann auf dem Foto. Ich habe ihn auf Instagram gefunden.» Mit dem Handballen wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht, die immer weiter laufen. Und dann erzähle ich Ivy endlich von dem Arztbefund und den Drogen, die sie in der Haarprobe gefunden haben. Dass ich nichts getrunken habe und Taylor mir das eben noch einmal bestätigt hat, auch wenn das keine Rolle mehr spielt. Denn nicht ich habe die Kontrolle verloren, jemand hat sie mir einfach genommen. Und ich erzähle ihr von Ginnifer. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu reden. Irgendwann muss ich es aber, weil meine Kehle vom Weinen rau und heiser ist.
«Das alles ist ein Albtraum», sagt Ivy nach einem Moment der Stille. Sie klingt entsetzt, einfach nur entsetzt. «Das macht alles noch viel schlimmer. Und ich kann nicht glauben, dass Ginnifer etwas davon weiß. Sie kann unmöglich mit einem Typ zusammen sein, der so etwas macht.»
«Ich glaube das auch nicht …» Ich räuspere mich, um das enge Gefühl in meiner Kehle loszuwerden, dann flüstere ich: «Aber sie hat doch ganz sicher das Foto von mir gesehen. Jeder hat es gesehen, verdammt! Und wenn sie … Sie müsste doch seine Hände erkennen, oder? Sie muss doch die Hände ihres eigenen Freundes erkennen.»
Ich würde Noahs Hände immer und überall wiedererkennen.
«Vielleicht. Aber sicher bin ich mir nicht. Sie hat das Foto ganz bestimmt nicht so intensiv angesehen wie du. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Ginnifer dann noch mit ihm zusammen wäre. Du hast gesagt, das Foto auf Instagram ist zwei Wochen alt. Dann wurde es kurz vor der Party aufgenommen … Wenn … also falls
sie es inzwischen rausgefunden hat, hat sie ihn vielleicht längst damit konfrontiert und sich von ihm getrennt.»
«Und wenn nicht? Vielleicht denkt sie auch, dass ich mich an ihren Freund rangemacht habe, und spricht deshalb nicht mehr mit mir. Sie hat bestimmt keine Ahnung, dass er mir K.-o.-Tropfen gegeben hat. Oh Gott, wenn ich nur daran denke.»
«Dann müssen wir sie warnen.»
Ich richte mich auf und stoße mit dem Fuß an Errol, der immer noch aufgeschlagen auf der Decke liegt. Das Handlettering, das ich als Letztes gemalt habe, fällt mir ins Auge. I don’t give a fuck.
Aber in diesem Fall kann mir das nicht egal sein.
«Du hast recht. Wenn sie nichts davon weiß, dann müssen wir ihr sagen, wie kriminell dieser Typ ist. Ich hoffe nur, sie denkt nicht, dass ich ihn nur schlechtmachen will.»
«Dann ist das ihre Sache, aber warnen müssen wir sie.»
Die Situation ist zum Verzweifeln. «Ich würde so gerne damit abschließen. Aber mit der Anklage wird es noch lange nicht vorbei
sein.»
«Nein, das wird es nicht. Aber ich bin bei dir. Wir stehen das zusammen durch. Du musst Ginnifer nicht darauf ansprechen. Das mache ich. Ich werde sie anrufen und ihr das beibringen.»
«Danke, Ivy.» Ich klemme mir das Telefon unters Kinn und strecke Arme und Beine von mir. Nun, wo Ivy endlich alles weiß, wo ich mit ihr über alles gesprochen habe und sie mir beisteht, fühle ich mich unendlich erleichtert. Erleichtert und unfassbar müde und erschöpft. «Danke für alles.»
«Lass uns einfach noch reden, okay? Wir quatschen einfach so lange, bis du irgendwann eingeschlafen bist. Wenn nötig, singe ich dir auch was vor.»
«Bitte nicht.»
Sie lacht leise auf, und bei diesem Geräusch entspanne ich mich noch mehr. Einen Moment schweigen wir beide, dann seufzt Ivy und erzählt mir von ihrem Stiefvater und dass sie mit ihm über Noah gesprochen hat. «Er hat sich immer noch nicht bei ihm gemeldet. Dad lässt sich zwar nichts anmerken, aber es ist offensichtlich, dass es ihm weh tut. Er hat mir endlich verraten, worum es in ihrem letzten Streit ging. Ich weiß selbst am besten, dass Richard in der Vergangenheit viele Fehler gemacht hat, aber das
gehört definitiv nicht dazu, und ich wünschte, Noah würde ihm einfach vertrauen.»
«Was hat Noah ihm denn vorgeworfen?»
«Dass Dad …» Sie stockt. «Er unterstützt Ashers besten Freund Sam.»
«Den Sam, der im Augenblick in Paris ist?»
«Ja. Er ist der Sohn von Hillary, das ist Richards Hausangestellte. Sie ist eine ganz wunderbare Frau. Richard hilft ihrem Sohn beim
Studium. Finanziell. Er bezahlt ihm Paris, seine Wohnung, die Studiengebühren, einfach alles.»
«Und bei Noah macht er das nicht.»
«Nicht mehr, nein.»
«Weil Noah das Wirtschaftsstudium abgebrochen hat und jetzt Medienwissenschaft studiert. Findest du das richtig?»
«Das ist nicht alles. Noah konnte Sam noch nie besonders gut leiden, und nun hat er unserem Vater unterstellt, Sam wäre sein unehelicher Sohn.»
«Das hat er gesagt?»
«Na ja», gibt Ivy zu. «Mein Stiefvater hat es so umschrieben. Wahrscheinlich hat Noah eher was gesagt wie Du hast Hillary gevögelt
oder so.»
«Oh Gott, das klingt schon eher nach ihm.»
«Sam ist zwei Jahre älter als Noah, Aubree. Er hat Dad eine Affäre mit Hillary vorgeworfen in der Zeit, als er noch mit Noahs Mom verheiratet war. Und dass seine Mom die Familie nur deshalb verlassen hätte.»
Ich muss an das Tattoo auf Noahs Bauch denken. Das Billy-Joel-Tattoo. She can lead you to love, she can take you or leave you.
Ich bin davon ausgegangen, dass es dabei um eine Exfreundin geht. Jemand der ihn verletzt hat. Und jetzt frage ich mich, ob ich damit nicht komplett falschliege.
«Meinen Stiefvater hat das wirklich getroffen. Und du weißt, wie Noah sein kann. Er redet, ohne vorher nachzudenken.»
Keine What ifs
, sondern nur Fucks. «Ja, das weiß ich. Aber Noah hat genug Gründe, seinem Vater nicht zu vertrauen. Was ist mit Ebony? Er hat das Pferd einfach verkauft, ohne mit Noah zu reden. Er
hat einfach Noahs Pferd verkauft. Das kann er doch nicht machen.»
«Er hat das Tier nicht verkauft.»
«Natürlich hat er das! Noah hat selbst gesagt, dass er …» Halt, Stopp. Noah hat das nicht wirklich gesagt, oder? Ich habe ihn danach gefragt. Auf dem Klo, als er sich nach Ashers fiesem Witz übergeben hat. Eigentlich hat er mir auf meine Frage gar nicht richtig geantwortet. Er hat das Gespräch abgeblockt. «Sein Dad hat Ebony gar nicht verkauft?»
«Nein. Sie ist immer noch in diesem Stall in Moultonborough. Jetzt wo Richard wieder zu Hause ist, hat er sich auch um die Sanierung des Stalls gekümmert. Sobald das fertig ist, wird er Ebony wieder zurückholen. Und auch die anderen Pferde. Soweit ich weiß, haben sie noch drei.»
Ich habe gerade keine Ahnung, was ich davon halten soll. In meinem Brustkorb tobt das Gefühl, Noah verteidigen zu müssen. Aber warum sagt er nicht die Wahrheit? Asher hat ihm vorgeworfen, dass er sich einen Scheiß für Ebony interessiert. Aber Noah kümmert sich so liebevoll um Woodstock, warum macht er das nicht bei seinem eigenen Pferd? Weil es eigentlich seinem Dad gehört?
Ich höre ein unterdrücktes Gähnen von Ivy.
«Lass uns lieber schlafen», sage ich.
«Bist du denn sicher, dass du das jetzt kannst?»
«Ich versuche es. Danke, Ivy.»
Sie nimmt mir noch das Versprechen ab, mich zu melden, wenn es mir schlecht gehen sollte, dann legen wir auf, und ich atme langsam aus. Nun, da die ganze Anspannung von mir abfällt, bin ich so fertig, dass ich mich tatsächlich nicht einmal mehr motivieren kann aufzustehen, um meine Schlafklamotten anzuziehen. Eine Weile
grüble ich noch über Noahs Dad nach und wie verfahren die Situation zwischen den beiden ist. Müde blinzle ich in das fahle Licht, das durch die Vorhänge hereinfällt, und irgendwann ist da nur noch Dunkelheit.
Als ich aufwache, ist es stockdunkel im Zimmer. Meine Kehle ist so trocken, dass ich kaum schlucken kann. Ich stehe auf und trinke so lange aus dem Hahn im Badezimmer, bis das Wasser nur noch eiskalt herauskommt. Als ich die Uhrzeit auf meinem Handy nachsehe, entdecke ich einen Anruf in Abwesenheit und zwei neue Sprachnachrichten von Noah. Die erste ist nur zwanzig Sekunden lang. Aber er hat sie beide vor vier Stunden aufgesprochen, und jetzt ist es halb fünf morgens.
«Ich hatte gehofft, du bist noch wach, obwohl ich weiß, dass das dämlich ist. Wahrscheinlich hattest du einen echt miesen Tag, weil ich dich die ganze Nacht wach gehalten habe.» Er stockt. «Aber es tut mir verdammt noch mal kein bisschen leid. Dir hoffentlich auch nicht. Denn wenn es so wäre, würde mich das fertigmachen.»
Im Hintergrund schlägt eine Tür zu, und ich höre eine Frauenstimme, da bricht die Nachricht ab. Die zweite Nachricht hat er zehn Minuten später aufgenommen, und ich kann nicht verhindern, dass ich mich frage, zu wem diese Frauenstimme gehört. Sie klang leise und freundlich, auch wenn ich die Worte nicht verstehen konnte, deshalb glaube ich nicht, dass es Cora war. Außerdem kann Noah um diese Uhrzeit kaum im Stall gewesen sein. Oh Gott, Aubree, du bist so dämlich!
Als ob er Cora nur im Stall treffen könnte! Aber wieso denke ich überhaupt an sie, wo er ihr in
meinem Beisein deutlich gesagt hat, was er von ihr hält? Und wieso analysiere ich jetzt diese Hintergrundgeräusche? Verdammt!
«Was ich dir eigentlich sagen wollte: Ich habe deinen Zettel erst kurz vor dem Training auf dem Fußboden gefunden. Schätze, ich bin heute Morgen ziemlich verpeilt gewesen und … fuck, ich weiß nicht, was ich sagen soll, ohne wie ein verfickter Vollidiot rüberzukommen. Ich habe mir eine Million Mal das Foto von uns angeguckt und dann den Zettel. War das einfach nur so ein Spruch, oder meinst du das ernst? Weil, wenn es so ist, dann … Scheiße, dann müssen wir reden. Weil … weil … ich will dir keine Angst machen, aber das war … also letzte Nacht … Fuck, ich kann wahrscheinlich nie wieder an was anderes denken, und jetzt kapiere ich, warum man Stürme nach Frauen benennt.» Er lacht leise. «Du bist ein verdammter Sturm, Bree. Du hast mich einfach mitgerissen. Und jetzt würde ich am liebsten … deine Hand halten. Das klingt bestimmt total scheiße, aber ich will einfach nur deine Hand halten. Ich will die ganze Nacht lang deine Hand halten und dein Gesicht dabei ansehen. Deine Augen. Und ich will jeden Tag so einen Zettel kriegen.»
Er atmet zweimal tief ein, dann spricht er weiter.
«Komm einfach wieder zurück.»