Nachdem Jules zur Arbeit verschwunden ist, muss ich mich auch auf den Weg machen. Mein Outfit überprüfe ich ein letztes Mal im Spiegel und stecke meine Haare fester zusammen. Schon wieder hat sich eine Strähne verirrt und hängt wild von meinem Kopf ab.
Ich erinnere mich daran, dass ich auch dieses Gerichtsverfahren gewinnen will. Meine ersten Zweifel wegen meines Studiums scheinen mir jetzt so klein. Ich habe es so richtig in meinem Praktikum gespürt. Zuerst war ich unbeholfen, aber schon nach wenigen Tagen arbeitete ich, als hätte ich nie etwas anderes gemacht. Dabei stelle ich mir immer vor, dass meine Eltern sicher stolz auf mich sind. Bestimmt auch, wenn ich etwas anderes gemacht hätte, solange ich glücklich bin. Dass ich das ausgerechnet als Anwältin werde, hätten sie wahrscheinlich niemals gedacht. Meine wöchentliche Therapie, die jetzt seit einiger Zeit läuft, hat mir geholfen, dass ich diese Gedanken nicht mehr unterbinde. Ich weiß, dass ich stärker als sie bin und dass sie zugleich zu mir gehören. Ich musste mich selbst akzeptieren, was ein langer Weg war. Doch ich bin froh, ihn gegangen zu sein.
Kurz mache ich noch einen Abstecher in den Park. Hier bin ich mittlerweile trotz der milden Temperaturen häufiger. Geschickt schlängle ich mich an den Gruppen von Frauen und kleinen Kindern vorbei. Vereinzelt sehe ich auch Läuferinnen und Sportgruppen, aber als ich um die Ecke trete, ist alles von
einer gewissen Ruhe umgeben. Deshalb habe ich diesen Baum gewählt. Er wuchert wild in alle Richtungen und ist nicht aufzuhalten. Gleichzeitig sieht man, wie um ihn herum die Wiese grün erstrahlt und schon einige Knospen hervorsprießen. Ich trete an das kleine Schild vor dem Baum heran, auf dem die Vornamen meiner Eltern stehen.
Fast täglich schaue ich hier vorbei und verbringe meine Zeit mit dem Lesen im Schatten der dichten Äste oder in der prallen Sonne. Auch heute lasse ich mich vorsichtig an der Rinde hinabsinken und krame mein Buch aus der Tasche. Hier habe ich einen Ort gefunden, an dem ich mich ihnen nah fühle. An dem ich mit ihnen sprechen kann.
»Ich hab euch lieb«, flüstere ich zufrieden, als mein Blick auf einen verirrten Sportler fällt. Er steht ebenfalls vor einem Baum, lehnt sich schnaufend an diesen und scheint gerade einige Runden gelaufen zu sein. Seine Schultern heben und senken sich schnell und Schweiß rinnt ihm den Nacken herunter. Als er sich umdreht, spüre ich das Feuer in mir.
Das Feuer meiner Seele.
Er hat es in mir entfacht.
Ich weiß nicht, was ich machen soll, und mustere ihn. Ob ich ihn ansprechen soll? Mein Herz schlägt schneller. Plötzlich dreht er sich um und ich erkenne ihn.
Damian.
Ende Band 1
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