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» I ch bin dafür, dass Solea sich um das Klo kümmert und natürlich alles andere, was mit dem Fellvieh zu tun hat.«
Ist klar, stöhne ich innerlich auf. Trotzdem zwinge ich mich zu einem Nicken, da ich die Stimmung nicht zerstören will. Außerdem habe ich den kleinen Kater wirklich ohne Absprache mitgenommen.
Heute ist ein guter Tag, denn es gab noch keine Spannungen in der WG, rufe ich mir in Erinnerung.
Casper hingegen schlägt vor, dass wir das Füttern pro Woche aufteilen. Das Katzenklo bleibt aber ohne Diskussion meine Aufgabe. Um den Frieden zu wahren, nehme ich sie an. Das ist nun mal jetzt die Bestrafung, die ich ertragen muss, weil ich über die Köpfe aller anderen hinwegentschieden habe.
»Ich habe Hunger«, jammert Damian kindlich und ich werfe ihm ein strahlendes Lächeln zu. Jungs werden nie ganz erwachsen. Also schwinge ich mich aus meinem Stuhl hoch und blicke über Caspers Schulter auf den Essensplan.
»Heute ist Burger-Tag!«, schreie ich erfreut und klatsche in die Hände. Während des Trubels um den Kater und den Streit habe ich das schon wieder vergessen. Einmal im Monat machen wir Burger selbst.
Wissend grinsend zieht Damian den Küchenschrank auf.
»Dann los, Prinzesschen. Mach dich ans Kochen!«
Empört über seinen Spitznamen für mich und die Selbstverständlichkeit, dass ich koche, werfe ich ihn mit dem Handtuch ab. Wie sich herausstellt, vergeblich, denn als Sportstudent hat er es, bevor ich hinschauen kann, aufgefangen. Ich höre Casper hinter mir lachen, als ich mir ein weiteres Handtuch schnappe und mir ein Duell mit ihm liefere. Kurze Zeit später liegen wir alle drei auf dem Boden, atmen schwer und kichern. Kleine Tränen laufen aus meinen Augen und ich fühle mich so unbeschwert wie schon lange nicht. Für einen Moment sind alle Sorgen vergessen und ich komme mir so vor, als könnte ich fliegen. Kann glücklich sein wirklich so einfach sein?
Ohne mit der Wimper zu zucken, hat Damian den Kater gefüttert und ich erinnere mich an etwas, was wir bis jetzt immer wieder verschoben haben.
»Wir brauchen noch einen Namen für ihn!« Mein Enthusiasmus wird nicht gebremst und mir fallen tausend Namen ein.
Felix, Tiger, Leo, Simba, Findus, Max, Sammy, Moritz, Charlie, Rocky …
Noch bevor ich auch nur einen Vorschlag einwerfen kann, bemerke ich meine volle Blase. Also entschuldige ich mich kurz und gehe ins Bad. Im Spiegel betrachte ich mich lange und merke, dass ich mich das erste Mal nicht anstrengen muss, um glücklich zu sein. Fröhlich haben die Jungs die Arbeit mit den Burgern übernommen. Es hat sich herausgestellt, dass Damian wirklich gut kochen kann. Beim Braten des Fleisches hat er sofort gemerkt, dass ich zu wenig Öl benutzt habe. Deswegen bin ich immer noch sehr erleichtert, dass er sich jetzt darum kümmert. Casper hat sich beim Kochen etwas zurückgezogen und nur ein bisschen Salat und anderes Gemüse kleingeschnitten. Dabei ist mir aufgefallen, wie penibel er alles in gleichgroße Stücke zerteilt.
Der Duft von frischem Burger lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, als ich zur Küche zurückgehe. Selten habe ich mich so aufs Essen gefreut.
Zufrieden sehe ich, wie Casper das Durcheinander beseitigt und alles schon mal in die Spülmaschine stellt. Währenddessen richtet Damian die Teller an. Sie haben mich noch nicht gehört und ich bleibe einen Moment im Türrahmen stehen. Mit dieser raschen, friedlichen Entwicklung habe ich nicht gerechnet und ich beobachte sie stolz. Casper, der kleine Nerd mit seiner schwarzen Brille, den lockigen Haaren und Star-Wars-T-Shirts. Daneben Damian, der athletische Typ, den sich augenscheinlich keine Eltern als Schwiegersohn wünschen. Sie wirken so verschieden und doch passen wir alle irgendwie zusammen. Vielleicht habe ich mich deswegen für die beiden entschieden, weil wir unterschiedlicher nicht sein könnten.
»Huhu, Solea.« Damian wedelt mit einem Burger vor meiner Nase herum. Anscheinend starre ich schon etwas länger in seine Richtung. Als Zustimmung knurrt jetzt auch noch mein Magen.
Seit wann läuft alles so harmonisch ab? Es scheint zu perfekt, um wahr zu sein. Ich fühle mich nur noch weiter bestätigt, als Casper sich erkundigt, was ich gerne trinken würde. Mit unserem Mittagessen machen wir uns auf den Weg ins Wohnzimmer. Hätte meine Mama das sehen können, wäre sie vermutlich verzweifelt. Nichts hat sie mehr gehasst und Papa und ich haben ihre Grenzen damals echt ausgetestet. Ständig haben wir uns mit unserem Essen aufs Sofa geworfen und irgendwann hat sie sich damit arrangiert. Zwar hat sie immer mit den Zähnen geknirscht, aber es wurde dadurch auch auf eine eigene Art und Weise zu einem Ritual.
Damian lässt sich mir gegenüber in den Sessel fallen und stellt die Getränke in der Mitte auf. »Auf einen gelungenen WG-Tag!« Wir prosten uns gegenseitig mit unserer Limo zu und ich kann mir mein Lächeln nicht verkneifen. Die Stimmung ist fröhlich und ausgelassen. Sofort fangen die Jungs an, über ein Videospiel zu philosophieren. Zwischendurch höre ich nur was von technischen Problemen und Cheats. Gedanklich habe ich mich komplett aus dem Gespräch herausgenommen und beiße in den lecker duftenden Burger. Ich kaue genüsslich, als mich ein Brennen erfasst. Ich habe das Gefühl, als würde mein Körper in Flammen stehen. Tränen steigen mir in die Augen und ich wimmere. Mein Nervenzentrum ist vollkommen überfordert. Was ist hier los? Meine Sicht verschwimmt und ich rolle mich zusammen. Vermutlich sehe ich aus wie ein kleines Kind, aber dieser Gedanke kann mich nicht abschrecken.
»Scharf!«, keuche ich mehrmals, doch nichts hilft. Ich kann mich nicht zusammenreißen, bis ich ein diabolisches Lachen höre, gefolgt von einem kurzen Fluch.
Damian, denke ich, und wünsche ihm die schärfsten Burgersoßen an den Hals.