»
J
ules«, höre ich einen herzzerreißenden Schrei vor der Tür. Bevor ich es realisieren kann, habe ich sie geöffnet und ziehe meine beste Freundin herein. Ihr Zustand erschreckt mich mehr als alles andere. Wie ein Häufchen Elend wirft sie sich in meine Arme. Die strähnigen Haare hat sie zu einem unordentlichen Knoten zusammengebunden. Den größten Schock bekomme ich, als ich in ihr sonst strahlendes Gesicht blicke. Sie ist gezeichnet vom Schmerz. Schmerz, den ich nicht von ihr kenne, und mein vages Bauchgefühl lässt mich vermuten, dass mehr dahintersteckt. Selbst bei ihrem ersten großen Streit mit ihrem Freund sah sie nicht so mitgenommen aus.
Sie scheint völlig gebrochen zu sein.
Ohne dass sie sich irgendwie wehrt, führe ich sie zum Sofa. Doch anstatt sich darauf zu setzen, lässt sie sich auf den
Boden gleiten. Kurz überlege ich, ob ich was zu trinken holen soll. Jedoch bezweifele ich, dass Limonade ihr Problem lösen kann. Deshalb lasse ich mich neben sie fallen und lege einen Arm um sie. Ich weiß nicht, wo ich hingucken soll. Ihr orientierungsloser Anblick schnürt mir die Kehle zu, aber jedes Mal, wenn ich wegschaue, fühle ich mich wie ein noch größerer Idiot und Feigling.
»Damian und ich sind nicht mehr zusammen.« Bei diesen Worten versagt ihre Stimme.
Verdammt. Sie liebt ihn wirklich.
Als ich das realisiere, wächst mein schlechtes Gewissen ins Unermessliche. Ich habe das Gefühl, schuld an ihrer Trennung zu sein – obwohl ich nichts gemacht habe. Hätte ich letztens vehementer gegen Damians unausgesprochenen Vorwurf argumentieren sollen? Wahrscheinlich hätte ihn das bloß noch mehr angestachelt.
Ich will gar nicht wissen, was passiert, wenn ich ihn das nächste Mal sehe. Diesmal hat er ihr Herz offenbar vollends gebrochen.
Stockend würgt sie die nächsten Worte hervor: »Ich habe ihn angelogen … ich bin selbst schuld. Lügnern vertraut man nicht. Wir waren nicht gut genug füreinander.«
Ich versuche, mir meine Verwunderung nicht anmerken zu lassen, als ich sie in eine feste Umarmung ziehe. Soll ich ihr jetzt sagen, dass sie zu gut für ihn ist? Dass sie es verdient hat, mit jemand anderem – besseren – glücklich zu sein?
Oder würde sie das trauriger machen?
Ich weiß es nicht.